24.03.20
Reisebegleiter: Auf den Spuren des Apostels Paulus in Griechenland
Historischer, philosophischer und theologischer Reisebegleiter von Harald Seubert und Jacob Thiessen
Eine Rezension von Christian Beß
(MEDRUM) Vor zwei Jahren erschien im Verlag Logos Editions ein vielbeachteter Reiseführer, der auf die Wege des Apostels Paulus in Griechenland führt. Verfasser sind der Religionsphilosoph Harald Seubert und der Theologieprofessor Jacob Thiessen.
Wer regelmäßig Diakrisis liest, dem sind die Autoren Harald Seubert und Jacob Thiessen kein unbeschriebenes Blatt. Beide lehren an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel (STH) und führen regelmäßig Studienreisen mit biblischem Hintergrund durch.
Nun ist aus ihrer Feder ein Reisebegleiter für Griechenland erschienen (Februar 2018). Format und Seitenzahl belasten das Reisegepäck nur geringfügig. Doch inhaltlich wird eine Fülle an Interessantem geboten. Eingeteilt ist das Buch in vier Kapitel, die um Glossar, Bibliographie, Karten und Bildnachweise ergänzt sind.
Einblick in das Reisen im Römischen Reich
Das erste Kapitel umfaßt vier Seiten und gibt einen grundlegenden Einblick in das Reisen im Römischen Reich: Welche Transportmöglichkeiten hatte man? Wie weit konnte man mit dem jeweiligen Verkehrsmittel an einem Tag kommen? Wie waren die Straßen ausgebaut? Die Autoren stützen sich hier im wesentlichen auf zwei Bücher, nämlich „Reisewege in der Antike. Unterwegs im Römischen Reich", verfaßt vom klassischen Archäologen Werner Heinz (Darmstadt 2003), und „Lebensadern des Imperiums. Straßen im Römischen Reich" von Margot Klee, der früheren Leiterin der Römischen Abteilung des Museums Wiesbaden (Stuttgart 2010). Für eine vertiefende Betrachtung zu römischen Straßen seien diese beiden Bücher empfohlen; da wird sehr deutlich, daß „Alle Wege führen nach Rom" viel mehr ist als nur eine Floskel.
Leben und Wirken des Apostels Paulus
Das zweite Kapitel bietet eine Übersicht über Leben und Wirken des Paulus – erst in tabellarischer Form auf drei Seiten, dann als ausformulierten Text. Die Puzzlearbeit einer chronologischen Auswertung von biblischen wie außerbiblischen Quellen wird exemplarisch an Apg 18,12 vorgeführt: der dort genannte Prokonsul Titus Iunius Gallio, ein Bruder des jüngeren Seneca, ist in einer 1905 veröffentlichten, nach ihm benannten, fragmentarisch erhaltenen Inschrift erwähnt. Andere Angaben aus dieser Gallio-Inschrift ermöglichen es, Paulus' zweite Missionsreise und seinen Aufenthalt in Korinth genau zu datieren. Des weiteren werden Erkenntnisse aus Jacob Thiessens jüngster, detailreicher Publikation „Die umstrittenen Paulusbriefe – Abschriften und Fälschungen?" (Wien und Zürich 2016) bei der Rekonstruktion von Paulus' Leben und Missionstätigkeit trefflich genutzt.
Die Wegstationen als Herzstück
Herzstück des Reisebegleiters ist zweifellos das dritte Kapitel, zugleich das umfangreichste. Hier werden elf Orte Griechenlands beschrieben, meist mit einem direkten Bezug zu Paulus (z. B. Philippi, Thessaloniki, Beröa, Korinth, Athen), doch sind auch der Olymp und die Meteora-Klöster aufgenommen. In diesem Kontext liegen Exkurse zur griechischen Mythologie und zur griechisch-orthodoxen Kirche nahe. Die Behandlung der einzelnen Orte folgt keinem ganz strengen Schema, da es ja überall lokale Besonderheiten gibt. Wiederkehrende Unterpunkte sind jedoch: „Die Stadt und ihre Bewohner", „Paulus in dieser Stadt" und „Sehenswürdigkeiten". Man erfährt beispielsweise, dass Philippi ein „Rom im Kleinformat" gewesen ist und die Bewohner auf ihre besondere rechtliche Stellung Wert gelegt haben. So wird klar, warum Paulus im Philipperbrief das „Bürgerrecht im Himmel" betont.
Ein weiteres Beispiel sei herausgegriffen: Korinth, eine reiche Handelsstadt, war nicht nur für ihre Sittenlosigkeit sprichwörtlich geworden, sondern auch berühmt für sportliche Wettkämpfe, die Isthmischen Spiele. Es ist also kein Zufall, wenn Paulus ausgerechnet im ersten Korintherbrief seinen geistlichen Dienst mit Vergleichen aus dem Bereich des Sports illustriert. – In ähnlicher Weise gelingt es den Autoren bei allen Orten, Verse aus den Paulusbriefen, aber auch aus der Apostelgeschichte durch Hintergrundinformationen über die Städte und ihre Einwohner in ein neues Licht zu rücken. Dies geschieht immer mit detaillierten Nachweisen und Quellenangaben, so daß man bei Interesse jeder Einzelheit noch weiter nachgehen kann.
Wer die Bezeichnung „Reisebegleiter" sehr ernst nimmt, mag sich über die oftmalige Kürze der Unterkapitel „Sehenswürdigkeiten" wundern. Bei Olympia finden sich unter dieser Überschrift elf, bei Mykene neun, bei Epidauros gar nur sechs Zeilen Text. Hier ist greifbar, dass die Verfasser nicht nur, vielleicht nicht einmal vornehmlich, Reisende oder Organisatoren von Studienreisen zu ihrer Zielgruppe zählten. Wie das Vorwort verrät, sollen die Ausführungen zugleich eine Hilfe beim Studium der Paulusbriefe sein. Zahlreiche Informationen lassen sich im Studierzimmer mit Nachschlagemöglichkeiten besser ausschöpfen, als wenn man direkt am Ort mit dem Buch vor antiken Steinen sitzt.
Paulus und seine Missionsreisen im historischen Kontext
Ganz besonders gilt dies für das vierte Kapitel. Es ist ein Juwel! Auf 27 Seiten wird man sehr kenntnisreich mit der Verehrung des Dionysos vertraut gemacht. Auch wenn dieser griechische Gott – anders als Hermes und Zeus (Apg 14,12) – im Neuen Testament nicht namentlich erwähnt ist, legen die Autoren überzeugend dar, wie sehr sein Kult im Griechenland des 1. Jh. n. Chr. verwurzelt war und das Denken der Menschen beeinflußt hat. Ausführlich wird dargestellt, wie Paulus in Philippi, Thessaloniki und Korinth „Dionysos begegnet" und wie er selbst die Sprache der Mysterienkulte gebraucht. Der Platon-Experte Seubert hat aus dessen Dialogen viel Wissenswertes exzerpiert: zum Wahnsinn, in den die Anhänger des Dionysoskultes gerieten, zur Musik, die eine große Rolle spielte, und zu den hellseherischen Fähigkeiten, die der Gott verleihen konnte. Zahlreiche Fußnoten verweisen auf einschlägige Passagen im Timaios, Phaidros und der Politeia. Doch auch weitere griechische Quellen, wie Plutarch (Über Isis und Osiris), Aristoteles und nicht zuletzt die Bakchen des Euripides, werden mit großem Gewinn herangezogen. Auch aus Arbeiten des ungarischen Gelehrten Karl Kerényi, eines herausragenden Kenners der griechischen Mythologie, wird mehrfach zitert. Auf diese Weise erfährt man vieles, was in der Bibel nicht steht, aber für das Verständnis der betreffenden Bibelstellen sehr hilfreich ist.
Auch mit dem sog. Zungenreden setzen sich die Verfasser gründlich auseinander. Es lohnt sich, diese Ausführungen zu studieren. Seubert und Thiessen gehen in die Tiefe und sparen nicht mit griechischen Fachtermini und hebräischen Zitaten. Gut verständlich ist der Beitrag dennoch auch für Laien.
Fazit
Fazit: Das Buch bietet auf engem Raum reiche und erhellende Fakten zu Paulus und seinen Missionsreisen durch Griechenland – und darüber hinaus. Es weckt die Lust auf vertiefende Beschäftigung und gibt interessierten Lesern in den Fußnoten die einschlägige Literatur an die Hand. Während theologische Fachleute wie Laien großen Gewinn aus der Lektüre ziehen werden, dürfte der am klassischen Touristenprogramm orientierte Reisende gut daran tun, sich zusätzlich einen Baedeker auf die Exkursion mitzunehmen. Darauf weist schon der Titel eines Reisebegleiters hin, der kein klassischer Reiseführer sein will.
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Die hier abgedruckte Rezension des Philologen Christian Beß wurde erstveröffentlicht in der Zeitschrift "DIAKRASIS", Ausgabe Nr. 3, September 2018. DIAKRISIS erscheint vierteljährlich und wird von der Internationalen Konferenz Bekennender Gemeinschaften herausgegeben. Zum Herausgeberkreis gehören:
Pastor Ulrich Rüß
Prof. Dr. Edith Düsing
Dekan i.R. Dr. Martin Holland
Rosemarie Holland
KR Dr. Rolf Sauerzapf
Landesbischof (em.) Heinrich Herrmanns
Bischof Prof. Ulrich Wilckens
Angaben zum Buch:
Harald Seubert, Jacob Thiessen. „Auf den Spuren des Apostels Paulus in Griechenland. Historischer, philosophischer und theologischer Reisebegleiter." Ansbach (Logos Editions) 2018, Seiten, ISBN: 978-3-945818-10-7, Pb, 17,95 Euro, geb. (Hard-cover) 24,80 Euro.
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