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Geht es bei der PID nur um einen Zellhaufen?


10.01.11

Geht es bei der PID nur um einen Zellhaufen?

Eine Gegenrede von Rüdiger Stobbe zum Spiegel-Artikel von Eva Menasse

(MEDRUM) Geht es nur um einen unbeseelten Zellhaufen oder um die Selektion von "lebenswertem" und "lebensunwertem" Leben des Menschen. Diese Frage ist charakteristisch für die Debatte, ob die PID zugelassen oder verboten werden sollte. Die Schriftstellerin Eva Menasse schrieb im SPIEGEL unter der Überschrift "Ein Zellhaufen mit Potential" ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik sei nicht christlich, sondern falsch. In einer Replik auf diesen Artikel befasste sich Rüdiger Stobbe (Aachen) mit der Argumentation der Autorin. Er kommt zum gegenteiligen Schluß.

Eva Menasse schreibt in ihrem Artikel (SPIEGEL, 31.10.10), der ein Plädoyer für die Zulassung der PID ist, insbesondere: "Doch ein wenige Tage alter Embryo ist - bei höchstem Respekt vor dem menschlichen Leben! - kein Mensch. Es ist ein Zellhaufen mit Menschpotential. Deswegen stellen die Juden, ein ebenso familienfreundliches wie ethisch geschultes Volk, schon die Ausgangsfrage anders: Sie fragen, wann etwas beseelt ist. Ein Embryo in der ersten Lebenswoche ist es dieser Auffassung nach nicht. Deshalb kann man ihn sowohl untersuchen wie verwerfen; deshalb ist Israel eines der Länder mit der freizügigsten Reproduktionsmedizin."

Rüdiger Stobbe teilt diese biologistische Deutung nicht. Er hält die Argumente von Eva Menasse in ihrem Artikel für feministisch motiviert und plädiert für eine weltweite Ächtung der PID. "Gerade dieser Artikel spiegelt m. E. die feministisch orientierte Mainstream - Meinung zur PID - Debatte sehr schön wider", so Stobbe. MEDRUM dokumentiert seinen OFFENEN BRIEF als engagierten Beitrag zur anhaltenden Debatte über ein Verbot der PID, die auch in der heutigen ARD-Abendsendung bei Beckmann (Bei Beckmann: PID - Traum vom Wunschkind oder Alptraum Designerbaby?) im Brennpunkt steht.

 

Offener Brief an Eva Menasse

Sehr geehrte Frau Menasse,

als ich anfing, Ihren Beitrag zur PID-Debatte zu lesen, war ich berührt. Mit Ihrer ganzen schriftstellerischen Fähigkeit zeigen Sie den Albtraum von Fehlgeburt und frühem Kindstod. Dann erfolgt ein harter Bruch. Dann werden Sie politisch. Dann werden Sie feministisch. Und die Ursache allen Übels wird klar: Wir befin­den uns im letzten Bereich unserer Gesellschaft, der „noch zutiefst männlich geprägt und hundertprozentig frauenfeindlich ist". Für Frauen ist es „verstörend, dass der Bundeskanzler konservativ und weiblich ist". Sie sprechen von einem Tabu. Nein, es ist kein Tabu, es ist einfach zu kompliziert für unsere schlagzei­lenorientierten, Häppchen liefernden Massenmedien.

Frau Merkel spricht sich gegen die PID aus, weil ihre Sorge ist, „dass diese Li­nie zwischen schweren und nicht so schweren Krankheiten kaum zu formulieren sein wird. Man wird sehr restriktiv beginnen, und dann könnten rasch Diskussio­nen aufkommen, ob das nicht zu restriktiv sei. Und eines Tages müssen sich erbkranke Menschen rechtfertigen, weil manche glauben, dass hätte doch alles verhindert werden können." (Spiegel Nr. 44 vom 30.10.2010, Seite 28) Aus die­sem Grund kommt Frau Bundeskanzlerin Merkel zu der persönlichen Haltung, dass die PID von Anfang an gar nicht erlaubt werden sollte. Ich denke, das ist doch eine akzeptable, persönliche Meinung.

Für Sie nicht. Sie stellen mit Ihrer Argumentation immer das Individuum, und zwar das weibliche, in den Vordergrund. Und so beschreiben Sie sehr an­schaulich die unsäglichen Leiden, die im Zusammenhang mit der Reprodukti­onsmedizin stehen. Sie führen aus, wie gesunde Babys „verloren” gehen, weil Fruchtwasseruntersuchungen auf Down-Syndrom durchgeführt werden. Sie be­schreiben das Grauen einer Spätabtreibung. Sie führen uns in ein Wartezimmer einer Kinderwunschklinik und erläutern die Strapazen einer Frau, die diese auf sich nehmen muss, um ein „eigenes” Kind zu gebären. Dabei ist alles höchst unsicher. Sie haben es ja am eigenen Leib erfahren. Sie und die vielen anderen Frauen.

Ich bin ein Mann. Deshalb, und das werfe ich ihnen als Radikalfeministin vor, wird meine Argumentation, wenn überhaupt nur in geringem Ausmaß ziehen. Sie pflegen einen geschlechtsspezifischen Rassismus. Hinzu kommt, dass all jene, die es wagen, auch nur den Hauch einer anderen Meinung als Sie zu vertreten, von Ihnen mit einer Polemik überzogen werden, an der Josef Goebbels seine wahre Freude gehabt hätten. „Hitler, Hitler blöken” diese Ihnen nicht genehmen Menschen, und werden damit wie vor 75 Jahren in ´s Tierreich transportiert.

Ich versuche es trotzdem. Dass Sie mit Ihrer Argumentation sehr auf die Nöte und Leiden von Frauen beschränkt sind, belegt Ihre knallharte Einlassung zum Abtreibungsverhalten in Deutschland. Jede Frau kann jedes gesunde Kind, das sie nicht haben möchte, bis zur 12. Schwangerschaftswoche abtreiben lassen. 110.000 bis 130.000 zum allergrößten Teil gesunde Föten werden so jedes Jahr allein in Deutschland abgetrieben. Das ist ein Recht, dass die Frauenbewegung erkämpft hat.

Ich sage Ihnen: Dieses Recht ist Unrecht. Gegenüber den Menschen, deren Menschwerdung abgebrochen wird und die im Mülleimer entsorgt werden. Und es ist schon gar kein Recht, auf das man stolz sein kann. Es ist ein Skandal. Dieses Unrecht gehört abgeschafft.

Die PräNatalDiagnostik (PND) beschreiben Sie als das, was sie ist. Ein Instru­ment, das nur Verunsicherung schafft. Wenn laut PND „alles in Ordnung" ist, kann faktisch dennoch das Gegenteil der Fall sein. Und ist etwas nicht in Ord­nung, kann doch alles in Ordnung sein. Aber der Konflikt ist da. Was soll dann das Ganze? Ach ja, es gibt noch die Möglichkeit der Spätabtreibung. Das wahre Grauen, der legalisierte Kindsmord. Schöne neue Frauenwelt, in der wir leben.

Ich kann nur an jede Frau appellieren, die Möglichkeiten der PND in keinem Fall in Anspruch zu nehmen. Auch Fruchtwasseruntersuchungen sind strikt abzuleh­nen. Wenn eine Frau ein dauerhaft krankes Kind zur Welt bringt, so muss sie der massiven Unterstützung der Gesellschaft gewiss sein. Ich weiß, hier gibt es noch viel zu tun. Doch weil hier vieles im Argen liegt, können doch nicht einfach Kinder getötet werden. Das ist absurd und unserer Gesellschaft unwürdig.

Sicher haben Sie Recht, dass ein Verbot der PID unter den heute gegebenen und von Ihnen beschriebenen Umständen nicht haltbar wäre. Sehen Sie es mal bitte so. Die PID ist zunächst mal ein weiterer Schritt, nach der Legalisierung der Abtreibung und der PND, in Richtung Technokratisierung und Mechanisie­rung des Menschschaffungs- und Menschwerdungsaktes. Ich bin sicher, dass Sie dies auch wollen. Für das Glück und die Wohlfahrt aller Frauen. Nur dabei wird es nicht bleiben. Sie glauben zwar nicht, dass in Zukunft Designerbabys „erschaffen" werden können. So ganz sicher klingt ihre Aussage in diesem Zu­sammenhang nicht. Denken Sie bitte an das „Retterbaby", dass in Brüssel, in der Schweiz war es verboten, „angelegt" wurde, damit es seinem kranken Ge­schwisterchen später mal Knochenmark spenden kann (Bericht am Ende des Briefes). Wenn vor 100 Jahren einem damaligen Zeitgenossen erklärt worden wäre, was in den nächsten 100 Jahren alles geschieht, er hätte den Erzähler für geisteskrank erklärt. Vorsicht mit dem, was geht, was gehen wird und was nicht. Deutschland ist nicht alleine auf und schon gar nicht der Mittelpunkt der Welt. Was in anderen, auch undemokratischen Ländern „geforscht" wird, entzieht sich unserer Kenntnis. Doch eines ist gewiss. Immer wenn ein ökonomischer Nutzen in greifbarer Nähe ist, wird der Mensch höchst einfallsreich, rücksichtslos und gierig. Im Bereich der Reproduktionsmedizin ist dies nicht anders.

Kurzum : Ich plädiere für die weltweite Ächtung von jeglicher Abtreibung, IVF, PND und PID. Es sollten keine staatlichen Gelder in diesen Bereich fließen. Die Bundesregierung sollte ihre Partner in der EU für diesen Schritt gewinnen.

Nun fragen Sie mich, wie denn die Frauen, die Kinder wollen, aber aus welchen Gründen auch immer keine kriegen, dieselben bekommen können. Wenn doch alles verboten ist, wenn die Büchse der Pandora geschlossen ist.

Stellen Sie sich bitte folgendes vor:

Eine Frau, die mit ihrer/m PartnerIn keine Kinder bekommen kann, trifft sich bei Pro Familia mit einer Frau, die abtreiben möchte. Sie erklären, dass sie sich ein Kind wünschen, aber keines bekommen können. Und fragen, die werdende Mutter, ob sie das Kind nicht austragen wolle. Damit es sofort nach der Geburt, ohne dass die leibliche Mutter es gesehen hat, dem kinderlosen Paar übergeben wird.

Alles schwierig, ich weiß, aber besser als den Fötus im Mülleimer zu entsorgen!

Aber dann wäre es ja nicht mein „eigenes Kind", werfen Sie ein. Ich bitte Sie. Sie wurden ja auch nicht als Frau geboren, sondern dazu gemacht. Die geneti­sche Disposition spielt doch für die Würde eines Menschen eine höchst unter­geordnete Rolle. Überhaupt die Gene. Die Sarrazin-Debatte hat doch gezeigt, dass z. B. Intelligenz keinesfalls erblich ist. Die kulturellen Umstände, die Um­welt spielen die wesentliche Rolle. Und da ist bei Ihnen alles bestens. Also, was soll das mit dem eigenen Kind. Das können Sie eben, von Natur aus, nicht bekommen, bitte retten Sie ein anderes.

Das wäre wahre Menschlichkeit.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Rüdiger Stobbe


Rüdiger Stobbe studierte Sozialwissenschaften und Germanistik. Er ist als Unternehmensberater und Versicherungsmakler tätig (Internet: www.mediagnose.de).


 

In MEDRUM besteht die Möglichkeit, die Forderungen der Initiative "Stoppt PID" zu unterstützen:

Online-Unterstützung → "Stoppt PID".

Singhammer spricht zum Thema PID-Verbot


30.10.10 Spiegel Zellhaufen mit Potential
28.10.10 MEDRUM Initiative "Stoppt PID"
25.09.10 MEDRUM Tiqua e.V.: Nein zur genetischen Selektion von Menschen
09.09.10 MEDRUM Der Streit um die Präimplantationsdiagnostik (PID) in Deutschland
07.07.10 MEDRUM Güteprüfung zur Selektion des "wertvollen" von "unwertem" Leben

Präimplantationsdiagnostik (PID)

Leserbriefe

Bei diesem Artikel fällt, abgesehen von der Problematik der PID, vor allem eines ins Auge: Die große Widersprüchlichkeit, die zwischen der Verteidigung der Abtreibung als Errungenschaft für die Frau auf der einen Seite und der zutreffend-schönen Beschreibung im Hinblick auf den Tod eines (ungeborenen oder totgeborenen) Kindes auf der anderen Seite liegt.

Da verwundert es, dass dies der Autorin nicht auffällt. Wie sehr spricht doch gerade ihre eigene Darstellung gegen die Abtreibung, ja lässt sie als das erscheinen, was sie ist, nämlich eine noch grausamere – weil selbst gesetzte – Ursache für den Tod des eigenen Kindes mit der Folge, dass die Trauer darüber die Trauer über den unvermeidlichen, natürlichen Tod eines Kindes noch weit übersteigt.

Hier stellt sich natürlich die Frage, wie es möglich ist, dass diese Diskrepanz von der doch klugen und zur Differenzierung fähigen Autorin ignoriert wird. Die Einordnung in die eine oder andere Kategorie – Katastrophe im Leben einer Frau oder Frauenrecht – erfolgt ausschließlich anhand des Kriteriums, ob die Frau das Kind „gewollt habe“. Das lässt m.E. eine tiefgreifend ideologische Beeinflussung des Denkens erkennen. Feministische Dogmen sind stärker als eine objektive Erfassung der Wirklichkeit. Die positiven Aspekte dieses Artikels, die trotz allem vorhanden und auch angesichts einer grundlegend anderen Position zur PID zu würdigen sind, werden dadurch geschwächt.

Ich kenne persönlich zwei Familien, die nach vorerst unerfülltem Kinderwunsch ein Kind adoptierten und anschließend auch mit eigenen Kindern gesegnet waren.