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Veranstaltungen

  • "Berliner Rede" von Bundespräsident Horst Köhler

    Reiche nicht reicher, Armer werden nicht ärmer, Mittelschicht schrumpft.

    Armutsbetrachtungen sind Übertreibungen

    Das Interesse an Politik ging weiter zurück, sagte Bundespräsident Köhler bei seiner heutigen "Berliner Rede" von Bundespräsident Horst Köhler und Verleihung des Deutschen Nationalpreises 2008

    Keine Tyrannei der Mehrheit, keine Tyrannei des Marktes,

    Spaltung unserer Gesellschaft

    Übertreibungen

     

  • Die Zahl prekärer Lagen in Familien hat zugenommen

    Die Zahl prekärer Lagen in Familien hat zugenommen

    Die Zahl der Eltern, die mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind, hat nach Einschätzung des Verbandspräsidenten zugenommen. „Wir haben heute Eltern, die sich in ihrem eigenen Leben nicht zurechtfinden, die Ausbildungs- und Bildungsmängel haben, die häufig arbeitslos oder suchtgefährdet sind“, sagte Hartmann. Der Staat müsse auch Kindern dieser Eltern die Möglichkeit zur Entwicklung geben. Hartmann verlangte zudem, dass alle Neugeborenen von Mitarbeitern des Jugendamtes oder des Gesundheitsamtes aufgesucht werden, um Risikostrukturen rechtzeitig zu erkennen und den Familien niedrigschwellige Hilfen anzubieten. In Extremfällen müsse ein Kind aus der Familie herausgenommen werden. „Kinder sind kein Besitztum der Eltern, sondern Persönlichkeiten mit eigenständigen Rechten“, betonte Hartmann.

  • Muss Mutter von 7 Kindern wegen Erteilen von Hausunterrichts drei Monate ins Gefängnis?

    18.06.08


    Müssen Mutter und Vater von 7 Kindern wegen Verletzung der Schulbesuchspflicht drei Monate ins Gefängnis?

    Gegen den Willen des Schulamtes ist Ersatzunterricht in der Familienschule von Gefängnisstrafe bedroht

    Heute stehen um 11.00 Uhr im Landgericht Kassel die Eltern Jürgen und Rosemarie Dudek aus Herleshausen vor Gericht. Sie sind angeklagt, weil sie ihren Kindern seit etlichen Jahren Hausunterricht erteilen, anstatt sie in einer öffentlichen Schule unterrichten zu lassen.

    Verhandelt werden soll die Berufung des Staatsanwaltes Herwig Müller, dem die verhängte Geldstrafe in der ersten Instanz zu niedrig war. Ursprünglich waren Dudeks im Mai vergangenen Jahres durch das Amtsgericht Eschwege verurteilt worden, eine Geldstrafe von 900,-- EUR zu zahlen, der Staatsanwalt hingegen forderte gegen die Eltern jeweils eine Freiheitsstrafe von drei Monaten, also auch für die siebenfache Mutter drei Monate Gefängnis zu verhängen.

    Jürgen und Rosemarie Dudek waren zu einer Geldstrafe von jeweils sechzig Tagessätzen verurteilt worden, weil sie ihre Kinder dauerhaft der Schulpflicht entzogen haben, berichtete die Werra-Rundschau. 60 Tagessätze heißt, die Eltern wurden verurteilt, eine Geldstrafe in Höhe von zwei Monatseinkommen zu zahlen. Aufgrund des geringen Einkommens der Eltern betrug die Strafe 60 Tagessätze á 10 EUR, also 600 EUR für den Vater Jürgen Dudek, und 60 Tagessätze á 5 EUR für Rosemarie Dudek, also 300 EUR für die Mutter.

    Die Eltern hätten sich eines Vergehens schuldig gemacht, befand Amtsrichter Peter Höbbel bei der Urteilsverkündung im vergangenen Jahr. Er begründete das dem Staatsanwalt zu gering erscheinende Strafmaß damit, dass von der Schulbehörde längst eine grundsätzliche Entscheidung hätte getroffen werden müssen. Das Schulamt hatte auf den Antrag der Eltern, den Hausunterricht zu genehmigen, jedoch keinen Bescheid erteilt, sondern Anzeige erstattet. Zuständig dafür ist das Staatliche Schulamt für den Landkreis Hersfeld-Rotenburg und den Werra-Meißner-Kreis mit Sitz in Bebra. Richter Höbbel verwies darauf, dass der Fall nur verhandelt worden sei, weil der Strafantrag des Schulamtes aufrecht erhalten worden sei. Auch das evangelische Nachrichtenmagazin "idea" berichtete über den Fall im Juli vergangenen Jahres.

    Das Strafmaß erschien dem Staatsanwalt Herwig Müller trotz dieses Hintergrundes zu gering. Er legte Berufung ein und forderte, statt der Geldstrafe eine dreimonatige Gefängnisstrafe ohne Bewährung zu verhängen. Heute findet deshalb in Frankfurt die Berufungsverhandlung statt. Rosemarie und Jürgen Dudek sind erneut angeklagt. Die Eltern und ihre Kinder müssen befürchten, dass nunmehr wegen des Vergehens das erste Urteil aufgehoben und stattdessen eine Gefängnisstrafe verhängt wird, wenn das Gericht dem Antrag des Staatsanwaltes folgt.

    Rosemarie und Jürgen Dudek sind Eltern von 5 Söhnen und zwei Töchtern. Sie sind überzeugte Christen. Ihre Lebensgestaltung basiert auf der Bibel. Vier Söhne sind inzwischen schulpflichtig, der älteste hat gerade seinen Realschulabschluss mit der Note "sehr gut" gemacht. Dafür besuchte er für einige Monate eine öffentliche Schule. Die Eltern schicken ihre Kinder aus Glaubensgründen grundsätzlich nicht zu einer staatlich anerkannten Schule, sondern unterrichten sie selbst. Wie hr-online berichtet sind die Eltern besorgt, dass der Unterricht an einer öffentlichen Schule den christlichen Glauben ihrer Kinder gefährde oder sogar zerstöre. Beide Elternteile verfügen über eine Hochschulausbildung. Gegen das Ehepaar war wegen desselben Delikts bereits vor einiger Zeit vor dem Familiengericht in Eschwege wegen Verdacht auf Gefährdung des Kindeswohls verhandelt worden. In Übereinstimmung mit dem damaligen Anklagevertreter hatte das Gericht das Verfahren gegen Auflage von Geldbußen jedoch eingestellt.

    Seit Dezember 2004 bemühen sich Jürgen und Rosemarie Dudek um die Genehmigung, ihre Familienschule als Ersatzschule betreiben zu dürfen. Dies muss allerdings vom Schulamt zugelassen werden. Aussicht darauf besteht nach Ansicht der Behörde nicht, einen formalen Ablehnungsbescheid gibt es allerdings bis heute nicht. Wie "idea" im letzten Jahr berichtete, hatte es das Schulamt auch nicht für notwendig gehalten, die Familie zu besuchen und sich von den Verhältnissen in ihrer Familienschule einen Eindruck zu verschaffen. Leiter des Schulamtes ist der Leitende Schulamtsdirektor Arno Meißner.

    Das Netzwerk Bildungsfreiheit hat die ganze Verfahrensweise als "himmelschreiendes Unrecht" bezeichnet und dazu aufgerufen, den Eltern durch Präsenz bei der heutigen Verhandlung Unterstützung zu bekunden. Wie töricht die Vorwürfe von seiten der Staatsanwaltschaft seien, ersehe man allein schon daraus, dass es sich hier um eine Musterfamilie handele. Beide Eltern seien hervorragend gebildete Akademiker. Ihr Hausunterricht sei so erfolgreich gewesen, dass der älteste Sohn, der kürzlich an eine Schule wechselte, gleich Klassenbester mit Einsernoten im Zeugnis gewesen sei. Alle Vorwürfe gegen die Familie sind haltlos und lösen sich bei näherer Betrachtung in Luft auf. Es handele sich hier um einen erneuten Fall der Demonstration staatlicher Macht, die diese Familie in die Knie zwingen soll, so das Netzwerk.

    In Deutschland gibt es im Vergleich zu anderen Ländern in Europa eine sogenannten Zwang zum Schulbesuch staatlicher oder staatlich anerkannter Privatschulen. Gegen diese Gesetzeslage hat der Bundesverband Natürliches Lernen e.V. eine Kampagne gestartet, um eine größere Vielfalt in der Bildung zu ermöglichen. Er will, dass es künftig auch in Deutschland möglich wird, Kinder in Familienschulen unterrichten zu lassen (MEDRUM-Bericht v.13.05.08).


    Information über die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes auf Grund einer Verfassungsbeschwerde in einem ähnlich gelagerten Fall aus dem Jahr 2006 -> MEDRUM-Info.

     

  • Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes strafrechtlichen Verfolgbarkeit bei Verletzung der Schulpflicht

    Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes strafrechtlichen Verfolgbarkeit bei Verletzung der Schulpflicht

    Da Bundesverfassungsgericht hat sich in einem Urteil aus dem Jahr 2006 zu Fragen der Schulbesuchspflicht geäußert.

    "Die Verfassungsbeschwerde betrifft die strafrechtliche Verfolgbarkeit von Verstößen gegen die Schulpflicht aus religiösen Gründen. Sie ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), da die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen vom Bundesverfassungsgericht schon entschieden sind (vgl. BVerfGE 23, 191 <202>; 45, 434 <435>; 56, 22 <27 ff.>), noch ist ihre Annahme zur Entscheidung zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführer angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG); sie hat keine Aussicht auf Erfolg.

    I.
    Die Beschwerdeführer, die sich aufgrund ihres Glaubens verpflichtet sehen, bei der Kindererziehung den Maßstäben und Vorgaben der Bibel wortgetreu zu folgen und ihre Kinder von Einflüssen fernzuhalten, die den Geboten Gottes zuwiderlaufen, hielten drei Töchter seit Beginn des Schuljahres 2001/2002 vom weiteren Besuch der örtlichen Gesamtschule ab. Seither werden die Kinder zu Hause von der Beschwerdeführerin zu 2) unterrichtet. Die Kinder sind zugleich bei der Philadelphia-Schule in Siegen angemeldet, die nach Art einer Fernschule Unterrichtsmaterialien und andere Hilfestellungen für die Eltern zur Verfügung stellt, von der Schulverwaltung aber nicht als Ersatzschule anerkannt ist.

    Nachdem das Amtsgericht die Beschwerdeführer freigesprochen hatte, sprach das Landgericht sie auf die Berufung der Staatsanwaltschaft des dauernden Entziehens anderer von der Schulpflicht gemäß § 182 Abs. 1 HessSchulG für schuldig und erkannte jeweils auf eine Verwarnung mit Strafvorbehalt in Höhe von 80 Tagessätzen zu je 10 Euro. Die Revision der Beschwerdeführer verwarf das Oberlandesgericht gemäß § 349 Abs. 2 StPO.

    II.
    Mit ihrer nachträglich ergänzten Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 103 Abs. 1 GG. Sie tragen vor, sie hätten sich in einem Gewissenkonflikt befunden und allein aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung gehandelt; daher ließen die Religionsfreiheit, das Elternrecht sowie der besondere Schutz der Familie ihre strafrechtliche Verurteilung nicht zu. Sowohl die Behandlung einzelner Unterrichtsthemen, namentlich der am Bild sexueller Freizügigkeit orientierte Sexualkundeunterricht, die Vermittlung der Evolutionstheorie und die Vornahme "hypnotischer, buddhistischer und esoterischer (New Age) Praktiken" als auch die Ausrichtung der Schule auf einen Werte- und Meinungspluralismus sei mit ihrem Erziehungsziel der Beachtung fundamentaler Glaubensgrundlagen und zwingender göttlicher Normen unvereinbar. Ihre Religionsfreiheit und ihr Erziehungsrecht träten hier nicht hinter den staatlichen Erziehungsauftrag zurück, zumal den Kindern ein soziales Verhalten in gleicher Weise durch den Heimunterricht vermittelt werden könne.

    ... 

    IV.
    Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet, weil eine Verletzung von Grundrechten der Beschwerdeführer nicht gegeben ist.

    a) Die in Art. 4 Abs. 1 GG verbürgte Glaubensfreiheit umfasst auch den Anspruch, nach eigenen Glaubensüberzeugungen leben und handeln zu dürfen (vgl. BVerfGE 32, 98 <106>; 93, 1 <15>). In Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Eltern das Recht zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder garantiert, gewährt Art. 4 Abs. 1 GG das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht. Danach ist es Sache der Eltern, ihren Kindern Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln (vgl. BVerfGE 41, 29 <44, 47 f.>) und nicht geteilte Ansichten von ihnen fernzuhalten (vgl. BVerfGE 93, 1 <17>).

    aa) Auch wenn dieses Grundrecht keinem Gesetzesvorbehalt unterliegt, ist es Einschränkungen zugänglich, die sich aus der Verfassung selbst ergeben. Hierzu gehört der dem Staat in Art. 7 Abs. 1 GG erteilte Erziehungsauftrag (vgl. BVerfGE 34, 165 <181>; 93, 1 <21>). Infolge dessen erfährt das elterliche Erziehungsrecht durch die zur Konkretisierung dieses staatlichen Auftrags erlassene allgemeine Schulpflicht in grundsätzlich zulässiger Weise eine Beschränkung (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. April 1989, - 1 BvR 235/89 -, juris). Im Einzelfall sind Konflikte zwischen dem Erziehungsrecht der Eltern und dem Erziehungsauftrag des Staates im Wege einer Abwägung nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz zu lösen (vgl. BVerfGE 93, 1 <21>).

    bb) Zwar darf der Staat auch unabhängig von den Eltern eigene Erziehungsziele verfolgen (BVerfGE 34, 165 <182>; 47, 46 <71>), dabei muss er aber Neutralität und Toleranz gegenüber den erzieherischen Vorstellungen der Eltern aufbringen (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. April 1989, - 1 BvR 235/89 -, juris). Der Staat darf keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben; er darf sich auch nicht durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in einer Gesellschaft von sich aus gefährden (vgl. BVerfGE 93, 1 <16 f.>; 108, 282 <300>). Danach sind christliche Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Schule nicht schlechthin verboten; die Schule muss aber für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein (vgl. BVerfGE 108, 282 <300>).

    b) Stellt der Staat bestimmte Handlungen unter Strafe, kann die Ausstrahlungswirkung des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 GG auch die Art und das Maß der zulässigen Sanktionen beeinflussen.

    aa) Die Glaubensfreiheit ist als Teil des grundrechtlichen Wertsystems dem Gebot der Toleranz zugeordnet und insbesondere auf die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Würde des Menschen bezogen, die als oberster Wert das gesamte grundrechtliche Wertsystem beherrscht (vgl. BVerfGE 6, 32 <41>; 27, 1 <6>; 30, 173 <193>). Betätigungen und Verhaltensweisen, die aus einer bestimmten Glaubenshaltung fließen, sind daher nicht ohne Weiteres jenen Sanktionen zu unterwerfen, die der Staat für ein solches Verhalten bei Fehlen einer religiösen Motivation vorsieht. Vielmehr ist jeweils zu fragen, ob unter den besonderen Umständen des Falles eine Bestrafung den Sinn staatlichen Strafens erfüllt. Daran fehlt es, wenn der Täter sich nicht aus mangelnder Rechtsgesinnung gegen die staatliche Rechtsordnung auflehnt, sondern sich in eine Grenzsituation gestellt sieht, in der die allgemeine Rechtsordnung mit dem persönlichen Glaubensgebot in Widerstreit tritt und er die Verpflichtung fühlt, hier dem höheren Gebot des Glaubens zu folgen. Die Pflicht aller öffentlichen Gewalt, die ernste Glaubensüberzeugung zu respektieren, muss jedenfalls dann zu einem Zurückweichen des Strafrechts führen, wenn der konkrete Konflikt zwischen einer nach allgemeinen Anschauungen bestehenden Rechtspflicht und einem Glaubensgebot den Täter in eine seelische Bedrängnis bringt, der gegenüber sich die Bestrafung, die ihn zum Rechtsbrecher stempelt, als eine übermäßige, seine Menschenwürde verletzende soziale Reaktion darstellen würde (vgl. BVerfGE 32, 98 <108 f.>).

    bb) Der bewusste Verstoß gegen Strafnormen ist jedoch auch im Lichte von Art. 4 Abs. 1 GG nicht als Mittel der Wahl, sondern nur als letzter Ausweg aus einem ansonsten unauflöslichen Konflikt zwischen staatlichen und religiösen Verhaltensanforderungen hinzunehmen. An einer den Gewährleistungsgehalt der Menschenwürdegarantie im genannten Sinne berührenden seelischen Bedrängnis wird es etwa regelmäßig fehlen, wenn sich der Gewissenskonflikt in zumutbarer Weise durch nahe liegende andere Handlungsalternativen lösen lässt, die eine Strafbarkeit vermeiden. Wer solche Möglichkeiten, seiner religiösen Überzeugung im Einklang mit der Rechtsordnung zu folgen, bewusst nicht wahrnimmt, kann sich regelmäßig nicht darauf berufen, sich aus einer seelischen Zwangslage heraus allein wegen eines subjektiv höherrangigen und unausweichlichen Glaubensgebots gegen die Rechtsordnung auflehnen zu dürfen. In diesem Fall ist dem Staat die Feststellung strafrechtlicher Schuld nicht von vornherein verwehrt; einer von Art. 4 Abs. 1 GG geschützten religiösen Motivation kann dann im Einzelfall bei der Bestimmung der Sanktion, auch durch Einstellungen des Verfahrens nach §§ 153, 153 a StPO oder die Anwendung des § 59 StGB, angemessen Rechnung getragen werden.

    2. Hieran gemessen halten die angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlicher Prüfung stand.

    a) Die Verpflichtung der Beschwerdeführer, ihre Kinder an dem Unterricht einer nach dem Hessischen Schulgesetz anerkannten Schule teilnehmen zu lassen, stellt eine zulässige Beschränkung ihres Erziehungsrechts dar.

    aa) Die allgemeine Schulpflicht dient als geeignetes und erforderliches Instrument dem legitimen Ziel der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags. Dieser Auftrag richtet sich nicht nur auf die Vermittlung von Wissen und die Erziehung zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit. Er richtet sich auch auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die gleichberechtigt und verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilhaben. Soziale Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung können effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind (vgl. BVerfG-K 1, 141 <143>).

    bb) Die Schulpflicht steht zudem in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewinn, den die Erfüllung dieser Pflicht für den staatlichen Erziehungsauftrag und die hinter ihm stehenden Gemeinwohlinteressen erwarten lassen.

    Die Allgemeinheit hat ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten "Parallelgesellschaften" entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren. Integration setzt dabei nicht nur voraus, dass die Mehrheit der Bevölkerung religiöse oder weltanschauliche Minderheiten nicht ausgrenzt; sie verlangt auch, dass diese sich selbst nicht abgrenzen und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen nicht verschließen. Für eine offene pluralistische Gesellschaft bedeutet der Dialog mit solchen Minderheiten eine Bereicherung. Dies im Sinne gelebter Toleranz einzuüben und zu praktizieren, ist eine wichtige Aufgabe der öffentlichen Schule. Das Vorhandensein eines breiten Spektrums von Überzeugungen in einer Klassengemeinschaft kann die Fähigkeit aller Schüler zu Toleranz und Dialog als einer Grundvoraussetzung demokratischer Willensbildungsprozesse nachhaltig fördern (vgl. BVerfG-K 1, 141 <143 f.>).

    b) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer ist von Verfassungs wegen nichts dagegen zu erinnern, dass der Schulunterricht meinungs- und wertepluralistisch ausgerichtet ist. Die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität untersagt die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger (vgl. BVerfGE 108, 282 <299>). Die Offenheit für ein breites Spektrum von Meinungen und Auffassungen ist konstitutive Voraussetzung einer öffentlichen Schule in einem freiheitlich-demokratisch ausgestalteten Gemeinwesen. Hiermit stünden weder ein einseitig an den Überzeugungen der Beschwerdeführer orientierter Schulunterricht, durch welchen der Staat vielmehr Gefahr liefe, das Gebot weltanschaulicher und religiöser Neutralität zu Lasten anderer Anschauungen zu verletzen, noch eine völlige Abschottung der Schulkinder von dem breiten Spektrum der gesellschaftlich vertretenen naturwissenschaftlichen und moralisch-ethischen Positionen in Einklang. Überdies wäre eine solche Auffassung mit dem Erfordernis eines schonenden Ausgleichs zwischen den Rechten der Beschwerdeführer aus Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 GG und dem Erziehungsauftrag des Staates aus Art. 7 Abs. 1 GG im Wege der praktischen Konkordanz nicht zu vereinbaren (vgl. BVerfGE 93, 1 <21>). Daher ist den Beschwerdeführern die mit dem Besuch der Schule verbundene Konfrontation ihrer Kinder mit den Auffassungen und Wertvorstellungen einer überwiegend säkular geprägten pluralistischen Gesellschaft trotz des Widerspruchs zu ihren eigenen religiösen Überzeugungen grundsätzlich zuzumuten (vgl. BVerfG-K 1, 141 <144>).

    c) Der Vortrag der Beschwerdeführer lässt eine Missachtung des Gebots staatlicher Neutralität und Toleranz in Fragen der Erziehung nicht erkennen.

    Mit der Vermittlung von Kenntnissen über geschlechtlich übertragbare Krankheiten und über Methoden der Empfängnisverhütung im Rahmen des Sexualkundeunterrichts hat die Schule das ihr obliegende Neutralitätsgebot nicht verletzt. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass die Schule den Versuch unternommen hätte, die Schüler mit dem Ziel zu indoktrinieren, ein bestimmtes Sexualverhalten zu befürworten oder abzulehnen. Dies gilt umso mehr, als die Eltern eingeladen waren, in Kooperation mit den Lehrern bei Elternabenden auf die Vermittlung dieser Thematik Einfluss zu nehmen und deren Behandlung in der häuslichen Erziehung zu begleiten. Es ist ebenfalls nicht zu beanstanden, dass nach den Lehrplänen die Evolutionstheorie im Rahmen des Biologieunterrichts vermittelt und die Behandlung der Schöpfungsgeschichte auf den Religionsunterricht beschränkt bleibt.

    d) Die Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion war im Lichte des Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 GG nicht unverhältnismäßig. Die Beschwerdeführer können sich nicht darauf berufen, es liege ein - den Grad einer seelischen Bedrängnis erreichender - unauflöslicher Konflikt zwischen einer ernsten Glaubensüberzeugung und der staatlich auferlegten Schulpflicht vor. Der Widerspruch zwischen dem strafbewehrten Handlungsgebot - der Teilnahme ihrer Kinder am Unterricht einer anerkannten Schule - und den eigenen Glaubensüberzeugungen erweist sich hier nicht als derart ausweglos, dass sie berechtigt gewesen wären, dem Verbotsgesetz zuwiderzuhandeln.

    aa) Die Beschwerdeführer sehen ihre Glaubensüberzeugungen weniger durch die Schulpflicht als solche vielmehr durch einzelne Unterrichtsinhalte und die meinungs- und wertepluralistische Ausrichtung der Schule verletzt. Soweit sie die Behandlung bestimmter Inhalte des Lehrplans zu dulden hatten, waren sie objektiv nicht in unzumutbarer Weise daran gehindert, ihre Kinder in Glaubensfragen nach eigenen Vorstellungen zu erziehen. Die Schule hat ihnen nicht verwehrt, den Kindern bestimmte eigene Überzeugungen in religiösen und weltanschaulichen Fragen zu vermitteln. Die Beschwerdeführer können nicht beanspruchen, dass ihre Kinder vollständig von fremden Glaubensbekundungen oder Ansichten verschont bleiben; in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, gewährt Art. 4 Abs. 1 GG ein solches Recht nicht (vgl. BVerfGE 93, 1 <15>).

    bb) Zudem haben die Beschwerdeführer nahe liegende Möglichkeiten ungenutzt gelassen, den subjektiv empfundenen Konflikt zwischen Glaubens- und Rechtsgeboten aufzulösen, ohne gegen die für alle Mitglieder der staatlichen Gemeinschaft gleichermaßen geltenden Verhaltensanforderungen zu verstoßen.

    Nach den insoweit maßgeblichen Feststellungen des Landgerichts haben es die Beschwerdeführer unterlassen, an Elternabenden teilzunehmen oder sonst ihre Besorgnisse um die Erziehung ihrer Kinder in der Schule vorzutragen, um so in stärkerem Maße auf die Gestaltung von Unterricht und schulischen Sonderveranstaltungen Einfluss zu nehmen. Dabei hätten sie, wie das Entgegenkommen der Schule in Einzelfällen belegt, ihr Begehren nicht ohne jede Erfolgsaussicht den Verantwortlichen der Schule vortragen können. Ihr Verhalten lässt insgesamt nicht erkennen, dass sie sich in der bei Vorliegen eines schwerwiegenden Gewissenskonflikts zu erwartenden Weise konsequent darum bemüht hätten, ihren Standpunkt gegenüber der Schule zur Geltung zu bringen.

    cc) Es kommt hinzu, dass in dem vollständigen Fernhalten der drei ältesten Töchter vom Schulunterricht ein unverhältnismäßiges Mittel lag.

    So haben die Beschwerdeführer hinsichtlich der Erziehung ihrer Tochter S. keine Konflikte mit der Schule angeführt, deren weiteren Schulbesuch aber dennoch unterbunden. Im Übrigen betrafen die Beanstandungen der Beschwerdeführer lediglich einzelne, zeitlich begrenzte Ereignisse, welche teilweise bereits länger zurücklagen. Die von ihnen beanstandeten einzelnen Vorgänge vermögen ihre Schlussfolgerung, eine weitere Teilnahme ihrer Kinder am Schulunterricht sei ihnen insgesamt nicht mehr zumutbar gewesen, nicht zu tragen. Die Beschwerdeführer haben nicht dargelegt, weshalb nicht ein - der Schule nachvollziehbar zu begründendes - gezieltes Fernbleiben ihrer Kinder von bestimmten Unterrichtseinheiten als milderes Mittel zur Sicherung ihres elterlichen Erziehungsrechts ausgereicht hätte. Auch sonst ist nicht erkennbar, weshalb es Glaubensgründe erfordert haben, ihre Kinder von weltanschaulich neutralen Unterrichtsfächern wie etwa Mathematik und Fremdsprachen abzumelden.

    dd) Außerdem haben die Beschwerdeführer nicht näher dargetan, dass sie sich um die vorrangige Alternative, ihre Kinder an einer anderen - anerkannten - öffentlichen oder privaten Schule unterrichten zu lassen, ernsthaft bemüht haben.

    ee) Ebenso wäre es den Beschwerdeführern zuzumuten gewesen, sowohl hinsichtlich der behaupteten Verstöße gegen geltendes Schulrecht als auch wegen der von ihnen begehrten Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach § 60 Abs. 2 Satz 2 HessSchulG die ihnen zu Gebote stehenden Rechtsbehelfe auszuschöpfen.

    e) Schließlich ist auch die Festsetzung der konkreten Sanktion gegen die Beschwerdeführer verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat der Motivation der Beschwerdeführer durch die Anwendung des § 59 StGB unter Androhung einer maßvollen Geldstrafe Rechnung getragen."

    BVerfG, 2 BvR 1693/04 vom 31.5.2006

  • Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes strafrechtlichen Verfolgbarkeit bei Verletzung der Schulpflicht

    Bundesverfassungsgericht zu strafrechtlicher Verfolgbarkeit bei Verletzung der Schulpflicht

    Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einem Urteil aus dem Jahr 2006
    zu Fragen der Schulpflicht und der strafrechtlichen Verfolgbarkeit von
    Verstößen geäußert. Auszug aus diesem Urteil:


    "Die Verfassungsbeschwerde betrifft die strafrechtliche Verfolgbarkeit
    von Verstößen gegen die Schulpflicht aus religiösen Gründen. Sie ist
    nicht zur Entscheidung anzunehmen. Der Verfassungsbeschwerde kommt
    weder eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a
    Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), da die maßgeblichen verfassungsrechtlichen
    Fragen vom Bundesverfassungsgericht schon entschieden sind (vgl.
    BVerfGE 23, 191 <202>; 45, 434 <435>; 56, 22 <27
    ff.>), noch ist ihre Annahme zur Entscheidung zur Durchsetzung der
    Rechte der Beschwerdeführer angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b
    BVerfGG); sie hat keine Aussicht auf Erfolg.


    I.
    Die Beschwerdeführer, die sich aufgrund ihres Glaubens
    verpflichtet sehen, bei der Kindererziehung den Maßstäben und Vorgaben
    der Bibel wortgetreu zu folgen und ihre Kinder von Einflüssen
    fernzuhalten, die den Geboten Gottes zuwiderlaufen, hielten drei
    Töchter seit Beginn des Schuljahres 2001/2002 vom weiteren Besuch der
    örtlichen Gesamtschule ab. Seither werden die Kinder zu Hause von der
    Beschwerdeführerin zu 2) unterrichtet. Die Kinder sind zugleich bei der
    Philadelphia-Schule in Siegen angemeldet, die nach Art einer Fernschule
    Unterrichtsmaterialien und andere Hilfestellungen für die Eltern zur
    Verfügung stellt, von der Schulverwaltung aber nicht als Ersatzschule
    anerkannt ist.


    Nachdem das Amtsgericht die Beschwerdeführer freigesprochen hatte,
    sprach das Landgericht sie auf die Berufung der Staatsanwaltschaft des
    dauernden Entziehens anderer von der Schulpflicht gemäß § 182 Abs. 1
    HessSchulG für schuldig und erkannte jeweils auf eine Verwarnung mit
    Strafvorbehalt in Höhe von 80 Tagessätzen zu je 10 Euro. Die Revision
    der Beschwerdeführer verwarf das Oberlandesgericht gemäß § 349 Abs. 2
    StPO.


    II.
    Mit ihrer nachträglich ergänzten Verfassungsbeschwerde
    rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 4
    Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 103 Abs. 1 GG. Sie tragen
    vor, sie hätten sich in einem Gewissenkonflikt befunden und allein
    aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung gehandelt; daher ließen die
    Religionsfreiheit, das Elternrecht sowie der besondere Schutz der
    Familie ihre strafrechtliche Verurteilung nicht zu. Sowohl die
    Behandlung einzelner Unterrichtsthemen, namentlich der am Bild
    sexueller Freizügigkeit orientierte Sexualkundeunterricht, die
    Vermittlung der Evolutionstheorie und die Vornahme "hypnotischer,
    buddhistischer und esoterischer (New Age) Praktiken" als auch die
    Ausrichtung der Schule auf einen Werte- und Meinungspluralismus sei mit
    ihrem Erziehungsziel der Beachtung fundamentaler Glaubensgrundlagen und
    zwingender göttlicher Normen unvereinbar. Ihre Religionsfreiheit und
    ihr Erziehungsrecht träten hier nicht hinter den staatlichen
    Erziehungsauftrag zurück, zumal den Kindern ein soziales Verhalten in
    gleicher Weise durch den Heimunterricht vermittelt werden könne.


    ...


    IV.
    Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls
    unbegründet, weil eine Verletzung von Grundrechten der Beschwerdeführer
    nicht gegeben ist.


    a) Die in Art. 4 Abs. 1 GG verbürgte Glaubensfreiheit umfasst auch
    den Anspruch, nach eigenen Glaubensüberzeugungen leben und handeln zu
    dürfen (vgl. BVerfGE 32, 98 <106>; 93, 1 <15>). In
    Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Eltern das Recht zur
    Pflege und Erziehung ihrer Kinder garantiert, gewährt Art. 4 Abs. 1 GG
    das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher
    Hinsicht. Danach ist es Sache der Eltern, ihren Kindern Überzeugungen
    in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln (vgl. BVerfGE 41,
    29 <44, 47 f.>) und nicht geteilte Ansichten von ihnen
    fernzuhalten (vgl. BVerfGE 93, 1 <17>).


    aa) Auch wenn dieses Grundrecht keinem Gesetzesvorbehalt unterliegt,
    ist es Einschränkungen zugänglich, die sich aus der Verfassung selbst
    ergeben. Hierzu gehört der dem Staat in Art. 7 Abs. 1 GG erteilte
    Erziehungsauftrag (vgl. BVerfGE 34, 165 <181>; 93, 1 <21>).
    Infolge dessen erfährt das elterliche Erziehungsrecht durch die zur
    Konkretisierung dieses staatlichen Auftrags erlassene allgemeine
    Schulpflicht in grundsätzlich zulässiger Weise eine Beschränkung (vgl.
    Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts
    vom 21. April 1989, - 1 BvR 235/89 -, juris). Im Einzelfall sind
    Konflikte zwischen dem Erziehungsrecht der Eltern und dem
    Erziehungsauftrag des Staates im Wege einer Abwägung nach den
    Grundsätzen der praktischen Konkordanz zu lösen (vgl. BVerfGE 93, 1
    <21>).


    bb) Zwar darf der Staat auch unabhängig von den Eltern eigene
    Erziehungsziele verfolgen (BVerfGE 34, 165 <182>; 47, 46
    <71>), dabei muss er aber Neutralität und Toleranz gegenüber den
    erzieherischen Vorstellungen der Eltern aufbringen (vgl. Beschluss der
    2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. April
    1989, - 1 BvR 235/89 -, juris). Der Staat darf keine gezielte
    Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen
    oder weltanschaulichen Richtung betreiben; er darf sich auch nicht
    durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich
    oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten
    Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in
    einer Gesellschaft von sich aus gefährden (vgl. BVerfGE 93, 1 <16
    f.>; 108, 282 <300>). Danach sind christliche Bezüge bei der
    Gestaltung der öffentlichen Schule nicht schlechthin verboten; die
    Schule muss aber für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und
    Werte offen sein (vgl. BVerfGE 108, 282 <300>).


    b) Stellt der Staat bestimmte Handlungen unter Strafe, kann die
    Ausstrahlungswirkung des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 GG auch die Art
    und das Maß der zulässigen Sanktionen beeinflussen.


    aa) Die Glaubensfreiheit ist als Teil des grundrechtlichen
    Wertsystems dem Gebot der Toleranz zugeordnet und insbesondere auf die
    in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Würde des Menschen bezogen, die als
    oberster Wert das gesamte grundrechtliche Wertsystem beherrscht (vgl.
    BVerfGE 6, 32 <41>; 27, 1 <6>; 30, 173 <193>).
    Betätigungen und Verhaltensweisen, die aus einer bestimmten
    Glaubenshaltung fließen, sind daher nicht ohne Weiteres jenen
    Sanktionen zu unterwerfen, die der Staat für ein solches Verhalten bei
    Fehlen einer religiösen Motivation vorsieht. Vielmehr ist jeweils zu
    fragen, ob unter den besonderen Umständen des Falles eine Bestrafung
    den Sinn staatlichen Strafens erfüllt. Daran fehlt es, wenn der Täter
    sich nicht aus mangelnder Rechtsgesinnung gegen die staatliche
    Rechtsordnung auflehnt, sondern sich in eine Grenzsituation gestellt
    sieht, in der die allgemeine Rechtsordnung mit dem persönlichen
    Glaubensgebot in Widerstreit tritt und er die Verpflichtung fühlt, hier
    dem höheren Gebot des Glaubens zu folgen. Die Pflicht aller
    öffentlichen Gewalt, die ernste Glaubensüberzeugung zu respektieren,
    muss jedenfalls dann zu einem Zurückweichen des Strafrechts führen,
    wenn der konkrete Konflikt zwischen einer nach allgemeinen Anschauungen
    bestehenden Rechtspflicht und einem Glaubensgebot den Täter in eine
    seelische Bedrängnis bringt, der gegenüber sich die Bestrafung, die ihn
    zum Rechtsbrecher stempelt, als eine übermäßige, seine Menschenwürde
    verletzende soziale Reaktion darstellen würde (vgl. BVerfGE 32, 98
    <108 f.>).


    bb) Der bewusste Verstoß gegen Strafnormen ist jedoch auch im Lichte
    von Art. 4 Abs. 1 GG nicht als Mittel der Wahl, sondern nur als letzter
    Ausweg aus einem ansonsten unauflöslichen Konflikt zwischen staatlichen
    und religiösen Verhaltensanforderungen hinzunehmen. An einer den
    Gewährleistungsgehalt der Menschenwürdegarantie im genannten Sinne
    berührenden seelischen Bedrängnis wird es etwa regelmäßig fehlen, wenn
    sich der Gewissenskonflikt in zumutbarer Weise durch nahe liegende
    andere Handlungsalternativen lösen lässt, die eine Strafbarkeit
    vermeiden. Wer solche Möglichkeiten, seiner religiösen Überzeugung im
    Einklang mit der Rechtsordnung zu folgen, bewusst nicht wahrnimmt, kann
    sich regelmäßig nicht darauf berufen, sich aus einer seelischen
    Zwangslage heraus allein wegen eines subjektiv höherrangigen und
    unausweichlichen Glaubensgebots gegen die Rechtsordnung auflehnen zu
    dürfen. In diesem Fall ist dem Staat die Feststellung strafrechtlicher
    Schuld nicht von vornherein verwehrt; einer von Art. 4 Abs. 1 GG
    geschützten religiösen Motivation kann dann im Einzelfall bei der
    Bestimmung der Sanktion, auch durch Einstellungen des Verfahrens nach
    §§ 153, 153 a StPO oder die Anwendung des § 59 StGB, angemessen
    Rechnung getragen werden.


    2. Hieran gemessen halten die angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlicher Prüfung stand.


    a) Die Verpflichtung der Beschwerdeführer, ihre Kinder an dem
    Unterricht einer nach dem Hessischen Schulgesetz anerkannten Schule
    teilnehmen zu lassen, stellt eine zulässige Beschränkung ihres
    Erziehungsrechts dar.


    aa) Die allgemeine Schulpflicht dient als geeignetes und
    erforderliches Instrument dem legitimen Ziel der Durchsetzung des
    staatlichen Erziehungsauftrags. Dieser Auftrag richtet sich nicht nur
    auf die Vermittlung von Wissen und die Erziehung zu einer
    selbstverantwortlichen Persönlichkeit. Er richtet sich auch auf die
    Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die gleichberechtigt und
    verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer
    pluralistischen Gesellschaft teilhaben. Soziale Kompetenz im Umgang
    auch mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und
    Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung können
    effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den
    in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen nicht nur
    gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen
    Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind (vgl. BVerfG-K 1, 141
    <143>).


    bb) Die Schulpflicht steht zudem in einem angemessenen Verhältnis zu
    dem Gewinn, den die Erfüllung dieser Pflicht für den staatlichen
    Erziehungsauftrag und die hinter ihm stehenden Gemeinwohlinteressen
    erwarten lassen.


    Die Allgemeinheit hat ein berechtigtes Interesse daran, der
    Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten
    "Parallelgesellschaften" entgegenzuwirken und Minderheiten zu
    integrieren. Integration setzt dabei nicht nur voraus, dass die
    Mehrheit der Bevölkerung religiöse oder weltanschauliche Minderheiten
    nicht ausgrenzt; sie verlangt auch, dass diese sich selbst nicht
    abgrenzen und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen
    nicht verschließen. Für eine offene pluralistische Gesellschaft
    bedeutet der Dialog mit solchen Minderheiten eine Bereicherung. Dies im
    Sinne gelebter Toleranz einzuüben und zu praktizieren, ist eine
    wichtige Aufgabe der öffentlichen Schule. Das Vorhandensein eines
    breiten Spektrums von Überzeugungen in einer Klassengemeinschaft kann
    die Fähigkeit aller Schüler zu Toleranz und Dialog als einer
    Grundvoraussetzung demokratischer Willensbildungsprozesse nachhaltig
    fördern (vgl. BVerfG-K 1, 141 <143 f.>).


    b) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer ist von Verfassungs
    wegen nichts dagegen zu erinnern, dass der Schulunterricht meinungs-
    und wertepluralistisch ausgerichtet ist. Die Pflicht zu
    weltanschaulich-religiöser Neutralität untersagt die Privilegierung
    bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger
    (vgl. BVerfGE 108, 282 <299>). Die Offenheit für ein breites
    Spektrum von Meinungen und Auffassungen ist konstitutive Voraussetzung
    einer öffentlichen Schule in einem freiheitlich-demokratisch
    ausgestalteten Gemeinwesen. Hiermit stünden weder ein einseitig an den
    Überzeugungen der Beschwerdeführer orientierter Schulunterricht, durch
    welchen der Staat vielmehr Gefahr liefe, das Gebot weltanschaulicher
    und religiöser Neutralität zu Lasten anderer Anschauungen zu verletzen,
    noch eine völlige Abschottung der Schulkinder von dem breiten Spektrum
    der gesellschaftlich vertretenen naturwissenschaftlichen und
    moralisch-ethischen Positionen in Einklang. Überdies wäre eine solche
    Auffassung mit dem Erfordernis eines schonenden Ausgleichs zwischen den
    Rechten der Beschwerdeführer aus Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6
    Abs. 2 GG und dem Erziehungsauftrag des Staates aus Art. 7 Abs. 1 GG im
    Wege der praktischen Konkordanz nicht zu vereinbaren (vgl. BVerfGE 93,
    1 <21>). Daher ist den Beschwerdeführern die mit dem Besuch der
    Schule verbundene Konfrontation ihrer Kinder mit den Auffassungen und
    Wertvorstellungen einer überwiegend säkular geprägten pluralistischen
    Gesellschaft trotz des Widerspruchs zu ihren eigenen religiösen
    Überzeugungen grundsätzlich zuzumuten (vgl. BVerfG-K 1, 141
    <144>).


    c) Der Vortrag der Beschwerdeführer lässt eine Missachtung des
    Gebots staatlicher Neutralität und Toleranz in Fragen der Erziehung
    nicht erkennen.


    Mit der Vermittlung von Kenntnissen über geschlechtlich übertragbare
    Krankheiten und über Methoden der Empfängnisverhütung im Rahmen des
    Sexualkundeunterrichts hat die Schule das ihr obliegende
    Neutralitätsgebot nicht verletzt. Es ist auch sonst nicht ersichtlich,
    dass die Schule den Versuch unternommen hätte, die Schüler mit dem Ziel
    zu indoktrinieren, ein bestimmtes Sexualverhalten zu befürworten oder
    abzulehnen. Dies gilt umso mehr, als die Eltern eingeladen waren, in
    Kooperation mit den Lehrern bei Elternabenden auf die Vermittlung
    dieser Thematik Einfluss zu nehmen und deren Behandlung in der
    häuslichen Erziehung zu begleiten. Es ist ebenfalls nicht zu
    beanstanden, dass nach den Lehrplänen die Evolutionstheorie im Rahmen
    des Biologieunterrichts vermittelt und die Behandlung der
    Schöpfungsgeschichte auf den Religionsunterricht beschränkt bleibt.


    d) Die Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion war im Lichte des
    Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 GG nicht
    unverhältnismäßig. Die Beschwerdeführer können sich nicht darauf
    berufen, es liege ein - den Grad einer seelischen Bedrängnis
    erreichender - unauflöslicher Konflikt zwischen einer ernsten
    Glaubensüberzeugung und der staatlich auferlegten Schulpflicht vor. Der
    Widerspruch zwischen dem strafbewehrten Handlungsgebot - der Teilnahme
    ihrer Kinder am Unterricht einer anerkannten Schule - und den eigenen
    Glaubensüberzeugungen erweist sich hier nicht als derart ausweglos,
    dass sie berechtigt gewesen wären, dem Verbotsgesetz zuwiderzuhandeln.


    aa) Die Beschwerdeführer sehen ihre Glaubensüberzeugungen weniger
    durch die Schulpflicht als solche vielmehr durch einzelne
    Unterrichtsinhalte und die meinungs- und wertepluralistische
    Ausrichtung der Schule verletzt. Soweit sie die Behandlung bestimmter
    Inhalte des Lehrplans zu dulden hatten, waren sie objektiv nicht in
    unzumutbarer Weise daran gehindert, ihre Kinder in Glaubensfragen nach
    eigenen Vorstellungen zu erziehen. Die Schule hat ihnen nicht verwehrt,
    den Kindern bestimmte eigene Überzeugungen in religiösen und
    weltanschaulichen Fragen zu vermitteln. Die Beschwerdeführer können
    nicht beanspruchen, dass ihre Kinder vollständig von fremden
    Glaubensbekundungen oder Ansichten verschont bleiben; in einer
    Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt,
    gewährt Art. 4 Abs. 1 GG ein solches Recht nicht (vgl. BVerfGE 93, 1
    <15>).


    bb) Zudem haben die Beschwerdeführer nahe liegende Möglichkeiten
    ungenutzt gelassen, den subjektiv empfundenen Konflikt zwischen
    Glaubens- und Rechtsgeboten aufzulösen, ohne gegen die für alle
    Mitglieder der staatlichen Gemeinschaft gleichermaßen geltenden
    Verhaltensanforderungen zu verstoßen.


    Nach den insoweit maßgeblichen Feststellungen des Landgerichts haben
    es die Beschwerdeführer unterlassen, an Elternabenden teilzunehmen oder
    sonst ihre Besorgnisse um die Erziehung ihrer Kinder in der Schule
    vorzutragen, um so in stärkerem Maße auf die Gestaltung von Unterricht
    und schulischen Sonderveranstaltungen Einfluss zu nehmen. Dabei hätten
    sie, wie das Entgegenkommen der Schule in Einzelfällen belegt, ihr
    Begehren nicht ohne jede Erfolgsaussicht den Verantwortlichen der
    Schule vortragen können. Ihr Verhalten lässt insgesamt nicht erkennen,
    dass sie sich in der bei Vorliegen eines schwerwiegenden
    Gewissenskonflikts zu erwartenden Weise konsequent darum bemüht hätten,
    ihren Standpunkt gegenüber der Schule zur Geltung zu bringen.


    cc) Es kommt hinzu, dass in dem vollständigen Fernhalten der drei
    ältesten Töchter vom Schulunterricht ein unverhältnismäßiges Mittel
    lag.


    So haben die Beschwerdeführer hinsichtlich der Erziehung ihrer
    Tochter S. keine Konflikte mit der Schule angeführt, deren weiteren
    Schulbesuch aber dennoch unterbunden. Im Übrigen betrafen die
    Beanstandungen der Beschwerdeführer lediglich einzelne, zeitlich
    begrenzte Ereignisse, welche teilweise bereits länger zurücklagen. Die
    von ihnen beanstandeten einzelnen Vorgänge vermögen ihre
    Schlussfolgerung, eine weitere Teilnahme ihrer Kinder am
    Schulunterricht sei ihnen insgesamt nicht mehr zumutbar gewesen, nicht
    zu tragen. Die Beschwerdeführer haben nicht dargelegt, weshalb nicht
    ein - der Schule nachvollziehbar zu begründendes - gezieltes
    Fernbleiben ihrer Kinder von bestimmten Unterrichtseinheiten als
    milderes Mittel zur Sicherung ihres elterlichen Erziehungsrechts
    ausgereicht hätte. Auch sonst ist nicht erkennbar, weshalb es
    Glaubensgründe erfordert haben, ihre Kinder von weltanschaulich
    neutralen Unterrichtsfächern wie etwa Mathematik und Fremdsprachen
    abzumelden.


    dd) Außerdem haben die Beschwerdeführer nicht näher dargetan, dass
    sie sich um die vorrangige Alternative, ihre Kinder an einer anderen -
    anerkannten - öffentlichen oder privaten Schule unterrichten zu lassen,
    ernsthaft bemüht haben.


    ee) Ebenso wäre es den Beschwerdeführern zuzumuten gewesen, sowohl
    hinsichtlich der behaupteten Verstöße gegen geltendes Schulrecht als
    auch wegen der von ihnen begehrten Erteilung einer Ausnahmebewilligung
    nach § 60 Abs. 2 Satz 2 HessSchulG die ihnen zu Gebote stehenden
    Rechtsbehelfe auszuschöpfen.


    e) Schließlich ist auch die Festsetzung der konkreten Sanktion gegen
    die Beschwerdeführer verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das
    Landgericht hat der Motivation der Beschwerdeführer durch die Anwendung
    des § 59 StGB unter Androhung einer maßvollen Geldstrafe Rechnung
    getragen."

    BVerfG, 2 BvR 1693/04 vom 31.5.2006

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