18.12.08
Neuregelung der Spätabtreibungen überfällig
Bundestag beriet Vorschläge zur Reform des Schwangerschaftskonfliktgesetzes
Der Deutsche Bundestag hat heute über das Thema "Spätabtreibungen" beraten. Mit unterschiedlichen Gesetzentwürfen und Anträgen wollen Abgeordnetengruppen eine Verbesserung der Beratung von Schwangeren vor und nach einer vorgeburtlichen Untersuchung erreichen, die aufgrund einer möglichen Kindesbehinderung nach dem dritten Schwangerschaftsmonat vor der Frage einer Abtreibung stehen.
Fünf Vorschläge zur Reform des Schwangerschaftskonfliktgesetzes wurden dazu erörtert. Die Forderungen reichen von Richtlinien, die die Bundesärztekammer ausarbeiten soll, bis zur Festschreibung der Beratungspflicht im Schwangerenkonfliktgesetz.
Übersicht über Gesetzentwürfe und Anträge
- Entwurf eines Gesetzes von den Abgeordneten Volker Kauder, Renate Schmidt (Nürnberg), Johannes Singhammer und weiteren Abgeordneten zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, Drucksache 16/11106;
- Antrag der Abgeordneten Christel Humme, Irmingard Schewe-Gerigk, Elke Ferner und weiterer Abgeordneter "Wirkungsvolle Hilfen in Konfliktsituationen während der Schwangerschaft ausbauen - Volle Teilhabe für Menschen mit Behinderung sicherstellen", Drucksache 16/11342;
- Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten von den Abgeordneten Kerstin Griese, Katrin Göring-Eckardt, Andrea Nahles und weiteren Abgeordneten, Drucksache 16/11347;
- Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes von den Abgeordneten Ina Lenke, Sibylle Laurischk, Ulrike Flach und weiteren Abgeordneten, Drucksache 16/11330;
- Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Diana Golze, Elke Reinke und weiterer Abgeordnete, "Späte Schwangerschaftsabbrüche - Selbstbestimmungsrecht von Frauen stärken",Drucksache 16/11377.
Gruppenentwurf "Singhammer"
Johannes Singhammer (CDU/CSU) stellte den ersten Gruppenentwurf zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (16/11106) vor. Dieser soll Frauen Unterstützung bieten, die sich in einer „existenziellen Bedrohungslage“ befinden. Sie sollen aber nicht zusätzlich belastet werden, deswegen gelte: „Beratungsrecht für die schwangere Frau, Beratungspflicht für den Arzt“. Jeder Automatismus zwischen Diagnose und Schwangerschaftsabbruch müsse vermieden werden, so Singhammer. Eltern sollten in keinen Rechtfertigungszwang geraten, weil sie sich für ein behindertes Kind entschieden haben.
Der "Singhammer-Entwurf" sieht eine mindestens dreitägige Bedenkzeit nach der Diagnose vor. Von dieser Frist kann nur in Ausnahmefällen abgesehen werden – wenn Gefahr für Leib oder Leben der Schwangeren besteht. Außerdem soll die Bundesstatistik über Schwangerschaftsabbrüche präzisiert werden. Verstöße gegen die Beratungs- und Dokumentationspflicht des Arztes, gegen die Einhaltung der Frist sowie gegen die Pflicht zur Auskunftserteilung für die Bundesstatistik sollen als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße von bis zu 10.000 Euro geahndet werden.
Gruppenantrag SPD
Die Teilhabe für Menschen mit Behinderung will ein weiterer Gruppenantrag sichern (16/11342), der von zahlreichen SPD- und einem FDP-Abgeordneten getragen wird. „Keine Frau entscheidet sich in dieser Situation leichtfertig für einen Abbruch“, betonte Christel Humme (SPD). Sie warf Singhammer vor, sein Vorschlag unterstelle dies den schwangeren Frauen und setze sie unter Druck.
Bessere Beratung müsse jedoch viel früher ansetzen, noch bevor die Frauen in einen „Untersuchungsmarathon“ geraten, so Humme. „Damit geben wir den Frauen und ihren Partnern die notwendige Bedenkzeit, die wesentlich länger ist, als die von ihnen vorgeschriebene Dreitagesfrist.“
Dritter Gruppenentwurf
Zur Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten liegt ein weiterer Gruppenentwurf vor (16/11347) , der unter anderem von Wolfgang Thierse (SPD) und Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) unterstützt wird. Dieser Entwurf sieht eine „ergebnisoffene Beratung“ ohne statistische Erfassung vor.
Entwurf Ina Lenke (FDP)
Die Liberale Ina Lenke stellte einen Entwurf vor (16/11330), der zu zwei Dritteln von der FDP getragen wird. Ihr Entwurf unterstützt eine dreitätige Bedenkfrist. Ziel müsse sein, so Lenke, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche so gering wie möglich zu halten. Frauen sollten aber auch ein "Recht auf Nichtwissen" haben und sich gegen Untersuchungen entscheiden können wie auch dafür, bestimmte Ergebnisse nicht zu erfahren.
Antrag der Linksfraktion
Abgeordnete der Linksfraktion wollen mit ihrem Antrag das Recht schwangerer Frauen auf Information stärken (16/11377). Ebenso wie die anderen Vorschläge will dieser Antrag einen Rechtsanspruch auf umfassende medizinische und psychosoziale Beratung vor und nach dem Abbruch gewähren. Kirsten Tackmann (Die Linke) kritisierte den Entwurf Singhammers. Er stelle Ärzte „unter Generalverdacht“. Die gesellschaftliche Debatte um das Selbstbestimmungsrecht von Frauen sei nicht vorangekommen, meinte sie.
Nach Abschluss der Debattenbeiträge wurden die Vorlagen zur interfraktionellen Beratung in den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f), den Rechtsausschuss und den Ausschuss für Gesundheit überwiesen.
Kritik der Christdemokraten für das Leben
Die Bundesvorsitzende der Christdemokraten für das Leben (CDL), Mechthild Löhr, erklärte im Vorfeld der heutigen Beratung:
"Während sich die meisten Bundesbürger in Deutschland auf Weihnachten und das Fest der Geburt Christi vorbereiten, diskutieren die Bundestagsabgeordneten über die längst überfällige Neuregelung der Spätabtreibungen.
Schon der Koalitionsvertrag von 2005 zwischen CDU und SPD sieht immerhin eine Überprüfung der Spätabtreibungen vor. Auf einen gemeinsamen Antrag konnte man sich allerdings nicht einigen. Zu viele haben sich inzwischen mit dem Todesurteil "Abtreibung" abgefunden.
Abgeordnete aus den Reihen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, denen wenigstens minimale Verbesserungen des Lebenschutzes ein wirkliches Anliegen sind, stellen jetzt unter der Federführung von Johannes Singhammer und Fraktionschef Kauder endlich ihren Gruppenantrag. Dieser sieht zum einen vor, dass die Ärzte bei einem embryopathischem Befund die Eltern umfassend über Methoden und Risiken der Spätabtreibung aufklären und Möglichkeiten aufzeigen, mit einem behinderten Kind zu leben und Hilfen in Anspruch zu nehmen. Zudem wird gefordert, dass zwischen der Beratung und der Abtreibung eine Bedenkzeit von drei Tagen eingehalten wird und dass diese vorgeburtliche Tötungen zu diesem späten Zeitpunkt statistisch erfasst werden.
Den Unions-Abgeordneten, die sich mit diesem Antrag leider stark auf die SPD zubewegt haben, muß es zu denken geben, dass sogar zwei Abgeordnete der Grünen diesen Antrag zum Schutz von behinderten Ungeborenen nicht ausreichend finden.
Jede Abtreibung beendet in unserem Land jährlich weit über 116.000 junge Menschenleben. Abtreibungen gehören inzwischen zur Lebenserfahrung von Millionen von Frauen und Männer, sie sind zum makabren Alltag geworden. Bei hunderten von Spätabtreibungen handelt es sich häufig sogar um Ungeborene, die außerhalb des Mutterleibes bereits lebensfähig wären. Die üblichen Abtreibungsmethoden, bei denen z.B. der Embryo abgesaugt wird, sind in einem späten Stadium der Schwangerschaft nicht mehr anwendbar. Bei einer Spätabtreibung wird dem Fötus mit einer Spritze Kaliumchlorid ins Herz oder in die Nabelschnurvene injiziert mit der Folge, dass der Herzschlag aussetzt. Danach wird die (Tot-)Geburt eingeleitet. Dieser Brutaltität sollten sich die Abgeordneten bei ihrer parlamentarischen Diskussion bewusst sein.
Zu Recht fordern auch die Bundesärztekammer und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V., die offenkundigen Defizite im geltenden Recht zu beheben. Denn dieser Fetozid ist gerade auch für Ärzte eine „Grenzüberschreitung" und für viele nur schwer erträglich.
Es ist höchste Zeit, dass die Abgeordneten hier wenigstens die "Spitze des Eisberges" zu kappen versuchen, um einerseits Spätabtreibungen zu verhindern und anderseits Schwangeren in ihrer schweren Lage größtmögliche Hilfe anzubieten. Es ist ein Trauerspiel, dass das absolute Minimum an Veränderungen für den Lebensschutz der Ungeborenen dem Bundestag so große Probleme bereitet."
631 Schwangerschaftsabbrüche ab 20. Schwangerschaftswoche
Laut Statistischem Bundesamt wurden im Jahr 2007 insgesamt 3 072 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt, für die eine medizinische Indikation gemeldet wurde, 631 davon ab der 20. Schwangerschaftswoche, zu einem Zeitpunkt, ab dem ein Kind bereits außerhalb des Mutterleibs lebensfähig sein kann.
Die Kirchen treten für die Verbesserung des Lebensschutzes ein. So hat die Evangelisch-Lutherische Kirche Bayern vor wenigen Tagen zum menschlichen Leben während ihrer Landessynode erklärt:
"Menschliches Leben ist uns von Gott gegeben. Es ist in jeder Phase zu bewahren und zu schützen."
Das vorläufige Sitzungsprotokoll mit allen Debattenbeirägen kann auf Anforderung mit Kontaktformular übersandt werden.