06.02.21
Erwartungsmanagement und Corona-Politik
Ein glossenhafter Zwischenruf von Kurt J. Heinz
(MEDRUM) Im Diskurs über die Corona-Pandemie taucht immer wieder ein Begriff in der politischen Debatte auf, der sich auch zum Wort oder Unwort des Jahres eignet: Erwartungsmanagement.
Haltungen der Bürger an die Politik anpassen?
"Im Nachhinein hätten wir noch mehr und klarer Erwartungsmanagement machen müssen", meinte Jens Spahn vor dem am 1. Februar geplanten Impfgipfel der Bundesregierung, als er über die Lieferung von Impfstoffen sprach. Laut Ärzteblatt meinte zuvor beispielsweise Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), mit den bekannt gegebenen gesicherten Liefermengen der Impfstoffe von BioNTech und Moderna könne man bis März die Impfung von etwa sechs Millionen Menschen ermöglichen (Anmerkung Redaktion: bis Anfang Februar waren in Dtld. laut Statista ca. 3,1 Mio Impfdosen verfügbar, siehe Grafik links). Allein der Priorisierungstufe 1 würden aber circa 8,6 Millionen angehören – insofern gelte es, die „Erwartungshaltung“ richtig zu managen. Auch Lars Klingbeil, Robert Habeck und Markus Söder verwendeten den Begriff "Erwartungsmanagement" bei ihren Äußerungen über die als zu gering kritisierten Liefermengen von Impfstoff. Sie alle verwenden die Vokabel in dem Sinne, die Haltungen der Bürger so zu "managen", dass sie die zur Politik passenden Erwartungen haben. Ist das gemeint, wenn so oft davon gesprochen wird, man müsse die Bürger mitnehmen?
WDR: Erwartungsmanagement Deluxe: Merkel weckt "völlig falsche Erwartung"
Der Radiosender WDR5 nahm in seiner Satire-Sendung "Erwartungsmanagement deLuxe" Anfang Februar das Erwartungsmanagement in der Politik auf die Schippe. Hans Zippert witzelte dazu: "Die Regierung hat auf der ganzen Linie versagt, und zwar nicht bei Pandemiebekämpfung oder Impfstoffbeschaffung, sondern beim Erwartungsmanagement. Das hat der Kanzler der Herzen, Robert Habeck, soeben herausgefunden. Auch Lars Klingbeil, der Lars Klingbeil der Herzen, verlangte vom Gesundheitsminister an seinem Erwartungsmanagement zu arbeiten. Für viele Menschen kommt es vielleicht überraschend, dass man Erwartungen managen kann. Die sollten dann unbedingt an ihrem Überraschungsmanagement arbeiten, es lässt sich nämlich so gut wie alles managen ... Wer glaubt, was Jens Spahn verspricht, der hat ein gestörtes Spahn-Management. ... Aber, wie sollte ein gutes Erwartungsmanagement aussehen? Zunächst muss man sich genau überlegen, wann man bei wem welche und wie viele Erwartungen weckt. Angela Merkel legendäres Gedicht «Wir schaffen das!» war schon sehr bedenkliches Erwartungsmanagment. Besser wäre es gewesen, Flüchtlinge aufzunehmen und dann zu erklären: «Wir schaffen das bestimmt nicht!» So eine Aussage weckt praktische keine Erwartung, die deshalb dann nicht enttäuscht werden können und am Ende sind dann alle begeistert, dass man es dann doch halbwegs irgendwie geschafft hat. Vollkommen fahrlässig ist es hingegen, jedem ein Impfangebot bis September zu versprechen. ... Hätte Merkel dagegen vom September 2024 gesprochen, wären die Bürger positiv überrascht worden, wenn sie schon 2022 geimpft worden wären. ... Mit vollmundigen Ankündigungen, sollte man also vorsichtig sein. ... Es sei denn, man ist Gott ... als Gott die Menschheit ertränken wollte, dann tat er es auch. Gott war eben ein Meister des Erwartungsmanagements im Gegensatz zu Angela Merkel. Wenn sie erklärt, es sei im Großen und Ganzen nichts schief gelaufen, dann weckt sie in uns die völlig falsche Erwartung, die Kanzlerin werde sich zeitnah in psychiatrische Behandlung begeben."
Klarheit schaffen oder im Unklaren lassen?
Vielleicht ist es am Ende dann doch einfacher und für die Bürger zuträglicher, wenn sich die Politik in erster Linie darum müht, kompetente und bürgergerechte Leistungen zu liefern (selbstverständlich dabei auch auf unseriöse Versprechungen zu verzichten), als Erwartungshaltungen managen zu wollen. Friedrich Merz brachte sein Verständnis von Erwartungsmanagement letztes Jahr bei der Debatte über Staatsausgaben auf den Punkt: "Die Politik muss Erwartungsmanagement betreiben: Was geht, und was geht nicht? Denn alles, was von den öffentlichen Kassen jetzt ausgegeben wird, muss von nachfolgenden Generationen bezahlt werden.“ Diese Erwartung ist wohl schwer zu bestreiten, auch wenn Vizekanzler Olaf Scholz im März letzten Jahres in einem Interview mit der ZEIT sagte: "Wenn jetzt irgendwo Geld fehlt, dann stellen wir dieses Geld bereit. Wer genau die Rechnung bezahlt, das entscheiden wir dann hinterher." Hinterher könnte also aus heutiger Sicht heißen, nach der Bundestagswahl 2021, nicht vorher. Vorher aber soll der Impfstoff kommen, das hat die Bundeskanzlerin versprochen. Es bleibt also spannend, mindestens bis zum Wahltag.
Zum Beitrag des WDR5: → Erwartungsmanagement Deluxe