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Chiara Lubichs Karfreitags-Meditation

Quellenangaben: 
ZENIT.org, http://www.zenit.org, 19. März 2008
Autor: 
Chiara Lubich

Karfreitags-Meditation:

Die
heroische Lektion über die Liebe


Gedanken
der Gründerin der Fokolar-Bewegung für ZENIT-Leser

verfasst
zum Karfreitag des Jubiläumsjahrs 2000

Karfreitag: Jesu Tod am Kreuz
ist seine erhabene, göttliche, heroische Lehre über die Bedeutung der Liebe.

Er hatte alles gegeben: ein
Leben in Gehorsam an Marias Seite, unter schweren Bedingungen. Drei Jahre, in
denen er predigte, die Wahrheit offenbarte, für den Vater Zeugnis gab, den
Heiligen Geist versprach und alle Arten von Wundern der Liebe wirkte. Drei
Stunden am Kreuz, von dem aus er seinen Henkern vergab, dem Schächer zur
Rechten den Himmel öffnete, uns seine Mutter und schließlich seinen Leib und
sein Blut gab, nachdem er sie uns auf geheimnisvolle Weise in der Eucharistie
gegeben hat. Nur seine Göttlichkeit blieb.

Sein Einssein mit dem Vater -
jenes süßeste und unaussprechliche Eins-Sein, das ihn auf der Erde als Gottes
Sohn so mächtig und am Kreuz so erhaben gemacht hatte - dieses Bewusstsein von
Gottes Anwesenheit, musste sich in die geheimsten Winkel seiner Seele
zurückziehen, durfte nicht mehr wahrnehmbar sein, ihn gewissermaßen von
demjenigen trennend, von dem er gesagt hatte, dass er eins mit ihm ist: „Der
Vater und ich sind eins“(Joh 10,30). In seinem Inneren war die Liebe
vernichtet, das Licht gelöscht, die Weisheit verstummt. So machte er sich zum
Nichts, um uns zu Teilhabern an Allem zu machen, welches er ist; zu einem Wurm
der Erde (Psalm 22,7), um uns zu Kindern Gottes zu machen.

Wir waren vom Vater getrennt. Es
war notwendig, dass der Sohn, in dem wir alle sind, sich vom Vater getrennt
fühlen sollte. Er musste erfahren, von Gott verlassen zu sein, damit wir
niemals wieder verlassen sein könnten. Er hatte gelehrt, dass niemand größere
Liebe hat als derjenige, der sein Leben für seine Freunde hingibt. Er, der das
Leben selbst ist, gab sich vollkommen hin. Es war der Gipfel seiner Liebe, der
Liebe schönster Ausdruck. Hinter allem Leid unseres Lebens steht er.

Es ist er selbst. Ja, weil
Jesus, als er in seiner Verlassenheit aufschreit, das Bild jener ist, die stumm
sind: Er kann nicht mehr sprechen. Er ist das Bild dessen, der blind ist: Er
kann nicht sehen; eines Tauben: Er kann nicht hören. Er ist der Erschöpfte, er
stöhnt. Er ist am Rand der Verzweiflung. Er hungert nach Vereinigung mit Gott.
Er ist das Bild des Verratenen, des Betrogenen; er scheint ein Versager zu
sein. Er ist voller Angst, furchtsam, verwirrt.

Der verlassene Jesus ist
Dunkelheit, Schwermut, Anders-Sein. Er ist das Bild von allem Seltsamen,
Undefinierbaren, von allem, das etwas Ungeheuerliches, Absurdes an sich hat.
Weil es Gott ist, der um Hilfe schreit! Er ist der Einsame, der Verlassene, der
scheinbar Nutzlose, ein Ausgestoßener, einer im Schock. Daher können wir ihn in
jedem leidenden Bruder oder jeder leidenden Schwester erkennen. Wenn wir uns
jenen nähern, die ihm ähnlich sind, können wir mit ihnen über den verlassenen
Jesus sprechen.

Für jene, die erkennen, dass sie
ihm ähnlich sind und die bereit sind, sein Schicksal zu teilen, wird er: für
den Stummen, zur Sprache, für den Zweifler, zur Antwort; für den Blinden, zum
Licht; für den Tauben; zur Stimme; für den Müden, zur Ruhe; für den
Verzweifelten, zur Hoffnung; für den Getrennten, zur Einheit; für den
Ruhelosen, zum Frieden. Mit ihm wird der Mensch umgewandelt und die
Sinnlosigkeit des Leidens bekommt Sinn. Er hatte ein „Warum?“ heraus
geschrieen, auf das niemand antwortete, damit wir die Antwort auf jede Frage
hätten.

Das Problem des Menschenlebens
ist das Leiden. Gleich welche Form es annehmen mag, wie schrecklich es sein
mag, wir wissen, dass Jesus es auf sich genommen hat und - wie durch göttliche
Alchimie - Leiden in Liebe verwandelt.

Ich kann aus meiner eigenen
Erfahrung sagen, dass das seelische Leid verschwindet, sobald wir es liebevoll
annehmen, um wie er zu sein, und dann weiter lieben, indem wir Gottes Willen
tun. Wenn es körperlich ist, wird es zu einer leichten Bürde.

Wenn unsere reine Liebe mit
Leiden in Kontakt kommt, verwandelt sie dieses in Liebe. In einem gewissen Sinn
vergöttlicht sie das Leiden. Wir könnten fast sagen, dass die Vergöttlichung
des Leidens, die Jesus bewirkte, sich in uns fortsetzt. Und nach jeder
Begegnung, in der wir den verlassenen Jesus geliebt haben, finden wir Gott auf
neue Weise, persönlicher, mit größerer Bereitschaft und in vollerer Einheit.

Licht und Freude kehren zurück;
und mit der Freude jener Friede, der die Frucht des Geistes ist.

Dieses Licht, diese Freude und
dieser Friede, die durch Leiden, das geliebt wird, gedeihen, treffen und
bewegen selbst die schwierigsten Menschen. Ans Kreuz genagelt, werden wir zu
Müttern und Vätern von Seelen. Die Wirkung ist größtmögliche Fruchtbarkeit.

Wie Olivier Clément schreibt:
„Der Abgrund, der sich durch jenen Schrei für einen Augenblick auftat, wird mit
dem großen Wind der Auferstehung erfüllt.“

Jede Trennung wird aufgehoben,
Traumata und Spaltungen werden geheilt, eine alle Menschen umfassende
Geschwisterlichkeit leuchtet auf, Auferstehungswunder geschehen in großer Zahl,
ein neuer Frühling für die Kirche und für die Menschheit beginnt.

Leserbriefe

uns seine Mutter und schließlich seinen Leib und sein Blut gab, (Zitat aus dem obigen Artikel von Ch. Lubisch)

Warum hat die kath. Irrlehre auf dieser Seite einen Platz gefunden??? Jesus hat sich für mich gegeben, und das ist genug.
Shalom

"Sehr geehrter Gast,

mit der Wiedergabe der Meditation von Chiara Lubich wird nicht die Absicht
verfolgt, einer Irrlehre Platz zu geben. Hier soll vielmehr ein Dokument
berührender Gedanken des Glaubens einer Christin präsentiert werden, die durch
ihr christliches Denken und Handeln ein Lebenswerk der christlichen Liebe
verrichtet hat, das in der Nachfolge Jesu steht und für andere Christen
Ermutigung und Anstoß geben kann.

Die Wiedergabe eines Dokumentes bedeutet nicht, dass jede Aussage des
Verfassers oder der Verfasserin uneingeschränkt geteilt wird. Dieses Forum ist
kein Platz der Verkündigng von Glaubenslehren. Es liegt auf der Hand, dass man
über diese oder jene Passage dieses wie auch anderer Dokumente in diesem Forum
aus verschiedenen Perspektiven reflektieren und zu unterschiedlichen Bewertungen
kommen kann.

Chiara Lubich dürfte die Aussage, Jesus habe uns seine Mutter gegeben, nicht
als Opfergabe gemeint haben, die dem Opfer Jesu seiner selbst gleichzusetzen
ist. Das wäre sicherlich eine eigenwillige und unzulässige Interpretation.
Chiara Lubich hat vermutlich mit diesem Gedanken nur verdeutlichen wollen, dass
er bei seinem Kreuzestod nicht nur sein Leben, sondern auch seine geliebte
Mutter zurückgelassen hat und sie seinem Jünger Johannes mit den Worten "Siehe,
deine Mutter" und "Siehe, dein Sohn" anvertraut hat.

Ihre Auffassung, dass für die Christenheit die erlösende Wirkung und
Offenbarung in der Hingabe von Jesus Christus im Kreuzestod liegt, dürfte nicht
umstritten sein.