29.05.08
Entsetzen und Buhrufe für Familienpolitik
Eine Polemik über Politik und Kindeswohl
von Kurt J. Heinz
(MEDRUM) Wer Politik für Familien machen will, die den heute gängigen Vorstellungen nicht entspricht, muss sich mindestens auf Buhrufe und geharnischte Ablehnung, aber auch auf feindselige Empörung und Entsetzen einstellen. Er gerät ins Abseits und bekommt - anders als im Fußball - sogar die Rote Karte gezeigt. So erging es Christa Müller, der Ehefrau von Oscar Lafontaine, auf dem Parteitag der Linken am 25.05.08 in Cottbus.
Christa Müller und Kindeswohl versus Emanzipatorische Familienpolitik
Das Familienbild Christa Müllers, für das sie seit geraumer Zeit engagiert wirbt (MEDRUM-Artikel v. 20.02.08) passt nicht in die heutige Zeit. Das haben andere vor ihr bereits schmerzhaft erlebt, wie etwa Eva Herman. Weder bei den Linken, noch bei den Parteien wie der Union oder SPD. "Glatt abgebügelt", nennt es SpiegelOnline und bezeichnet es auch als Niederlage des Parteichefs Lafontaine. Christa Müller hatte den Mut aufgebracht sich gegen das auszusprechen, was mehrheitlich durch die Linke beschlossen werden sollte. Man kann es als emanzipatorische Familienpolitik bezeichnen. Gegen das Konzept ökonomisch ausgerichteter Familienpolitik wollte Christa Müller kämpfen, weil sie für eine Politik eintritt, die am Kindeswohl orientiert ist. Für die familienpolitische Sprecherin der Linken des Saarlandes stellte sich dies als ein aussichtsloses Unterfangen heraus. Viele Delegierte seien bereits mit Wut angereist. "Wir sind entsetzt über die familienpolitischen Äußerungen der saarländischen Links-Politikerin Christa Müller", soll es in einem Papier laut SpiegelOnline geheißen haben. So kann es nicht überraschen, dass sich die Linke auf eine Politik festgelegt hat, die mit dem Titel "Für eine emanzipatorische Familienpolitik der Partei Die Linke" überschrieben wird.
Christa Müller hat Vorstellungen und Überzeugungen vertreten, die auf eine breite der Front der Ablehnung stießen. Sie tritt zum Beispiel bekanntermaßen ein für ein Erziehungsgehalt. "Kinder brauchen Mutter und Vater
gleichermaßen", hieß es in einem Papier ihres Landesverbandes. Christa Müller hat es auch gewagt zu behaupten, dass Krippen- und Fremdbetreuung schädlich für Kinder sei. Solche Forderungen und Thesen sind offenbar nicht einmal mehr diskussions-, sondern nur noch ablehnungswürdig. Bei vielen lösen sie gar feindselige Empörung aus.
Wie kann stimmen, was nicht stimmen darf? Würde man Christa Müller in ihren Besorgnissen recht geben, würde man ihre Kritik ernst nehmen, bräche vieles zusammen, was sich an emanzipatorischen Vorstellungen über Familienpolitik etabliert hat. Es könnte im Extremfall zu einer Art GAU der Familienpolitik werden, nicht nur bei der Linken. Es könnte das Ende der Großoffensive einer Ursula von der Leyen bedeuten, die im Schulterschluss mit der SPD auf die außerfamiliäre Kinderbetreuung in Kitas, Kindergärten und Ganztagsschulen baut. Mit milliardenschweren Programmen soll dafür gesorgt werden, dass Väter und Mütter ungestört arbeiten können und die Erziehungsarbeit dort geleistet wird, wo sie natürlicher Weise nicht hingehört, nämlich in staatlich eingerichteten und geförderten Erziehungs- und Kinderverwahrungsanstalten, die Betreuungseinrichtungen genannt werden. Wer hier ein Umdenken erwartet, erwartet nahezu Undenkbares.
Die Vorstellung, Erziehung sei Aufgabe der Eltern, gehört in der Realität offenbar zu den Anachronismen, die als überwunden gelten müssen. Sie hat überwiegend nur noch eine rhetorische Bedeutung. Wer hat dafür gedacht und Konzepte entwickelt, dass Kinder in den frühesten Lebensjahren in der Familie aufwachsen und von der Familie aus in die Gesellschaft hineinwachsen? Dieses Aufwachsen und Hinweinwachsen der Kinder in die Gesellschaft, aus der Familie heraus, ist mit den gegenwärtigen Konzepten in der Familienpolitik schlicht nicht mehr vereinbar. Allseits ist man unter dem suggestiven Begriff "Wahlfreiheit" angetreten, um die Erwerbstätigkeit beider Elternteile oder von Alleinerziehenden trotz Kinder möglich zu machen. Das Aufwachsen und Hineinwachsen von Kindern in die Gesellschaft muss dann zwangsläufig zu einem großen Teil außerhalb der Familie stattfinden. Das ist die logische und die praktische Konsequenz. Wenn die Familie als Keimzelle der Gesellschaft betrachtet wird, dann ist die Politik der außerfamiliären Kinderbetreuung mit einem Keimbahneingriff in die Entwicklung der Gesellschaft vergleichbar. Das wollen die Verfechter dieser Politik jedoch aus verständlichen Gründen nicht eingestehen. Die Konsequenzen eines solchen Eingeständnisses wären auch ethisch schwerlich zu ertragen.
Grundrechenarten und Logik in der Kindererziehung
Argumente, die Hauptverantwortung für die Erziehung der Kinder bliebe nach wie vor bei den Eltern können nur noch in soweit ernst genommen werden, als die Eltern diejenigen sind, die am Ende tatsächlich die Verantwortung für das Wohl ihrer Kinder tragen. Kitas, Kindergärten und Schulen werden jede konkrete Verantwortung weit von sich weisen. Das können die Eltern schon kraft Gesetzes nicht, auch wenn sie künftig nicht mehr Hauptträger der Erziehung sein werden. Niemand, der die Grundrechenarten beherrscht, kann ernsthaft bestreiten, dass die Erziehung noch hauptsächlich in den Familien stattfindet, wenn Kinder schon im frühesten Kindesalter 5 Tage in der Woche außerfamiliär untergebracht sind, und das Erleben von Mutter und Vater auf wenige Stunden während der Woche und 2 Tage am Wochenende und die nächtlichen Schlafenszeiten beschränkt sind. Das Tageserleben findet unter solchen Bedingungen außerhalb der Familie statt. Der Aufenthalt in den Familien, in vielen Fällen heutzutage auch bei der alleinerziehenden Mutter, bekommt dann schon fast den Charakter des Gastaufenthaltes.
Die Antwort auf die Frage "Inwieweit dies dem Kindeswohl dient oder schadet" hängt davon ab, welches politische Konzept man vertritt, denn das Kindeswohl ist schon angesichts der zahlreichen Tragödien, die wir immer wieder erleben, ein Gut, das per se von jedem als schützenswert zu betrachten ist, das aber nur noch wohlhabende Eltern in vertrauter Weise an die erste Stelle setzen können. Demzufolge müssen die Anhänger einer emanzipatorisch ausgerichteten Familienpolitik jede Behauptung zurückweisen, die Verwahrung von Kindern in außerfamiliären Erziehungsanstalten schade dem Kindeswohl. Wer wie Christa Müller solche Behauptungen vertritt, muss sich auf empörte Ablehnung gefasst machen. Das kann nicht sein, weil es nicht sein darf, ist die zwangsläufige Logik, die den Konzepten der heutigen Familienpolitik innewohnt. Das hätte Christa Müller wissen können. Vermutlich wusste oder ahnte sie dies auch. Dass sie für ihre Positionen dennoch gekämpft hat, ehrt sie, auch wenn sie den aussichtslosen Kampf für die familienpolitische Vernunft auf dem Parteitag verloren hat. Viel schlimmer aber ist, dass damit die Familien und Kinder verloren haben.
Die Risiken für das Wohl der Kinder,. die bereits von der Deutschen Psychologischen Vereinigung Ende letzten Jahres in einem Memorandum beschrieben wurden ( MEDRUM-Artikel v. 30.04.08), werden erneut eindrucksvoll durch ein Interview mit dem bekannten Kinderpsychologen Wolfgang Bergmann bestätigt. Er sagte in der Jungen Freiheit:
"Tatsächlich weinen die Kinder, und die Frauen haben feuchte Augen, während die Erzieherinnen selbst beim besten Willen mit fünf, sechs Kindern pro Kraft überlastet sind. Die Mütter trennen sich beklommen, meist nicht um Karriere zu machen, sondern um hinter der Kasse, Theke oder Büroschreibmaschine zu malochen."
Auch Bergmann stellt in seinem Interview den Punkt heraus, dass ökonomische Zwänge mit dem Wohl des Kindes nichts zu tun haben. Bei realistischer Einschätzung dessen, was in allen Parteien des Bundestages favorisiert und zum Programm gemacht worden ist, muss man wohl feststellen, dass an eine Umkehr in der Familienpolitik auf absehbare Zeit nicht zu denken ist. Das kleine Zugeständnis des Betreuungsgeldes, das die CSU der Familienpolitik der großen Koalition gegen teilweise erheblichen Widerstand abtrotzen konnte, ist noch in weiter Ferne und wird allein noch längst nicht zu einer Öffnung oder gar Trendwende emanzipatorischer Familienpolitik führen.
Familienpolitisches Dilemma und Schadensbegrenzung
Auf absehbare Zeit wird den Verfechtern einer Familienpolitik, die das Kindeswohl an erster Stelle im Auge hat, nichts anderes übrig bleiben, als Schadensbegrenzung zu betreiben (das erinnert an das Recht des ungeborenen Lebens und die Abtreibungsdebatte). Aber auch dies wird schwierig sein, weil dies von den Protagonisten der außerfamiliären Kinderverwahrung zumindest die unausgesprochene Einsicht verlangt, das in ihrer Politik zugleich ein Schadensbegrenzungskonzept und Maßnahmenkatalog enthalten sein muss, der den Schaden begrenzen hilft. Dies könnten Böswillige als Bankrotterklärung der Politik bezeichnen. So weit muss man nicht gehen. Die Politik steckt aber in einem großen Dilemma, weil sie keine wirklich überzeugenden Lösungen anzubieten hat. Dem Kindeswohl und den Familien wäre aber zumindest ein kleines Stück geholfen, wenn man dies wenigstens eingestehen und nicht für sich reklamieren würde, im alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein. Wenigstens darauf sollten Kinder ein Recht haben.
Christa Müller hat ihre Wahrheiten mutig und bewundernswert ausgesprochen. Aber, auch die Linke hat es nicht fertiggebracht, sich mit diesen unangenehmen Wahrheiten konstruktiv auseinander zu setzen. Das Kindeswohl ist dabei vorerst auf der Strecke geblieben. Dies muss und dies darf nicht so bleiben.