07.05.11
Die Woche für das Leben: eine "Soziale Woche"?
Blickwechsel einer zwanzig Jahre alten Initiative von Katholischer und Evangelischer Kirche
Ein Zwischenruf von Kurt J. Heinz
(MEDRUM) Heute beginnt die Woche für das Leben, einer Initiative der Katholischen und Evangelischen Kirche in Deutschland. Welcher Sinn ist dieser Woche zugedacht? Welche Rolle spielt sie? Wird sie ihrem eigenen Anspruch gerecht?
Leben ist bunt, Leben ist vielfältig. Zum heutigen Leben gehören der Sex-Shop von Beate Uhse genauso wie die Telefonseelsorge der Kirchen oder auch das Main-Taunus-Zentrum in Sulzbach, ein Einkaufszentrum vor den Toren Frankfurts, in dem ein kirchlicher Raum der Stille keinen Platz finden darf, weil er angeblich nicht zu einem modernen Einkaufszentrum passt, wie der Geschäftsführer des Einkaufszentrums meint. Welchen Teil des Lebens also meint die Woche für das Leben? Was passt zur Woche des Lebens?
Wer nicht weiß, was die Woche für das Leben aus Sicht der Veranstalter Evangelische und Katholische Kirche bedeuten soll, findet die Antwort in einem Wegweiser im Internetportal „Woche für das Leben". Bei der inhaltlichen Vorbereitung zu den Themen der Woche für das Leben können helfen, heißt es dort unter Links und Informationen:
- der Deutscher Hospiz- und Palliativ-Verband e.V.
- der Bundesverband Deutsche Tafel e.V.
- die Telefonseelsorge
- der Borromäusverein e.V., Netzwerk für die Bücherarbeit,
- die Freiwilligen- und Ehrenamtsplattform der Caritas Deutschland
- die Ökumenische Tagung zum ehrenamtlichen Engagement in Kirche und Gesellschaft
- die Quartiersarbeit der Diakonie
- die Woche des bürgerschaftlichen Engagements
- der Deutsche Engagementpreis
- das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement
- die Ehrenamtsakademie der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
- das Ökumenische Heiligenlexikon.
Wer dies liest, findet also vor allem Wegmarken für Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement, aber auch für Bücherarbeit und Heilige. Das Jahresthema 2011 bestätigt, daß es unter dem Motto „Engagiert für das Leben: Einsatz mit Gewinn" um den uneigennützigen, unentgeltlichen Einsatz für andere, um soziales Engagement von Bürgerinnen und Bürgern gehen soll. Niemand wird bestreiten wollen, daß dies wichtige Themen sind. Doch kaum jemand, der nur dies wahrnimmt, kommt wohl auf die Idee, daß die Woche für das Leben vor 20 Jahren aus ganz anderen Beweggründen eingeführt wurde, nämlich um für das Recht des ungeborenen Kindes auf Leben einzutreten. Ursprüngliches Ziel war es, sowohl innerkirchlich wie in Öffentlichkeit und Politik den Schutz des ungeborenen Lebens anzumahnen und vor der Akzeptanz der Abtreibung zu warnen. 1991 stand die Woche für das Leben folgerichtig unter dem Motto: „Schutz des ungeborenen Kindes".
Auch heute noch sagt die Deutsche Bischofskonferenz zu dieser jährlich wiederkehrenden Veranstaltungswoche: "Angesprochen ist jeder, der sich mit aktuellen Fragen zum Lebensschutz auseinander setzen möchte." Doch ist das so? Fühlt sich jeder angesprochen, der sich mit dem Lebensschutz auseinander setzen möchte? MEDRUM stellte diese Frage zum Beispiel Mechthild Löhr, der Bundesvorsitzenden der Christdemokraten für das Leben. Löhr weicht der Antwort nicht aus. "Nein!", lautet ihre klare Antwort mit Blick auf den Lebensschutz. Mit dem Schutz des ungeborenen Lebens habe die Veranstaltung leider kaum noch - wenn überhaupt - zu tun. Mit dem politisch bedingten Positionswechsel zur Abtreibung im Jahr 1992, mit dem Abtreibung in der Folgezeit nach Beratung straffrei gestellt wurde, hätten die Evangelische und Katholische Kirche in der "Woche für das Leben" immer seltener die Abtreibung oder gar ihre Verurteilung thematisiert. Aus der Woche für den Schutz des ungeborenen Lebens sei so etwas wie eine "Soziale Woche" geworden, so Löhr. Weder Löhr noch andere Lebensschützer stehen in der Beweisnot, wie die Empfehlungen der Veranstalter für die diesjährige Woche für das Leben belegen.
Mechthild Löhrs Bedenken werden verständlich, wenn der Blick auf die Realität des Abtreibungsgeschehens geworfen wird. Wie die offiziellen Abtreibungsstatistiken jedem vor Augen führen, sind alleine in den letzten 20 Jahren mindestens 2,5 Millionen ungeborene Kinder getötet worden. Das entspricht fast der Einwohnerzahl der beiden Millionenstädte Hamburg und München. Wird die Dunkelziffer berücksichtigt, kommt vermutlich noch eine stattliche Zahl weiterer Großraumstädte hinzu. Lebensschützer werden nicht müde darauf hinzuweisen, daß die tatsächlichen Zahlen noch um vieles höher liegen dürften, da viele Abtreibungen nicht in die offizielle Meldestatistik eingehen oder von ihr erfasst werden. Dennoch wird die massenhafte Tötung von ungeborenen Kindern nicht einmal in der diesjährigen Woche für das Leben thematisiert. Auch Beratung und Hilfe für schwangere Frauen in Notlagen sind kein Thema. Die Ausrichtung der diesjährigen Woche für das Leben ist symptomatisch für die Verdrängung des Themas, besonders in der Evangelischen Kirche, die sich am staatlichen System der Ausstellung sogenannter Beratungsscheine beteiligt, die zur straffreien Abtreibung berechtigen.
Wie stark die Verdrängung um sich greift, zeigte eine Initiative "Kinder sind eine Gabe Gottes", die vorschlug, das System der Ausstellung von Abtreibungsberechtigungsscheinen in der EKD zur Diskussion zu stellen und über eine Neuausrichtung der Schwangerschaftskonfliktberatung nachzudenken, um schwangeren Frauen und ihren ungeborenen Kindern wirksamer zu helfen (MEDRUM berichtete). Obwohl diese Initiative von mehr als 30 Organisationen und 20.000 Personen namentlich unterstützt wurde, war das Thema dem Rat und der Synode der EKD nicht einmal eine Diskussion wert. Sie waren also nicht einmal bereit, wenigstens ihre Ohren für den schmerzhaften Tod ungeborener Kinder zu öffnen. Der "Ulmer Appell" verhallte ungehört. Das Berechtigungssystem zur straffrei gestellten Abtreibung sollte gar nicht erst nicht in Frage gestellt werden. Auch die Katholische Kirche tat sich schwer. Sie stieg erst 2000 aus dem Beratungssystem für den Schwangerschaftsabbruch aus, nachdem dazu ein ernstes Wort durch den gerade selig gesprochenen Papst Johannes Paul II. aus Rom kam und hatte bis dahin ebenso verdrängt. Die Themen der Woche für das Leben 2011 stehen in der Kontinuität dieser Verdrängung.
In der Frage, wie mit dem Recht ungeborener Kinder auf Leben umgegangen wird, gilt nicht die sonst oft so gerne beschworene "Kultur des Hinsehens", sondern die "Kultur des Wegsehens". Empathie für das schwächste Leben? Fehlanzeige. Mit Eiseskälte wird es bei jedem Schwangerschaftsabbruch überwiegend auf Kosten der Solidargemeinschaft "entsorgt". Die Solidarität mit den Kleinsten der Kleinen hat keinen Vortritt. Die Kirchen marschieren hier nahezu im Gleichschritt mit der Politik, die seit vielen Jahren wegsieht. Sie sieht auch weg vom Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes, die Gesetzgebung zum rechtswidrigen, doch straffreien Abbruch von Schwangerschaften auf ihren wirksamen Schutz des Lebensrechtes zu überprüfen. In der Politik wie in den Kirchen haben sich die Akteure - unter dem hier mehr als unkritischen Auge der Medien - mit einem Zustand arrangiert, der Jahr für Jahr zur massenhaften Tötung von ungeborenen Kindern führt. Doch dieser Teil des Lebensalltages, der Vernichtung von jüngstem Leben bedeutet, an dem es in Deutschland wie in kaum einem anderen Land mangelt, ist kein Thema der Woche für das Leben. Vor diesem Hintergrund betrachtet hat diese Veranstaltung nicht einmal den Titel "Soziale Woche" verdient.
Wirklich sozial wird die Woche für das Leben erst, wenn das Leben der Ungeborenen nicht ausgeklammert, sondern zum festen Bestandteil jeder Woche für das Leben gemacht wird. Erst dann kann diese Veranstaltung ihrem ursprünglichen Anspruch und Ausgangspunkt wirklich gerecht werden. Wer sich mit diesem Thema auseinandersetzen will, findet Informationen unter:
frühere Wochen für das Leben → Übersicht Schwerpunktthemen