Bundesverfassungsgericht zu strafrechtlicher Verfolgbarkeit bei Verletzung der Schulpflicht
Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einem Urteil aus dem Jahr 2006
zu Fragen der Schulpflicht und der strafrechtlichen Verfolgbarkeit von
Verstößen geäußert. Auszug aus diesem Urteil:
"Die Verfassungsbeschwerde betrifft die strafrechtliche Verfolgbarkeit
von Verstößen gegen die Schulpflicht aus religiösen Gründen. Sie ist
nicht zur Entscheidung anzunehmen. Der Verfassungsbeschwerde kommt
weder eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a
Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), da die maßgeblichen verfassungsrechtlichen
Fragen vom Bundesverfassungsgericht schon entschieden sind (vgl.
BVerfGE 23, 191 <202>; 45, 434 <435>; 56, 22 <27
ff.>), noch ist ihre Annahme zur Entscheidung zur Durchsetzung der
Rechte der Beschwerdeführer angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG); sie hat keine Aussicht auf Erfolg.
I.
Die Beschwerdeführer, die sich aufgrund ihres Glaubens
verpflichtet sehen, bei der Kindererziehung den Maßstäben und Vorgaben
der Bibel wortgetreu zu folgen und ihre Kinder von Einflüssen
fernzuhalten, die den Geboten Gottes zuwiderlaufen, hielten drei
Töchter seit Beginn des Schuljahres 2001/2002 vom weiteren Besuch der
örtlichen Gesamtschule ab. Seither werden die Kinder zu Hause von der
Beschwerdeführerin zu 2) unterrichtet. Die Kinder sind zugleich bei der
Philadelphia-Schule in Siegen angemeldet, die nach Art einer Fernschule
Unterrichtsmaterialien und andere Hilfestellungen für die Eltern zur
Verfügung stellt, von der Schulverwaltung aber nicht als Ersatzschule
anerkannt ist.
Nachdem das Amtsgericht die Beschwerdeführer freigesprochen hatte,
sprach das Landgericht sie auf die Berufung der Staatsanwaltschaft des
dauernden Entziehens anderer von der Schulpflicht gemäß § 182 Abs. 1
HessSchulG für schuldig und erkannte jeweils auf eine Verwarnung mit
Strafvorbehalt in Höhe von 80 Tagessätzen zu je 10 Euro. Die Revision
der Beschwerdeführer verwarf das Oberlandesgericht gemäß § 349 Abs. 2
StPO.
II.
Mit ihrer nachträglich ergänzten Verfassungsbeschwerde
rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 4
Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 103 Abs. 1 GG. Sie tragen
vor, sie hätten sich in einem Gewissenkonflikt befunden und allein
aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung gehandelt; daher ließen die
Religionsfreiheit, das Elternrecht sowie der besondere Schutz der
Familie ihre strafrechtliche Verurteilung nicht zu. Sowohl die
Behandlung einzelner Unterrichtsthemen, namentlich der am Bild
sexueller Freizügigkeit orientierte Sexualkundeunterricht, die
Vermittlung der Evolutionstheorie und die Vornahme "hypnotischer,
buddhistischer und esoterischer (New Age) Praktiken" als auch die
Ausrichtung der Schule auf einen Werte- und Meinungspluralismus sei mit
ihrem Erziehungsziel der Beachtung fundamentaler Glaubensgrundlagen und
zwingender göttlicher Normen unvereinbar. Ihre Religionsfreiheit und
ihr Erziehungsrecht träten hier nicht hinter den staatlichen
Erziehungsauftrag zurück, zumal den Kindern ein soziales Verhalten in
gleicher Weise durch den Heimunterricht vermittelt werden könne.
...
IV.
Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls
unbegründet, weil eine Verletzung von Grundrechten der Beschwerdeführer
nicht gegeben ist.
a) Die in Art. 4 Abs. 1 GG verbürgte Glaubensfreiheit umfasst auch
den Anspruch, nach eigenen Glaubensüberzeugungen leben und handeln zu
dürfen (vgl. BVerfGE 32, 98 <106>; 93, 1 <15>). In
Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Eltern das Recht zur
Pflege und Erziehung ihrer Kinder garantiert, gewährt Art. 4 Abs. 1 GG
das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher
Hinsicht. Danach ist es Sache der Eltern, ihren Kindern Überzeugungen
in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln (vgl. BVerfGE 41,
29 <44, 47 f.>) und nicht geteilte Ansichten von ihnen
fernzuhalten (vgl. BVerfGE 93, 1 <17>).
aa) Auch wenn dieses Grundrecht keinem Gesetzesvorbehalt unterliegt,
ist es Einschränkungen zugänglich, die sich aus der Verfassung selbst
ergeben. Hierzu gehört der dem Staat in Art. 7 Abs. 1 GG erteilte
Erziehungsauftrag (vgl. BVerfGE 34, 165 <181>; 93, 1 <21>).
Infolge dessen erfährt das elterliche Erziehungsrecht durch die zur
Konkretisierung dieses staatlichen Auftrags erlassene allgemeine
Schulpflicht in grundsätzlich zulässiger Weise eine Beschränkung (vgl.
Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts
vom 21. April 1989, - 1 BvR 235/89 -, juris). Im Einzelfall sind
Konflikte zwischen dem Erziehungsrecht der Eltern und dem
Erziehungsauftrag des Staates im Wege einer Abwägung nach den
Grundsätzen der praktischen Konkordanz zu lösen (vgl. BVerfGE 93, 1
<21>).
bb) Zwar darf der Staat auch unabhängig von den Eltern eigene
Erziehungsziele verfolgen (BVerfGE 34, 165 <182>; 47, 46
<71>), dabei muss er aber Neutralität und Toleranz gegenüber den
erzieherischen Vorstellungen der Eltern aufbringen (vgl. Beschluss der
2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. April
1989, - 1 BvR 235/89 -, juris). Der Staat darf keine gezielte
Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen
oder weltanschaulichen Richtung betreiben; er darf sich auch nicht
durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich
oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten
Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in
einer Gesellschaft von sich aus gefährden (vgl. BVerfGE 93, 1 <16
f.>; 108, 282 <300>). Danach sind christliche Bezüge bei der
Gestaltung der öffentlichen Schule nicht schlechthin verboten; die
Schule muss aber für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und
Werte offen sein (vgl. BVerfGE 108, 282 <300>).
b) Stellt der Staat bestimmte Handlungen unter Strafe, kann die
Ausstrahlungswirkung des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 GG auch die Art
und das Maß der zulässigen Sanktionen beeinflussen.
aa) Die Glaubensfreiheit ist als Teil des grundrechtlichen
Wertsystems dem Gebot der Toleranz zugeordnet und insbesondere auf die
in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Würde des Menschen bezogen, die als
oberster Wert das gesamte grundrechtliche Wertsystem beherrscht (vgl.
BVerfGE 6, 32 <41>; 27, 1 <6>; 30, 173 <193>).
Betätigungen und Verhaltensweisen, die aus einer bestimmten
Glaubenshaltung fließen, sind daher nicht ohne Weiteres jenen
Sanktionen zu unterwerfen, die der Staat für ein solches Verhalten bei
Fehlen einer religiösen Motivation vorsieht. Vielmehr ist jeweils zu
fragen, ob unter den besonderen Umständen des Falles eine Bestrafung
den Sinn staatlichen Strafens erfüllt. Daran fehlt es, wenn der Täter
sich nicht aus mangelnder Rechtsgesinnung gegen die staatliche
Rechtsordnung auflehnt, sondern sich in eine Grenzsituation gestellt
sieht, in der die allgemeine Rechtsordnung mit dem persönlichen
Glaubensgebot in Widerstreit tritt und er die Verpflichtung fühlt, hier
dem höheren Gebot des Glaubens zu folgen. Die Pflicht aller
öffentlichen Gewalt, die ernste Glaubensüberzeugung zu respektieren,
muss jedenfalls dann zu einem Zurückweichen des Strafrechts führen,
wenn der konkrete Konflikt zwischen einer nach allgemeinen Anschauungen
bestehenden Rechtspflicht und einem Glaubensgebot den Täter in eine
seelische Bedrängnis bringt, der gegenüber sich die Bestrafung, die ihn
zum Rechtsbrecher stempelt, als eine übermäßige, seine Menschenwürde
verletzende soziale Reaktion darstellen würde (vgl. BVerfGE 32, 98
<108 f.>).
bb) Der bewusste Verstoß gegen Strafnormen ist jedoch auch im Lichte
von Art. 4 Abs. 1 GG nicht als Mittel der Wahl, sondern nur als letzter
Ausweg aus einem ansonsten unauflöslichen Konflikt zwischen staatlichen
und religiösen Verhaltensanforderungen hinzunehmen. An einer den
Gewährleistungsgehalt der Menschenwürdegarantie im genannten Sinne
berührenden seelischen Bedrängnis wird es etwa regelmäßig fehlen, wenn
sich der Gewissenskonflikt in zumutbarer Weise durch nahe liegende
andere Handlungsalternativen lösen lässt, die eine Strafbarkeit
vermeiden. Wer solche Möglichkeiten, seiner religiösen Überzeugung im
Einklang mit der Rechtsordnung zu folgen, bewusst nicht wahrnimmt, kann
sich regelmäßig nicht darauf berufen, sich aus einer seelischen
Zwangslage heraus allein wegen eines subjektiv höherrangigen und
unausweichlichen Glaubensgebots gegen die Rechtsordnung auflehnen zu
dürfen. In diesem Fall ist dem Staat die Feststellung strafrechtlicher
Schuld nicht von vornherein verwehrt; einer von Art. 4 Abs. 1 GG
geschützten religiösen Motivation kann dann im Einzelfall bei der
Bestimmung der Sanktion, auch durch Einstellungen des Verfahrens nach
§§ 153, 153 a StPO oder die Anwendung des § 59 StGB, angemessen
Rechnung getragen werden.
2. Hieran gemessen halten die angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlicher Prüfung stand.
a) Die Verpflichtung der Beschwerdeführer, ihre Kinder an dem
Unterricht einer nach dem Hessischen Schulgesetz anerkannten Schule
teilnehmen zu lassen, stellt eine zulässige Beschränkung ihres
Erziehungsrechts dar.
aa) Die allgemeine Schulpflicht dient als geeignetes und
erforderliches Instrument dem legitimen Ziel der Durchsetzung des
staatlichen Erziehungsauftrags. Dieser Auftrag richtet sich nicht nur
auf die Vermittlung von Wissen und die Erziehung zu einer
selbstverantwortlichen Persönlichkeit. Er richtet sich auch auf die
Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die gleichberechtigt und
verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer
pluralistischen Gesellschaft teilhaben. Soziale Kompetenz im Umgang
auch mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und
Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung können
effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den
in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen nicht nur
gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen
Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind (vgl. BVerfG-K 1, 141
<143>).
bb) Die Schulpflicht steht zudem in einem angemessenen Verhältnis zu
dem Gewinn, den die Erfüllung dieser Pflicht für den staatlichen
Erziehungsauftrag und die hinter ihm stehenden Gemeinwohlinteressen
erwarten lassen.
Die Allgemeinheit hat ein berechtigtes Interesse daran, der
Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten
"Parallelgesellschaften" entgegenzuwirken und Minderheiten zu
integrieren. Integration setzt dabei nicht nur voraus, dass die
Mehrheit der Bevölkerung religiöse oder weltanschauliche Minderheiten
nicht ausgrenzt; sie verlangt auch, dass diese sich selbst nicht
abgrenzen und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen
nicht verschließen. Für eine offene pluralistische Gesellschaft
bedeutet der Dialog mit solchen Minderheiten eine Bereicherung. Dies im
Sinne gelebter Toleranz einzuüben und zu praktizieren, ist eine
wichtige Aufgabe der öffentlichen Schule. Das Vorhandensein eines
breiten Spektrums von Überzeugungen in einer Klassengemeinschaft kann
die Fähigkeit aller Schüler zu Toleranz und Dialog als einer
Grundvoraussetzung demokratischer Willensbildungsprozesse nachhaltig
fördern (vgl. BVerfG-K 1, 141 <143 f.>).
b) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer ist von Verfassungs
wegen nichts dagegen zu erinnern, dass der Schulunterricht meinungs-
und wertepluralistisch ausgerichtet ist. Die Pflicht zu
weltanschaulich-religiöser Neutralität untersagt die Privilegierung
bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger
(vgl. BVerfGE 108, 282 <299>). Die Offenheit für ein breites
Spektrum von Meinungen und Auffassungen ist konstitutive Voraussetzung
einer öffentlichen Schule in einem freiheitlich-demokratisch
ausgestalteten Gemeinwesen. Hiermit stünden weder ein einseitig an den
Überzeugungen der Beschwerdeführer orientierter Schulunterricht, durch
welchen der Staat vielmehr Gefahr liefe, das Gebot weltanschaulicher
und religiöser Neutralität zu Lasten anderer Anschauungen zu verletzen,
noch eine völlige Abschottung der Schulkinder von dem breiten Spektrum
der gesellschaftlich vertretenen naturwissenschaftlichen und
moralisch-ethischen Positionen in Einklang. Überdies wäre eine solche
Auffassung mit dem Erfordernis eines schonenden Ausgleichs zwischen den
Rechten der Beschwerdeführer aus Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6
Abs. 2 GG und dem Erziehungsauftrag des Staates aus Art. 7 Abs. 1 GG im
Wege der praktischen Konkordanz nicht zu vereinbaren (vgl. BVerfGE 93,
1 <21>). Daher ist den Beschwerdeführern die mit dem Besuch der
Schule verbundene Konfrontation ihrer Kinder mit den Auffassungen und
Wertvorstellungen einer überwiegend säkular geprägten pluralistischen
Gesellschaft trotz des Widerspruchs zu ihren eigenen religiösen
Überzeugungen grundsätzlich zuzumuten (vgl. BVerfG-K 1, 141
<144>).
c) Der Vortrag der Beschwerdeführer lässt eine Missachtung des
Gebots staatlicher Neutralität und Toleranz in Fragen der Erziehung
nicht erkennen.
Mit der Vermittlung von Kenntnissen über geschlechtlich übertragbare
Krankheiten und über Methoden der Empfängnisverhütung im Rahmen des
Sexualkundeunterrichts hat die Schule das ihr obliegende
Neutralitätsgebot nicht verletzt. Es ist auch sonst nicht ersichtlich,
dass die Schule den Versuch unternommen hätte, die Schüler mit dem Ziel
zu indoktrinieren, ein bestimmtes Sexualverhalten zu befürworten oder
abzulehnen. Dies gilt umso mehr, als die Eltern eingeladen waren, in
Kooperation mit den Lehrern bei Elternabenden auf die Vermittlung
dieser Thematik Einfluss zu nehmen und deren Behandlung in der
häuslichen Erziehung zu begleiten. Es ist ebenfalls nicht zu
beanstanden, dass nach den Lehrplänen die Evolutionstheorie im Rahmen
des Biologieunterrichts vermittelt und die Behandlung der
Schöpfungsgeschichte auf den Religionsunterricht beschränkt bleibt.
d) Die Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion war im Lichte des
Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 GG nicht
unverhältnismäßig. Die Beschwerdeführer können sich nicht darauf
berufen, es liege ein - den Grad einer seelischen Bedrängnis
erreichender - unauflöslicher Konflikt zwischen einer ernsten
Glaubensüberzeugung und der staatlich auferlegten Schulpflicht vor. Der
Widerspruch zwischen dem strafbewehrten Handlungsgebot - der Teilnahme
ihrer Kinder am Unterricht einer anerkannten Schule - und den eigenen
Glaubensüberzeugungen erweist sich hier nicht als derart ausweglos,
dass sie berechtigt gewesen wären, dem Verbotsgesetz zuwiderzuhandeln.
aa) Die Beschwerdeführer sehen ihre Glaubensüberzeugungen weniger
durch die Schulpflicht als solche vielmehr durch einzelne
Unterrichtsinhalte und die meinungs- und wertepluralistische
Ausrichtung der Schule verletzt. Soweit sie die Behandlung bestimmter
Inhalte des Lehrplans zu dulden hatten, waren sie objektiv nicht in
unzumutbarer Weise daran gehindert, ihre Kinder in Glaubensfragen nach
eigenen Vorstellungen zu erziehen. Die Schule hat ihnen nicht verwehrt,
den Kindern bestimmte eigene Überzeugungen in religiösen und
weltanschaulichen Fragen zu vermitteln. Die Beschwerdeführer können
nicht beanspruchen, dass ihre Kinder vollständig von fremden
Glaubensbekundungen oder Ansichten verschont bleiben; in einer
Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt,
gewährt Art. 4 Abs. 1 GG ein solches Recht nicht (vgl. BVerfGE 93, 1
<15>).
bb) Zudem haben die Beschwerdeführer nahe liegende Möglichkeiten
ungenutzt gelassen, den subjektiv empfundenen Konflikt zwischen
Glaubens- und Rechtsgeboten aufzulösen, ohne gegen die für alle
Mitglieder der staatlichen Gemeinschaft gleichermaßen geltenden
Verhaltensanforderungen zu verstoßen.
Nach den insoweit maßgeblichen Feststellungen des Landgerichts haben
es die Beschwerdeführer unterlassen, an Elternabenden teilzunehmen oder
sonst ihre Besorgnisse um die Erziehung ihrer Kinder in der Schule
vorzutragen, um so in stärkerem Maße auf die Gestaltung von Unterricht
und schulischen Sonderveranstaltungen Einfluss zu nehmen. Dabei hätten
sie, wie das Entgegenkommen der Schule in Einzelfällen belegt, ihr
Begehren nicht ohne jede Erfolgsaussicht den Verantwortlichen der
Schule vortragen können. Ihr Verhalten lässt insgesamt nicht erkennen,
dass sie sich in der bei Vorliegen eines schwerwiegenden
Gewissenskonflikts zu erwartenden Weise konsequent darum bemüht hätten,
ihren Standpunkt gegenüber der Schule zur Geltung zu bringen.
cc) Es kommt hinzu, dass in dem vollständigen Fernhalten der drei
ältesten Töchter vom Schulunterricht ein unverhältnismäßiges Mittel
lag.
So haben die Beschwerdeführer hinsichtlich der Erziehung ihrer
Tochter S. keine Konflikte mit der Schule angeführt, deren weiteren
Schulbesuch aber dennoch unterbunden. Im Übrigen betrafen die
Beanstandungen der Beschwerdeführer lediglich einzelne, zeitlich
begrenzte Ereignisse, welche teilweise bereits länger zurücklagen. Die
von ihnen beanstandeten einzelnen Vorgänge vermögen ihre
Schlussfolgerung, eine weitere Teilnahme ihrer Kinder am
Schulunterricht sei ihnen insgesamt nicht mehr zumutbar gewesen, nicht
zu tragen. Die Beschwerdeführer haben nicht dargelegt, weshalb nicht
ein - der Schule nachvollziehbar zu begründendes - gezieltes
Fernbleiben ihrer Kinder von bestimmten Unterrichtseinheiten als
milderes Mittel zur Sicherung ihres elterlichen Erziehungsrechts
ausgereicht hätte. Auch sonst ist nicht erkennbar, weshalb es
Glaubensgründe erfordert haben, ihre Kinder von weltanschaulich
neutralen Unterrichtsfächern wie etwa Mathematik und Fremdsprachen
abzumelden.
dd) Außerdem haben die Beschwerdeführer nicht näher dargetan, dass
sie sich um die vorrangige Alternative, ihre Kinder an einer anderen -
anerkannten - öffentlichen oder privaten Schule unterrichten zu lassen,
ernsthaft bemüht haben.
ee) Ebenso wäre es den Beschwerdeführern zuzumuten gewesen, sowohl
hinsichtlich der behaupteten Verstöße gegen geltendes Schulrecht als
auch wegen der von ihnen begehrten Erteilung einer Ausnahmebewilligung
nach § 60 Abs. 2 Satz 2 HessSchulG die ihnen zu Gebote stehenden
Rechtsbehelfe auszuschöpfen.
e) Schließlich ist auch die Festsetzung der konkreten Sanktion gegen
die Beschwerdeführer verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das
Landgericht hat der Motivation der Beschwerdeführer durch die Anwendung
des § 59 StGB unter Androhung einer maßvollen Geldstrafe Rechnung
getragen."
BVerfG, 2 BvR 1693/04 vom 31.5.2006