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Scholl-Latour: Medien fragen nach Quote statt Qualität und Bildung


18.08.14

Scholl-Latour: Medien fragen nach Quote statt Qualität und Bildung

Den Medien hält der Journalist und Kenner vieler Brennpunkte des Weltgeschehens vor, überall Desinformation aufzugreifen und falsche Bilder zu vermitteln, anstatt über das tatsächliche Geschehen und seine Hintergründe unvoreingenommen und qualifiziert zu berichten

(MEDRUM) Kaum ein Medium steht nun beim Tod von Peter Scholl-Latour beiseite, wenn es darum geht, seine einzigartige Kompetenz als Journalist und Buchautor zu würdigen. Viele heften ihm das Etikett des Welterklärers an, weil er wie wohl kein Zweiter die Dinge zu erklären wusste, die in vielen Teilen der Welt das Geschehen prägten. Wäre es nicht konsequent, wenn die Medien nicht dabei stehen blieben, den Journalisten Scholl-Latour zu rühmen, sondern das, was er an Erkenntnissen zu vermitteln wusste, auch selbst journalistisch zu beherzigen?

Anlässlich seines 90. Geburtstages gab Prof. Peter Scholl-Latour im März 2014 ein Interview, das im Alpha-Forum von BR Alpha gesendet wurde (10.03.14) und wertvolle Einblicke in sein Leben und Denken als Reporter, Journalist und Publizist gibt. Einige Streiflichter aus dem Gespräch von Hilde Stadler mit ihm im Alpha-Forum:

Desinformationszentralen

Im Interview mit BR Alpha merkt Scholl-Latour zu seiner kritischen Distanz gegenüber westlichen Denkschablonen an, er sei sehr eng mit den Menschen in anderen Erdteilen zusammenkommen und habe gemerkt, dass unsere Vorstellung, dort Demokratie und Parlamentarismus einzuführen, illusorisch sei, dass man den Ländern ihre eigene Natur und Kultur lassen müsse. Er sei nie ein Prediger gewesen, der versucht habe, die Welt zu verbessern. So wäre etwa ein Versuch, die Chinesen zur amerikanischen Form der Demokratie zu bekehren, purer Blödsinn. Außerdem werde dauernd gelogen. Es gebe nicht nur die NSA, die uns dauernd belausche, sondern es gebe auch regelrechte Desinformationszentralen. So gehe es in Afghanistan den Amerikanern nicht darum, die afghanische Armee auszubilden, sondern Basen zu behalten. Die wahre Absicht, von Basen in Afghanistan ausgehend Pakistan wegen seiner atomaren Waffen überwachen zu können, die ja sinnvoll sei, werde jedoch verborgen.

Desinformation geht durch die Medien

Deutliche Kritik übt Scholl-Latour an der Berichterstattung der Medien. Die Desinformation werde überall aufgegriffen, von links nach rechts, von der TAZ bis zur Welt gehe das durch. So sei von Syrien ein total falsches Bild übermittelt worden. Der Krieg in Syrien sei von außen angestiftet worden. Als Resultat sei zu befürchten, wenn Assad gestürzt werde, dass eine Art Kalifat von Syrien und Irak von Kräften drohe, die sich offiziell zur Linie von Al Quaida bekennen.  Es trete eine grauenhafte Form des Islam hervor, die schlimmer als die Taliban sei (Anmerkung der Redaktion: Diese Befürchtung Scholl-Latours nahm mittlerweile reale Formen an, wie das grausame Wüten des IS im Irak jetzt zeigt).

Nachrichten nicht in ARD und ZDF, sondern in ntv

Scholl-Latour betont, er habe früher noch die Möglichkeit zur kritischen Berichterstattung gehabt und dabei auch den Schutz des Intendanten gehabt. Heute sei vieles anders. Inzwischen sei er so weit, wenn er Nachrichten sehen wolle, dass er ntv ansehe statt ARD und ZDF. Auf die Frage "Warum?" antwortet Scholl-Latour: "Weil die nichts mehr bringen." Auf den Einwand, die Geschehnisse in der Ukraine seien Gegenstand intensiver Berichterstattung gewesen, entgegnet Scholl-Latour: "Aber falsch! Aber falsch!" Das Grundproblem der Ukraine werde nicht verstanden.  An der Berichterstattung sehe man, so Scholl-Latour: "Die Leute haben keine Geschichte gelernt. Rußland ist in Kiew entstanden. Kiew ist der Ursprung Russlands." In diesem Zusammenhang kritisiert Scholl-Latour auch die Voreingenommenheit der Journalisten, die zum Beispiel bei der Berichterstattung vom Maidan deutlich zu erkennen gewesen sei.

Öffentlich-Rechtliche bringen sich um Existenzberechtigung

Dem Journalisten Scholl-Latour fehlt es insbesondere an Dokumentationen und Analysen, wie sie früher gesendet worden seien. Generell merkt Scholl-Latour zu dieser Entwicklung an, es fehle an Bildung. Statt Qualität stünde die Quote im Blickpunkt. Nicht, ob eine Sendung gut war, sondern wie ihre Quote war, werde gefragt. Doch damit, so Scholl-Latour, brächten sich die Öffentlich-Rechtlichen um ihre eigene Existenzberechtigung. Wörtlich: "Die sollen eben nicht auf die Quote schauen. Sie haben einen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Den haben sie."

Video über Peter Scholl-Latour im Alpha-Forum: → Zum 90. Geburtstag

gesendet am Montag, 10.03.14, 21:00 - 21:45 (45 Min.)

Begleittext zum Interview: "Ein Jugendtraum von Peter Scholl-Latour war es, Forschungsreisender zu werden. Und in gewisser Weise wurde er das auch. Als Journalist und Abenteurer bereiste der Nahost-Experte alle Länder der Erde. Auf unverwechselbare Art berichtet er von Krisen, Kriegen und Gefahren, ohne die schönen Seiten des Lebens aus den Augen zu verlieren. Moderation: Hilde Stadler"

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Prof. Dr. Peter Scholl-Latour wurde 1924 in Bochum geboren. Seine Mutter kam aus dem Elsaß und war jüdischer Abstammung, sein Vater stammte aus Lothringen und war Arzt. Scholl-Latour wurde katholisch getauft. Wegen der jüdischen Herkunft seiner Mutter verbrachte Scholl-Latour einige Jahre während der Nazizeit in einem katholischen Internat in der Schweiz. Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges meldete er sich freiwillig bei einer französischen Fallschirmjägereinheit, die in Indochina eingesetzt war. Er studierte danach zunächst Politikwissenschaft und nach seiner Promotion schloss er ferner das Studium der Arabistik und Islamkunde mit der Diplomprüfung ab. Scholl-Latour entschied sich für den Beruf des Journalisten und bereiste unter anderem als Sonderkorrespondent nahezu alle Kontinente und Konfliktregionen der Welt, insbesondere den Fernen Osten, den Nahen und Mittleren Osten sowie große Teile Afrikas. Er galt als ausgewiesener Experte (Schwerpunkt Orient), der über exzellente Kontakte verfügte und weder Mühe noch Risiko bei seiner journalistischen Arbeit scheute. Einen wesentlichen Teil seiner Erkenntnisse gewann er nicht aus Archiven, sondern aus eigener Anschauung in der Begegnung mit den Menschen in den Brennpunkten der Welt. Dort erwarb er sich große Anerkennung. Besondere Beachtung fanden im Fernsehen vor allem seine Reportagen und Dokumentationen über das Weltgeschehen. Mit seinen über 30 Büchern und vielfach Bestsellern gehört Scholl-Latour zu den erfolgreichsten Sachbuchautoren Deutschlands.

Peter Scholl-Latour verstarb am 16.08.2014 in Rhöndorf.


17.08.14 Zum Tod von Peter Scholl-Latour: Keinem gefällig, allen ein Lehrer FAZ

Leserbriefe

Peter Scholl-Latour ist - und jetzt war - für mich das, was ich vielen anderen Journalisten nicht mehr ohne weiteres zuschreiben würde: Glaubwürdig! Unabhängig und innerlich frei - soweit dies überhaupt möglich ist - couragiert, ermöglichte er uns einen Blick hinter die Kulissen. Wenn ich mir die Berichte und Einschätzungen heutiger Journalisten zu Gemüte führe, erfasst mich tiefes Misstrauen ihnen gegenüber. Müsste es nicht die vornehmste Pflicht eines jeden sein, vorgegebene Meinungen zu hinterfragen, die verborgenen Motive der Politiker zu ergründen und den Leser, Hörer und Zuschauer so unvoreingenommen wie möglich zu informieren?  

Die Gesamtheit der an Nachrichten und Hintergrundberichten interessierten Bürger ist nicht ein Schlund, in den man Unwahrheiten, Halbwahrheiten, Verdrehungen, sogar Lügen und allen möglichen Schund hineinstopfen dürfte. Nein, die Menschen haben Anspruch auf möglichst neutrale Darlegung der Fakten und Tatsachen. Wie kann ein Journalist, der seine Aufgabe ernst nimmt, mit der heutigen Art der Berichterstattung zurechtkommen und ihr noch Vorschub leisten? Ich kann mir vorstellen, dass die Politik kein gesteigertes Interesse hat an Journalisten, wie Peter Scholl-Latour einer war. Sie braucht willige, linientreue, gehorsame Leute dieses Fachs - keine eigenständig denkenden, ob im Kommunismus oder im knallharten Kapitalismus.

Es war eine Gnade, Peter Scholl-Latour so lange unter uns zu haben. Wer Ohren hatte zu hören... Er stand gegen jeden Fortschrittsoptimismus und war damit ein letzter weltlicher Vertreter des christlichen Weltbilds in unserer abendländischen Gesellschaft. Während sich offizielle Vertreter der christlichen Kirchen die Lösung immer wieder von Friedenskonferenzen und Entwicklungshilfeprogrammen versprachen, wies er einfach auf die Erbsünde hin. Er wusste, dass die Welt, die er bereiste, eine gefallene ist. Requiescat in Pace.