27.12.12
Hat Bundespräsident Gauck die Chance seiner Weihnachtsansprache genutzt?
Ein Zwischenruf von Kurt J. Heinz
(MEDRUM) Gewiss, Bundespräsident Gauck hat am Weihnachtsabend eine austarierte Ansprache gehalten: für den Frieden, gegen Gewalt - besonders Gewalt gegen Fremde, gegen die Schere zwischen Arm und Reich, für eine gute Zukunft der Jungen und der Alten und schließlich auch für Hilfe an asylsuchende Mitmenschen.
Wer wollte nicht für diese Dinge eintreten? Und wer wollte etwas gegen die Forderung von Joachim Gauck nach Solidarität, Zuwendung, Nächstenliebe, Mut und Zivilcourage einwenden? Selbstverständlich wird dies alles in einem Gemeinwesen gebraucht, das sich als sozial und freiheitlich versteht - ebenso sehr gebraucht wie engagierte Bürger und tatkräftige Politiker, ohne die kein Staat und keine Gesellschaft auf Dauer zurechtkommt. Gauck hat also einiges gesagt, dem kaum jemand seine Zustimmung versagen kann, gerade nicht an einem auf Harmonie und Mitmenschlichkeit bedachten Fest wie Weihnachten. Insofern waren seine Worte am Weihnachtsabend nicht falsch gewählt.
Doch, so kann gefragt werden, hat Bundespräsident Gauck bei seiner Ansprache auch die Chance genutzt, richtungsweisende Anstöße zu geben? Hat er den Mut gehabt, den Menschen eine Orientierung zu geben, die das Land und seine Bürger nach vorne bringen, die das Land zukunftsfester machen könnte? Hat Gauck die Deutschen etwa aufgerufen, wieder Mut zu mehr Kindern und Freude an Kindern zu haben? Hat er die Bürger dazu aufgerufen, couragiert zu sein und Familien zu gründen? Hat er den Menschen gesagt, dass sie in Treue zueinander stehen müssen? Hat er ihnen gesagt, dass sie - in Erinnerung an Maria - Ja zum Leben sagen sollen statt Kinder abtreiben zu lassen? Hat er den Jungen gesagt, dass sie sich mehr um die Alten in ihren Familien kümmern müssen? Oder: Hat er umgekehrt die Politiker dazu aufgerufen, den Bürgern Mut zu machen, Eltern zu werden und wieder mehr Kinder zu bekommen? Hat der „Bürgerpräsident” den Politikern gesagt, dass sie die Ehe und Familie in das Zentrum ihrer Politik stellen müssen? Hat Gauck den Politikern gesagt, dass sie den Sorgen vieler Bürger mehr Gehör schenken müssen? Hat er ihnen gesagt, dass sie mehr tun müssen, um das Vertrauen der Bürger in die Politik zu stärken?
Dies alles hätte er anfragen und sagen können und wohl noch einiges mehr oder auch anderes. Dann hätte Joachim Gauck, um mit seinen Worten zu sprechen, einen Stern aufleuchten lassen, der Bürger und Politiker zueinander führen könnte. Doch eine richtungsweisende Orientierung hat er, anders als der Weihnachtsstern über dem Kind in der Krippe, bei seiner Ansprache nicht gegeben. An Einsichten und rhetorischer Gabe hat es Joachim Gauck ganz sicher nicht gefehlt. Es wäre ein Jammer, wenn es ihm dazu, wie Spötter ihm vorwerfen könnten, etwa an Mut und Zivilcourage gefehlt haben sollte. Warum also hat der ehemalige Bürgerrechtler der DDR, der für sein geschriebenes Wort unter anderem mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet wurde, nicht mehr gesagt als er es nun tat? Seine Weihnachtsansprache hat ihm jedenfalls eine gute Chance geboten. Er wird sich die kritische Frage gefallen lassen müssen, warum er diese Chance nicht couragierter genutzt hat.