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Zwischenruf zum Leitartikel in der Welt von Dorothea Siems über das verzerrte Familienbild von der Leyens


22.06.06

Zwischenruf zum Leitartikel in der Welt von Dorothea Siems
über das verzerrte Familienbild von der Leyens

Kurt J. Heinz

(MEDRUM) Dorothea Siems greift in der Ausgabe der "Welt" vom 19. Juni Familienministerin Ursula von der Leyen an, weil sie ein verzerrtes Familienbild habe und entdeckt bei ihr einen beängstigenden Gestaltungswillen.

Siems wirft von der Leyen vor, ihre Politik einseitig an der Familie mit einer Doppelerwerbsrolle der Eltern auszurichten, was nicht der Normalfamilie und deren Vorstellungen entspreche. Siems untermauert dies mit einer Reihe politischer Maßnahmen und Äußerungen, mit der sie die Schieflastigkeit und Einseitigkeit der Politik von der Leyens aufzeigen will. Sie hält von der Leyen in einleuchtender Weise entgegen, dass ihre Erfolgsmeldungen mitunter konterkariert erscheinen, wenn das tatsächliche Geschehen einer nüchternen Analyse unterzogen wird, wie beispielsweise die Entwicklung der Geburtenrate. So weit so gut.

Aber, so ist zu fragen, weshalb beschränkt Siems diese Kritik auf die Familienministerin? Von der Leyen ist sicher eine prominente, aber nur eine von vielen Protagonistinnen und Protagonisten einer Politik, die abseits von jener Familie zu liegen scheint, die Siems die "Normalfamilie" nennt. Das belegt schon alleine ein Blick in die Beschlüsse und Programme der Parteien und ihre Debattenbeiträge im Bundestag. Die Normalfamilie hat weder einen Platz in der Politik noch eine Lobby, wenn man von den Kirchen absieht. Verzerrt wäre demnach nicht nur das Familienbild von der Leyens, sondern das Familienbild der Parteien im Bundestag schlechthin. Gerade vor diesem Hintergrund ist demnach auch zu fragen: Wie oft kommt dieser Typus noch vor? Ist der Typus Normalfamilie nicht schon eine Minderheit und fast schon Außenseiter, der ohnehin bald fast nur noch als Wunschdenken in manchen Köpfen, aber fern der Realität existiert?

Viele Überlegungen und kritische Anmerkungen von Dorothea Siems sind sicher berechtigt, sie aber auf Ursula von der Leyen zu beschränken, greift letztlich viel zu kurz.

Es ist nicht nur Ursula von der Leyen, es ist der Mainstream in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, den von der Leyen in privilegierter Weise verkörpert und politisch präsentiert. Sie tut dies als selbstbewusste Vorzeigemutter von sieben Kindern und im Stile einer nüchtern kalkulierenden, tüchtigen Politikmanagerin, die ein Produkt für sich möglichst werbewirksam vermarkten will. Weil ihr Produkt Teil des Mainstreams ist, muss sie nicht gegen den Strom schwimmen. Die Vermarktung wird ihr leicht gemacht, denn alle Familienpolitiker der im Bundestag vertretenen Parteien haben sich dem gleichen Leitbild der "Doppelerwerbstätigen Eltern" verschreiben. Dieses Leitbild aber ist nicht mehr der von Dorothea Siems gemeinte Typus "Normalfamilie". Lediglich die CSU löckt mit dem von ihr hartnäckig vertretenen Betreuungsgeld ein wenig wider den Stachel. Sie tut dies aber mit großer Vorsicht, weil auch sie nichts verordnen kann, was sie mit dem Mainstream hinwegreißen könnte (siehe Christa Müller in ihrer Partei DIE LINKE). Das Betreuungsgeld ist lediglich eine Konzession von mehr symbolischer Bedeutung an alle jene zu sehen, die noch Normalfamilie sind, oder die sich mit der Normalfamilie identifizieren und gerne Normalfamilie wären oder werden wollen.

Wenn man also die grundsätzlichen Kritikansätze und Vorstellungen von Dorothea Siems teilt und ihnen folgen will, sind es weniger der Gestaltungswille von der Leyens und ihr Familienbild, die beängstigend sind, sondern ist vielmehr die Tatsache beängstigend, dass die Politik aller im Bundestag vertretenen Parteien längst von dem Leitbild einer sogenannten Normalfamilie abgerückt ist. Das ist aber keine neue Erkenntnis. Es ist auch keine neue Erkenntnis, dass die Erziehung von Kindern und die Versorgung einer Familie, verkörpert in der klassischen Mutterrolle, nicht als vollwertig sondern minderwertig behandelt wird. Das wird besonders augenfällig an alleinerziehenden Müttern, denen selbst bei mehreren Kindern die Erwerbstätigkeit auf den Leib geschrieben werden soll. Bemerkenswert und neu ist allerdings, dass es von der Leyen gelungen ist, in dieser Entwicklung eine besonders agile und werbewirksame Rolle zu übernehmen. Wer aber etwas an der derzeitigen Politik ändern will, darf dies nicht von der Leyen zum Vorwurf machen, sondern muss seine Kritik an alle Parteien richten. Er sollte sich einigermaßen sicher sein, dabei zumindest das Gros der Familien auch mitnehmen zu können. Sonst bleibt ein Ansinnen, wie es bei Dorothea Siems zum Ausdruck kommt, ohnehin völlig chancenlos.

Leserbriefe

Herr Heinz schreibt in seinem Zwischenruf, die Kirchen seien der einzige gesellschaftliche Faktor, der noch am Schutz der "Normalfamilie" festhalte. Leider stimmt das so nicht, wenn auch einzelne Würdenträger wie Bischof Mixa deutliche Worte gefunden haben - die ihnen von den Medien im Munde herumgedreht wurden. ("Bischof Mixa nennt Frauen Gebärmaschinen"). "Die Kirchen" insgesamt halten sich sehr zurück, weil auch sie als modern und frauenfreundlich gelten und nicht vom Mainstream abgehängt werden wollen. Außerdem haben sie ein sehr handfestes Interesse am Ausbau von Krippen, Kindergärten und Ganztagsbetreuung - zum einen aus wirtschaftlichen Gründen zum anderen, weil sich hier die Möglichkeit erweitert, Kinder mit christlichen Werten in Kontakt zu bringen. Von daher können die Kirchen gar nicht vollen Herzens dafür eintreten, dass den Eltern die Betreuung ihrer Kinder ermöglicht wird. Der Geniestreich des Familienministeriums unter Frau von der Leyen besteht ja gerade in der perfiden Umdeutung der Begriffe von Wahlfreiheit, Selbstbestimmung und Chancengleichheit. Den Frauen wird vorgegaukelt, es gehe um ihre Selbstbestimmung und Emanzipation, während es den Eltern in Wirklichkeit ökonomisch zunehmen unmöglich gemacht und als altmodisch abgewertet wird, ihre Kinder selbst zu Hause zu erziehen und zu betreuen. Das Geld, mit dem insbesondere Müttern ermöglicht werden könnte, ihre Erwerbstätigkeit schrittweise mit der Entwicklung ihrer Kinder abzustimmen und die gesetzgeberische Arbeit, die darauf gerichtet werden könnte, die Erfüllung der Bedürfnisse unserer Kinder nach Bindung, individueller Förderung und Geborgenheit sicherzustellen, werden einzig darauf verwandt, die Fremdbetreuung auszubauen. Den Eltern wird vorgegaukelt, Kinder bräuchten keine Geborgenheit, sondern vor allem die "Förderung" durch öffentliche Kollektiverziehung. Die Bindungsforschung weiß genau, dass individuelle, verlässliche Bindungen instinktive Grundbedürfnisse sind, die nicht straflos übergangen werden können, schon gar nicht in den ersten Lebensjahren. (siehe z. B. "Unsere Kinder brauchen uns" von Gordon Neufeld) Dies heute in Deutschland öffentlich auszusprechen, wird erschwert dadurch, dass die Menschen in den neuen Bundesländern, die fast alle früh und ausgiebig fremdbetreut wurden, auf Hinweise darauf, wie verheerend sich solche Maßnahmen auswirken, verständlicherweise sehr empfindlich reagieren. Trotzdem bleibt die Tatsache, dass die Geburtenrate in den (neuen) Bundesländern mit den meisten Krippenplätzen am niedrigsten und in den Bundesländern mit den wenigsten Krippenplätzen (Bayern, Baden-Würtemberg) am höchsten ist. Ich kenne nur das Familiennetzwerk (www.familie-ist-zukunft.de) , das mit Fakten und Argumenten konsequent gegen diese Entwicklung angeht.
http://www.netzwerk-bildungsfreiheit.de

Ein ergänzender Hinweis zum Leserbrief von Dagmar Neubronner, die das Verhalten der Medien gegenüber Bischof Mixa im vergangenen Jahr kritisiert:

Tatsächlich hatte Bischof Mixa die Frauen nicht "Gebärmaschinen" genannt, sondern bemängelte, dass die Doppelverdiener-Ehe von der Ministerin geradezu zum „ideologischen
Fetisch“ erhoben werde, und dass der, der mit staatlicher Förderung
Mütter dazu verleite, ihre Kinder bereits kurz nach der Geburt in staatliche
Obhut zu geben, die Frau zur „Gebärmaschine“ degradiere.

Sowohl der für Familien zuständige Sprecher der Bischofskonferenz, der Berliner
Kardinal Georg Sterzinsky, als auch Kardinal Meisner unterstützten das Anliegen von Bischof Mixa und forderten, auch diejenigen Eltern angemessen zu unterstützen, die wegen der Kinder auf Erwerbstätigkeit
verzichteten und Mütter mehr anzuerkennen.

Im Artikel sollte nicht gesagt werden, die Kirche sei der einzige gesellschaftliche Faktor, sondern lediglich, dass die Normalfamilie in der Politik keinen Platz und keine Lobby hat.

Die Kirchen wurden hier gesondert als Fürsprecher der Familie erwähnt, weil sie im Gegensatz zu den üblichen gesellschaftlichen Gruppierungen einen Sonderstatus als Körperschaften des öffentlichen Rechts haben.

Dass es innerhalb der Gesellschaft neben den Kirchen selbstverständlich Gruppierungen wie das Familiennetzwerk, Familienbund der Katholiken (FDK), den Schönstatt-Familienbund oder auch den Deutschen Familienverband (DFV) gibt, die sich auch für die Interessen der Familien einschl. der "Normalfamilie" einsetzen, ist unbestritten.

Herr Heinz kritisiert Frau Siems, sie griffe zu kurz, wenn sie ihre Auslassungen auf UvdL beschränke, denn das von Super-Ursel vertretene Familienbild wäre das aller Parteien. Dem stimme ich grundsätzlich zu, ärgere mich aber dennoch über den Artikel des Herrn Heinz:

Erstens ist Frau Siems eine der wenigen Journalisten, die überhaupt noch sachlich bis kritisch schreiben - wem es um Familie geht, sollte Frau Siems daher im Tenor eher unterstützen, denn sachlich ist ihr Artikel richtig.

Zweitens mag es für wissenschaftliche Aufsätze gelten, dass möglichst viele Aspekte eines Problemes beleuchtet werden sollten. Ein Leitartikel hat aber die Schwierigkeit, nur Schlaglichter werfen zu können. Sonst liest ihn keiner, und die Wirkung verpufft.

Drittens ist es m.E. richtig, insbesondere die Person von UvdL in den Mittelpunkt der Kritik zu stellen, denn letztlich ist tatsächlich sie es, die aktiv die Demontage von Familienbildern betreibt, die nicht ihrem eigenen entsprechen. Die anderen springen auf den Zug auf, in dem die Super-Ursel Motor und Zugführer zugleich ist. Wäre die siebenfachste Mutter aller Zeiten nicht an dem Platz, an dem sie ist, wäre die Familienpolitik mit Sicherheit eine geringere Katastrophe. Mag sein, dass sie nur eine Gallionsfigur ist, die sich willig von anderen Drahtziehern benutzen lässt - aber selbst so eine Figur wie sie muss erstmal gefunden werden...

Viertens denke ich nicht, dass das propagierte Familienbild mainstream der GESELLSCHAFT, Wirtschaft und Politik ist, sondern mainstream der MEDIEN, Wirtschaft und Politik. Insbesondere den Medien mit ihrer einseitigen Darstellung kommt hier besondere Verantwortung zu, denn sie sind das Mittel, mit dem die Interessen von Wirtschaft und Politik verbreitet und zum scheinbaren gesellschaftlichen Maßstab gemacht werden. Seine Wirkung zeigt das darin, dass - spricht man mit Betroffenen auf der Straße - kaum einer tatsächlich von der neuen Familienpolitik profitiert, jeder davon sich aber für die seltene Ausnahme hält, denn was man auch liest, hört und sieht: Die Familien sind der große Gewinner. Nur man selbst ist halt der einsame Verlierer, aber man kann es schließlich auch nicht jedem recht machen...

Vor allem der letzte Aspekt wirft für mich die Frage auf, ob wir eigentlich noch in einer Demokratie leben oder nicht bereits in einer Meinungsdiktatur: Derjenige bestimmt den Weg, der medial am präsentesten ist.