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Rote Laterne des Impfzuges geht an Deutschland


24.03.21

Rote Laterne des Impfzuges geht an Deutschland

Kritik an Bundesregierung wächst und Ostergottesdienste sind zum Streitpunkt im Kabinett geworden

von Kurt J. Heinz

(MEDRUM) Der Impfzug hat sich schon vor Monaten in Bewegung gesetzt. An der Spitze fährt Israel. Über das "Schlusslicht Deutschland" schreibt Gabor Steingart in seinem heutigen "Morning Briefing" und ein Tagesschau-Kommentator spricht in einem Resümee nach einem Jahr Coronapolitik aus Anlass der neuesten Beschlüsse von Bund und Ländern von "schweren Fehlschlägen". Ein Verbot von Ostergottesdiensten wird es laut Innenminister Seehofer allerdings nicht geben. Christen können hoffen, Ostergottesdienste  feiern zu dürfen und Juden können sich auf die Feier des Pessach-Festes freuen.

BildSpitzenreiter sind andere

Deutschland, das sich gerne als Spitzenreiter etwa in Sachen Klimaschutz und Energiewende sieht, leidet auf nicht wenigen Gebieten an Notständen. Ulrich Kutschera spricht in seinem Buch "Klimawandel im Notstandsland" von 24 Notständen, zum Beispiel vom Pflegenotstand, Fachkräftenotstand oder Wohnungsnotstand. Hinzu kommt der Corona-Notstand und der zähe Fortschritt bei Impfungen.

Wie sich seit vielen Wochen abgezeichnet hat, ist Deutschland auch auf dem Gebiet des Impfschutzes kein Spitzenreiter, sondern trägt sogar die rote Laterne. Wie ein Vergleich mit anderen Ländern zeigt, liegen nicht nur die USA, Großbritannien und Israel weiter vorne als Deutschland. Selbst Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Chile, Malta, Serbien, Ungarn und Marokko liegen zum Teil weit vor Deutschland, wenn man die Zahl der Impfungen im Verhältnis zur Einwohnerzahl miteinander vergleicht (Tabelle links, eine Länderauswahl). Dies unterstreicht, weshalb es nicht unbegründet ist, wenn Gabor Steingart von Impfdebakel und Schlusslicht spricht.

Selbst die Langmütigsten verlieren die Geduld

Immer schärfer und zahlreicher erhebt sich in den Medien Kritik. Ein Kommentator der Tagesschau bemerkte vor wenigen Tagen: "Von allem kommt zu wenig oder zu spät." Selbst die Langmütigsten verlieren die Geduld, wenn nicht mal der wenige Impfstoff, der verfügbar sei, ganz verimpft werde, während Menschen erkrankten, denen der Immunschutz noch fehle, so Uwe Jahn vom ARD-Hauptstadtbüro. Auch wenn nicht jeder gleich von einem "schweren Fehlschlag der Politik" sprechen muss oder kann, so ist doch eines klar: Die deutsche Impfpolitik ist kein Ruhmesblatt. Sie hängt den politisch Verantwortlichen wie ein Mühlstein um den Hals. Um so mehr, als die Zahl der Corona-Todesfälle mittlerweile die Zahl von 75.000 Toten überschritten hat.

Corona-Politik ein Scherbenhaufen?

Angesichts des Osterlockdowns gewinnen die Probleme bei Impfungen und Schnelltests nicht unerheblich an Stellenwert. Das war exemplarisch der Presseschau im heutigen Morgenmagazin des ZDF zu entnehmen, in dem der Kommentar von Anna Schneider aus der Neuen Züricher Zeitung präsentiert wurde. Sie stellte unter der Überschrift "Logik im Lockdown: Die deutsche Corona-Politik ist ein Scherbenhaufen", fest: "Die Bürger müssen für das büßen, was die Regierung monatelang verschlafen hat." Und dabei meinte Schneider, auch wenn sie im Gegensatz zu Claus Kleber noch keine gegenderte Sprache verwendet, durchaus alle Bürger, nicht nur die männlichen.

Seehofer: Kein Verbot von Ostergottesdiensten

Den Bogen überspannt hat nun die Kanzlerin wohl zumindest in der Frage, wie es an Ostern mit Gottesdiensten gehalten Bildwerden soll. Dem Appell, auf Gottesdienste zu verzichten (Bild links), hat sich das Kabinettsmitglied Horst Seehofer widersetzt. Die Tagesschau meldete heute Morgen: "Horst Seehofer hält an Ostergottesdiensten fest." Der Innenminister und CSU-Politiker betonte, es gebe kein Verbot und keine Forderung, Gottesdienste zu Ostern ausfallen zu lassen. Er zeige kein Verständnis für eine solche Forderung aus den Reihen einer christlichen Partei und habe darauf verwiesen, dass die Konzepte der Kirchen tadellos funktionierten. Die Schlussfolgerung daraus lautet: Die kirchlichen Stellen entscheiden, ob und wie sie Ostergottesdienste unter Beachtung der bisher schon geltenden Regeln durchführen. Von dem von Angela Merkel verkündeten Prinzip "Wir bleiben Ostern zu Hause" dürften also die Gottesdienste ausgenommen sein.

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Ergänzung von 14.30 Uhr:

Die Feststellung, dass die Kanzlerin den Bogen wohl überspannt hat, hat sich mittlerweile als berechtigt erwiesen. In der Fragestunde des Deutschen Bundestages heute Mittag machte sie von ihrer Ankündigung einer "Osterruhe" einen Rückzieher.  "Merkel stoppt Pläne für Osterlockdown", meldete die Tagesschau. Merkel erklärte zu Beginn der Fragestunde, die Absicht, an den Tagen Gründonnerstag und Karsamstag Ruhetage verordnen zu wollen, sei ihr Fehler gewesen, denn das sei auf Grund der Kürze der Zeit nicht umsetzbar gewesen. Dies habe zusätzliche Verunsicherung ausgelöst. Sie bedaure dies und bitte Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung. Ein Kommentator des WDR meinte dazu, die Idee von den Ruhetagen sei allein die Idee von Merkel gewesen und sie habe dies bei der Konferenz mit den Länderregierungen durchgeboxt. Jetzt habe sie allerdings aufgrund von Warnungen aus dem Innenministerium vor den Folgen die Notbremse gezogen.


22.02.21 Pauschale Grundrechtseingriffe wegen Corona höchst bedenklich MEDRUM

Leserbriefe

Das ganze Impfvorgehen in Deutschland gegen Covid-19 ist eine einzige Schande. Seit Monaten wird uns erzählt, es sei zuwenig Impfstoff da, dann wieder heißt es, es sei genügend gelagert. Angeblich sollen die Hausärzte mitimpfen und wollen dies auch sehr gerne, wie zu hören und zu lesen. Fragt man in Hausarztpraxen, dann wissen die von nichts. Wir werden Tag für Tag für dumm verkauft. Was die Zahl der Impfungen betrifft, liegen wir noch hinter Singapur. Und bestimmt auch noch hinter Sansibar. Es ist sowas von lächerlich, nee, lächerlich wäre es, wenn es nicht so ernst wäre... Der Deutsche ersäuft, wie es schon immer war, im Schlamm des Bürokratismus, in der Erbsenzählerei. Und die Sitzungen der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin sind nur eines: Wichtigtuerei, praxisferne Wichtigtuerei...

Manchmal hat man den Eindruck, dass die politischen Verantwortlichen solcher Katastrophen kaum Schaden an ihrer Unfähigkeit nehmen. Die Milliardenpleite BER mag da ein Beispiel sein. Während man bei anderen Zeitgenossen genau auf die kleinste Verfehlung schaut (auch nur zum Schein) und ihnen den Prozess macht, werden andere wiederum mit großer Nachsicht gekrönt unter dem Motto: Sie können es halt nicht besser. Schon Luther notierte diese merkwürdige Toleranz der Deutschen und täte es heute wohl genauso.