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Heribert Prantls Gegenvorschlag für die Mißbrauchsdebatte am Runden Tisch


26.04.10

Heribert Prantls Gegenvorschlag zum Mißbrauch und Runden Tisch

(MEDRUM) Heribert Prantl kommentiert in der Süddeutschen Zeitung die Arbeit am Runden Tisch. Bevor die Arbeit beginnt, muß erst der Begriff "sexueller Mißbrauch" ersetzt werden, fordert Heribert Prantl.

Der Begriff "sexueller Mißbrauch" stamme aus einer Zeit, in der es nicht um Aufklärung gegangen sei, meint Prantl. Er komme aus der Zeit der Schweigekartelle. Dieses Wort suggeriere, es gebe auch einen tolerablen "Gebrauch" von Kindern. Prantl: "Der sexuelle Missbrauch in Erziehungs- und Abhängigkeitsverhältnissen ist sexuelle Gewalt." Ebenso kritisiert Prantl - durchaus einleuchtend - die Bezeichnung "Mißbrauchsbeauftragte" als wenig sinnvoll. Deswegen plädiert er dafür, zuerst die notwendige Umbenennung durchzuführen. Sonst könne die Arbeit nicht in die richtige Richtung gehen. Sein Vorschlag lautet: Statt "sexueller Mißbrauch" soll der Begriff "sexuelle Gewalt" verwendet werden.

Auch wer Prantls Argumente nicht als unnötige Wortklauberei abtun, sondern als wichtigen Gedanken verstehen will, muß Prantls Vorschläge nicht unbedingt teilen. Denn, so berechtigt oder verständlich Prantls Argumente zumindest in Teilen zunächst erscheinen mögen, kann das von ihm vorgeschlagene Surrogat letztlich auch nicht völlig überzeugen. Unter "sexuelle Gewalt" wird von der Logik des Begriffes her und nach Prantls Definition nur das erfasst, was in Erziehungs- und Abhängigkeitsverhältnissen oder gewaltsam geschehen ist. Ebenso gut kann daher argumentiert werden, der Begriff "sexuelle Gewalt" suggeriere, alles sei erlaubt, was ohne Einwirkung von Gewalt geschieht. Und eine Beschränkung auf Erziehungs- und Abhängigkeitsverhältnisse ist ohnehin zu kurz gegriffen. Sexuelle Handlungen außerhalb solcher Verhältnisse würden dann nicht betrachtet werden oder allenfalls nur dann, wenn Gewaltanwendung eine Rolle spielt.

Überzeugend wäre zu fordern: Jegliche sexuelle Handlung vor, mit oder an Minderjähren in- und außerhalb von Erziehungs- und Abhängigkeitsverhältnissen, einerlei ob gewaltsam oder nicht, sollte untersagt und unter Strafe gestellt werden. Ein dafür zutreffender Begriff wäre die Bezeichnung "Unzucht mit Minderjährigen". Der Begriff Unzucht ist altbekannt. Er hatte einst seine wohlbegründete Bedeutung und bezeichnete sexuelle Handlungen, die geächtet und unter Strafe gestellt waren. Der Unzuchtsbegriff wurde erst abgeschafft, als die gesellschaftliche Liberalisierung im Zuge der sogenannten sexuellen Befreiung begann, die Verbotsgrenzen für die sexuelle Lustbefriedigung einzureißen. Unzucht sei mit Moralvorstellungen verbunden, wurde damals argumentiert. Moralvorstellungen sollten im Zuge der Großen Strafrechtsreform jedoch nicht mehr als Grundlage des Strafrechts dienen und wurden unter der Regierung Brandt abgeschafft (insbesondere auch Ehebruch). Unter Erwachsenen sollte fortan nahezu alles erlaubt sein, was der Befriedigung sexueller Bedürfnisse diente. Und was vordem als "Unzucht" mit Abhängigen bezeichnet wurde, wurde später in "Mißbrauch" umbenannt. Die von Prantl kritisierte Unklarheit geht auf den, von den Ideen der sexuellen Befreiung geprägten Geist der 60er und 70er Jahre zurück.

Im Gegensatz zum Gewaltbegriff würde der Begriff "Unzucht mit Minderjährigen" jegliche sexuelle Handlung mit Minderjährigen oder Abhängigen umfassen. Dieser Begriff ist zudem unabhängig von der Frage der Gewaltverhältnisse, schließt also sämtliche Handlungen ein, bei denen Minderjährige innerhalb oder außerhalb von Abhängigkeitsverhältnissen gewaltsam oder "einvernehmlich" begangen werden. Mit diesem Begriff könnte zugleich der Kritik Prantls Rechnung getragen werden, die Beauftragte der Bundesregierung nicht "Missbrauchsbeauftragte" zu nennen. Sie oder er könnte dann präzise als "Anti-Unzuchtsbeauftragte" bezeichnet werden. Es ist allerdings die Frage, ob Prantl bereit wäre, um der Klarheit willen für die Verwendung dieses für ihn wohl gewöhnungsbedürftigen Begriffes zu plädieren.

26.04.10 Süddeutsche Zeitung Im Fegefeuer der Wahrheit

Leserbriefe

Gute Idee mit dem Unzuchts-begriff. Aber müssen wir jetzt immer erst lieb Herrn Prantl fragen, bevor wir einen Begriff verwenden dürfen?

Der Vorschlag, den Begriff <> zu rehabilitieren, wäre ein echter Fortschritt. Manchmal ist eben eine Umkehr der beste Weg zu Besserung. Und die neomarxistische Gesellschaftskritik des 20. Jahrhunderts muß sich fragen lassen, woher sie überhaupt ihren Maßstab bezieht für die Bewertung von Handlungen als Missbrauch respektive "ordnungsgemäßer Gebrauch". Der Begriff Unzucht hingegen appelliert an eine höhere Sittenordnung, im Prinzip an die moralische Intuition der gesamten Menschheit. Sexuelle Handlungen an Minderjährigen sind ein schweres Vergehen gegen diese Sittenordnung. Der Vorteil des Begriffs Unzucht ist, daß die Frage nach dem sittlichen Moralgesetz wieder aufgeworfen wird. Unzucht wäre dann auch der Ehebruch, der Seitensprung: Dinge, die man als halbwegs anständige Person einfach nicht tut (und sei es nur, weil man selbst auch nicht betrogen werden möchte). Wenn man sie tut, hat man gegen ein Sittengesetz verstoßen und muß es bereuen, also umkehren. Welchen Bezugspunkt hat nun eine von Moralvorstellungen befreite Ethik, die den Unzuchtsbegriff abgeschafft hat? Letztlich wohl nur eine allgemeine evolutionäre Nützlichkeits-"ethik", die kein letztes Gut und Schlecht kennt, sondern nur die Frage, was wem irgendwie nützlich ist. Doch hier besteht dann die Gefahr, daß Finsternis als Licht dargestellt werden kann und umgekehrt Licht als Finsternis. Die Tatsache etwa, daß in unserer Gesellschaft Abtreibung, was eigentlich Mord ist, als straffrei gilt, zeigt, wie sich das Strafrecht von der Moral abgekoppelt hat. Woher kommt aber die moralische Intuition der Menschheit? Jedenfalls nicht aus dem Tierreich oder der Natur. Sie entspringt der moralischen Schöpfungsordnung, die neu zu entdecken ein gesellschaftlicher Gewinn wäre. Auch die Frage der Homosexualität könnte in diesem Sinne unter dem Begriff Unzucht neu gestellt werden. Solange die Menschheit jedoch glaubt, sie sei durch ziellose Überlebensvorteilsprozesse (Evolution=Urdummheit und Urgrausamkeit) aus dem Tierreich entstanden, ist es kein Wunder, wenn sie diese moralische Schöpfungsordnung und den Schöpfer vergisst und sich stattdessen ihr animalisch-übersexualisiertes Verhalten als nicht anstössig attestiert.