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Biedenkopf zur Guttenberg-Affäre: Der Mensch ist nicht teilbar


01.03.11

Biedenkopf zur Guttenberg-Affäre: Der Mensch ist nicht teilbar

Geht das Kalkül der CDU-Vorsitzenden auf oder hat sich Merkel verzockt?

von Kurt J. Heinz

(MEDRUM) Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg habe ihr volles Vertrauen, wird unverändert über Angela Merkels Haltung in der Guttenberg-Affäre verkündet. Ihre Strategie, nur das Amt des Verteidigungsministers zu betrachten und den CSU-Politiker an nichts anderem messen zu wollen, gerät zunehmend in die Kritik. Und damit auch Horst Seehofer, der bekräftigte, die Geschlossenheit, mit der die CSU hinter zu Guttenberg stehe, dürfe nicht unterschätzt werden. Auf Gedeih und Verderb also an das Schicksal des Freiherrn gekettet? Geht diese Rechnung der Kanzlerin auf oder hat sie sich von Popularitätswerten blenden lassen und sich bei ihrer Wette auf Guttenberg und Wählerstimmen verzockt?

Hauptargument von Angela Merkel bei der Verteidigung ihrer Entscheidung, an Freiherr zu Guttenberg gegen alle Kritik festhalten zu wollen, ist, sie habe keinen wissenschaftlichen Assistenten sondern einen Verteidigungsminister berufen. Dies erfülle zu Guttenberg "hervorragend", und das sei es, was für sie zähle. Doch die Kritik an Merkels Entscheidung wächst auch in den eigenen Reihen beständig.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse wirft Merkel schizophrenes Denken vor. Dem Hamburger Abendblatt sagte Thierse: "Die Bundeskanzlerin macht einen großen Fehler, wenn sie glaubt, dass Guttenbergs Betrug und sein geistiger Diebstahl nicht das öffentliche Amt des Verteidigungsministers berühren." Die CDU-Chefin teile Guttenberg in zwei Personen, die Privatperson einerseits und den Minister andererseits. Thierse warnte: „Diese Art von Schizophrenie ist absolut unzulässig. Es gibt ohnehin bereits ein erhebliches Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Politik. Wenn Guttenberg jetzt so weitermachen kann wie bisher, wird sich dieses Misstrauen noch verschlimmern.“

Auch Kurt Biedenkopf (CDU), ehemaliger Ministerpräsident Sachsens und Professor für Rechtswissenschaften, übte im «heute-journal» des ZDF am Montagabend massive Kritik an der Merkel-Strategie, bei der Besetzung des Verteidigungsministersamtes den Menschen zu Guttenberg aufteilen zu wollen. Das funktioniert nicht, machte Biedenkopf klar und begründete dies mit den Worten: „Der Mensch wird gemessen, nicht das Amt. Und der Mensch ist auch nicht teilbar. Wenn Guttenberg mich am Anfang gefragt hätte, hätte ich ihm empfohlen ins Glied zurückzutreten."

Wie der Spiegel berichtet, wächst auch intern der Unmut in den Reihen von Unionspolitikern. Das "Plagiat-Drama" quäle die CDU, schreibt der Spiegel. Mit jedem Tag wachse der Frust. Zwar würden ausführliche Debatten über das Thema nach Möglichkeit gemieden, doch auf den Fluren des Reichstages, in privaten Gesprächen und vertraulichen Runden gehe es früher oder später fast immer um den "Copy-and-Paste-Minister", so der SPIEGEL. Die Gesprächspartner kämen fast immer zu dem gleichen Schluss: "Die ganze Angelegenheit ist verheerend für die Glaubwürdigkeit nicht nur der Union, sondern des gesamten Politikbetriebs."

Hinter den Sorgenfalten von Unionspolitikern steht nicht zuletzt auch die Sorge, ob sich die Strategie der Unionsführung bei den bevorstehenden Landtagswahlen auszahlen wird oder ob sie von den Wählern abgestraft werden. Es scheint keineswegs sicher, daß das Kalkül eines CDU-Strategen aufgeht, bei einem Rauswurf von zu Guttenberg fünf oder sechs Punkte zu verlieren, aber nur zwei oder drei Punkte zu verlieren, wenn an ihm festgehalten werde. Am Ende könnte sich dies als trügerisch erweisen. Zu Guttenberg steht zwar auf der Popularitätsskala noch oben, hat aber schon deutlich an Sympathiepunkten verloren.

Der Sympathieverlust in der Bevölkerung könnte mit anhaltender Debatte über die Plagiatsaffäre fortschreiten. Der Protest gegen Merkels  "pro-Guttenberg"-Entscheidung erhebt sich jetzt vor allem außerhalb der Parteien. Über 50.000 Personen haben den Offenen Protestbrief von Doktoranden an die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende unterzeichnet. Die Unterzeichner sind über Merkels Kleinreden der Verfehlungen ihres Ministers empört. Bildungsministerin Schavan kam diesem Protest entgegen. Sie unterstützt zwar unverändert die "Zweite Chance"-Argumentation, sagt aber gleichzeitig, sie schäme sich über die Verfehlungen. Besonders scharfe Kritik äußert der Nachfolger des Doktorvaters von Freiherr zu Gutenberg, der Juraprofesser Oliver Lepsius . Im «heute-journal» des ZDF stellte er fest, es sei unglaubwürdig zu behaupten, man wisse nicht, was man über sieben Jahre hinweg getan hat. Lepsius wörtlich: "Ich kann mir nicht vorstellen, daß man sieben Jahre nicht merkt, was man tut. An der Frage des Vorsatzes gibt es doch gar keinen Zweifel mehr."

Auch auf der Ebene der Sachdebatte zeichnen sich Probleme ab, die das Bild vom politischen Ausnahmetalent Guttenberg konterkarieren könnten. Wie der Fernsehsehnder ntv berichtet, steht die Guttenberg-Entscheidung, die Wehrpflicht auszusetzen, auf tönernen Füßen. Für den Einstellungstermin 1. April 2011 konnten bisher nur 10 Prozent des Personalbedarfes an Freiwilligen gefunden werden. Statt 3.000 haben sich gerade einmal 300 Freiwillige gemeldet. "Der Bundeswehr geht das Personal aus", so ntv. Mit Großanzeigen, mit denen in Guttenbergs Hauspostille BILD massiv für Nachwuchs geworben werden soll, dürfte sich dieses Problem kaum sachgerecht lösen lassen.

Ist zu Guttenberg also auch auf dem Gebiet überfordert, für das die Kanzlerin seine Kompetenz über den Verlust seiner Glaubwürdigkeit gestellt hat oder steht seine Wehrreform im Gegensatz zu seiner Doktorarbeit auf soliden Füßen? Diese Frage könnte bald zusätzlich die Debatte um den Verteidigungsminister, seine Glaubwürdigkeit und seine Kompetenz als Hoffnungsträger der Politik belasten. Im jetzt schon beschädigten Guttenberg-Bild könnte weitere, tiefe Risse entstehen. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst Ulrich Kirsch, meinte in der Tagesschau am Montagabend zwar auch, der Minister habe eine zweite Chance verdient. Wenn es dabei bliebe, was jetzt bekannt sei, könne man dieses durch Engagement ausgleichen. Doch Kirsch betonte ebenso: "Ich meine, es darf nicht mehr viel passieren." Es spricht im Augenblick mehr dafür, daß noch einiges passieren wird, als dafür, daß Guttenberg nicht weitere Klippen drohen, an denen sein politisches Schicksal zerschellen könnte. Kurt Biedenkopf meinte jedenfalls, er sehe nicht, wie zu Guttenberg den Schatten wieder los werden könnte.

Vielleicht wird zu Guttenberg seinem endgültigen Scheitern jedoch noch in letzter Sekunde zuvorkommen. Er will heute um 11.15 Uhr eine Erklärung abgeben.


Ergänzung von 12.00 Uhr

Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg hat heute Mittag den Rücktritt von seinen politischen Ämtern erklärt. Er hat damit die Konsequenzen aus dem Streit um seine Person gezogen und für klare Verhältnisse gesorgt. Wie sich dies auf das Wählerverhalten für die Union bei den bevorstehenden Wahlen auswirken wird, bleibt abzuwarten. Die Rücktrittserkklärung Erklärung ist im Wortlaut im Anhang beigefügt.


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