Sehr geehrte Frau Merten!
Ich habe den Gesetzentwurf gelesen. Es ist mir klar, dass es da nicht um Übermittagbetreuung geht.
Die Problematik ist, dass der Staat sich immer mehr anmaßt, vorgeben zu wollen und beurteilen zu können, wie Erziehung aussieht / aussehen muss; er greift damit zunehmend in originäre Familienrechte ein. Das sehen wir als große Gefahr. Diese Gesetzesnovelle gibt dem Staat einen noch größeren Handlungsspielraum in diese Richtung. Das sind unsere Bedenken.
Im Grundsatz ist das Gesetz ja in Ordnung, so lange es wirklich nur um Kindeswohlgefährdung geht. Da wirksamer und direkter anzugreifen, zum Beispiel von Seiten des Jugendamts oder auch der Schule, ist mir ein großes Anliegen.
Ich habe eine Freundin, deren 11-jährige Tochter jetzt ins Kinderheim gekommen ist (nach 5 Monaten Psychiatrie). Zuvor hatte das Mädchen über fast ein Jahr den Schulbesuch zunehmend verweigert. Sie hat wahrscheinlich eine ADS-Problematik, ist hochintelligent, sehr künstlerisch begabt, aber Lese-Rechtschreibschwäche, ist nicht so bereit, sich an den Schuldruck anzupassen; die Lehrer sind mit so einem außergewöhnlichen Kind schlichtweg überfordert.
Wie eine so lange Schulverweigerung möglich ist, ohne dass jemand dem wirksam nachgeht (das Jugendamt könnte zum Beispiel in einer sozial schwachen Familie, um dem weiteren Entgleiten vorzubeugen, eine individuelle schulische Nachhilfe oder pädagogische Hilfe ermöglichen - nichts ist erfolgt!), hat mich sehr gewundert. Meine Freundin hat sich bemüht, Hilfe zu finden - nichts.
Jetzt ist das Kind der Familie entzogen, im Heim - und Kind und Mutter leiden unsäglich an der Trennung...! Es gibt offenbar keine ausreichenden, passenden ambulanten Hilfemöglichkeiten vor Ort (Schwäbisch-Hall) - jedenfalls ist es so zur Heimunterbringung gekommen - die teuerste und schlechteste aller Lösungen!
Meine Freundin sucht verzweifelt, aus dieser Situation herauszukommen, da sie sieht, wie ihre (sehr sensible) Tochter leidet. Aber was tun? Ich versuche, ihr nach Kräften unter die Arme zu greifen (auch finanziell); aus der Ferne ist das aber schwierig.
Die Thematik "besondere Kinder" - zum Beispiel ADS-Problematik - muss in der Gesellschaft viel mehr beleuchtet und über konkrete Hilfemöglichkeiten nachgedacht werden, ohne gleich die jeweilige Mutter / Eltern zu verdammen, ihnen die Erziehungsfähigkeit abzusprechen (und in der Folge das Kind wegzunehmen). Meine Schwester hat auch so ein Kind (bald 5); bei ihr steht dieser Weg gerade am Anfang.
Besonders Alleinerziehende mit mehreren Kindern sind in dieser Problematik (die nicht selten ist) stark gefordert; und leicht überfordert. Dies vor allem, wenn dann zusätzlich der Druck von außen dazu kommt, arbeiten gehen zu müssen. Die Erziehung der Kinder allein (auch die "normaler" Kinder) und daneben die Hausarbeit erfordert schon viel Kraft und Profil; daneben zum Beispiel einem 1-Euro-Job nachzugehen, führt zur totalen Überforderung. Die Kinder Alleinerziehender leiden, neben dem Erwachsenen selbst, ja oft auch an der Trennung vom anderen Elternteil; da muss der verbleibende Elternteil besonders viel Kraft und Liebe aufbringen, um dem wirksam begegnen zu können und die Kinder gut ins Leben zu begleiten.
Ein Zwang zur Erwerbsarbeit (neues Unterhaltsgesetz) ist da absolut kontraproduktiv! In der Folge wird es umso mehr scheiternde und gescheiterte Jugendliche geben, deren Eltern sich vor lauter Frust und Überforderung möglicherweise in Alkohol oder andere Verdrängungsmechanismen fliehen.
Abgang der Gesellschaft... .
Erziehung ist, auch und vielleicht gerade im jugendlichen Alter (Pubertät!), eine sehr anspruchsvolle und kräftezehrende Aufgabe. Aber sie ist auch, wenn sie gelingt, eine sehr befriedigende Aufgabe, denn man kann sich in der Folge an gesunden jungen Familien und Enkelkindern freuen. Gesunde Erziehung ist "gesegnet" durch Fortbestand und Fortpflanzung. Sie ist eine gute Basis für die gesamte Gesellschaft, den Staat. Diese wichtige Aufgabe, die zumeist den Müttern obliegt, braucht viel Achtung und Unterstützung; was zuweilen selbst durch den eigenen (Ehe‑)Mann nicht geschieht!
Das Problem und die Bedenken für dieses Gesetz bestehen darin, dass erzieherisch engagierte Familien befürchten, der Staat werde, in der derzeitigen Situation, demnächst befinden, dass Kinder, die ohne Kindergarten aufwachsen, in der gesunden Entwicklung beeinträchtigt seien - und dass dann daraufhin die Verpflichtung zum Kindergartenbesuch folgen wird.
Die Grundlagen, einer Familie unter die Arme zu greifen, sind schon in anderen Gesetzen gelegt, die Hilfe wird aber nicht optimal verwirklicht, wie sogar in der Gesetzesbegründung zugegeben wird.
Insgesamt muss in der Gesellschaft daran gearbeitet werden, den Erziehungswillen und die Erziehungskompetenz von Eltern zu fördern. Das erfolgt aber optimalerweise nicht durch ein Herausziehen der Kinder aus den Familien zum Beispiel durch Ganztagsschulen - für einige ist das berechtigt und gut, viele wollen es aber bewusst anders, um die für die Erziehung notwendige gemeinsame Zeit mit den Kindern zu haben!. Es sollte zum Beispiel mehr qualifizierte Kursangebote zum Thema Erziehung geben, auch über den (kritischen) Umgang mit Medien und Computerspielen. Man sollte an der Qualität des deutschen Medienangebots (momentan schockierend schlecht!) arbeiten und das Angebot von niederschwelligen und flexiblen (Kurs-)Angeboten für die Freizeitgestaltung von Kindern und Jugendlichen verbessern. Die Kinder müssen ja für ihr „Wohlergehen“ nicht unbedingt die ganze Woche jeden Tag in der Schule "verwahrt" und strukturiert sein. Dadurch geben die Eltern zunehmend mehr die Verantwortung für die Erziehung ihrer Kinder ab.
Kinder brauchen starke Persönlichkeiten als Gegenüber, stark (nicht bestimmend!) und verbindlich! Sie möchten selber entscheiden, was sie tun möchten und was nicht (und müssen das lernen, wie wir Eltern auch). Die Verbindlichkeit bietet die Schule nicht, kann sie nicht bieten. Da sind die Betreuungspersonen zwar Respektspersonen, denen Folge zu leisten ist; sie tragen aber keine weitergehende Verantwortung für das Wohl der Kinder, wie es die Eltern tun (sollten).
Wir sind lebenslang (irgendwie) für das Wohlergehen unserer Kinder verantwortlich. Ich stehe dazu, und deshalb ist mir die derzeitige Erziehung unserer Kinder im Grundschulalter, die eine Basis für die späteren Jahre legen muss, so wichtig! Wir brauchen Zeit miteinander, mit den Kindern, für die Kinder!
Wir brauchen aber auch einen Freiraum für die Mütter, die jetzt wieder etwas mehr an sich selber denken können und wollen. Die Kinder sind im Grundschulalter so weit, dass sie nach und nach eigenständiger werden, mehr Verantwortung übernehmen können. Die Mutter muss und kann (es ist eine gewisse "Befreiung"! - ich kann das gerade aus eigener Erfahrung sagen!) diesen Schritt mitgehen. Ein erstarktes Selbstbewusstsein der Mutter wirkt sich positiv auf die Kinder aus!
Von daher ist eine geringfügige Berufstätigkeit oder auch ein ehrenamtliches Engagement (über Art und Ausmaß entscheidet allein die betreffende Person) in dieser Entwicklungsphase der Kinder durchaus positiv, aber nicht notwendig. Wenn es, zum Beispiel schulisch oder auch anderswo, mehr günstige und gute Freizeitangebote oder AG's (für Bedürftige kostenlos oder sehr günstig, trotzdem gut!) gäbe, wären Eltern in ihren Erziehungsbemühungen bereits gut unterstützt.
Aber die politischen "Oberen" für Familienpolitik schwenken gerade auf die total einseitige, nur schulische Linie und geben dafür alles Geld aus. Ehrenamtliches, vielfältiges, flexibleres Engagement in Angebote für Schüler (von Seiten des CVJM zum Beispiel) wird in der Folge nicht mehr gefördert und musste mangels Finanzgrundlage für eine Hauptamtlichenstelle eingestellt werden. Das ist supertraurig! Hier finden sich nämlich für die Kinder positive Rollenvorbilder. Oft arbeiten ältere Jugendliche am Programm mit, die Kinder können sich selbst an der Programmgestaltung beteiligen und zunehmend auch selbst Verantwortung für Jüngere übernehmen. Das ist unwahrscheinlich positiv für die Entwicklung.
In der Schule ist zwangsläufig alles von oben organisiert; sich selbst auszuprobieren, verantwortlich einzubringen, ist da längst nicht so gut möglich wie zum Beispiel in der kirchlichen oder auch politischen Jugendarbeit, bei der freiwilligen Feuerwehr, in Musik-, Tanz- oder Theatergruppen. Für so ein Engagement, das später das Selbstverständnis der jungen Leute über Jahre mit bestimmt, braucht man jedoch zeitliche Freiräume. Es müssen ja, neben der Schule, noch Hausaufgaben gemacht werden und Zeit für Begegnung mit Freunden, Hobby oder einfach nur "Abhängen" ist nötig.
Zusammen mit Ganztag geht das alles nicht mehr. Ich erlebe hier zunehmend Grundschul-Kinder, die in der Ganztagsschule sind, und denen jetzt alles Andere (zum Beispiel das Ballett, das sie lange gemacht haben) zu viel ist. Kinder brauchen viel Freiräume, brauchen "Tüddelzeit" zu Hause, Zeit mit Freunden, auch mal Langeweile; sie ist die Grundlage für spätere Aktivität und Kreativität (unter richtiger Lenkung). Gerade die Mittel, die für solche flexiblen Angebote, die eine breite Masse erreichen, benötigt werden, wurden jetzt "umgelagert" in die Finanzierung der (Offenen) Ganztagsschulen.
Alle Zuschüsse für bisher bewährte vielfältige Schulkinderbetreuungsangebote in Kirchengemeinden, Jugendhäusern, Horten,... (ich habe vor einiger Zeit mit Mitarbeitern des "JUCO" (eine Familienbildungsstätte) in Bonn-Muffendorf gesprochen, die sehr traurig waren, dass sie durch die Zuschussstreichungen ihren bewährten "Schülertreff" schließen mussten), wurden total gestrichen. Nur noch die schulische (Pflicht-)Betreuung für 5 Tage die Woche wird mit Zuschüssen bedacht. Jeder Wettbewerb wurde auf diese Weise ausgeschaltet. Das ist nicht gut!!!
Die von der Politik so ausgearbeiteten (nicht ausgereiften) Modelle (eigentlich nur eins, der "Ganztag"), sind für viele Eltern zu unflexibel und damit eigentlich nicht praktikabel! Aber was bleibt einem zu tun, wenn es keine Wahl mehr gibt... ? Wie oft habe ich von Eltern gehört, dass sie eigentlich nur für die Nachmittage, an denen sie arbeiten, die schulische Betreuung in Anspruch nehmen wollen. Dieses ist jetzt nicht mehr möglich; Eltern werden in längere Fremdbetreuung, als ihnen lieb ist, gezwungen, oder müssen sich eine Betreuung ohne jede Förderung suchen.
Staatliche Hilfe ist oft zu unflexibel und starr für die Belange von Familien! Im Fall der Ganztagsschule (vor allem, wenn es kein Kurzzeitangebot mehr daneben gibt) ist das bei uns offensichtlich. Es gibt einfach Mütter, die bewusst nicht arbeiten, welche, die bewusst halbtags (oder weniger) arbeiten und welche, die weitergehend berufstätig sind. Diese Entscheidung muss jede erziehende Person für sich selbst treffen, nach bestem Wissen, Gewissen, den jeweiligen Voraussetzungen und Möglichkeiten.
Wurden eigentlich schon mal Familien differenziert gefragt, was für sie sinnvolle Unterstützung bei der Erziehung der Kinder und für das Familienleben wäre - und wieweit sie das im Staat verwirklicht sehen? Es wäre an der Zeit, dieses mal in einem größeren Umfang und differenziert zu tun; ich würde mich auch gerne in einen Planungsprozess dahingehend mit einbringen, und sicher wären auch andere Familienrechtsorganisationen, z.B. das "Familiennetzwerk" und der Verband "Verantwortung für die Familie" um Christa Meves, zur Unterstützung bereit.
Familien sind kostbar, individuell, kraftvoll und auch sehr empfindlich - sie sind es Wert, differenziert gefördert zu werden, so weit das machbar ist! Einfache Lösungen gibt es nicht, auch nicht "Einspur". Man sollte, man muss regelmäßig an der Optimierung der Hilfesysteme für Familien (und auch anderswo) arbeiten. Dabei sollte man auch die Betroffenen selber zu Wort (und Beurteilung) kommen lassen, deren Verbesserungsvorschläge hören - und darauf, wo möglich, reagieren. Zum Beispiel hier bei uns - es müsste wirklich mal baldmöglichst der tatsächliche Bedarf nach Grundschulkinderbetreuung bei den Familien abgefragt werden, um unsere "These", dass der Halbtagsbetreuungsbedarf immens ist, zu überprüfen.
Die Politik sollte raus aus Verweigerung und Starre (die entsteht hier durch die Zweckgebundenheit der Ganztags-Zuschüsse; obwohl Halbtag die gleichen Räumlichkeiten benötigte, und dann der eigentliche Bedarf der Familien befriedigt werden könnte!).
Ich hoffe, dass ich Ihnen durch diese Erläuterungen (die viel länger und umfangreicher geworden sind, als geplant) unsere Haltung etwas klarer machen konnte. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie sich zugunsten von (uns) Familien und Familienrechten einsetzen würden.
Aus politischen Absichtserklärungen (und Gesetzen) muss wirksames und positives Handeln folgen - dann ist es gut!
Mit freundlichen Grüßen und danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Almut Rosebrock
29.04.08
Vorschlag einer Grundsatzdiskussion "Leben" schon unter den Top 10
Der Vorschlag von Familie Engelhardt an die Bundeskanzlerin auf der Webseite "Direkt zur Kanzlerin" findet hohe Zustimmung und liegt jetzt schon mit +515 Zustimmungen auf Platz 6 der eingereichten Fragen, obwohl die Abstimmung für diesen Vorschlag erst in 13 Tagen abgeschlossen sein wird. Man darf also nach den geltenden Regeln mit recht hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass das Bundeskanzleramt zu dieser Anregung eine Antwort geben wird.
Wer sich noch an der Abstimmung beteiligen und diesem Vorschlag Nachdruck verleihen will findet weitere Info im Bericht: Grundsatzdiskussion