02.11.15
Was ist mit Europas Solidarität?
Boris Palmer (Die Grünen), Oberbürgermeister von Tübingen: Deutschlands Hilfe ist nobel, aber kein Imperativ für die "Flüchtlingsmoral" unserer Nachbarn in der EU
(MEDRUM) Europas Solidarität, die von vielen in der Flüchtlingskrise gefordert wird, ist bisher ausgeblieben. Gibt es Solidarität nur, wenn die EU-Staaten eine Zugewinngemeinschaft sind, aber nicht, wenn es um Lastenverteiluing geht? Der Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer (Grüne), weist in dieser Frage auf einige Aspekte hin, die Deutsche bedenken sollten, wenn sie verwundert oder auch verärgert auf fehlende Solidarität verweisen.
Palmer fragt, ob wir es uns nicht zu einfach machen, wenn immer vehementer Solidarität eingefordert wird, und nimmt sich die für einen Politiker der Grünen vielleicht ungewöhnlich erscheinende Freiheit, einige Umstände zu benennen, die bei der Sicht auf andere EU-Staaten in die Waagschale fallen:
Überdies weist der bekannte Kommunalpolitiker auf die Tatsache hin, dass Haltung, Moral und Hilfsbereitschaft nicht verordnet werden können und meint: "Wir Deutschen sollten uns davor ganz besonders hüten. Wenn wir uns verpflichtet fühlen, wegen der Nazi-Kriege heute besonders vielen Menschen zu helfen, ist das nobel, aber kein Imperativ für unsere Nachbarn."
Ebenso bemerkenswert sind Palmers Anmerkungen zum Verständnis von Solidarität, die nicht in einer einzigen Richtung definiert werden kann. Palmer gibt zu bedenken: "Wer sagt, wir können die Flüchtlingskrise nur lösen, wenn Europa solidarisch ist, wird mit den anderen Ländern auch solidarisch sein müssen, wenn sie für sich Grenzen der Hilfsbereitschaft definieren."
Schließlich warnt Palmer, das "europäische Einigungswerk" nicht über Gebühr zu strapazieren. Wir Deutsche hätten dies schon mit der "besseren Finanzmoral" gefährdet. Die Mahnung Palmers: "Wir sollten uns gut überlegen, wie viel Flüchtlingsmoral unsere Nachbarländer tragen können und wollen."
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Leserbriefe
Ein realistischer Blick
Den Grünen wird öfters, und das völlig zu Recht, ein weltfremder Idealismus und ein ideologisch verengter Blick attestiert. Boris Palmer überrascht hier, weil er in einer Klarheit die Dinge erkennt, wie sie der Bundeskanzlerin und den ihr gläubig Ergebenen zu wünschen sind. Allerdings gefallen nicht jedem Klarheit und Wahrheit: Die Vorsitzende der Grünen Jugend, die schon immer durch besonders weltfremde Thesen aufgefallen ist, fordert den Ausschluss von Boris Palmer aus der Partei der Grünen.