Sie sind hier

Kanzlerin schreitet frühkindliche Bildungsfront ab


26.08.08

Kanzlerin schreitet frühkindliche Bildungsfront ab

Roland Koch und sein Marschplan für die Bildung von Null- bis Zehnjährigen sind Wegbegleiter

von Karl Heine

(MEDRUM) Bildung ist in. Der Bildungsgipfel der Bundesregierung mit den Ländern kommt. Wichtige Ereignisse werfen auch in der Politik ihre Schatten voraus. So begab sich die Kanzlerin im Rahmen ihrer Sommerreise auf "Frontbesuch" durch eine Bildungsfahrt besonderer Art. Zwölf Stationen ihrer Reise sind dem Thema "Bildung" gewidmet.

Die Bedeutung der frühkindlichen Bildung (hier nicht zu verwechseln mit Bindung) will die Bundeskanzlerin Angela Merkel durch die Wahl der ersten Stationen ihrer diesjährigen Sommerreise besonders herausstellen. Bilder mit Kindern haben meist eine positive Wirkung, erst recht dann, wenn diese Bilder noch mit dem verknüpft werden können, was angesichts der Bildungsmisere eines Landes besonders notleidend und daher wertvolles Gut ist: Bildung. Das Land der Dichter und Denker ist nicht nur ein kinderarmes sondern auch ein bildungsarmes Land geworden. Die Analogie zur Lebens- und Geistvergessenheit liegt hier nahe, auf die Kardinal Meisner in seiner diesjährigen Pfingstpredigt zu sprechen kam. Auch die ernüchternden Erkenntnisse über unsere Bildungsarmut haben sich längst sogar bis hin zu "bildungsfernen" Schichten durchgesetzt. Bildungsarmut gilt es also ebenso wie Kinderarmut zu bekämpfen. Wie die Politik der Bundesregierung in der außerfamiliären Krippenbetreuung ein probates Mittel zur Bekämpfung der Kinderarmut unserer Gesellschaft sieht, will sie in der frühkindlichen, außerfamiliären Bildung die Rettung vor der Bildungsarmut sehen. Und Bildung beginnt bekanntlich beim Erlernen der Sprache.

Das Bildungs- und Sprachdefizit existiert bereits bei den Kleinsten. Eine Untersuchung bei Kindergartenkindern will herausgefunden haben, dass 22 Prozent der Kinder, deren Muttersprache Deutsch ist, schon keine altersgemäßen Sprachkenntnisse haben. Was liegt da näher, als einem Kindergarten einen Besuch in einem Bundesland abzustatten, das mit der "brutalstmöglichen" Bildungsoffensive ansetzt? Ein Kindergarten im schwierigen Frankfurter Gallusviertel gehörte zu den Frontabschnitten, die Angela Merkel besuchte. Der Ministerpräsident dieses Bundeslandes, Roland Koch, verweist auf einen "vorbildlichen Bildungs- und Erziehungsplan
für die Null- bis Zehnjährigen". Er ist für ihn die frühkindliche Bildungsantwort im Kampf gegen die Bildungsarmut. Soll der Einschluss des Lebensjahres "Null" signalisieren, dass bereits nach dem Verlassen des Kreißsaals mit dem Bildungsprozeß angesetzt werden kann? Kein Lebensjahr soll auf das kostbare Gut der Bildung verzichten müssen. Ist dies die frohe Botschaft, die politisch vermittelt werden soll? Was für die Erwerbstätigkeit von Müttern gut geheißen wird, kann auch für die Bildung von Kindern nicht schlecht sein, scheint die Überlegung zu sein, die hinter solchen Botschaften steht: Je früher desto besser.

Auf also, nach Hessen, zum Besuch eines Kindergartens, in dem all dies sichtbar gemacht werden kann. Nebenbei ist Bildungspolitk nach der neuen deutschen Definition des Begriffs Familie zugleich Familienpolitik. Denn "Familie ist dort, wo Kinder sind", dozierte der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder. Und die Lufthoheit über diesen Familien gehört ohnehin dem Staat, wie der ehemalige Generalsekretär der SPD, Olaf Scholz, sinngemäß dozierte. Nach diesen Dekreten sind Kindergärten also staatliche Familien, und was in der klassisch bürgerlichen Familie nicht mehr stattfinden kann oder stattfinden darf ( weil die tradtionelle Familie im heutigen Familienbild der etablierten Parteien ohnehin keinen Platz mehr hat), wie zum Beispiel das Erlernen der "Muttersprache", muss dann eben in der modernen staatlichen Familie Kindergarten stattfinden, "basta", hätte Schroeder hier noch angefügt. Doch ganz so einfach ist das nicht. Bildung kann schließlich nur vermitteln, wer selbst gebildet ist, nach der Regierungslehre am besten akademisch gebildet. Mindestens die Leiterin eines Kindergartens soll deswegen künftig ein Hochschulstudium absolviert haben, wie es viele Kindergärten anstreben sollen.

Akademisierung und Vergesellschaftung der frühkindlichen Erziehung und Bildung als Antwort auf die Sprachdefizite unserer Kinder? Die Antwort der Politik scheint "Ja" zu lauten. Zumindest scheint der Bedarf hierfür unabweisbar zu sein. Der Förderbedarf hat sich auch in Nordrhein-Westfalen als enorm erwiesen, wie "FAZ.net" berichtete. Zum zweiten Mal wurden in diesem Jahr dort die Vierjährigen getestet. Ein Viertel der Kinder, so das Ergebnis, brauche spezielle Sprachförderung. Also sollen untaugliche oder abwesende Mütter durch akademische gebildete Erzieherinnen ersetzt werden, könnte die die dahinter stehende Devise lauten.

Eine solche Förderung hatten unsere großen Dichter und Denker weder nötig noch schien sie geboten zu sein. Die Mutter von Friedrich Schiller war eine schlichte Gastwirtstochter, die es durch Heirat zur Majorsgattin gebracht hatte. Schiller hatte ebenso wenig wie Goethe die Chance, von den Segnungen einer frühkindlichen staatlichen Bildungsfront zu profitieren. Letzterer musste sich mit dem begnügen, was ihm wesentlich seine Mutter Catharina Elisabeth Goethe an muttersprachlichen Fähigkeiten vermitteln konnte. Auch Catharina Elisabeth wäre nach heutigen Maßstäben wohl kaum eine Person, der man die Vermittlung einer guten frühkindlichen Bildung zutrauen würde. Sie erhielt, wie es in der damaligen Zeit üblich war, keine umfassende Ausbildung. Stattdessen wurde sie frühzeitig standesgemäß verheiratet. Wie ist es möglich, dass die vielleicht bisher größten Dichter deutscher Sprachkunst unzweifelhaft ohne Sprachdefizite aufwuchsen, und weder über akademisch gebildete Mütter verfügten noch einen Kindergarten besuchen konnten, der ihnen ihre Muttersprache hätte vermitteln können?

Auf diese Fragen gibt weder der "vorbildliche" Erziehungs- und Bildungsplan eines Roland Koch noch die Sommerreise der Bundeskanzlerin in jene Schöße eine schlüssige Antwort, die künftig als Therapierzentren für ein Volk sprachlich minderbemittelter Kinder dienen sollen. Diese politischen Handlungsmuster beantworten ebenso wenig die Frage, weshalb in Hessen ausgerechnet diejenigen Eltern als Angreifer auf die Rechtsordnung zu Freiheitsstrafen verurteilt werden, die sich in geradezu vorbildlicher Weise nicht nur der frühkindlichen, sondern auch späteren und ganzheitlichen Bildung ihrer Kinder in ganz besonderer Weise persönlich annehmen wollen, wie es im Fall der Eltern Dudek aus Herleshausen geschieht.

Aber, wer fragt schon nach schlüssigen Antworten? Es gibt sie, wie auf so vielen Feldern deutscher Innenpolitik, weder in der Familien- noch in der Bildungspolitik. Daran haben sich viele Bürger dieses Landes zwar gewöhnt, wenn ihnen die Zukunft ihrer Kinder aber lieb ist, sollten sie es sich schleunigst abgewöhnen, die seit Jahrzehnten wenig überzeugenden Antworten deutscher Innenpolitik weiterhin unwidersprochen und widerstandslos hinzunehmen. Diese haben zu einer Gesellschaft geführt, um deren Zukunftsfähigkeit es nicht gerade gut bestellt ist. Das wissen auch die Politiker. Können und wollen sie dies aber sich selbst und den Bürgern gegenüber eingestehen?


 

Weitere Information - FAZ.net: -> Über den Nordpol zur „Bildungsrepublik"