26.01.21
Coronatote im Ländervergleich und Kritik an Pandemiebekämpfung
Todeszahlen in Deutschland aktuell sogar höher als in den USA im Verhältnis zur Bevölkerung
(MEDRUM) Der Lockdown wird fortgesetzt. So haben es die Bundesregierung und Regierungen der Bundesländer zunächst am 5. Januar und danach fortsetzend am 19. Januar 2021 beschlossen - Lockdown bis mindestens bis zum 15. Februar. Doch ein Vergleich der Todesfallzahlen verschiedener Länder zeigt, dass es keinen einfachen Zusammenhang zwischen "Lockdowns" und Zahl der Todesfälle gibt. In Deutschland werden auch jetzt noch nahezu täglich etwa 1.000 Corona-Todesfällle gemeldet, obwohl das öffentliche und zu einem großen Teil auch das private Leben bereits seit Mitte Dezember lahmgelegt sind. Vor diesem Hintergrund gerät die Strategie der Bundesregierung zunehmend in die Kritik.
Nicht überall Lockdowns
Nicht nur Deutschland, auch viele andere Länder wie etwa Italien, Spanien oder Frankreich versuchen, die COVID-19-Pandemie durch "Lockdowns" unter Kontrolle zu bringen.
In Deutschland gehören zum Lockdown Maßnahmen wie das Schließen von Schulen und Kitas, das Verbot des Präsenzunterrichtes, das Schließen der gastronomischen Betriebe und Einzelhandelsgeschäfte ebenso wie das Verbot von öffentlichen Veranstaltungen, das Verbot privater Feiern, massive Einschränkungen sozialer Kontakte und Ausgangsbeschränkungen sowie der erheblich verschärfte Zwang zum Tragen von Atemschutzmasken und unverändert das Einhalten von Mindestabständen. Damit soll die Pandemie bekämpft werden.
Die Herangehensweise ist aber nicht in allen Ländern gleich, sondern zum Teil sogar recht unterschiedlich. So hat beispielsweise Spanien auf einen Lockdown vor Weihnachten verzichtet. Auch in Schweden gab es zum Jahreswechsel keinen Lockdown. Schweden verzichtet sogar seit Beginn der Pandemie auf Lockdowns. Die Menschen sind dort zwar gehalten, Hygieneregeln einzuhalten, führen im Übrigen aber ein weitgehend normales Leben. Ausgangssperren und Geschäftsschließungen gibt es nicht. Markus Lanz, der in Schweden für eine Reportage unterwegs war, stellte dazu in seiner Sendung kürzlich fest: "Ich habe selber an mir auch gemerkt, wie unendlich gut das tut, nach so langer Zeit, einfach wieder einmal ein bißchen Normalität zu haben."
Statt Neunfektionszahlen die Zahl der Toten pro Million Einwohner
Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, die Fallzahlen verschiedener Länder einmal gegenüberzustellen, wie in der links abgebildeten Tabelle geschehen. Die Tabelle listet allerdings nicht die Zahl der Neuinfektionen auf. Denn diese Größe erfasst das tatsächliche Krankheitsgeschehen und seine Folgen nur sehr unvollständig und ist von Parametern abhängig, die nur schwer erfassbar und vergleichbar sind (zum Beispiel von der Zahl und Art der Tests). Stattdessen wird die Zahl der Coronatoten im Verhältnis zur Einwohnerzahl des jeweiligen Landes dargestellt. Es erscheint auch deswegen sinnvoller diese Vergleichszahl zu betrachten, da es den Regierungen - wie sie selbst verlautbaren - im Kern darum geht, so viele Leben wie möglich zu retten, also Coronainfektionstote zu verhindern.
In Belgien und Italien mehr Tote als in Schweden und den USA
Wie die Zahlen der Coronatoten zeigen, lässt sich kaum der Schluß ziehen, dass generelle Lockdowns ein überzeugendes Mittel sind, um die Pandemie zielgenau unschädlich zu machen. So ist die Zahl der Coronatoten in Belgien, Italien, Spanien und Frankreich, in denen mehrfach harte Lockdowns durchgeführt wurden, beispielsweise größer als in Schweden, das bisher völlig auf Lockdowns verzichtet hat. Auch in den USA haben die Bundesstaaten weitgehend auf Lockdowns verzichtet. Dennoch ist die Zahl der in den USA zu verzeichnenden Todesfälle im Verhältnis betrachtet geringer als etwa in Belgien und Italien. Zwar steht Deutschland vordergründig betrachtet im reinen Zahlenverhältnis besser da als die zuvor genannten Länder, wird aber immerhin von Ländern wie Irland, Griechenland und Dänemark übertroffen und hat vor allem seit Oktober 2020 eine denkbar ungünstige Entwicklung zu verzeichnen. Alleine in den letzten beiden Monaten sind mehr als 30.000 Sterbefälle in Verbindung mit Corona zu beklagen, und dies trotz eines leistungsfähigen Gesundheitssystems einschließlich einer aufwändigen, flächendeckenden Gesundheitsverwaltung.
Nur ein Sechstel aller Infektionen können überhaupt zugeordnet werden
Die 'ZDF-Sendung "Berlin direkt" stellte am Sonntagabend zu den Todeszahlen in Deutschland fest: "Seit 3 Monaten Shutdown und trotzdem: die Todeszahlen aktuell höher als in den USA im Verhältnis zur Bevölkerung." ´Das eigentliche Problem ist die ältere Bevölkerungsgruppe. Über 90 Prozent der Covid-19-Toten sind älter als 70 Jahre. In einem Strategiepapier des Expertenrates der Landesregierung in NRW wird dazu festgestellt: "Es trifft also vor allem diejenigen, deretwegen der Bevölkerung große Einschränkungen auferlegt werden. Die allgemeine, präventive Strategie des Lockdowns hat den vulnerablen Gruppen – Menschen in Alten- und Pflegeheimen sowie grundsätzlich im höheren Alter – nicht ausreichend geholfen." Hinzu kommt, dass, wie das Robert-Koch-Institut feststellte, nur ein Sechstel aller Infektionen gegenwärtig überhaupt zugeordnet werden kann. Deshalb ist auch nicht wirklich klar, wo welche Kontakte eingeschränkt werden müssen, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Zu Kontakteinschränkungen sagt die Europäische Ethikratvorsitzende, Christiane Woopen: "Es geht ja darum, nicht überhaupt alle Kontakte zu vermeiden. Letztlich kann es doch nur darum gehen, diejenigen Kontakte zu vermeiden, die Infektionen weitergeben würden." Im erwähnten Strategiepapier wird dazu kritisch festgestellt: "Es ist erstaunlich und nicht hinnehmbar, dass über die Ansteckungsorte sowie die Dynamik des epidemiologischen Geschehens seit dem Lockdown im Frühjahr 2020 immer noch zu wenig bekannt ist. ... Eine stärker differenzierte Strategie setzt exakt jenes Wissen voraus – wie unvollständig es auch immer sein mag."
Inzidenz als pandemische Orientierungsmarke
Zunehmend umstritten als derzeitige pandemische Orientierungsmarke für Einschränkungsmaßnahmen ist ebenso die Inzidenz, die unter 50 liegen soll. Gemeint ist damit, dass im Verlauf einer Woche nicht mehr als durchschnittlich 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner auftreten sollen. Zweifelhaft ist, ob das Kriterium, die Inzidenz unter 50 zu halten, geeignet ist, um das Infektionsgeschehen unter Kontrolle zu halten. Und unklar ist, welchen Maßnahmen welche Wirkung zugeschrieben werden kann, um die Inzidenz zielgerichtet beeinflussen zu können. Es ist trotz nunmehr fast 12-monatiger Dauer der Pandemie beispielsweise nicht bekannt, um welchen Betrag die Inzidenz verringert werden kann, wenn die Kitas geschlossen bleiben, wenn kein Präsenzunterricht stattfindet oder wenn bestimmte Anteile von Arbeitnehmern nicht in ihren Betrieben, sondern im Homeoffice arbeiten. Und was bedeutet dies für die Zahl der Schwerkranken und Sterbefälle? Analoges gilt für das Schließen von Lokalen und Geschäften und andere Maßnahmen
Kurzschlusspanik statt planvollem Handeln
Der Virologe Alexander Kekulé, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle, charakterisierte das gegenwärtige Handeln der Regierungsverantwortlichen als "Navigieren im Nebel". Man glaube, es gebe keine Alternative zu dem, was passiere. Deshalb nehme man die nachteiligen Folgen in Kauf, so Kekulé. Der Wirtschaftswissenschaftler Michael Hüther, Direktor des institutes der Deutschen Wirtschaft kritisierte, dass man es eher mit Kurzschlusspanik als mit planvollem Handeln zu tun habe. Wir sind ja nicht mehr im März 2020, sondern im Januar 2021. Da müsse man doch fragen, weshalb man immer noch so wenig über das Infektionsgeschehen wisse. Hüther: "Warum hat das Robert-Koch-Institut nicht beispielsweise eine Struktur von Daten erhoben, wo man von dem Einzelfall weiß das Alter, das Geschlecht, Beruf, Bildungsgrad, Arbeitsort, Wohnort und Familienstand. Dann könnte man ganz andere Informationen über die Dynamik des Infektionsgeschehens abbilden und nicht immer aufführen, das ist diffus." Der "Vorschlaghammer", der jetzt genutzt werde, sei ja nur deshalb nötig, weil man nicht die Informationen habe, die man hätte haben können, für eine Differenzierung, so Hüther. Es gehe darum, dass man nicht frage. Hüther: "Weiß man eigentlich, welche Maßnahme gewirkt hat?" Es werde so selbstverständlich gesagt, das Herunterbringen der Inzidenzzahlen. Hüther weiter: "Dann darf man einmal fragen: Gibt es irgendein europäisches Land in der gleichen Klimazone gibt, das bei viel härteren Lockdownmaßnahmen unter 100 gekommen ist. Da finden Sie kein keines, kein einziges." Hüther hatte bereits im Oktober 2020 vor dem undifferenzierten Eingreifen durch Lockdowns gewarnt und gefragt: "Warum werden die Schutzbemühungen nicht konsequent auf vulnerable Gruppen konzentriert?" Seine Forderung deckt sich mit der Forderung der Ethikerin Christiane Woopen nach einer stärker differenzierten Strategie.
Ausdruck des Komplettversagens
Die allmählich zunehmende Zahl kritischer Stimmen stellt vor allem den Hauptkrisenmanagern, der Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem Gesundheitsminister Jens Spahn, kein gutes Zeugnis aus. Immer deutlicher wird, dass Angela Merkel in der Pandemiebekämpfung zu Unrecht als erfolgreiche Krisenmanagerin gepriesen worden ist. Eines der Hauptziele, die älteren Menschen vor dem Coronatod zu schützen, wurde verfehlt. Forscher der Universität München kamen in diesem Zusammenhang zu der Erkenntnis, dass die "Eindämmung der Entwicklung steigender Fallzahlen in der besonders vulnerablen Gruppe der Ältesten nicht ausreichend gelungen ist".
Nicht nur die explodierenden Todeszahlen sondern auch die Kritik des Koalitionspartners unterstreicht, wie umstritten das Vorgehen von Kanzlerin und Gesundheitsminister ist. Sonst hätte es für den Vizekanzler Scholz kaum eine Grundlage gegeben, dem Koalitionspartner ein mehrseitiges Fragenpapier zu präsentieren, in dem der Umgang mit der Impfung kritisch hinterfragt wird. Die Zeitung "Merkur" sprach von "Impf-Chaos und Eklat in Merkels Kabinett". Der FOCUS schrieb zu der Attacke von Scholz: "Das kommt einem Frontalangriff auf die Kanzlerin und den Gesundheitsminister gleich."
Auch der FDP-Politiker und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki stellt der Bundesregierung beim bisherigen Umgang mit der Corona-Pandemie kein gutes Zeugnis aus. Er äußert seine Kritik freimütig im Interview mit dem ZDF: "Das bisherige Corona-Management der Bundesregierung war suboptimal, um es freundlich auszudrücken". Das zuletzt beschlossene Papier sei ein "Ausdruck des Komplettversagens", so Kubicki. Nach zwölf Monaten gebe es nicht ausreichend FFP2-Masken, man habe eine Corona-App, die nichts tauge, die Alten- und Pflegeheime könnten nach wie vor nicht ausreichend geschützt werden und es gebe nicht genug Impfstoff. Wir lebten zwar im 21. Jahrhundert, er habe aber das Gefühl, das Virus werde mit den Mitteln des 19. Jahrhunderts bekämpft, so Kubicki.
Ernüchterndes Fazit
Nach fast 12 Monaten Pandemie kann festgehalten werden, dass die ursprünglichen Beteuerungen des Gesundheitsministers Spahn, es bestünde kein Grund zur Besorgnis, Deutschland sei gut vorbereitet, im krassen Gegensatz zur gesamten bisherigen Entwicklung stehen und heute geradezu lächerlich wirken. Mehr als 50.000 Tote, vor allem in Alten- und Pflegeheimen, Hunderttausende schwer erkrankter Menschen und die Existenzgefährdung ganzer Branchen sowie der explosionsartig erhöhte Schuldenberg in Deutschland sind kein Ausweis für ein erfolgreiches Krisenmanagement. Der Regierung ist es trotz des glücklichen Umstands, dass mittlerweile mehrere erfolgversprechende Impfstoffe entwickelt wurden, darüber hinaus nicht gelungen ist, einen raschen Impfschutz der Menschen in Deutschland zu gewährleisten. Bis zum heutigen Tage ist es seit 27. Dezember 2020 lediglich gelungen, knapp zwei Mio Menschen impfen zu lassen. In den USA, in denen der für seine Pandemiepolitik viel gescholtene Donald Trump Vorsorge für die Impfung getroffen hat, sind bereits über zwanzig Mio Menschen geimpft. Wirklich überzeugendes Krisenmanagement, das Schaden von Deutschland und seinen Bürgern abwendet, müsste bessere Ergebnisse vorweisen. Es kann nicht verwundern, dass Angela Merkel laut BILD in der Videokonferenz am Sonntag gesagt haben soll: "Uns ist das Ding entglitten."