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  • Von Platzhirschen und ihren Staatsanwälten


    15.09.09

    Von Platzhirschen und ihren Staatsanwälten

    Kommentar von Hans-Joachim Selenz

    (MEDRUM) Peine, 15.09.09. Heute verhandelt der BGH in Leipzig die Urteile im Volkert/Gebauer-Prozess. Ein Rückblick: Juni 2005. Anwalt Wolfgang Kubicki wird im Zuge der vermeintlich jungen VW-Affäre in Wolfsburg vorstellig. Er vertritt einen der Beschuldigten - Wolfgang Gebauer. Im Gespräch mit den VW-Managern glaubt er, seinen Ohren nicht zu trauen. Man erklärt ihm in aller Seelenruhe: „Die hiesige Staatsanwaltschaft macht was wir wollen. Die haben wir im Griff. Wir sind hier Platzhirsch.“ In seinem ganzen Leben habe er noch nie ein solches Gespräch geführt, so Kubicki. Und bei den Staatsanwälten muss er hören: „Wo sollen wir da überhaupt suchen? Der Konzern ist ja so groß wie eine Stadt“. Kubicki: „Da mussten wir dann mal selber Beweise sammeln“[1].

    Parallel zu Kubicki wurde auch ein alter Zeuge des VW-Skandals aktiv [2] - Polizeispitzel G06. Ihn hatte die Polizei Hannover als V-Mann in die Rotlichtszene eingeschleust. Allerdings schon im Jahre 2000. G06 hatte erstaunliche Beobachtungen gemacht und seine Auftraggeber detailliert informiert. Beispielsweise über Sex- und Drogen-Exzesse bei VW. Auch der Name von VW-Gesamtbetriebsratschef und VW-Aufsichtsrat Klaus Volkert findet sich schon 2000 in den Polizeiakten. Bordellbetreiber Graser organisierte die von VW bezahlten Sex-Treffen. 2001 informierte die Polizei VW. Aber auch dort blieb man untätig. Jeder Polizei-Novize weiß indes, dass man sich als Organ einer Aktiengesellschaft nicht in Bordellen amüsieren darf. Zumindest nicht auf Kosten der Firma. Bei VW handelte es sich allerdings um eine Firma unter staatlicher Kontrolle. Da wäre ein Sex-Skandal fatal für das Ansehen der Landesregierung als Gesellschafter gewesen. In Hannover war bereits der Preussag-Skandal aktiv vertuscht worden. Die WestLB/Preussag-Gruppe hatte hochrangige Politiker beider großen Parteien in unsäglichste Abhängigkeit gebracht. Man funktionierte dazu u. a. einen Jet zum Bordell um. Damit war die Justiz komplett abgeschaltet. Die Folge: Konkurs der Babcock Borsig AG, Tausende Arbeitslose, 5 Milliarden Euro Finanzschaden.

    Auch den Fall VW ließ man laufen. Graser lieferte später sogar die Damen für das VW-Konzern-Bordell in Braunschweig. Wirtschaftskriminalität quasi unter Justiz-Aufsicht. Verständlich also, dass Spitzel G06 sauer war, als er in der Presse las, was sich bei VW abgespielt hatte. Das wussten er und die heimische Justiz schon seit Jahren. G06 verlangte Nachschlag. Ein Polizei-Spitzel wird nach dem Wert seiner Information bezahlt. Führt diese zu offiziellen Ermittlungen, erhöht sich sein Salär. Und G06 wollte wissen, warum die Justiz untätig blieb. „Reichte der Filz bis in Justizkreise“, fragte der STERN [2]. Fakt ist, dass es die VW-Affäre nach 2000 nie gegeben hätte, wenn die Justiz auch nur ansatzweise korrekt gearbeitet hätte. Ein „Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Urkundenunterdrückung“ (Aktenzeichen 1141 UJS 63508/05) verlief im Sande. Der Vorgang landete schließlich in Braunschweig - bei den Staatsanwälten der Platzhirsche….

    Am 16. Januar 2008 warf Kubicki diesen Staatsanwälten dann in Braunschweig sogar öffentlich Strafvereitlung im Amt vor. Niemand stoppte den kecken Anwalt. Die Anwälte des Staates veränderten lediglich ihre Gesichtsfarbe und schwiegen be- bzw. ge-treten. Auch über diesen einmaligen Eklat in einem deutschen Gerichtssaal berichtete nur die Braunschweiger Zeitung [3].

    Deutsche Staatsanwälte sind - wie in der Nazizeit - weisungsgebunden und werden von der Politik kontrolliert. Polit-Skandale, wie der bei VW, werden unter den immer noch tiefbraunen Polit/Justiz-Teppich geschoben. Der Deutsche Richterbund spricht explizit von „Regierungskriminalität“ [4] und fordert, die Weisungsgebundenheit deutscher Staatsanwälte aufzuheben. Der Richter am Finanzgericht Niedersachsen, Norbert Schlepp, stellte zu diesem Krebsgeschwür des deutschen Rechtssystems fest: „Diese Anordnungsbefugnis der Exekutive gegenüber den Staatsanwälten hat in den Jahren ab 1933 dazu geführt, dass Verbrechen der Nationalsozialisten nicht strafrechtlich geahndet wurden. Die weisungsgebundenen Staatsanwälte durften derartige Verbrechen nicht anklagen. Das Rechtssystem, das damals die Staatsanwälte an ihrer Arbeit gehindert hat, existiert als solches immer noch.“ In dieser braunen Sollbruchstelle des deutschen Rechtssystems haben Platzhirsche ihre Staatsanwälte im Griff - zum Schaden der Allgemeinheit.

    Copyright Hans Joachim Selenz, 15.09.09

    _________________________________

    Der Autor dieses Artikels, Prof. Dr. Ing. Hans-Joachim Selenz, ist Wirtschaftsethiker und Mitautor des Buches "Schwarzbuch VW" (erschienen Oktober 2005). Als ehemaliger Spitzenmanager in der Stahlindustrie (ehem. Vorstandsmitglied der Preussag Stahl AG und Vorstandsvorsitzender der Salzgitter AG), der als Vorstandsmitglied der Preussag AG abberufen wurde, weil er sich weigerte, einen unzutreffenden Jahresabschluss zu unterzeichnen, ist Selenz ein engagierter Kämpfer gegen Korruption und Mißstände im Rechtssystem. Sein Anliegen ist es, durch Aufklärung von Mißständen einen Beitrag für einen funktionierenden Rechsstaat als Grundlage für unsere Demokratie zu leisten. Hans-Joachim Selenz ist 1. Vorsitzender der CLEANSTATE e.V., einer Initiative für Rechtstreue in Politik, Staat und Wirtschaft

    Prof. Dr. Selenz im Internet: www.hans-joachim-selenz.de


    Quellenhinweise zum Artikel

    [1] Braunschweiger Zeitung, 04.09.2009

    [2] STERN 44/2005

    [3] Braunschweiger Zeitung, 17.01.2008

    [4] HAZ 11.08.2003


    Andere Artikel von Hans-Joachim Selenz in MEDRUM: Michael Buback - der zweite Tod meines Vaters

  • 14./15.09.09


    15.09.09

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    14.09.09

    Glänzend aufgelegt

    Großer Konsens zwischen katholischen und evangelischen Christen beim Forum Deutscher Katholiken

    von Kurt J. Heinz

    (MEDRUM) Das Forum Deutscher Katholiken präsentierte am Schlußtag seines Kongresses "Freude am Glauben" in Aschaffenburg mit einem Podiumsgespräch unter der Überschrift "Wo Christen zusammenstehen müssen" ein überkonfessionelles Glanzlicht. Mit überwältigender Zustimmung demonstrierten Podiumsredner und Teilnehmer des Kongresses in einer Resolution, dass sie als Christen in Grundfragen der christlichen Wertordnung zusammenstehen und in wichtigen gesellschaftspolitischen Handlungsfeldern von einem gemeinsamen Geist getragen sind. ... lesen Sie mehr...



    14.09.09

    Ärztliche Beihilfe zum Suizid

    Herbstforum der APPH Nordhessen befasst sich mit rechtlicher und ethischer Problematik

    (MEDRUM) Das Herbstforum der APPH Nordhessen am 7. Oktober in Kassel wird sich mit der rechtlichen und ethischen Problematik ärztlicher Beihilfe zum Suzid befasssen. ... lesen Sie mehr...


    14.09.09

    Aus den Medien ... lesen Sie mehr...

    • kath.net: Kongreß "Freude am Glauben" in Aschaffenburg
    • faz.net: Gewalt in der S-Bahn
    • familyfair: Wo liegen die Ursachen für Gewalt?
    • Bild: Ein Protokoll des TV-Auftritts von Merkel und Steinmeier
    • Spiegel-Online: Steinmeier punktet bei Zuschauern
    • Stern: Kein Sieger im TV-Duell Merkel gegen Steinmeier
    • faz.net: Steinmeier besser als Merkel
    • faz.net: Fernsehkritik zum TV-Duell von Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier
    • Neue Züricher Zeitung: Merkel gegen Steinmeier kein Streitgespräch



  • 14./15.09.09


    15.09.09

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    Kommentar von Hans-Joachim Selenz

    (MEDRUM) Peine, 15.09.09. Heute verhandelt der BGH in Leipzig die Urteile im Volkert/Gebauer-Prozess. Ein Rückblick: Juni 2005. Anwalt Wolfgang Kubicki wird im Zuge der vermeintlich jungen VW-Affäre in Wolfsburg vorstellig. Er vertritt einen der Beschuldigten - Wolfgang Gebauer. Im Gespräch mit den VW-Managern glaubt er, seinen Ohren nicht zu trauen. Man erklärt ihm in aller Seelenruhe: „Die hiesige Staatsanwaltschaft macht was wir wollen. Die haben wir im Griff. Wir sind hier Platzhirsch.“ In seinem ganzen Leben habe er noch nie ein solches Gespräch geführt, so Kubicki. Und bei den Staatsanwälten muss er hören: „Wo sollen wir da überhaupt suchen? Der Konzern ist ja so groß wie eine Stadt“. Kubicki: „Da mussten wir dann mal selber Beweise sammeln“[1].

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    Herbstforum der APPH Nordhessen befasst sich mit rechtlicher und ethischer Problematik

    (MEDRUM) Das Herbstforum der APPH Nordhessen am 7. Oktober in Kassel wird sich mit der rechtlichen und ethischen Problematik ärztlicher Beihilfe zum Suzid befasssen. ... lesen Sie mehr...


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    • Spiegel-Online: Steinmeier punktet bei Zuschauern
    • Stern: Kein Sieger im TV-Duell Merkel gegen Steinmeier
    • faz.net: Steinmeier besser als Merkel
    • faz.net: Fernsehkritik zum TV-Duell von Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier
    • Neue Züricher Zeitung: Merkel gegen Steinmeier kein Streitgespräch



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    Kommentar von Hans-Joachim Selenz

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    14.09.09

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    • Stern: Kein Sieger im TV-Duell Merkel gegen Steinmeier
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    • Neue Züricher Zeitung: Merkel gegen Steinmeier kein Streitgespräch



  • Droht eine Kindergartenpflicht?


    23.09.09

    Droht eine Kindergartenpflicht?

    Aussagen der Bundestagsparteien in ihren Regierungs- und Wahlprogrammen

    (MEDRUM) Das seit Sommer eingerichtete Internetportal "familyfair" und der Verein "Zivile Koalition e. V." haben eine drohende Kindergartenpflicht zum Thema gemacht. Die "Zivile Koalition" hat sogar kurz vor der Bundestagswahl eine Initiative gestartet, um die Einführung einer Kindergartenpflicht zu verhindern. Wie ernst ist es damit?

    Überlegungen zu einer Kindergartenpflicht sind schon seit Jahren Gegenstand politischer Diskussion. Der Abgeordnete von Bündnis 90/ Die Grünen, Volker Beck, hat sich bereits 2006 für die Einführung eines Kindergartenpflichtjahres ausgesprochen. Volker Beck dazu am 5. November 2006: "Gerade im Sinne sozial benachteiligter Kinder wäre m.E. ein beitragsfreies Kindergartenpflichtjahr der richtige Schritt." Auch Ursula von der Leyen sprach sich bereits 2006 für solche Überlegungen aus, und die CDU schrieb die Forderung nach einem Kindergartenbesuchsjahr 2007 in ihr Grundsatzprogramm. Doch welche Bedeutung muß einer Kindergartenpflicht in der aktuellen Politik beigemessen werden?

    Festgehalten werden kann zunächst: Das Ziel der Einführung einer Kindergartenpflicht ist - ausgenommen bei der FDP - trotz vergangener Diskussionen kein Bestandteil der Regierungsprogramme der Bundestagsparteien geworden.

    Die FDP ist derzeit die einzige Partei, die in ihrem Regierungsprogramm ein Kindergartenpflichtjahr als so genanntes Schulvorbereitungsjahr fordert. In ihrem Deutschlandprogramm heißt es: "Im vierten Lebensjahr müssen Kinder verpflichtend auf ihren sprachlichen Entwicklungsstand geprüft werden. Kinder mit Schwächen sollten dann intensiv und – im Vorgriff auf die Schulpflicht – verbindlich gefördert werden, zum Beispiel im Rahmen der Start-Klasse. Ab dem fünften Lebensjahr wollen wir eine verbindliche Schulvorbereitung, in der Begabungen gefördert und Schwächen systematisch behoben werden."

    Die FPD hat für ein solches Kindergartenpflichtjahr das Modell "Kinderschule" entwickelt. Mario Döweling von der hessischen FDP schreibt dazu: "Aber das Lernen fängt ja nicht bei der Schule an. Die FDP hat das Modell der 'Kinderschule' entwickelt. Das bedeutet, es gibt ein verpflichtendes Vorschuljahr für alle Kinder, bei dem sie fachlich, aber auch sozial auf einen Stand gebracht werden." Die FDP hatte dementsprechend vehement eine verpflichtende Vorschule für alle Fünfjährigen in Hessen gefordert, konnte sich aber gegenüber der hessischen CDU nicht durchsetzen. Stattdessen haben die beiden Koalitionspartner CDU und FDP für Hessen vielmehr vereinbart, das letzte Jahr im Kindergarten zu einem Schulvorbereitungsjahr auszugestalten, um die Startchancen aller Kinder zu Beginn der Grundschule zu verbessern, es jedoch nicht verpflichtend zu machen.

    In Gegensatz zur FDP wird im Regierungsprogramm der CDU/CSU keine Forderung nach einem Kindergartenpflichtjahr erhoben. Die Vorstellung der CDU im Grundsatzprogramm 2007 konnte sich im gemeinsamen Regierungsprogramm von CDU/CSU nicht durchsetzen. Die beiden Schwesterparteien haben sich lediglich darauf verständigt, dass die Integrationskraft von Kindergärten und Schulen verstärkt werden soll. Sie streben deshalb eine frühe Förderung von Kindern an, die insbesondere auch Zuwandererfamilien helfe. Von einer Kindergartenbesuchspflicht ist jedoch nicht die Rede.

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    Die Zielsetzung, Kindergärten und Schule als Stätte der Integration zu sehen, wird verständlich, wenn die große Zahl von Kindern mit Migrationshintergrund bedacht wird. In Großraumstädten wie Nürnberg, Frankfurt, Stuttgart oder Düsseldorf liegt der Anteil von jüngeren Kindern mit Migrationshintergrund bereits über 60 Prozent (Grafik links).

    Ähnliche Vorstellungen wie CDU/CSU hat die SPD. Die SPD sieht in der Integration eine zentrale Aufgabe und kündigt den Ausbau und eine besondere Förderung von Kindern in Kindergärten an. Sie wolle damit vor allem Chancengleichheit in Schule und Beruf ermöglichen, schreibt sie in ihrem Wahlprogramm.

    Die Grünen sprechen sich ebenfalls nicht für eine direkte Kindergartenbesuchspflicht aus. Sie setzen sich jedoch massiv für die frühkindliche, außerfamiliäre Förderung und Betreuung der Untersechsjährigen ein. Im Entwurf ihres Wahlprogrammes stellten die Grünen fest: "Wir können es uns nicht leisten, auf viele Mütter und auch Väter im Berufsleben zu verzichten, bloß weil es nicht ausreichend Plätze in Kitas und Kindergärten gibt. ... Außerdem darf das ab 2013 geplante Betreuungsgeld nicht eingeführt werden. Denn damit werden gerade die Kinder, die die Förderung und Unterstützung dringend bräuchten, von Kitas und Kindergärten ferngehalten, weil die Eltern für's zu-Hause-Betreuen Geld bekommen."

    Auch DIE LINKE spricht nicht von einer Kindergartenbesuchspflicht. DIE LINKE spricht allerdings von einer emanzipatorischen Familienpolitik und setzt sich für den flächendeckenden Ausbau der Ganztagesbetreuung für die Betreuung von Kindern ab dem ersten Lebensjahr ein. Sie will darüber hinaus auch ein Kinderrecht auf Bildung in das Grundgesetz aufnehmen. Ihre Vorstellungen über Förderung und Betreuung von Kindern dürften somit den Vorstellungen der Grünen sehr nahe kommen. In ihrem Wahlprogramm schreibt sie: "Insbesondere die Rechte der Kinder auf volle Entfaltung ihrer Persönlichkeit müssen ausgebaut werden." DIE LINKE lässt jedoch unklar, welche konkreten Forderungen, Ziele und Verpflichtungen sie mit solchen "Kinderrechten" möglicherweise verbindet.

    Insgesamt erheben die derzeit im Bundestag vertretenen Parteien - abgesehen von der FDP - in ihren Regierungs- bzw. Wahlprogrammen also keine Forderungen nach der Einführung einer Kindergartenbesuchspflicht oder einer verpflichtenden Teilnahme an einem Schulvorbereitungsjahr. Auf der Grundlage der Wahl- und Regierungsprogramme ist die Wahrscheinlichkeit für die Einführung einer Kindergartenbesuchspflicht deshalb trotz aller Integrationsprobleme und Fragen der Chancengerechtikeit eher als niedrig einzustufen. Sollte es zu einer rot-schwarzen Wiederauflage einer Großen Koalition kommen, besteht kein Anlaß, die Einführung einer Kindergartenpflicht anzunehmen. Denn keine der beiden Parteien hat dies in ihrem Wahlprogramm stehen oder für die nächste Legislaturperiode angekündigt. Falls es zu einer schwarz-gelben Koalition kommt, stellt sich höchstens die Frage, ob sich die FDP mit ihren Vorstellungen über ein verpflichtendes Schulvorbereitungsjahr durchsetzen will und kann. Gemessen an den Erfahrungen in Hessen dürfte auch dies eher unwahrscheinlich sein. Diese Einschätzung wird letztlich auch durch die Vielzahl der Antworten von Bundespolitikern bestätigt, die der Initiative der "Zivilen Koalition" bescheinigt haben, dass sie eine Kindergartenpflicht nicht befürworten.

    Mit der Frage eines verpflichtenden oder wahlfreien Kindergartenbesuches gewinnt auch die Schaffung echter Wahlfreiheit bei der Kinderbetreuung durch die Einführung eines Betreuungsgeldes wichtige Bedeutung. Ausgenommen von CDU/CSU verengen die übrigen Parteien ihre Politik zur Betreuung und Förderung von Kindern in den frühen Lebensjahren auf außerfamiliäre Einrichtungen. FDP, SPD und DIE LINKE - und besonders massiv die Grünen - lehnen die Einführung eines Betreuungsgeldes ab. Lediglich im Regierungsprogramm von CDU/CSU wird eine finanzielle Unterstützung der Familien angekündigt, die ihre Kinder innerhalb der Familie fördern und betreuen wollen. Mit Spannung kann deshalb die Antwort auf die Frage erwartet werden, ob sich die Union in einer Koalition mit der SPD oder der FDP mit ihren Vorstellungen zur Einführung eines Betreuungsgeldes wird durchsetzen können. Diese Frage stellt sich allerdings erst in einigen Jahren, denn ein Betreuungsgeld soll erst nach Abschluß des Ausbaus der Kinderbetreuung in 2013 eingeführt werden. In nächster Zeit ist also weder ein Betreuungsgeld noch eine Kindergartenpflicht in Sichtweite. Jenseits von Schulvorbereitungsjahren, besserer Integration und größerer Chancengerechtigkeit der Kinder wird sich aber gerade an dieser Frage zeigen, ob es den Parteien wirklich ernst ist, für Familien bei der Kinderbetreuung Wahlfreiheit zu schaffen und wer bereit ist auch diejenigen Familien zu unterstützen, die ihre Kinder in den ersten Lebensjahren innerhalb der Familie betreuen wollen. Derzeit kann dies nur von der CDU/CSU erwartet werden.

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