17.03.12
Soll Joachim Gauck nach seiner Façon selig werden?
Über das Für und Wider einer Debatte über Ehe- und Partnerbeziehungen
Ein Gespräch mit dem Erziehungswissenschaftler und Paar-Therapeuten Albert Wunsch
(MEDRUM) Am Sonntag tritt um 12.00 Uhr die Bundesversammlung zusammen, um den 11. Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland zu wählen. Es gilt als sicher, dass der ehemalige Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde, Joachim Gauck, gewählt werden wird. Nahezu alle Fraktionen des Deutschen Bundestages haben ihm bereits ihr Vertrauen ausgesprochen - auch die Bürger setzen hohe Erwartungen in ihn. An seiner Seite wird seine Lebensgefährtin, die Journalistin Daniela Schadt, ins Schloss Bellevue einziehen. Sie wird die erste Nicht-Ehefrau sein, die die Rolle der "First Lady" übernehmen wird, obwohl Joachim Gauck mit einer anderen Frau verheiratet ist. Er lebt jedoch seit langer Zeit von seiner Ehefrau getrennt. Der Bundestagsabgeordnete Norbert Geis löste jüngst durch seine Bemerkung, "es dürfte im Interesse von Joachim Gauck selbst liegen, seine Lebensverhältnisse zu ordnen", eine aufgeregte Debatte aus. Über die Frage, ob solche Verhältnisse von Bedeutung für die Öffentlichkeit sind und diskutiert werden sollten oder ob Joachim Gauck einfach nach seiner Facon selig werden soll, sprach MEDRUM mit dem "Ehe-Experten", Erziehungswissenschaftler und Buchautor Albert Wunsch. Daniela Schadt selbst sagte dazu in einem Interview mit der Nürnberger Zeitung: „Für mich ist die Frage, ob der Bundespräsident mit seiner Partnerin verheiratet ist oder nicht, eine sehr legitime Frage“. Eine "Heirat fürs Protokoll" will sie nicht.
Im Gespräch mit Albert Wunsch
MEDRUM: Herr Wunsch, was sagen Sie als "Ehe-Experte" zur Ehe-Debatte um Joachim Gauck? Er ist einerseits verheiratet, unterhält aber zugleich eine Beziehung zu einer anderen Frau. Ist die Vorstellung, er solle seine Lebensverhältnisse ordnen, wie es Norbert Geis ausdrückte, zeitgemäß oder unmodern oder gar eine Stillosigkeit, wie Guido Westerwelle meinte. Hat überhaupt jemand das Recht, vom Inhaber eines hohen Staatsamtes zu verlangen, wie er sein Leben mit Frauen gestalten soll? Soll uns Gauck um des Amtes willen etwa eine Ehe vor-gaukeln?
Wunsch: Nein, niemand hat das Recht, einem Kandidaten für das Bundespräsidentenamt vorzuschreiben, dass er heiraten soll. Es ist eine persönliche Lebensentscheidung, die nicht erzwungen werden kann und darf. Und es wäre töricht, wenn der künftige Bundespräsident versuchen wollte, uns etwas "vorzugaukeln". Selbstverständlich hat jeder Mensch ein Recht auf ein Privatleben, auch Politiker und Amtsträger. Aber das Private hört beim ersten Schritt in die Öffentlichkeit auf. Ehe- oder Lebenspartner stehen sofort mit im Rampenlicht und damit auch auf dem Prüfstand, weil sie gleichzeitig etwas zum eigenen Lebenskonzept und zur Bedeutung von Werten im eigenen Leben und damit eine Wertsetzung zum Ausdruck bringen. Und jeder mündige Bürger hat das Recht zu sagen, was er oder sie davon hält, wenn Joachim Gauck sein Beziehungsleben zwischen zwei Frauen nicht ordnet.
MEDRUM: Wieso sollte ausgerechnet das "private" Beziehungsleben eine Rolle für ein öffentliches Amt wie das des Bundespräsidenten spielen? Verheiratet oder nicht, häufiger wechselnde oder beständige Partner, in Dreiecks- oder Mehrfachbeziehungen zu leben, warum sollten solche Verhältnisse im Privatleben eines Politikers oder Amtsträgers die Menschen kümmern? Laut einer Stern-Umfrage scheint es übrigens 84 % der Deutschen egal zu sein, in welchen Verhältnissen Joachim Gauck lebt. Hat nicht jeder, also auch der Bundespräsident, den Anspruch, dass sein privater Lebensstil als persönliche Entscheidung akzeptiert und aus der öffentlichen Diskussion herausgehalten wird?
Wunsch: Kein Mensch lässt sich einfach in ‚öffentliches' oder ‚privates' Leben aufteilen. Eine strikte Trennung ist weltfremd. ‚Nachdem wir ihre Ehefrau kennen gelernt haben, werden wir uns entscheiden, ob wir sie in die leitende Position befördern, denn durch den Umgang mit dieser, lernen wir sie etwas mehr kennen', so der Personalvorstand eines werteorientierten Unternehmens. Wenn dann dieses Treffen nicht zustande kam oder ‚ungünstig' verlief, wurde meist auch nichts aus der möglichen neuen Position. Fragte der Kandidat, was denn seine brüchige oder kaputte Ehe mit der fachlichen Leitungsaufgabe zu tun habe, dann erhielte er als Antwort, dass Klarheit, Verlässlichkeit, Konfliktfähigkeit und ein verantwortlicher Umgang miteinander nicht nur etwas mit dem privaten, sondern auch dem betrieblich-öffentlichen Leben zu tun habe. Viele Menschen haben auch noch ein feines Gespür für diese Zusammenhänge. Dies trifft erst recht zu, wenn es sich um das höchste Amt im Staat handelt, bei welchem traditionell die Ehefrau eine beträchtliche Beachtung als "First Lady", also als erste Dame im Staate, erfährt. Zeige mir Deine Freunde und ich sage dir, wer du bist, meint der lebenserfahrene Volksmund. Beim zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff scheint dieser Denkansatz eine neue Bedeutung erlangt zu haben.
MEDRUM: Woraus leitet sich Ihrer Meinung nach das Recht ab, über persönliche Lebensweisen eines Menschen in der Öffentlichkeit zu diskutieren?
Wunsch: Es ist selbstverständlich die persönliche Entscheidung eines Menschen, beispielweise einen ungesunden Lebensstil zu führen. Wäre er auch Gesundheitsminister, wird sich dieser dann aber auch ganz persönliche Anfragen gefallen lassen müssen, wie er dies mit seinem Amt verbinden könne. Und als normaler Bürger sollte er damit rechnen, auch von andern angefragt zu werden, wenn diese über die Sozialversicherungen an den Folgekosten beteiligt sind. Setzt ein Investor mit reichlich Kapital auf ein neues Projekt und hat gleichzeitig immer noch Aktien in einem eigentlich abgeschriebenen Unternehmen, wird dies meist nicht persönlich hinterfragt, sondern drückt sich in einem sinkenden Kurs aus. Würde der Vorstand eines Automobilherstellers seit etlichen Jahren ein nicht aus seinem Werk stammendes Fahrzeug nutzen, werden die Mitarbeiter verunsichert, seine potentiellen Kunden werden wahrscheinlich das Fahrzeug kaufen, das der Chef fährt. Und wenn der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes - so ganz privat natürlich - beispielsweise braune Lieder und Grundsätze mögen würde, dann wäre er in seinem Amt nicht tragbar. Alle Beispiele haben eins gemeinsam: Immer haben ganz persönliche Handlungsweisen eine Auswirkung auf andere.
MEDRUM: Aber welche Auswirkungen haben denn die Ehe- und Beziehungsverhältnisse von Joachim Gauck für andere Bürger. Verbietet es sich nicht, sich hierzu öffentlich zu Wort zu melden?
Wunsch: Muss sich die kettenrauchende Mutter oder der trinkende Vater die Anfragen der eigenen Kinder, Familienangehörigen oder mancher guter Freunde gefallen lassen, so sollte ein in der Öffentlichkeit stehender Mensch halt mit reichlich mehr Anfragen oder auch Angriffen rechnen. Selbst wenn unsere sogenannten Medien-Stars zu stark von Anstand, Sitte oder gesetzlichen Vorgaben abweichen, melden sich mündige Fans und sagen: ‚So nicht'! Die Formel ist einfach: ‚Je mehr öffentliche Bedeutung oder je höher die Funktion in Staat oder Gesellschaft, umso umfassender ist die mit der Vorbild-Funktion verbundene Verantwortung fürs eigene Handeln. Im Umkehrschluss heißt das: Wer eine große und kaum angefragte Privatsphäre will, sollte sich nicht ins Rampenlicht der Öffentlichkeit begeben.
Wie wurde Frau Käsmann bejubelt, als sie unmittelbar von ihrem Vorbild-Amt als Bischöfin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland zurücktrat, nachdem sie ertappt wurde, als sie auf einer Alkoholfahrt eine rote Ampel überfuhr. Und sie war noch nicht mal eine Verkehrsministerin. Ja, jede Gesellschaft braucht Vorbilder. Und die Menschen reagieren recht empfindlich, wenn, wie die ‚Wulff-Affäre' zeigte, privater Vorteil und öffentliches Amt durcheinander geraten. Aber häufig vertreten die Medien eine Position, als wenn dies nicht zähle, meist, wenn der Lebensstil der Meinungsmacher selbst tangiert wird. Dann wird das ‚Hohe Lied' der ‚Privat-Sphäre', einer ‚persönlichen Entscheidung' oder der ‚Nicht-Einmischung' gesungen. Wir kennen dieses unwürdige Szenario, wenn Staaten die Kritik an einem Krieg gegen das eigene Volk oder Folter an Oppositionellen als ‚Einmischung in interne Angelegenheiten' abzuwehren suchen. Und es ist gut, dass Menschenrechtsorganisationen und mutige Politiker trotzdem dran bleiben. Genauso wichtig ist es, den schon kräftig fortgeschrittenen Erosionsprozess überlebenswichtiger Werte in unserer Gesellschaft zu stoppen, Förderliches mit Anzufragendem, Nicht-Förderlichem oder sogar Verwerflichem nicht auf eine Stufe zu stellen.
MEDRUM: Welchen Stellenwert messen Sie einer öffentlichen Diskussion überhaupt bei, wie es der Bundespräsident mit der Ehe hält?
Wunsch: Als freie Bürger haben wir persönliche Entscheidungen Anderer, solange sie nicht gegen Gesetze oder grundlegende Werte verstoßen, hinzunehmen. Die sich für ein bestimmtes Verhalten entschiedenen Menschen wiederum haben in einer mündigen Gesellschaft hinzunehmen, dass Andere dieses Verhalten vielleicht stört oder als nicht haltbar kritisieren. Entsteht daraus ein konstruktiver Diskurs, werden die Beteiligten ihre Positionen mit guten Argumenten vehement vertreten. Dabei werden meist persönliche Einschätzungen, moralische Bewertungen, normative Positionen, die Auswirkung der Stellung zu einander und Argumente zur Bedeutung fürs Umfeld aufeinander prallen. Werden dabei Kampfszenarien im Sinne ‚Dich mach ich fertig!' vermieden, befinden wir uns mitten in einem Wertkonsens suchenden Dialog. Denn, wenn alles gleichermaßen richtig und gültig würde, nur weil es als ‚Privat' deklariert wird, werden wir systematisch auf Gleich-Gültigkeit hin trainiert.
Wenn also darüber diskutiert wird, ob Joachim Gauck als Kandidat fürs Bundespräsidenten-Amt seine Beziehungen bzw. sein Ehe-Leben zu ordnen habe, dann ist das ein gutes Beispiel dafür, dass es in dieser Gesellschaft noch Menschen gibt, die ihre eigenen Wertsetzungen offensiv vertreten können. Erst recht ist dies bedeutsam, wenn es dabei nicht um die persönliche Bevorzugung einer speziellen Sichtweise, sondern um die Beachtung eines Artikels des Grundgesetzes geht, in welchem der besondere Status von Ehe und Familie in seiner Schutzfunktion beschrieben wird. Eigentlich ist dies eine Stern-Stunde des freien Meinungsaustausches in einer Demokratie jenseits angeblich politisch korrekten Mainstream-Agierens.
MEDRUM: Warum stößt dann eine Äußerung über das persönliche Leben in der Öffentlichkeit auf so vehemente Kritik, wie sie Norbert Geis widerfahren ist, der als "Hardliner der Familienpolitik" und "bayerischer Taliban" bezeichnet wurde?
Wunsch: Die sich als super-modern einschätzenden Medien-Macher halten schnell ungefragt einen Rettungsschirm über den designierten Bundespräsidenten, indem sie alle Anfragen zum Lebenskonzept des höchsten Staatsamtes in die Privatsphäre verweisen. Häufig wird eine solche Position vertreten, wenn der Lebensstil der Meinungsmacher selbst tangiert wird. Und daher sollen mit vereinten Kräften und markig wirkenden Argumenten Anfragen an den neuen Kandidaten gar nicht erst zugelassen werden. Welche Fragen und Kritiken in einer ‚modernen und aufgeschlossenen' Gesellschaft zugelassen werden, wird zu häufig durch - meist thematisch befangene - Meinungsmacher entschieden. Gut, dass jenseits aller Spekulation und Schutzmaßnahmen Joachim Gauck und seine neue Lebenspartnerin schon vor der ersten Präsidentschafts-Kandidatur in der Planung standen, ihr Beziehungs-Ehe-Leben ordnen zu wollen.
MEDRUM: Jeder soll nach seiner Façon selig werden, wäre demnach keine Maxime, die für die Ehe- und Partnerbeziehungen des Bundespräsidenten gelten sollte?
Wunsch: Die Entscheidung: "Jeder soll nach seiner Façon selig werden", geht auf eine Anfrage zur Stellung der römisch-katholischen Schulen an den preußischen König Friedrich II. zurück. Und einige Jahre später suchte die französische Revolution dem herrschenden Absolutismus durch den Begriff ‚Freiheit' ein Ende zu setzen. Diese Passagen scheinen viele Bürger und Politiker gut abgespeichert zu haben. Dass aber jede Handlung auch auf einem Wertehintergrund oder allgemeinwichtigen Nützlichkeitshintergrund Bestand haben sollte, wurde bzw. wird wohl von zu Vielen verdrängt. Es lohnt sich, ein paar Nachhilfe-Stunden beim Philosophen Hans Jonas und seinem Hauptwerk "Das Prinzip der Verantwortung" zu investieren, um das ethische Prinzip "Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden." zu bedenken.
MEDRUM: Wir danken Ihnen für das Gespräch.
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Über das neueste Buch von Albert Wunsch
Zwei charakteristische Sätze von Betroffenen aus dem Boxenstopp für Paare:
"Wir haben uns in der Geschäftigkeit des Alltags einfach verloren und es viel zu spät bemerkt."
"Überwindung der faden Gleichförmigkeit und der verflachten, reduzierten, häufig gereizten oder gar keifenden Kommunikation wäre notwendig gewesen."
Albert Wunsch zur Problematik:
"Das Zerbrechen oder Veröden von Partnerschaften ist kein Naturgesetz. Daher ist viel Sorgfalt darauf zu richten, dass Störungen früh erkannt und gebannt werden."
Taschenbuch: 256 Seiten
Goldmann Verlag
15. August 2011
ISBN-10: 3442172578
ISBN-13: 978-3442172573
Preis: 8,99.- EUR
Weitere Information und Bezugsmöglichkeiten: An-welcher-Schraube-Sie-drehen-koennen-damit-Ihre-Beziehung-rundlaeuft
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