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Was für ein schöner Sonntag


18.03.12

Was für ein schöner Sonntag

Ansprache von Joachim Gauck vor der Bundesversammlung nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten

(MEDRUM) Mit dem Satz "Was für ein schöner Sonntag" leitete Joachim Gauck am Sonntag in Berlin seine kurze Ansprache ein, mit der er nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten vor die Bundesversammlung trat und dankte. Mit 991 von 1228 gültigen Stimmen wurde er zum elften Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt. MEDRUM dokumentiert die Dankesrede von Joachim Gauck, die von mehreren Fernsehsendern live übertragen wurde und vom Beifall der Bundesversammlung begleitet wurde.

Joachim Gaucks Dankesrede:

Sehr geehrter Herr Präsident,

sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!

Was für ein schöner Sonntag! (Applaus)
Es war der 18. März heute vor genau 22 Jahren, und wir hatten gewählt. Wir, das waren Millionen Ostdeutsche, die nach 56-jähriger Herrschaft von Diktatoren endlich Bürger sein durften.
(Applaus)
Zum ersten Mal in meinem Leben, im Alter von 50 Jahren, durfte ich in freier, gleicher und geheimer Wahl bestimmen, wer künftig regieren solle. Die Menschen, die damals zur Wahl strömten, lebten noch im Nachhall der friedlichen Revolution, als wir 'das Volk' waren und dann die Mauern fielen.

Ich selber hatte als Sprecher des Neuen Forums in Rostock daran mitwirken dürfen. Wir waren schon frei von Unterdrückung. Jetzt schickten wir uns an, Freiheit zu etwas und für etwas zu erlernen.

Nie werde ich diese Wahl vergessen, niemals. Weder die über 90 Prozent der Wahlbeteiligung - das wurde heute schon erwähnt - noch meine eigene innere Bewegung. Ich wusste, diese meine Heimatstadt und dieses graue, gedemütigte Land - wir würden jetzt Europa sein. In jenem Moment war da in mir neben der Freude ein sicheres Wissen in mir - ich werde niemals, niemals eine Wahl versäumen. (Applaus)
Ich hatte einfach zu lange auf das Glück der Mitwirkung warten müssen, als dass ich die Ohnmacht der Untertanen je vergessen könnte.

"Ich wünschte mir, ein Bürger zu sein, nichts weiter, aber auch nichts weniger als das" - so hat ein deutscher Demokratielehrer, es war Dolf Sternberger, seine politische Haltung einmal definiert. Ich hatte am 18. März 1990 genau denselben Wunsch gespürt. Und ich habe damals gefühlsmäßig bejaht, was ich mir erst später theoretisch erarbeitet habe: Dass aus dem Glück der Befreiung die Pflicht, aber auch das Glück der Verantwortung erwachsen muss, und, dass wir Freiheit in der Tiefe erst verstehen, wenn wir eben dies bejaht und ins Leben umgesetzt haben.

Heute nun haben Sie, die Wahlfrauen und -männer, einen Präsidenten gewählt, der sich selbst nicht denken kann ohne diese Freiheit, und der sich sein Land nicht vorstellen mag und kann ohne die Praxis der Verantwortung. Ich nehme diesen Auftrag an mit der unendlichen Dankbarkeit einer Person, die nach den langen Irrwegen durch politische Wüsten des 20. Jahrhunderts endlich und unerwartet Heimat wiedergefunden hat - und der in den letzten 20 Jahren das Glück der Mitgestaltung einer demokratischen Gesellschaft erfahren durfte.

Deshalb: Was für ein schöner Sonntag, dieser 18. März, auch für mich.

Ermutigend und beglückend ist es für mich auch zu sehen, wie viele im Land sich in der letzten Zeit eingebracht haben und auch mich ermutigt haben, diese Kandidatur anzunehmen. Es sind Menschen ganz unterschiedlicher Generationen und Professionen, Menschen, die schon lange und Menschen, die erst seit kurzem in diesem Land leben. Das gibt mir Hoffnung auf eine Annäherung zwischen den Regierenden und der Bevölkerung, an der ich nach meinen Möglichkeiten unbedingt mitwirken werde.

Ganz sicher werde ich nicht alle Erwartungen, die an meine Person und an meine Präsidentschaft gerichtet wurden, erfüllen können. Aber eins kann ich versprechen: Dass ich mit all meinen Kräften und mit meinem Herzen Ja sage zu der Verantwortung, die Sie mir heute übertragen haben. Denn was ich als Bürger anderen Menschen als Pflicht und als Verheißung beschreibe, muss selbstverständlich auch Gültigkeit haben für mich als Bundespräsidenten. Das heißt auch, dass ich mich neu auf Themen, Probleme und Personen einlassen werde, auf eine Auseinandersetzung auch mit Fragen, die uns heute in Europa und der Welt bewegen.

Ich danke Ihnen, den Mitgliedern der Bundesversammlung, für das mir entgegengebrachte Vertrauen. Sie, die Sie hier gewählt haben, sind ja nicht nur Deputierte, sondern Sie sind auch - das ist mir voll bewusst - Vertreter einer lebendigen Bürgergesellschaft. Ob wir also als Wahlbevölkerung am Fundament der Demokratie mitbauen oder ob wir als Gewählte Weg und Ziel bestimmen - es ist unser Land, in dem wir Verantwortung übernehmen, wie es auch unser Land ist, wenn wir die Verantwortung scheuen. Bedenken sollten wir dabei: Derjenige, der gestaltet, wie derjenige, der abseits steht - beide haben sie Kinder. Ihnen werden wir dieses Land übergeben. Es ist der Mühe wert, es unseren Kindern so anzuvertrauen, dass auch sie zu diesem Land 'unser Land' sagen können." (langer Applaus)

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Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, gratulierte Joachim Gauck zur Wahl und lud den neuen Bundespräsidenten zum 98. Deutschen Katholikentag in Mannheim im Mai 2012 ein. Erzbischof Zollitsch hob hervor: „Ihre christliche Prägung und Ihr Wirken in der evangelischen Kirche, Ihr Kampf für die Überwindung der Unfreiheit und vor allem Ihre tatkräftige Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit der ehemaligen DDR sind große berufliche und menschliche Verdienste. ... Schon heute biete ich Ihnen die tatkräftige Unterstützung der Deutschen Bischofskonferenz an. ...Die katholische Kirche empfindet die Verpflichtung, an der Gestaltung und am Wohlergehen unseres Staates mitzuwirken."


18.03.12 MEDRUM Soll Joachim Gauck nach seiner Façon selig werden?

 

Leserbriefe

Es mag ja unbeabsichtigt und Zufall sein; aber in der Ansprache hört man kein einziges Mal "Deutschland" oder "deutsch". "Europa" ist offenbar vorrangig und - "unser Land". Was ist das für ein Land, dessen Namen sein Präsident nicht nennt?

Was für ein schöner Sonntag! Was für frohe und heilende Worte eine Mannes, der soviel Zuversicht ausstrahlt. Unbequem? Ja, das darf und muss er sein. Kein anderer mit einem solchen Hintergrund kann Freiheit und Demokratie so schätzen und dieses an die so politikverdrossenen Bürger weitergeben. Was für ein Vorbild für die Jugend. Ich freue mich jetzt schon auf das, was Joachim Gauck in unserem Land verändern wird. Vielleicht haben wir diesen gierigen, gegenderten und bürgerfernen Wulff gebraucht, um das was jetzt kommt, richtig zu schätzen.

Die Erwartungen der Bürger sind riesengroß und sie sind hungrig nach einem Vorbild und es wurde erneut bestätigt, dass DIE LINKE wieder einmal erfahren dürfen, dass sie nach 22 Jahren immer noch nicht in der Demokratie angekommen sind und dass sie nun von einem Ostdeutschen erfahren werden, was Demokratie, Freiheit und Bürgerrecht bedeutet. Jetzt hoffe ich nur, dass nicht jeder kleinste Fehler von Joachim Gauck von den Medien gnadenlos verfolgt und angeprangert wird. Aber auch da glaube ich an diesen Mann, der damit umgehen wird.

Willkommen Joachim Gauck, willkommen Daniela Schaadt als "First Lady" - wir freuen uns auf Sie!

Für ihn war es das sicher. Aber wie hat sich wohl seine Ehefrau gefühlt? Aber irgendwie fragt niemand danach. Auch die sonst so kritischen Evangelikalen schweigen zu allem. Du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen. Gilt das nur, wenn es einfach ist?

Herr Gauck findet nur vor dem Hintergrund eines moralischen Zerfalls unserer Gesellschaft eine konsensfähige Mehrheit. Der soll es richten, als einer von "uns". Vorbild für die Jugend? Einer, der nicht mal beständig ist, seinen eigenen Haushalt vernünftig in Ordnung zu bringen? Er hat Weisungen für unserer Land? Unter den Umständen wie er gewählt wurde haben wir Chancen, dass wir uns länger an ihm erfreuen dürfen als an Wulff. Auch die katholische Kirche macht ihm die Aufwartung. Das lässt aufhorchen.

Gauck hat sich ja leider schon von Sarrazin distanziert, wie die Junge Freiheit berichtete. Und er werde bei der integrationspolitischen Linie Wulffs bleiben, versprach er der türkischen Hürriyet (!). Und Deutschland und die Türkei müssten noch näher zusammenrücken. Vor allem letzteres ist für mich eine gefährliche Drohung. Ich erwarte mir nichts Gutes.

http://kreidfeuer.wordpress.com/2012/03/15/gauck-distanz-zu-sarrazin/

Ob Gott hier Humor beweist, wenn unsere säkulare Gesellschaft neben einer Regierungschefin aus christlichem Haus auch noch einen Pastor als Staatsoberhaupt gewählt bekommt? Nicht weil die beiden besonders bibeltreu und gottesfürchtig wären, aber immerhin sind sie angehaucht von der Wahrheit des Evangeliums. Alles andere ist Gottes Fügung, denn ER ist in den Schwachen Mächtig… Hoffen wir, dass sie sich auch weiterhin ihrer Schwäche vor Gott bewusst bleiben.

Egal, wie man zu Gauck steht. Ab jetzt wird für ihn gebetet. Gott ist unser Herr. Maranatha.

Ein Gauckler... reden wir in zwei Jahren wieder über ihn. Der Politbetrieb hierzulande läßt nur Personen "hochkommen", die keine weiße Weste haben - andere wären ja unbequem... und übrigens: nicht überall, wo "evangelisch" draufsteht, stimmt der Inhalt.

Manchmal denkt man schon im Himmelreich zu sein. Gewählt sollen nur noch Heilige werden. Wo gibt es diese Welt? Evangelisch heißt doch, dass Gott aus den Schwachen etwas Sinnvolles macht.

Ja, Gott ist in den Schwachen mächtig. Ein Herr Gauck fühlt sich aber eher stark. Evangelisch heißt, dass ich nach dem Willen Gottes frage. Und können Sie da irgendwo finden, dass es möglich ist, verheiratet zu sein und gleichzeitig eine Zweitfrau - natürlich unehelich - zu haben? Wie schwer werden es jetzt alle Gemeindeleiter haben, wenn sie jungen Leuten sagen wollen, man dürfe nicht unverheiratet zusammenleben. Die lachen doch laut bei diesem Vorbild. Und genau hier ist es eben nicht egal, was ein Bundespräsident macht.