28.05.09
Dialog und Begegnung statt Fundamentalismus und Diskriminierung
Offener Brief des Erziehungswissenschaftlers Albert Wunsch an die Gegner des Marburger Kongresses
Neuss, 28.05.08 (MEDRUM) Albert Wunsch appelliert in einem Offenen Brief an die Gegner des Marburger Kongresses und Volker Beck, in eine sachliche Diskussion über Homosexualität einzutreten und Meinungsunterschiede fair auszutragen, statt einen populistischen Kampf zu inszenieren.
Der Kongreß "Psychotherapie und Seelsorge" vom 20. bis 24. Mai 2009 in Marburg erregte scharfen Protest bei Lesben- und Schwulenorganisationen. Fragen zur homosexuellen Orientierung und ihrer Veränderbarkeit nahm das Marburger Aktionsbündnis "Kein Raum für Sexismus, Homophobie und religiösen Fundamentalismus" zum Anlaß, seien Protest gegen den Kongreß am 21. Mai auf die Straße zu tragen. Zwar kam es nicht - wie beim Jugendkongreß Christival 2008 - zu gewaltsamen Ausschreitungen, aber auch in Marburg fehlte es bei den Kongreß-Gegnern an Bereitschaft zum Dialog und fairen Umgang mit Andersdenkenden.
Die Marburger Protestakteure gaben eine fundamentalistische Feindseligkeit gegen den christlichen Glauben zu erkennen, mit der die religiösen Gefühle bewußt verletzt und Christen diskriminiert werden sollten. Zahlreiche Äußerungen während der Protestaktion am 21. Mai waren geeignet, das friedliche Zusammenleben der Bürger zu stören (das Strafgesetzbuch stellt unter anderem Handlungen unter Strafe, die geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören und "die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet").
Der Erziehungswissenschaftler Albert Wunsch (Neuss) kritisiert die feindselige Protesthaltung, die in Marburg zu Tage trat. Sie ist für ihn der Versuch, einen populistisch inszentierten Kampf zu führen. Stattdessen ruft er in einem Rückblick auf den Marburger Kongreß und auf die Position Volker Becks zu sachlicher Diskussion und fairem Umgang auf. An den Bundestagsabgeordneten von Bündnis 90 / Die Grünen Volker Beck appelliert Wunsch, am Dialog teilzunehmen und eine positive Vorbildfunktion zu erfüllen.
Abdruck des Offenen Briefes
Dr. Albert Wunsch Neuss, den 28. Mai 2009
Offener Brief
An die Mitglieder des Aktions-Bündnis und alle anderen Menschen, welche sich "gegen den Kongress für
Psychotherapie und Seelsorge in Marburg" engagiert haben!
Rückblick auf den Marburger Protest und die Position von Volker Beck
Sehr geehrte Akteure,
es ist immer wieder gut festzustellen, wenn sich Menschen in einer pluralen Gesellschaft zu Wort melden, eigene Positionen verdeutlichen, auf kritische Entwicklungen hinweisen oder gezielt Unrecht oder Verwerfliches anprangern. Dies ist sowohl durch die Demonstration in Marburg am 21. Mai 2009 wie durch Erklärungen von Volker Beck geschehen. Besonders wenn dies Menschen und Gruppen tun, welche ein Mandat vertreten oder sich dabei auf die Verteidigung der Menschenrechte beziehen, ist es aber unabdingbar, sich äußert sorgfältig in die jeweilig aufgegriffene Materie hineinzuarbeiten. Wird dies nicht berücksichtigt, ob aus zeitlichen, ideologischen oder intellektuellen Gründen, werden diese Akteure einerseits ihre jeweilige Funktion missbrauchen und andererseits gleichzeitig die Rechte Anderer auf ihre freie Meinungsäußerung massiv verletzen. Aber keiner in einer Gesellschaft zu diskutierenden Frage ist damit gedient, wenn Menschenrechts-Vertreter innerhalb ihrer Aktionen gleichzeitig zu Menschenrechts-Verletzern werden. Leider ist dies in Marburg geschehen. Aussprüche wie „Wir sind hier, um eure religiösen Gefühle zu verletzen", verstärken Vorurteile, schaffen Feindseligkeit und vertiefen Gräben zwischen unterschiedlich empfindenden und denkenden Menschen, die schnell unüberwindbare Hürden für einen sachlichen Dialog und fairen Umgang werden können. Und dies aus populistischen Gründen hin zu nehmen, wäre wirklich inakzeptabel.
Da unterschiedliche Standpunkte nie durch Lautstärke, Drohgebärden, Machtattacken und Verächtlichmachung zu klären sind, dies ist jedenfalls ein anerkannter Stand der Konfliktforschung, ist die Berücksichtigung dieses Grundsatzes erst recht bei wichtigen ethischen oder politischen Fragen zu berücksichtigen. Und ob Homosexualität als krankhaft oder normal, sittenwidrig oder sittenförderlich, als gegen die Natur oder als Ausdruck der menschlichen Natur zu betrachten ist, wird nicht nur für die Betroffenen, sondern für alle Menschen eines Gesellschafts-Systems von Bedeutung sein.
Einen Aufruf, „Kein Raum für Sexismus, Homophobie und religiösen Fundamentalismus" können mit großer Wahrscheinlichkeit viele sehende und denkende Menschen unterschreiben Werden jedoch im konkreten Fall die Argumente und Begründungen für diesen Aufruf zur Kenntnis genommen, weist vieles darauf hin, dass die Recherche mangelhaft und stattdessen der eigene Argumentations-Stil äußerst fundamentalistisch ist. Was soll auf diese Weise bewirkt werden?
Dass es Menschen gibt, die mit ihrem eigenen Sein nicht so recht klar kommen, ist eine Alltagsweisheit. Dass es Frauen und Männer gibt, die mit ihrer eigenen Geschlechtsrolle hadern, ist vielleicht nicht so bekannt. Und dass es auch Menschen gibt, welche in unterschiedlichstem Lebensalter bei sich eine homosexuelle Disposition feststellen, wissen auf jeden Fall viele Therapeuten. Wird nicht von vornherein vom Berater festgelegt, was das Ergebnis des anstehenden Klärungs- und Stabilisierungsprozessen sein soll, wird also auszuloten sein, wie ER oder SIE mit welchen Konsequenzen weiter leben möchte.
So kam nach einem größeren Zeitungsinterview zum Thema ‚Paar-Beratung' ein Mann zu mir und suchte Hilfe, wie er sich nun verhalten sollte, da er nach 15 Jahren Ehe und zwei Kindern immer häufiger Kontakt zu Schwulen suchen würde. In seinem Kopf würden ständig die Fragen rotierten: ‚Wer bin ich, was will ich wirklich, ist dies nur eine vorübergehende Tendenz, ich habe mich doch viele Jahre in meiner Ehe glücklich gefühlt, was ist passiert, was soll ich machen? Vor hundert Jahren hätten sicher noch viele Therapeuten dem Klienten verdeutlicht, dass er diese ‚krankhafte Neigung' klar und rigoros bekämpfen müsse. Aber soll denn heute ein Therapeut vom Grundsatz der Ergebnis-Offenheit abweichen, nur weil einige in sich selbst verfangene Denk-Verfestigte dies lautstark mit Homophobie, d.h. einer gegen Lesben und Schwule gerichtete Aversion bzw. Feindseligkeit gleichsetzen? Und wenn der Handelnde ein Christ sein sollte, würde zur Unterstreichung zusätzlich die Fundamentalisten-Keule geschwungen.
Es gibt schon genug Rufmord in unserer Gesellschaft. Dieser Tatbestand wird auch nicht durch das Proklamieren vermeintlich hehrer Ziele aus der Welt geschaffen. Wenn es den Menschen des Aktionsbündnisses „gegen den Kongress für Psychotherapie und Seelsorge in Marburg" wirklich um die Klärung wichtiger Inhalte geht, werden Sie diese Zeilen zum Anlass nehmen, nicht mit fundamentalistischen Agitationen, sondern statt dessen mit guten Argumentationen und dialogbereit in einen Diskurs einsteigen. Niemand sollte, ohne sich selbst einen eigenen Primär-Eindruck verschafft zu haben, lautstark auf Propaganda-Züge aufspringen, wo man meist noch nicht einmal die persönliche Zielsetzung des Lockführers kennt. Und oft ist es wie bei einem guten Roman oder TV-Krimi: Auch wenn Vieles vorher so schlüssig war, dann wurde es durch einige Details am Ende doch überraschend ganz anders. Übrigens habe ich dies persönlich genauso erlebt, als ich eine eigene Position innerhalb einer bundesweiten Rufmord-Kampagne gegen einen Weiterbildungsträger eingenommen habe.
Eine persönliche Abschluss-Anmerkung: In dem Umfang, in welchem dieser und andere Versachlichungsversuche wirkungslos bleiben sollten, wird gleichzeitig deutlich, dass es nicht um ein faires Engagement gegen die Ausgrenzung von homosexuellen Menschen geht, sondern um einen populistisch inszenierten Kampf gegen eine Gruppe von Menschen ging oder geht. Dem Menschenrechtssprecher der Grünen, Volker Beck sollte dies ein besonderer Anlass der Überprüfung seiner bisherigen Aktivitäten sein, weil auch die Meinungsfreiheit anders denken zu gewährleisten ist und Politiker ja immer auch eine positive Vorbildsfunktion zu erfüllen haben. Die Gefahr ist für alle Beteiligte zu groß, sich von diffusen, aber mit viel Macht-Gerassel durchgedrückten Anti-Akteuren instrumentalisieren zu lassen oder andere zu instrumentalisieren.
In diesem Sinne ist es zu begrüßen, wenn es nun nach dem Kongress zu einer fundierten Diskussion über „(Homo-)Sexualität" kommen würde, wie es Volker Beck der APS und dem LSVD vorgeschlagen hat. An diesem Tisch sollte dann neben dem Marburger Aktionsbündnis und den kritisierten Referenten auch Volker Beck Platz nehmen. Das Motto sollte sein: „Kein Raum für Diskriminierung und Fundamentalismus, sondern Raum für Dialog und Begegnung."
Für einen sachlich-fachlichen und fairen Umgang,
Albert Wunsch
Albert Wunsch ist Diplom-Sozialpädagoge, Diplom-Pädagoge, Psychologe und promovierter Erziehungswissenschaftler. Über viele Jahre leitete er das Katholische Jugendamt in Neuss. Seit 2004 ist er an der Katholischen Hochschule NRW in Köln tätig. Außerdem hat er Lehraufträge an der Philosophischen Fakultät der Uni-Düsseldorf. und an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar.
Wunsch ist Autor der Erfolgsbücher: "Die Verwöhnungsfalle" (mittlerweile auch in Korea und China erschienen) und "Abschied von der Spaßpädagogik" sowie zahlreicher Fach-Publikationen.
Im Gespräch mit MEDRUM zu seinem Offenen Brief äußerte der Katholik Wunsch, der zu den Erstunterzeichnern der Erklärung "Für Freiheit und Selbstbestimmung" gehört, seine Verwunderung darüber, dass die Katholische Nachrichtenagentur KNA nicht über den Marburger Kongreß und die Initiative "Für Freiheit und Selbstbestimmung" berichtet habe. Wunsch hatte deswegen sowohl die KNA-Stelle in Bonn wie in Wiesbaden kontaktiert, jedoch keine plausible Erklärung erhalten. Auch MEDRUM konnte ihm keine plausible Erklärung dafür geben. Die Pressemeldung der Initiative wurde insbesondere an die KNA-Stelle Bonn gesandt. Eine Anfrage von MEDRUM zur Berichterstattung ließ die KNA jedoch unbeantwortet. Sie blieb ebenso unbeantwortet wie ein Brief, den Albert Wunsch an Volker Beck sandte.
MEDRUM-Artikel -> Stimmen und Reaktionen von Christen über das Geschehen um den Marburger Kongreß