30.10.12
Die Lukas-Schule im Perspektivwechsel in der Süddeutschen Zeitung
Auf Luther zurückgehende Vielfalt und Freiheit statt Uniformität und fundamentalistischer Ausrichtung
(MEDRUM) Seit dem 19. Oktober vergehen kaum zwei oder drei Tage, an dem die Süddeutsche Zeitung nicht über die Lukas-Schule schreibt. Neuestes Produkt: Der Artikel: "Evangelische Freikirchen - Wenn Moralvorstellungen zum Problem werden" (Ausgabe vom 28. Oktober). Als leibhaftiges Beispiel wird die Lukas-Schule angeführt.
Franziska Brüning: Schwierige Definition, wer evangelische Kirche ist
Im Artikel "Freikirchen" von Franziska Brüning in der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 28.10.12 heißt es einleitend: "Kein Sex vor der Ehe, Homophobie oder der Glaube an den Teufel: Hinter diesen vermeintlichen Moralvorstellungen, die auch an der Münchner Lukasschule für Ärger sorgen, steckt eine Vielzahl protestantischer Freikirchen." Weiter schreibt Baier, bei den Protestanten sei es schwieriger als in der Katholischen Kirche zu definieren, wer alles zur evangelischen Kirche gehöre. Dies werde am Beispiel der privaten evangelischen Lukasschule in Laim deutlich, die in die Schlagzeilen geraten sei, weil Lehrer ihren Schülern mit dem Teufel gedroht haben sollen, so die Autorin. Die Lukas-Schule wird also als Demonstrationsobjekt für den Leitgedanken des Artikels benutzt, dass Moral zum Problem werden kann. Was meint die Autorin damit? Bestätigt sie das Bild über die Lukas-Schule, das bisher in der SZ vermittelt wurde, oder öffnet sie eine neue Perspektive, aus der sie die Lukas-Schule betrachtet?
Der Fundamentalismus-Vorwurf von Tina Baier
Am 19. Oktober veröffentlicht die SZ einen Artikel von Tina Baier über "Methoden einer evangelischen Privatschule". Die Autorin sagt der Lukas-Schule eine fundamentalistische Ausrichtung nach. Als Hauptbelege dienen die Äußerungen zweier Elternteile, die anonoym bleiben, und eine Äußerung eines Dekanatsmitarbeiters der evangelischen Kirche in München.
Laut Darstellung in der SZ soll in einem Fall eine Lehrerin einem Schüler namens Manuel mit dem Teufel gedroht haben. Auch musste Manuel angeblich nachsitzen, weil er zuhause keine Bibel gehabt haben soll. Zudem habe, so die Mutter laut SZ, eine Lehrerin gegenüber ihrem Sohn die Auffassung vertreten, Gott habe den Menschen direkt auf die Erde gesetzt. Evolution habe nie stattgefunden. Die SZ stellt schließlich dar, dass die anschließende Beschwerde der Mutter bei der Schulleitung, der die Lehrerin widersprochen habe, am Ende dazu geführt habe, das der Schüler von der Schule geflogen sei.
Ohne hierbei darzustellen, was die Schule zu diesem Fall sagt, fährt die Autorin fort: "Was Manuel von seiner Lehrerin erzählt, ist typisch für amerikanische ¸Kreationisten’, christliche Fundamentalisten, die sich strikt an der Bibel orientieren und diese teils wörtlich nehmen."
Nach dieser Fallschilderung fragt Baier: "Christlicher Fundamentalismus an einer etablierten evangelischen Schule mitten in München?" Und gibt als Antwort: "Bei der evangelischen Kirche ist bekannt, dass die Lukas-Schule dem fundamentalistischen Spektrum innerhalb der Kirche angehört." Als Beleg führt sie die Äußerung von Rudi Forstmeier an, Mitarbeiter der Beratungsstelle "Neue religiöse Bewegungen" des evangelischen Dekanats München. Er wisse, dass es an der Lukas-Schule "sehr wortgläubige" Lehrer gebe, stellt Tina Baier fest. Dass es nicht schlüssig ist, daraus eine Aussage über die pädagogische und religiöse Ausrichtung der Lukas-Schule zu treffen und zu behaupten, die Schule gehöre dem fundamentalistischen Spektrum an, interessiert Tina Bauer offenkundig nicht. Das Urteil über die Lukas-Schule präsentiert sie wie in Stein gemeißelt.
Eine vermeintlich fundamentalistische Ausrichtung scheint sich aus Sicht von Tina Baier durch einen zweiten Fall bestätigen zu lassen. Geschildert wird von Baier, eine Mutter habe beklagt, dass ihre Tochter Alpträume bekommen habe, in denen der Teufel vorgekommen sei. Der Teufel sei, nach Darstellung der Mutter, eine ständige Bedrohung für viele Kinder gewesen.
Auch bei der zweiten Fallschilderung präsentiert Baier nicht, was die Schule dazu sagt. Stattdessen schreibt sie am Ende des Artikels, Ingo Resch, Vorstandsmitglied der Schule, der offenbar gegenüber Baier geäußert hat, er sei gegen Gesinnungsterror, der eine kritische Evolutionsforschung verhindere, und das Propagieren von Homosexualität sei unbiblisch, da Gott den Menschen als Mann und Frau geschaffen habe, vertrete extreme Ansichten und scheine dort nicht der einzige zu sein (Wo finden sich extreme Ansichten - im Schöpfungswerk oder in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung?). Tina Baiers Verdacht fällt damit auf eine ungenannte Zahl weiterer Personen. Dem "Extremismusurteil" hängt sie am Ende ihres Artikels noch das Etikett "rechts" um den Hals, indem sie feststellt, Jörg Birnbacher, der das Gymnasium der Lukas-Schule leite, sei gleichzeitig Vorsitzender des Vereins "Die Wende", einer christlich "rechten politischen Gruppe". Deren Ziel sei die "geistig-kulturelle Erneuerung Deutschlands aus seinen christlichen Wurzeln".
Mit Tina Baiers Perspektive ist nicht nur die Verdächtigung, sondern auch Verurteilung der Lukas-Schule mit hoher Suggestivkraft perfekt: Der Schulalltag wird von Teufelsgeschichten geprägt, dort wird die Evolution geleugnet, es werden extreme Ansichten vertreten, es herrscht ein christlicher Fundamentalismus und dieser ist auch noch rechts geprägt. Und zu alledem wird dem oder den "Angeklagten" kein wirkliches Gehör geschenkt. Ob es sich bei den erhobenen Vorwürfen um Einzelfälle handelt, die untypisch sind, oder um charakteristische Fälle, die für das Ganze stehen, spielt bei Tina Baier offenbar keine Rolle, ist aber für ein zutreffendes Urteil von entscheidender Bedeutung. Genau diese Unterscheidung wäre wichtig gewesen. Angemerkt sei nebenbei: Ganz neu ist eine solche Verfahrensweise nicht. Vor allem evangelikal orientierten Protestanten ist ein solches Schicksal in einigen Medien - beispielsweise im SPIEGEL - gelegentlich zuteil geworden. Selbst die Bundeszentrale für politische Bildung beteiligte sich schon an der Verbreitung stigmatisierender Fehlurteile über evangelikale Protestanten (MEDRUM berichtete wiederholt dazu, u.a. Der "Spiegel" zu Christival, Religiosität und Bewegung der Evangelikalen in Deutschland und Anti-christliche und anti-religiöse Propaganda für Schüler).
Widerspruch zu Baiers Artikel
Doch in den nachfolgenden Tagen wird zunehmend klarer, dass der Vorwurf, die Lukas-Schule sei fundamentalistisch ausgerichtet, auf tönernen Füßen steht. In einer Stellungnahme der Schule, die kurz nach dem Erscheinen des Artikels von der Schule herausgegeben wird, weist die Schule weit von sich, mit der Methode einer angeblichen Teufelsbedrohung zu arbeiten und unter den Schülern Angst zu verbreiten. Deutlicher kann sie sich kaum von angsteinflößenden Methoden distanzieren. Auch große Teile der Elternschaft weisen dies und die Darstellung in der SZ zurück, insbesondere bei einem außerordentlichen Elternabend, über den das Bayerische Fernsehen berichtete. Der Sender fragte: "Drohungen mit dem Teufel, Homosexualität als Sünde, Verleugnung der Evolutionslehre - sind das wirklich Unterrichtsinhalte an der evangelischen Lukas-Schule in München? Was ist dran an den anonymen Vorwürfen?" Die Reaktionen darauf: Sie seien eine ganz normale christliche Schule. Eine angebliche Bedrohung ihrer Kinder durch den Teufel, finde nicht statt, so der Tenor der Antworten. Angst hätten die Schüler jetzt vielmehr um ihre Schule. Und sie seien in der Öffentlichkeit Beschimpfungen ausgesetzt ("rassistische Schule", "Nazi-Schule", MEDRUM berichtete Schüler der Lukas-Schule in der Öffentlichkeit infolge umstrittener Information beschimpft). Die Kinder seien wütend über den Zeitungsbeitrag und fühlten sich in ihrer Würde verletzt, schildert eine Lehrerin im Sendebeitrag des Bayerischen Fernsehens Schüler der Lukas-Schule über Zeitungsartikel sehr empört).
Perspektivwechsel von Franziska Brüning
Die Geschehnisse und Reaktionen nach dem Erscheinen des Artikels von Tina Baier legten es nahe, ihre Darstellung zu korrigieren, zumindest dahingehend zu relativieren, dass sich der Eindruck einer fundamentalistischen Ausrichtung, wie er von ihr vermittelt wurde, nicht bestätigt hat. Doch das geschieht zunächst nicht. Zwar hatte die Süddeutsche in den Folgetagen darüber berichtet, dass die Schule Einwände gegen die Vorwürfe in der SZ erhoben hat und dabei einige genannt, ließ aber das Urteil von Tina Baier im Kern unangetastet.
Erst der jetzt erschienene Artikel von Franziska Brüning gibt zu erkennen, dass Tina Baiers starke Behauptungen fragwürdig sind. Zwar stellt Brüning zunächst fest, die Lukas-Schule sei in die Schlagzeilen geraten, weil Lehrer den Schülern mit dem Teufel gedroht hätten (ohne zu sagen, dass es die eigene Zeitung war, die diese Schule mit Vorwürfen überzogen hat), macht sich dann aber den Vorwurf, die Schule sei fundamentalistisch ausgerichtet, immerhin nicht selbst zu eigen. Brüning meint vielmehr, an der Lukasschule sei, wie bei den Freikirchen, die dementsprechende Bandbreite evangelischer Glaubensausrichtungen groß. Von einer fundamentalistischen Ausrichtung der Lukas-Schule ist somit im Artikel von Franziska Brüning keine Rede mehr. Im Gegensatz zu Tina Baier präsentiert sie eine differenzierte Aussage. Es sei, die auf das Kirchenverständnis von Luther zurückgehende Vielfalt und die ihr innewohnende Freiheit des Bibelverständnisses, die mitunter problematisch sei, klärt sie auf. Dies könne man auch an der Lukas-Schule sehen.
Lukas-Schule wie evangelische Kirchen: Mit Spannungen leben?
Wer genau hinsieht, entdeckt, dass Brünings Analyse mit dem übereinstimmt, was die Schule bereits in ihrer Stellungnahme zum Artikel von Tina Baier sagte, nämlich dass bei mehr als 50 Lehrkräften unterschiedliche Intensitäten des Glaubens und eine Vielfalt in der Glaubensausprägung bestehen, wie dies eben, um mit den Worten von Brüning zu sprechen, in den evangelischen Kirchen der Fall ist. Die Schule dazu weiter: "Dies ist auch gut so, denn hier arbeiten Menschen zusammen, die aus verschiedenen Glaubensbekenntnissen stammen, überwiegend aus dem evangelischen Bereich, aber auch aus der katholischen oder griechisch orthodoxen Kirche stammen." Sie müssen konstruktiv zusammenarbeiten und dürfen nicht für eine bestimmte Glaubensrichtung oder Bekenntnis werben, so die Lukas-Schule.
Es ist keine bahnbrechend neue Erkenntnis, sondern fast pure Selbstverständlichkeit, dass diese Vielfalt nicht immer einfach ist, wie auch Brüning feststellt, wenn sie sagt, diese Freiheit sei nicht immer unproblematisch. Dafür kann man, muss man aber nicht die Lukas-Schule als Beispiel bemühen. Die Evangelische Kirche in Deutschland und ihre Landeskirchen selbst legen eine beredtes Zeugnis davon ab, dass mit Vielfalt und Freiheit nicht immer einfach umzugehen ist und Moralvorstellungen für sie selbst ein Problem sind. Nicht zuletzt die Debatte um die umstrittene Öffnung des Pfarramts für homosexuelle Partnerschaften in den verschiedenen Landeskirchen sowie die vielfach kritisierte Entlassung des Jugendevangelisten Lutz Scheufler in der Landeskirche Sachsens haben dies nachdrücklich unterstrichen (Kündigung von Lutz Scheufler: Konflikt um geistlichen Leitungsanspruch und Bekenntnistreue). Die Lukas-Schule macht also mit ihrer Bandbreite keine Ausnahme, sondern repräsentiert eher das, was für die evangelischen Kirchen charakteristisch ist. Vielleicht ist die EKD-Schrift "Mit Spannungen leben" eine Orientierungshilfe für alle Beteiligten, wie damit umgegangen werden kann.