Gabriel und Guttenberg
Ein Kommentar von Prof. Dr.-Ing. Hans-Joachim Selenz
(MEDRUM) Peine, den 28. Februar 2011 - Selten hat ein Ereignis die Republik so in Erregung versetzt, wie die Aufdeckung der kecken Unsauberkeiten in der Doktorarbeit des aktuellen Verteidigungsministers. Zwischen Flensburg und Oberammergau tobt nun ein Kampf um Deutungshoheit und Konsequenzen, der jede Küchenschlacht in den Schatten stellt.
Die Reaktionen schwanken - je nach Parteizugehörigkeit und persönlichem Sympathie-Faktor - zwischen offenen Betrugsvorwürfen einerseits und ebenso offener Zustimmung andererseits. Letztere ganz nach dem Motto: Sind wir nicht alle kleine Sünderlein?
Der Sünder selbst führt ein Rückzugsgefecht, das bestenfalls noch Ratlosigkeit erzeugt. Insbesondere, nachdem er in den wenigen Monaten seines Ministerdaseins durchaus Proben erstaunlicher intellektueller sowie polit-strategischer Fähigkeiten an den Tag legte. Erste Vorwürfe, abgeschrieben zu haben, nannte Karl Theodor zu Guttenberg KTG noch abstrus. Nun will er die Bürger glauben machen, bei den Unkorrektheiten handele es sich um lässliche Fehler. Das ist dreist, nicht nur angesichts der Fülle der ungenannten Zitate. Ein Mann mit einem IQ deutlich über seinem Kopfumfang, setzt in keinem Fall einen FAZ-Artikel an den Anfang seiner Dissertation, um diese dann - guten Gewissens - seinem Doktorvater zu übergeben. Dies gute Gewissen schimmerte in seinen ersten Reaktionen nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe indes noch erkennbar durch.
Wer diesen akademischen Zitate-Brei anfertigte, wird schwer zu ergründen sein. Entweder war es ein Ghostwriter, dem KTG bedingungslos vertraute, oder eine Arbeitsgruppe, die ihrem Auftraggeber die zitierten Quellen verschwieg. Wie sich der ertappte Sünder derzeit fühlt, ist lediglich zu erahnen. Sicher ist nur, dass er beim morgendlichen Rasieren Mühe hat, sich in die Augen zu schauen. Umfragen „im Volk“, die ihn angeblich mehrheitlich stützen, sind derweil geprägt vom Nasenfaktor und weitgehender Unkenntnis der Faktenlage sowie der rechtlichen Hintergründe.
Dass er sich überhaupt noch im Amt halten kann, verdankt er seinem Hauptkritiker - SPD-Chef Sigmar Gabriel. Dessen Angriffe helfen KTG eher als dass sie ihm schaden, da Gabriels eigene Glaubwürdigkeit beschädigter nicht sein könnte. In seiner maßlosen Kritik gleicht er einem Junkie, der einem Kollegen Drogenkonsum vorwirft. Das Stehauf-Männchen der SPD hat nicht nur Probleme mit seinen zuweilen merkwürdigen Vergleichen. So verglich er KTG mit Silvio Berlusconi.
Es scheint, als wolle er der Öffentlichkeit zurufen: Schaut her, da treibt es einer noch doller als ich! Doch das ist durchaus fraglich. Er selbst trieb im Frühjahr 2003 ein heimliches, lukratives Doppelspiel in Politik und Wirtschaft. Als Oppositionsführer im Landtag zu Hannover gründete er eine Beratungsfirma - in Halle a.d. Saale. Mit dieser „Briefkastenfirma“, so seine Genossen, beriet er ausgerechnet VW. Dort saß er kurz zuvor noch im Aufsichtsrat.
Zu seiner Entschuldigung gab er an:
„Ich habe nichts Strafbares begangen. Ich habe eine Firma gegründet, die für VW gearbeitet hat, das ist was anderes als Kinderpornographie!“
Später belog er Landtagspräsident Gansäuer und das Landgericht Hamburg. Letzteres sogar mit einer falschen eidesstattlichen Erklärung.
Die zuständige Staatsanwaltschaft Braunschweig kehrte dies ebenso unter den Teppich, wie seinen Eingriff in Ermittlungen gegen einen Parteifreund wegen Kinderpornographie (siehe „Genosse Gabriel und die Lüge“ sowie „Genosse Gabriel und der Anstand“). Angesichts seines eigenen dehnbaren Charakters klingen daher seine Anwürfe, KTG gegenüber, in Richtung von Kanzlerin Merkel, seltsam hohl:
„Spielt der Charakter eines Menschen bei der Berufung in Ihr Kabinett für Sie keine Rolle mehr – keine Rolle? Ich sage Ihnen, es ist eine Zumutung für jeden Abgeordneten hier im Saal, dass wir hier von einem Regierungsmitglied für dumm verkauft werden sollen.“
Unter dem Strich sind sowohl Gabriel als auch Guttenberg eine Zumutung für alle Bürger in diesem Land. Beide haben Taten zu verantworten, die für jeden Normalbürger in aller Regel nicht ohne schwerste Folgen geblieben wären. Es kann und darf jedoch nicht sein, dass für die Herren Gabriel, Guttenberg und Co. andere Gesetze gelten als für Otto Normalverbraucher.
Copyright Hans Joachim Selenz, 28.02.2011
Siehe auch Selenz` Kommentar vom 06.05.2010: „Genosse Gabriel" und der Anstand
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Der Autor dieses Artikels, Prof. Dr. Ing. Hans-Joachim Selenz, ist Wirtschaftsethiker und Mitautor des Buches "Schwarzbuch VW" (erschienen Oktober 2005). Als ehemaliger Spitzenmanager in der Stahlindustrie (ehem. Vorstandsmitglied der Preussag Stahl AG und Vorstandsvorsitzender der Salzgitter AG), der als Vorstandsmitglied der Preussag AG abberufen wurde, weil er sich weigerte, einen unzutreffenden Jahresabschluss zu unterzeichnen, ist Selenz ein engagierter Kämpfer gegen Korruption und Mißstände im Rechtssystem. Sein Anliegen ist es, durch Aufklärung von Mißständen einen Beitrag für einen funktionierenden Rechsstaat als Grundlage für unsere Demokratie zu leisten. Hans-Joachim Selenz ist 1. Vorsitzender der CLEANSTATE e.V., einer Initiative für Rechtstreue in Politik, Staat und Wirtschaft. Seit 1998 ist Selenz Honorarprofessor an der Leibniz-Universität Hannover, Fakultät Maschinenbau.
Prof. Dr. Selenz im Internet: www.hans-joachim-selenz.de