06.05.10
die MissbrauchsfÄlle INnerhalb DER KIRCHE
zwischen öffentlicher empörung und innerem notstand
Ein Kommentar von Joseph Schumacher
(MEDRUM) Freiburg, 6. Mai 2010 - Inzwischen sind viele weitere Missbrauchsfälle innerhalb der Kirche bekannt geworden. In ihren Reaktionen darauf drehen und wenden sich die Verantwortlichen der Kirche vielfach, um den Massenmedien zu gefallen. Diese honorieren es ihnen jedoch nicht. Es müsste deutlicher gesagt werden, dass es den Medien keineswegs um die Opfer und erst recht nicht um die Glaubwürdigkeit der Kirche geht, dass die moralische Empörung der Medien gespielt ist. Aufschlussreich ist, dass sie, die Medien, zu der totalen Sexualisierung unserer Gesellschaft und zu der Eskalation der Pornographie in der Öffentlichkeit, speziell in den Medien, schweigen. Im Hinblick auf die Kirche entlädt sich hier ein abgründiger Hass, der so nicht erwartet gewesen ist und heute vielleicht auch noch nicht einmal von den Verantwortlichen in der Kirche in seiner ganzen Tragweite erkannt wird.
Entscheidend geht es den Medien weithin um die Zerstörung der moralischen Autorität der Kirche, an der man trotz allem nicht vorbei kann und an der man sich reibt. Sie möchten die moralische Autorität der Kirche zerstören, weil diese die innere Abwendung vieler von ihr in den Tiefenschichten ihrer Seele in Frage stellt. Unter diesem Aspekt kann man von einem Missbrauch des Missbrauchs sprechen.
Die Abwendung von Gott und Hinwendung zur säkularen Welt
Es fehlt der Kirche in der öffentlichen Behandlung der Missbräuche an Konsequenz, an jener Konsequenz, die sie in diese Situation hineingeführt hat, die aber auch sonst seit Jahrzehnten in der Kirche vorherrscht. Allzu sehr schielt man auf die Erwartung der säkularen Welt. Sie will man zufrieden stellen. Dabei bedenkt man nicht, dass das nicht möglich ist, weil es ihr in keiner Weise um die Sache geht.
Ein jüngerer Priester, Dominikaner, erklärte, die Missbrauchsfälle müssten allesamt auf den Tisch. Das ist eine oberflächliche Feststellung, die man freilich immer wieder vernehmen kann. Er bedenkt dabei nicht, dass das eigentliche Problem die innere Erosion der Kirche ist. Die aber muss auf den Tisch. Das ist wichtiger für die Kirche als die Missbrauchsfälle es sind. Es muss gefragt werden, wie es zu solchen Missbräuchen kommen konnte und warum man das nicht verhindert hat. Im Grunde sind die Missbräuche nichts anderes als Sumpfblüten der mangelnden Administration in der Kirche, Sumpfblüten vor allem des Verlustes der Identität der Kirche und ihrer Hinwendung zur Welt, einer Säkularisierung der Kirche, die bis ins Mark geht. Die Kirche muss sich als Ganze wieder Gott zuwenden, seiner Offenbarung und seinen Sakramenten, und dafür sorgen, dass alle ein gottesfürchtiges Leben führen, vor allem die Priester.
Genau dieses Faktum wird ausgespart oder von immer neuen Stellungnahmen der Verantwortlichen nach außen hin überlagert. Sie sagen das, was die Welt hören will und rezitieren von daher immer neue Entschuldigungen im Blick auf die Opfer, nicht aber im Blick auf Gott, ganz abgesehen davon, dass es unsinnig ist, sich für die Untaten eines anderen zu entschuldigen. Die kann man bedauern, dafür kann man sich aber nicht entschuldigen. Entschuldigen kann man sich eventuell dafür, dass man nicht gegen sie eingeschritten ist. Aber wie will man gegen Untaten eingeschritten sein, von denen man nicht gewusst hat? Aufgabe der Kirche ist es vor allem, die Übeltäter aufzufordern, sich zu entschuldigen, vor Gott und den Menschen, zu bereuen, Buße zu leisten und entsprechende Wiedergutmachung zu leisten. Schon nach Platon ist der „reatus culpae“ ein wesentliches Element der Schuld und ihrer Vergebung. Das größere Übel ist die Sünde, das durch die Sünde gestörte Verhältnis zu Gott. Hätten die Übeltäter in der Furcht des Herrn gelebt, hätten sie nicht im Traum an solche Untaten gedacht. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass sie, bevor sie diese Untaten begingen, schon andere begangen haben, weil die Abwendung von Gott in der Regel ein längerer Prozess ist. Nicht nur kriminelle Untaten sind Untaten. - Wenn die Welt die Vertreter der Kirche immer neu auffordert, sich zu entschuldigen, tut sie das aus Gedankenlosigkeit oder um deren Autorität zu zerstören.
Der Missbrauch als Treuebruch des Zölibatversprechens
Wichtig ist hier auch, dass wir erkennen, dass die Missbrauchsfälle allesamt auch eine Verfehlung gegen den Zölibat darstellen, wenn man ihn im Sinne der Kirche versteht, nämlich als Verzicht nicht nur auf die Ehe, sondern als Verzicht auf jede sexuelle Betätigung, aus Liebe zu Gott und zur heiligen Kirche. Im Übrigen gilt für jeden katholischen Christen, dass das Geschenk der Sexualität gemäss dem Willen Gottes seinen legitimen Ort allein in der Ehe hat, dass alles andere Missbrauch und Sünde ist.
Die Vertreter der Kirche sind weithin fixiert auf die Missbrauchsfälle. Dabei verstehen sie diese, das kommt noch hinzu, vorwiegend psychologisch und versäumen es, darauf hinzuweisen, dass eine Nicht-Wiederholung solcher Vorgänge am ehesten gewährleistet ist, wenn die Priester wieder ihr Zölibatsversprechen so verstehen, wie es gemeint ist, und wenn sie wieder ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Verkündigung der authentischen Sexualmoral der Kirche und auf die Übung der Tugend der Keuschheit richten, wie sie darin gefordert wird. Dann erübrigt sich der Hinweis auf „die Balance zwischen Nähe und Distanz“ in der Hinwendung zu den Menschen in der Pastoral, worauf man neuerdings immer wieder rekurriert, die natürlich für alle Berufe gilt, die sich mit den Menschen beschäftigen.
Die Sexuelle Aufheizung der Gesellschaft und der Verlust des moralischen Verantwortungsbewusstseins
Skandalös ist die breite detaillierte Information über die Missbräuche in den Medien. Mit geheuchelter moralischer Entrüstung wird alles Geschehene breit getreten, ohne jede Diskretion, vor allem auch ohne jeden Schutz der Kinder und Jugendlichen, die bei solchen Fernsehsendungen zuschauen. Warum werden die Details hier so in die Öffentlichkeit gezerrt? Da wird der Missbrauch für fragwürdige Ziele missbraucht. Durch die breite Darstellung des Geschehenen in den Medien werden bedeutende Barrieren niedergerissen und wird das Problem in der Gesellschaft verschärft.
Es ist ein verhängnisvolles Versäumnis, dass in diesem Kontext nicht die Rede ist von der Freigabe der Pornographie vor mehr als vier Jahrzehnten und von der umfassenden Frühsexualisierung der Kinder in der Öffentlichkeit und in der gängigen Pädagogik sowie von der Umkehrung der überkommenen Sexualmoral in Theorie und Praxis, wobei die Vertreter der Kirche, Priester und Laien, die Sexualmoral der Kirche in der Verkündigung und im Religionsunterricht in vielen Fällen verlassen, wenn sie sich nicht gar noch lustig machen über sie. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die innerkirchliche Polemik gegen die Enzyklika „Humanae vitae“ von 1968.
Die jetzige Situation der Kirche hat, vereinfacht ausgedrückt, zwei Gründe, zum einen die Eskalation der Sexualität, die sexuelle Aufheizung in unserer Gesellschaft, und zum anderen den Verlust der Frömmigkeit und des moralischen Verantwortungsbewusstseins.
Tatsächlich hat sich die Kirche hier in beschämender Weise ins Unrecht gesetzt. Allein, da rächen sich Inkonsequenz, Formalismus und Veräußerlichung über Jahrzehnte hin.
Der Werteverlust der Tugend der Keuschheit
Unklar bleibt in der Auseinandersetzung, ob es sich in den Missbrauchsfällen um moralisches Versagen handelt oder um behandlungsbedürftige seelische Anomalien, ob die Täter moralisch schuldig geworden sind und juridisch bestraft werden müssen oder ob sie nur therapiert werden müssen. Das ist dadurch bedingt, dass die Debatte extrem emotional geprägt ist. Wahrscheinlich ist es so, dass in den wenigsten Fällen die Pädosexualität pathologisch bedingt ist. Primär erklärt sich deren Eskalation wohl aus dem Zusammenbruch jeder moralischen Verantwortung in unserer Gesellschaft, der auch die Kirche erfasst hat, und zwar in dem Maß, in dem sie sich zur Welt bekehrt und der Welt andient.
Die offizielle Lehre der Kirche verurteilt den Missbrauch der Sexualität mit einer Konsequenz, wie das sonst nirgendwo geschieht. Und der Zölibat, der ein Ausdruck dafür ist und eine Hilfe dazu sein soll, soll daran Schuld sein? Das ist gegen jede Vernunft. Hätten sich die Priester nicht den Forderungen der säkularen Welt angepasst, dann hätten sie sich in diesem Punkt, aber auch wohl in vielen anderen Punkten, nicht vor Gott und vor den Menschen versündigt. Es ist bezeichnend, dass jene, die die Kirche früher vehement bekämpften wegen ihrer, wie sie sagten, rigiden Sexualmoral, sie nun bekämpfen, weil sie diese Moral nicht genügend propagiert und zum Maßstab ihres Handelns gemacht hat. Allein, der Wert der Tugend der Keuschheit wird schon lange nicht mehr gelehrt und gelebt. Bereits seit Jahrzehnten predigen nur wenige Priester darüber, und im Religionsunterricht wird sie wie kaum ein anderes Thema hartnäckig ausgeklammert.
Das Religiöse Defizit und der Mangel an Konsequenz in der Kirche
Was sich in den Missbrauchsfällen zeigt, das ist das religiöse Defizit der Kirche, wie das der Papstbrief an die Katholiken Irlands deutlich zum Ausdruck bringt, das ist die Horizontalisierung der Botschaft der Kirche, das ist das Einschwenken auf die Welt und ihre Erwartungen und ihre Praktiken. Natürlich sind die „Fälle“ nur relativ wenige. Das kann man sagen, aber dabei darf man es nicht bewenden lassen.
Es ist absurd, hier Hilfe zu erwarten von der Änderung der Strukturen, womit die so genannte „Kirche von unten“ immer wieder hervortritt. Das Ganze ist ein Problem der Spiritualität, des religiösen Lebens und der Moral. Ein gravierendes Problem ist hier die fehlende Praxis der regelmäßigen Beichte und des Gebetes der Priester. Das eine wie das andere wird von den Verantwortlichen nicht deutlich genug immer wieder eingefordert.
Es ist nicht die Aufgabe der Kirche, Verfehlungen ihrer Priester anzuzeigen, wohl aber ist es ihre Aufgabe, diese zu ahnden und für die Zukunft unmöglich zu machen und dafür zu sorgen, dass jene, die im Dienst der Kirche stehen, diese glaubwürdig vertreten in Lehre und Leben.
Die Kirche erlebt hier eine Krise, die bis ins Mark hinein geht. Tatsächlich ist sie auf den Tod krank, die Kirche. Von daher erklären sich auch, jedenfalls nicht zuletzt, der wachsende Rückgang der kirchlich Praktizierenden, die immer geringer werdende Zahl der Gottesdienstbesucher und der so genannte Mangel an Priester- und Ordensberufen, der eigentlich so nicht besteht, der richtiger als Mangel an guten und gläubigen und frommen und seeleneifrigen Priestern und Ordensleuten bezeichnet werden müsste.
Es ist die administrative Schwäche, die hier wieder einmal deutlich wird in der Kirche. Das sollte man auch klar sagen. Es fehlt in der Kirche effektiv an der Bereitschaft, die Normen des kanonischen Rechtes durchzusetzen. Ohne Sanktionen bricht jede Rechtsordnung zusammen. Charakteristisch ist, wenn Bischof Schönborn von Wien erklärt, wenn ein Priester sich gegen den Zölibat vergeht, will er mit ihm reden und ihm seine Doppelmoral vorhalten. So könnte es ein Mitbruder machen, aber nicht ein Vorgesetzter. Wenn man an der Zölibatsverpflichtung festhalten will, muss man sie auch urgieren, ihre Einhaltung nicht nur mit freundlichen Worten erbitten.
Es rächen sich hier bitter jahrelange Versäumnisse. De facto hat man sich seit Jahrzehnten in der Administration der Kirche zu wenig um das religiöse und moralische Leben der Priester gesorgt.
Dabei hat die kirchliche Leitung sich weithin einschüchtern lassen und schon seit längerer Zeit allzu sehr auf die öffentliche Akzeptanz ihrer Anordnungen und Maßnahmen geschielt.
Faktisch wird hier das „aggiornamento“ als Formalprinzip zu einem Materialprinzip und zwar zu dem ersten und entscheidenden und wird die kirchliche Administration zur reinen Politik. Das aber muss über kurz oder lang in die Katastrophe führen.
Zu dem Verfall der Disziplin in der Kirche gesellt sich in vielen Fällen in Missachtung des Lehramtes der Kirche eine selektive Verkündigung, gar nicht zu reden von der liturgischen Willkür, die überall herrscht, ohne dass sie abgestellt wird von den Bischöfen, zum einen, weil sie das Empfinden verloren haben für die fragwürdige Kreativität ihrer Priester, zum anderen, weil sie nicht den Mut haben einzuschreiten oder weil sie resignieren und meinen, sie kämen mit ihren Ermahnungen und Korrekturen doch nicht durch. Die berechtigte Forderung, die Wahrheit so zu sagen, dass sie auch von den Menschen verstanden wird, darf nicht dazu führen, dass man die Wahrheit überhaupt nicht mehr zu sagen wagt. Was die Verkündigung der Kirche angeht, tritt hier noch die innere Uneinigkeit auf höchster Ebene hinzu.
Klare Worte des Papstes zu den inneren Missständen
Ein weiterer Punkt ist die Tatsache, dass die Pastoral weithin stagniert oder/und gar esoterisch verfremdet ist. Die alte Gnosis, die die Kirchenväter so erfolgreich bekämpft haben, ergreift heute in neuer Gestalt Besitz von der Kirche. Die Divinisierung der Sexualität war schon immer ein wichtiger Programmpunkt in der Esoterik.
In der Freiburger Kirchenzeitung, deren Fortexistenz allein mit Kirchensteuergeldern ermöglicht wird, wird der auf ein Sexualorgan reduzierte Torso eines Gekreuzigten, der einen dezidierten Atheisten zum Urheber hat, mit den anerkennenden Worten eines Priesters dargestellt. Wenn hier kein Umdenken erfolgt, führt die Anarchie zum totalen Zusammenbruch.
Man hat gesagt: Die Zahl der Priester, die gefehlt haben, ist klein, das stimmt, relativ, und der allergrößte Teil der Priester tut treu seine Pflicht. Letzteres stimmt leider nicht. Der innere Zustand der Kirche ist nicht gut, so wenig wie der unserer Gesellschaft. Gott hat diesen Sturm über die Kirche kommen lassen, damit wir erkennen, wie notwendig eine innere Erneuerung der Kirche ist. De facto ist sie heute zu einer Lebensfrage geworden, mehr als je zuvor. Wir würden den Anruf Gottes aber nicht erkennen, wenn wir an den wenigen Symptomen kurieren, jedoch die tieferen Missstände nicht erkennen würden.
Die Verwirrung ist perfekt. Die Lüge dominiert auf allen Seiten. Das Ganze nimmt apokalyptische Ausmaße an. Dummheit und Urteilslosigkeit suggerieren vielen, man dürfe die Vorgänge nicht so tragisch nehmen, die Kirche habe schon viele Stürme erlebt. Damit spielen sie denen in die Hände, die eine Strategie des Missbrauchs des Missbrauchsfälle steuern. Gerade jene mimen - das ist bezeichnend - Enttäuschung über den Hirtenbrief des Papstes an die irischen Katholiken, der exemplarisch ist in seiner bestrickenden Integrität und die öffentlichen Kritiker der Kirche souverän in Unrecht setzt. Dieser Brief ist erfrischend in seiner Konsequenz. Mit klaren Worten äußert er sich zu den Missbrauchsfällen, anders als das oftmals bei den Bischöfen der Fall ist. Dabei ist er bemüht, die Wahrheit ans Licht zu bringen, gleichzeitig aber den einen wie den anderen gerecht zu werden. Die deutschen Bischöfe haben den Brief begrüßt und sich voll und ganz hinter ihn gestellt. Das ist erfreulich. Aber ihre eigene Sprache ist leider vielfach eine andere. Vor allem aber sprechen sie, unter dem Einfluss der Massenmedien, bedauerlicherweise nicht „una voce“.
Der religiöse Eifer, die treue Erfüllung des Willens Gottes, das Streben nach der Vollkommenheit, das Bemühen um die Wiedergewinnung der eigenen Identität, das alles lässt bei einem großen Teil der Priester zu wünschen übrig. Der Papst spricht das unmissverständlich an in seinem Brief, wenngleich verhalten und vornehm, aber das ist gegen die „religious correctness“. Darum auch die Ablehnung, bei den Mediengewaltigen per se, aber auch bei den Priestern, die sich dieser Diagnose widersetzen.
Die Erosionsschaukel zwischen Gremienkatholizismus und "Kirche von unten"
Das Jahr des Priesters und das Vorbild des Pfarrers von Ars haben die religiöse Erneuerung der Priester auf ihre Fahnen geschrieben. Hier erhält sie eine unverhoffte Aktualität. Es ist bezeichnend, dass das Jahr des Priesters und das Vorbild des Pfarrers von Ars im Klerus und im katholischen Volk seinerzeit im Allgemeinen nicht gerade mit Begeisterung aufgenommen wurden.
In dem gegenwärtigen Debakel der Kirche erweist sich erneut der Gremienkatholizismus als ein Fehlschlag. Mit ihm wollte man die Verantwortung der Gläubigen aus Taufe und Firmung stärken, etablierte man jedoch nicht wenige Männer und Frauen, die der Glaubensverkündigung und dem Wirken der Kirche abträglich waren. Sie waren das teilweise aus Dummheit, teilweise aber auch aus missbräuchlicher Berechnung. Man säte apostolische Verantwortung und erntete unangemessene Kritik und Wichtigtuerei. Erinnert sei hier vor allem an das Geschwätz des neuen Vorsitzenden des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und anderer, die mit ihren Äußerungen zeigen, dass sie gar nicht mehr auf dem Boden der Kirche stehen, dass ihnen an der Kirche eigentlich nichts oder zumindest nur mehr wenig liegt, und die sich in gewisser Weise als die Speerspitze der „Kirche von unten“ erweisen. Hier vertreten also Damen und Herren die Kirche nach außen hin, die nicht einmal mehr den ganzen katholischen Glauben ihr Eigen nennen können, geschweige denn, dass sie ihn leben. Ähnliches könnte man auch sagen von dem großen Heer der pastoralen Mitarbeiter und von den Pfarrgemeinderäten. Sie streuen vielfach Sand ins Getriebe der Kirche und demoralisieren die Amtsträger. Die Dummheiten, die der neue Vorsitzende des Zentralkomitees bis jetzt schon vorgebracht hat, müssten genügen, ihn als untragbar zu deklarieren, wenn man nicht gar das ganze Gremium, das ihn zu seinem Repräsentanten gewählt hat, auflösen müsste, vielleicht im Rahmen eines Ausnahmezustandes, der hier zu deklarieren wäre.
Ein junger Priester aus Polen charakterisierte die gegenwärtige Situation der Kirche spontan mit den Worten: Die Priester beichten nicht mehr. Das stimmt. Aber es geht noch weiter: Die Wirklichkeit der Sünde wird von vielen von ihnen nicht mehr erkannt. Damit verliert die Erlösung, die entscheidende Wirklichkeit des Christentums, ihr Fundament. Dass dem so ist, wird deutlich, wenn die kultische Feier der Erlösung, das eucharistische Opfer in den Augen vieler Priester zum Abendmahl herabgestuft wurde, wenn viele Priester sie zum Exerzierfeld willkürlicher Experimente machen und ebenso viele Priester gar einen inneren Widerwillen gegen dieses Zentrum des Glaubens empfinden.
Die Notwendigkeit zur wahren Erneuerung der Kirche
Der neue Prager Bischof hat Recht, wenn er hier von einer Kampagne gegen die katholische Kirche spricht, deren treibende Kraft der militante Atheismus sei (vgl. Die Tagespost vom 25. März 2010). Aber das ist nur die Außenseite. Die Kirche, die diese Situation verschuldet hat, wird durch sie an den katastrophalen inneren Zustand erinnert, in dem sie sich befindet. Gott hat diese Not kommen lassen über seine Kirche, damit sie in sich geht und entschlossen den Weg der inneren Reform geht, nicht den Weg der Reform der Strukturen, die ja ohne weithin iure divino festgelegt sind, sondern den Weg der Reform der Gesinnung, der von der Furcht des Herrn bestimmt ist, die der Anfang der Weisheit ist, und von der ehernen Konsequenz, die stets die Stärke der Kirche gewesen ist.
In einer Zuschrift aus den USA sieht ein junger Mensch die Situation folgendermaßen:
"Die Kirche in Deutschland erlebt dunkle Zeiten, woran aber meines Erachtens vor allem die Bischöfe eine große Schuld tragen. Hätten jene nicht unreife und unfromme Priester geweiht und diese dann bei solchen Vorkommnissen einfach versetzt, dann hätten wir dieses traurige Kapitel jetzt nicht. Was aber wirklich unerträglich ist, ist das Gerede davon, dass die Kirche aus dieser Situation gestärkt hervorgehe … Wie soll das denn ohne eine Bekehrung des Herzens (vor allem der Bischöfe, die sich mehr als Manager gerieren, denn als Glaubenshirten vom Schlage eines Bonifatius) möglich sein. Auch wenn natürlich die Medien das ausschlachten und hier systematisch auch Fälle hervorzerren, die kaum unter sexuellen Missbrauch fallen, ist es leider so, dass es auch Bischöfe gibt und gab, die einfach Priester bei Problemen versetzten, anstelle diese sofort aus dem Amt zu entfernen. Es ist auch bezeichnend, dass kein Bischof Gott um Verzeihung bittet oder Sühnemessen feiert. Durch diesen Missbrauch wurde vor allem die Heilige Kirche Gottes, das Corpus Christi Mysticum verwundet. Diese Seuche ist wie ein Krebsgeschwür im Leib Christi und dieses müsste ebenso herausgeschnitten werden, wie die Friedls etc. Welche Kraft geht denn von diesen Priestern noch aus, unabhängig davon, dass diese oftmals sakrilegisch das hl. Messopfer feiern? Doch diese Erneuerung ist nicht gewollt, das werden diese Sachwalter der organisierten Beschwichtigungskirche nicht durchführen."
Die Zuschrift ist ein wenig holzschnittartig, aber ganz von der Hand zu weisen ist sie nicht. Menschlich gesehen verspielt die Kirche hier den Rest ihrer Glaubwürdigkeit. Aber der Christ hofft „in spe contra spem“. Gott kann dem Abraham aus den Steinen Söhne erwecken (Mt 3, 9). Die Wahrheit der Kirche ist mächtiger als alle Lüge, die inzwischen tief in das Heiligtum der Kirche eingedrungen ist. Eine wahre Erneuerung der Kirche tut Not, wie sie der Papst unmissverständlich gefordert hat in seinem Brief an die Kirche in Irland. Beginnen müsste sie zum einen bei der rechten wissenschaftlichen Darstellung und Analyse des christlichen Glaubens bzw. des Glaubens der Kirche, also bei der Theologie, und zum anderen bei der spirituellen Ausbildung der Priesteramtskandidaten.
Copyright Joseph Schumacher, 6. Mai 2010
Der Kommentar wurde in einer Erstfassung in „Theologie heute" am 5. April 2010 veröffentlicht.
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Der Autor des Artikels, Dr. theol. habil. Joseph Schumacher, ist apl. Professor für Fundamentaltheologie an der Universität Freiburg. Im Jahr 1934 geboren, wurde er 1959 in Münster zum Priester geweiht. Nach seiner Zeit als Kaplan war er in den 70er Jahren in Freiburg im Breisgau im Hochschulwesen tätig, wo er promovierte und seine Habilitation erlangte. Buchpublikationen sind u.a.: "Esoterik. Die Religion des Übersinnlichen. Eine Orientierungshilfe nicht nur für Christen", 1994; "Das II. Vaticanum und die Ökumene. Das Unaufgebbare in der Ökumene.", Augsburg 2002; "Warum die Frau in der katholischen Kirche nicht Amtsträger sein kann", Siebnach 2003.
Weitere Information im Internet:
http://www.theol.uni-freiburg.de/institute/ist/ftrwrt/ft/schumach/index_html
MEDRUM-Artikel zum Ökumenischen Kirchentag: Ökumenische Kirmes als Tanz um das goldene Kalb des Zeitgeistes
Copyright www.medrum.de
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Leserbriefe
Die Abwendung von Gott
Der Kommentar zählt die wichtigsten Gründe für die Krise der katholischen Kirche auf und auch bei den Anschuldigungen möchte man gerne zustimmend nicken. Die Forderungen nach Erneuerung in der Kirchenleitung und in der Priesterschaft sind einleuchtend. Wir sollten uns jedoch davor hüten, diese Kirchenkrise als Betriebsunfall anzusehen. Eine "normale" Kirche im Sinne Christi gibt es nicht. Kirche braucht Reibung und Herausforderung um ihrem Auftrag gerecht zu werden, nämlich dem retten von Menschenleben. Man stelle sich nur vor, die Missbrauchsfälle wären von der Öffentlichkeit nicht an die große Glocke gehängt worden. So aber wird dem Volk Gottes (nicht nur dem katholischen) seine Gottesferne deutlich vor Augen geführt. Zu hoffen ist nur, dass der Druck ausreicht, um die Kirche in Bewegung zu setzen, hin an die Seite Gottes. Denn wo die Not am größten, da ist Gott am nächsten.
Verirrungen im theologischen Elfenbeinturm
Erstaunlich ist, dass es in diesem Beitrag nur um die Kirche und die bösen Medien bzw. die verdorbene Gesellschaft geht. Kein Wort über die Opfer der Mißbrauchsfälle. "Es ist nicht die Aufgabe der Kirche, Verfehlungen ihrer Priester anzuzeigen." Auch die Kirche steht nicht außerhalb der in einem Staat geltenden Gesetze! Mir stellt sich die Frage, ob für die Verantwortlichen in der katholischen Kirche die Situation dieser Menschen überhaupt im Blick ist oder ob sie sich im Zuge der Aufarbeitung dieser Krise nur um sich selbst dreht. Noch viel erschreckender finde ich die Tatsache, dass der Autor die verdorbene Gesellschaft, die angeblich säkularisierte Kirche und die nicht ausreichend standfesten Priester für die gegenwärtige Krise verantwortlich macht. Man macht es sich viel zu einfach, wenn man die Mißbrauchsfälle einfach der Gesellschaft und ihrem Umgang mit Sexualität in die Schuhe schiebt. Mir ist antürlich klar, dass an vielen Stellen der Pfad eines gottgefälligen Umgangs mit Sexualität verlassen wird. Aber trotzdem gibt es immer noch genug Menschen, die in dieser Gesellschaft leben und keine Kinder mißbrauchen! Ich wage zu bezweifeln, ob die Ursachenforschung des Autors den Kern der Sache auch nur annähernd erreicht. Wäre es nicht vielmehr an der Zeit zu fragen, wie es um die sexuelle Identität derer steht, die von Amts wegen ihre sexuellen Bedürfnisse nicht ausleben wollen bzw. dürfen? Werden ihnen ausreichend Hilfen angeboten um mit dieser besonderen Situation umzugehen? Müsste man hier nicht viel seelsorgerlicher fragen anstatt die betreffenden Priester als geistlich unreife und verdorbene Persönlichkeiten hinzustellen? Wäre die Situation der Priester nicht vielleicht doch eine andere, wenn sie auf normalem Wege ihre Sexualität in einer Ehe ausleben dürften? Dr. Schumacher dürfte ja wissen, dass sogar Petrus verheiratet war (Mt. 8, 14). Aus seinem theologischen Elfenbeinturm heraus hat er diese Dinge scheinbar nicht im Blick. So erklären sich möglicherweise auch die verbalen Ausfälle gegen Vertreter der katholischen Laienbewegung. Mir scheint, dass hier eine große Entfremdung zwischen dem katholischen Kirchenvolk und seinen Leitern bzw. Lehrern vorhanden ist. Dabei wäre ein konstruktiver Dialog mehr als angebracht. Im übrigen sind es nicht die Medien, die die moralische Autorität der Kirche in Frage stellen. Es sind vielmehr Personen wie Bischof Mixa, die ihre Schuld erst leugnen bzw. herunterspielen und erst durch öffentlichen Druck Konsequenzen ziehen.
Noetige Korrektur
Hier ist festzuhalten, dass gegenwaertig aus den Medien zu erfahren ist, dass sich der Missbrauchsverdacht gegen Bischof Dr. Walter Mixa nicht bestaetigt hat. Wer ihm dieses also noch immer unterstellt, macht sich uebler Nachrede schuldig, die es unter Christen nicht geben darf. Vielmehr sollten jetzt diejenigen, welche diesen Verdacht mit ueblen Reden gegen den gewesenen Augsburger Bischof verbunden haben, sich bei diesem entschuldigen und selber von ihren Aemtern zuruecktreten.