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„Genosse Gabriel“ und der Anstand


06.05.10

„Genosse Gabriel“ und der Anstand

Ein Kommentar von Hans-Joachim Selenz

(MEDRUM) Peine, 6. Mai 2010 - Der Wahlkampf an Rhein und Ruhr tritt in seine harte Phase. Die politischen Gegner dreschen hemmungslos aufeinander ein. Die Wortwahl wird von Tag zu Tag schärfer.

An vorderster Front der neue SPD-Chef Sigmar Gabriel. Er überzieht den politischen Gegner mit wüsten Beschimpfungen. Gabriel schlägt gnadenlos zu, wenn er es für opportun hält und ebenso gnadenlos zurück, wenn man ihn provoziert. Die Kanzlerin zieh er in der Debatte um das Griechenland-Desaster jüngst der Lüge. NRW-Ministerpräsident Rüttgers sprach er gar den Anstand ab (siehe WamS 28. März 2010). Der hatte ihn indes hart angegriffen und als „hemmungslos, charakterlos“ und als „eine Schande für die deutsche Politik“ bezeichnet. Das wiederum hatte Gabriel provoziert: „Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, meine Amtszeit zu verkaufen. Er (Rüttgers) scheint mir jeden bürgerlichen Anstand verloren zu haben – auch in seiner Wortwahl.“ Doch gemach. Hat Gabriel tatsächlich Grund zu schäumen? Wirft da jemand mit groben Steinen, der selbst im Glashaus sitzt? Wie sieht es aus mit dem bürgerlichen Anstand von Sigmar Gabriel?

Ein kurzer Blick zurück: Sigmar Gabriel, das Stehauf-Männchen der SPD, hat eine bewegte Historie. Nach seiner Abwahl als Niedersachsen-MP im Frühjahr 2003 trieb er zunächst ein lukratives Doppelspiel in Politik und Wirtschaft. Gabriel war nicht nur Mitglied des Landtags, sondern zugleich Chef der SPD-Fraktion. Dies Amt gilt für gewöhnlich als absoluter Full-Time-Job und wird daher mit höheren Diäten vergolten. Doch bei Oppositionschef Gabriel kam Langeweile auf. Er suchte nach Zusatzbeschäftigung. Flugs gründete er eine Firma. Nicht jedoch in Goslar, seiner Heimatstadt, da wo ihn jeder kennt, sondern in Halle an der Saale. Tätigkeitsfeld: Unternehmensberatung. Ein Unternehmen, das dringend Beratung suchte, war ebenso flugs gefunden: Die Volkswagen AG. Dort saß Gabriel zuvor im Aufsichtsrat. Seine Lebensabschnittsgefährtin war bei VW bereits versorgt. Sie war beim Genossen Hartz untergekommen. Seine SPD-Fraktion hatte er nicht informiert. Die fiel aus allen Wolken, als herauskam, was Genosse Gabriel in seiner Amtszeit so alles machte. Auch die Basis rebellierte. Die Braunschweiger Zeitung berichtete am 2. März 2005 vom Unterbezirksparteitag in Adenbüttel. Dort kochte die Stimmung der Genossen:

„Du hast der SPD mit Deiner Briefkastenfirma sehr geschadet“, wetterte Wolfgang H. vom Ortsverein Hankensbüttel, „ein Rücktritt wäre moralisch richtig gewesen.“ Doch Gabriel, der „konservativen Kampagne“ wegen seiner ehemaligen Nebentätigkeit mittlerweile leid, konterte: „Du bist zu weit gegangen und musst schon bei der Wahrheit bleiben. Ich habe nichts Strafbares begangen. Ich habe eine Firma gegründet, die für VW gearbeitet hat, das ist was anderes als Kinderpornographie!“

Gabriel beantragte später eine einstweilige Verfügung gegen das „Schwarzbuch VW“. Da ging es um seine Tätigkeit für VW während seiner Amtszeit als SPD-Fraktionschef. Die Verfügung erhielt er mit einer falschen eidesstattlichen Erklärung. Das stellte sich bei Überprüfung seiner Angaben heraus. Gabriel hatte seine Beratungsfirma früher gegründet als er es dem Landtagspräsidenten gemeldet hatte. Der hatte auf Basis von Gabriels falschen Angaben eine Pressemitteilung über dessen Nebentätigkeit abgegeben. Diese hatte Gabriel in seiner eidesstattlichen Erklärung dreist zitiert. Eine Strafanzeige gegen ihn verlief allerdings „im Sande“. Staatsanwalt "im Sande" von der Staatsanwaltschaft Braunschweig stellte das Verfahren gegen Bundesminister Gabriel ein. Dabei hatte er nicht einmal die Daten korrekt geprüft. Eine Strafanzeige, auch gegen die Staatsanwälte, stoppte schließlich Braunschweigs Generalstaatsanwalt Wolf: „Es muss bei der von der Staatsanwaltschaft Braunschweig verfügten Einstellung des Verfahrens bleiben.“

Kurz vor der letzten Bundestagswahl erreichte Bundesminister Gabriel ein anonymer Anruf. Im Ortsverband Salzgitter gäbe es einen Fall von Kinderpornographie. Der Minister eilte flugs zu seinem Parteigenossen und befragte ihn. Noch bevor Polizei und Staatsanwaltschaft eine Hausdurchsuchung durchgeführt hatten. Danach rief er Generalstaatsanwalt Wolf an. Nachdem die Braunschweiger Zeitung darüber berichtet hatte, sagte Wolf zu diesem Fall dreistester Selbst-justiz: „Es war das einzig Richtige, was er machen konnte.“ Mit Staatsanwälten wie "im Sande" und Wolf, sowie Politikern wie Gabriel bleibt am Ende nicht nur der Anstand auf der Strecke.

Copyright Hans Joachim Selenz, 06.05.10

Siehe auch Selenz` Kommentar vom 9. Febrauer 2005: → „Genosse Gabriel" und die Lüge

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Der Autor dieses Artikels, Prof. Dr. Ing. Hans-Joachim Selenz, ist Wirtschaftsethiker und Mitautor des Buches "Schwarzbuch VW" (erschienen Oktober 2005). Als ehemaliger Spitzenmanager in der Stahlindustrie (ehem. Vorstandsmitglied der Preussag Stahl AG und Vorstandsvorsitzender der Salzgitter AG), der als Vorstandsmitglied der Preussag AG abberufen wurde, weil er sich weigerte, einen unzutreffenden Jahresabschluss zu unterzeichnen, ist Selenz ein engagierter Kämpfer gegen Korruption und Mißstände im Rechtssystem. Sein Anliegen ist es, durch Aufklärung von Mißständen einen Beitrag für einen funktionierenden Rechtsstaat als Grundlage für unsere Demokratie zu leisten. Hans-Joachim Selenz ist 1. Vorsitzender der CLEANSTATE e.V., einer Initiative für Rechtstreue in Politik, Staat und Wirtschaft

Prof. Dr. Selenz im Internet: www.hans-joachim-selenz.de


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