29.10.08
Was nun, Herr Richter? Jetzt haben Sie das gewünschte Gutachten
Familiengericht Überlingen will am 12. November über das Sorgerecht verhandeln
(MEDRUM) Die Seiten des Gutachtens über die Gorber-Familie sind bedruckt. Ein weiteres Werk wird amtliche Akten über eine Familie füllen, die um das Sorgerecht für ihre Kinder kämpft, weil ihnen sechs Kinder in einer schwierigen familiären Lage weggenommen und in Heimen untergebracht wurden. Am 12. November will das Familiengericht Überlingen über das Sorgerecht entscheiden. Die Begutachtung, die das Gericht für seine Entscheidung angeordnet hatte, liegt nun vor.
Was immer du beim Gutachter sagst, es kann gegen dich verwendet werden. Wirst du als Beschuldigter vor Gericht gehört, wirst du darüber aufgeklärt, dass du ein Recht hast, die Aussage zu verweigern. Wirst du jedoch vom Gutachter gehört, weil du deine Kinder wieder haben willst, bleibt dir allerdings nichts anderes übrig, als dich selbst zu entäußern, denn Schweigen wird sich zwangsläufig gegen dich wenden. Also gibst du Auskunft über dich, in der Hoffnung, es wird nicht alles gegen sondern soviel auch für dich verwendet, dass deine Kinder wieder zu dir zurückkehren dürfen.
Sagst du, du hast keine Probleme, stimmt etwas nicht mit dir, denn das liegt nicht in der Norm des Beobachtungsfeldes von Gutachtern. Entweder beschönigst du oder du kennst deinen wahren Probleme nicht. Beides spricht gegen dich. Sagst du, du hast Probleme, stimmt auch etwas nicht mit dir: dann bist du ein problembeladener Mensch, der in Problemen verfangen ist, mit ihnen womöglich nicht vernünftig umgehen und sie bewältigen kann. Das spricht auch gegen dich. Hältst du dich mit Äußerungen zurück, dann blockierst du, bist vermutlich depressiv. Bist du aber mitteilsam, dann kannst du nur schwer zuhören, willst mit deiner Meinung dominieren. Auch dies spricht gegen dich. Hast du einen festen Standpunkt, dann bist du nicht modulations- oder nicht anpassungsfähig, neigst zu überhöhtem Selbstwertgefühl und Ich-Bezogenheit. Beziehst du hingegen keine klare Position, dann bist du gehemmt, ängstlich, unsicher, hast nicht gelernt, dich zu behaupten. Schließlich spricht auch dies gegen dich. Die Reihe solcher Meßgrößen und die Variationsbreite für gutachterliche Bewertungen ließe sich hier fortsetzen. Das Dilemma des Begutachteten ist stets das Gleiche. Der Bewertungsmaßstab liegt nicht in seiner, sondern in der Hand des Gutachters. Das Ergebnis bleibt bis zum Tage seiner Enthüllung unwägbar ein Geheimnis des Gutachters. Und anders als bei Meßgrößen in der klassischen Physik, gibt es für die Beteiligten weder einen eindeutigen Gefrier- noch Siedepunkt. Sie hängen von der Rezeptur des jeweiligen Gutachters und seines Instrumentariums ab. Er legt fest, welche Instrumente er anwendet, und wann er Gefrier- oder Siedepunkt als erreicht ansieht. Er ist schnell erreicht, wenn du dich als Individuum erweist, das Standards, die andere für dich gelten lassen wollen, nicht übernimmt, das also nicht in eine Norm passt.
Nicht in die Norm zu passen, ist auch im Umgang mit der Religion bedenklich. Ist die Bibel die feste Bezugsgröße für dein Leben, lebst du in beständiger Gefahr, als isoliertes Wesen angesehen zu werden, was in der Postmodernen nicht mehr verwunderlich ist. Isolationsgefahr besteht umso mehr, wenn du keiner Gemeinde angehörst, dann fehlt deiner Religiosität auch noch die Einbindung in die Gemeinschaft. Religion ohne Kirche? Ist das nicht suspekt? Verdächtig wirst du ganz besonders, wenn du das Böse als eine Macht der Finsternis bezeichnest, oder wenn du das Gute mit dem Geist Gottes verbindest. Dann bist du schon dem religiösen Wahn recht nahe und bist verdächtig, paranoid zu sein. Jedenfalls kann ein solcher Verdacht bei einem Gutachter entstehen, der sich auf die Suche nach solchen Verdachtsmomenten begibt. Stünde vor ihm der leibhaftige Jesus, er wäre nach den Maßstäben des Gutachters vermutlich hoch paranoid: „Weiche von mir Satan!“, diese Entgegnung auf die Versuchung Jesu und seine ungestüme Reaktion, als er die Geldwechsler und Händler aus dem Tempel warf, wären als Beweis wohl schon ausreichend. Zusätzliche Gefahr geht von dir noch mehr aus, wenn du deine Kinder nicht mehr am Unterricht einer öffentlichen Schule hast teilnehmen lassen - auch wenn sie dort malträtiert wurden - und wenn du sie stattdessen im Heimschulunterricht gebildet hast. Dass du dies in Sorge um ihr Wohl getan hast, spielt dabei keine Rolle. Denn ohne Unterricht in einer öffentlichen Schule sind deine Kinder nicht in der Lage, am gesellschaftlich normierten Leben teilzunehmen. Wie auch immer diese Norm aussieht, es ist bedenklich, von ihr abzuweichen.
Bedenklich ist es hingegen nicht, wenn deine Kinder im Heim durch Erzieher bevormundet wurden, wenn ihr Kontakt zur geliebten und vertrauten Familie unterbunden wurde und sie aus dem seelischen Gleichgewicht geworfen wurden, wenn sie im Heim von anderen Jugendlichen drangsaliert wurden und seelisches Leid erfahren haben. Es ist eine Illusion, wenn du glaubst, dies löse bei deinem Gutachter Besorgnisse aus, die er dann auch noch thematisiert und problematisiert. Nein, er wirft die mehr als bedenklichen Eindrücke und Erfahrungen nicht in die Waagschale, er bewertet dies (vorsichtshalber?) nicht, und erst recht zieht er daraus (vorsorglich?) keine Folgerungen. Obgleich sie so wichtig wären, um das Erlittene wenigstens ein Stück wieder gut zu machen und, noch wichtiger, um sichere Grundlagen für eine Entscheidung über den künftigen Weg dieser Kinder und ihre Eltern zu schaffen. Dies setzt jedoch die Betrachtung von Alternativen, ihre verantwortungsbewußte Abwägung für das künftige Handeln und eine Antwort auf die konkrete Frage voraus, ob es denn überhaupt die Alternative gibt, die Kinder wieder ins Heim zurückzuschicken, angesichts der fast schon traumatischen Erfahrungen, die bei einem Kind ganz besonders augenfällig geworden sind. Diese Frage wurde nicht gestellt, somit also auch nicht beantwortet. Ein Professor für Psychiatrie erklärte zu psychischen Erkrankungen einst in einem Fernsehinterview: "Ich kann beliebig viele psychisch Kranke oder Gestörte erzeugen." Es gilt sicher ebenso: Er kann auch über vieles hinweg sehen, muß nicht alles entdecken und aufgreifen. Wer wollte das eine oder das andere justitiabel beanstanden?
Am Ende spricht sich der Gutachter in seinen Empfehlungen dennoch dafür aus, die Kinder bei ihren Eltern zu Hause zu belassen. Er mag dies wohl schon deswegen getan haben, weil die Erziehungsfähigkeit der Eltern Gorber - bei allen diagnostischen Bemühungen - nicht geleugnet werden kann, ohne in erhebliche Beweisnot zu geraten. Denn abgesehen von der vorübergehenden Erkrankung von Mutter Gorber zu Anfang des Jahres gibt es außer vielem Geschwätz der übelsten Sorte von Nachbarn, deren argwöhnischer, verleumderischer Spekulation, und ähnlichem Rufmord von bestimmten Personen aus dem Kreis von Verwandten und Verschwägerten, hinter dem Eigensucht, Mißgunst und feindselige Ausgrenzung zu stehen scheinen, nichts tatsächlich Greifbares, was sich verwenden ließe, um eine "direkte" Gefahr für das Kindeswohl festzustellen. Das setzt auch einem Gutachter Grenzen, dessen voluminöses Gutachten zu mehr als 90 Prozent aus der Reproduktion dessen besteht, was bereits vorher mit behördlicher Akribie in Akten gesammelt und in einer jetzigen umfänglichen gutachterlichen Fleißarbeit abgefragt wurde. Aus dieser Sammlung wird dann aus dem Geschehenen, Gesprochenen und Gemutmaßten das herausgefiltert, was staatliche Eingriffe substantiiert, jedoch ohne es auch nur ansatzweise kritisch zu reflektieren. Was der Gutachter von einem Mädchen im pubertären Alter erwartet, nämlich Positionen der Eltern kritisch zu reflektieren, unterlässt er selbst in einer penetrant anmutenden Weise bei all jenen Geschehnissen, denen diese Familie ausgesetzt war, und die von ihr erlitten werden mussten: hinterhältige, verleumderische Anrufe von Personen aus dem Kreis von Nachbarn, Verwandten und Verschwägerten, übervorteilungsverdächtige Vererbungsvorgänge und Konflikte mit der Herkunftsfamilie von Mutter Gorber, übermächtige Eingriffe der Behörden, die Empathie gegenüber der Familie und den Kindern vermissen ließen, bis hin zu einer Heimunterbringung, deren Folgen bei den Kindern tiefe Spuren hinterlassen haben. Nichts von alledem wurde kritisch reflektiert, wurde mit dem Für und Wider abgewogen und in schlüssige Urteile für die künftige Erziehung und Betreuung dieser Kinder eingebracht.
Zu den wesentlichen Feststellungen, die in diesem Gutachten vergeblich gesucht werden, gehört zweifellos die Feststellung, dass eine weitere Heimunterbringung auch aufgrund der Ergebnisse der gutachterlichen Befragung nicht empfehlenswert ist. Doch darüber breitet sich ein Mantel des Schweigens aus. Unter diesem Mantel verbirgt sich ein Schirm der Gesichtswahrung und Kritikabwehr zugunsten all jener, die an der zwangsweisen Heimunterbringung und ihrer rigiden Durchführung und Begleitung beteiligt waren. Das Gutachten liefert dafür eine scheinbare Rechtfertigung, indem es im weiteren Schulbesuch und einer flankierenden behördlichen Überwachung des familiären Geschehens Bedingungen formuliert, die retrospektiv auch als Bestätigung für das behördliche Wirken herangezogen werden können.
So liefert dieses Gutachten ein Ergebnis, mit dem alle Beteiligten letztlich vermutlich leben können: Die Behörden, weil ihr Zugriff, die Verbringung und die Zwangsaufbewahrung der Kinder weder beanstandet noch problematisiert werden. Sie finden ihre Bestätigung, weil ihnen noch eine Weile Mitwirkungsmöglichkeiten eingeräumt werden sollen, die helfen, das bisher Geschehene zu legitimieren und nicht mit einem Schlage all das auszuschalten, was gestern noch das Geschehen beherrschen durfte. Auch das Gericht kann mit dem Ergebnis leben. Es fällt kein kritisches Licht auf die bisherigen Beschlüsse und die dafür maßgeblichen Grundlagen. Zugleich wird dem Gericht der nötige Handlungsspielraum eröffnet, die Kinder auf Distanz von der unerquicklichen und verabscheuten Heimunterbringung zu halten und sie dauerhaft in die elterlichen Sorge überführen zu können. Die Eltern können und müssen mit dem Gutachten leben, weil sie dessen Empfehlung nicht weiter entmündigt lassen will, und weil ihre Kinder künftig wieder ihrer Obhut anvertraut bleiben sollen, auch wenn der Gutachter gleichzeitig das Aus über die Heimschule Gorber verhängt hat und er dem Jugendamt eine Wächterrolle konzediert.
Welche Erkenntnisse des Gutachters könnten also noch für Diskussionsbedarf sorgen? Dass die Kinder in ihrer Familie zu Hause bleiben sollen, ist kaum diskussionsbedürftig. Denn es ist ohne echte Alternative. Dass die Kinder öffentliche Schulen besuchen, ist ebenfalls kaum diskussionsbedürftig. Sie besuchen bereits öffentliche Schulen und die Eltern haben ihre Entscheidung darüber in nüchterner Abwägung familiärer Prioritäten längst getroffen. Stoff für Diskussion könnte allerdings die Empfehlung geben, diese Familie ausgerechnet von Stellen "pflegen" zu lassen, die nicht nur in den Augen der Kinder und Eltern Unheil über sie gebracht haben. Ist nicht schon genug an dieser Familie herumgefummelt worden? Aber eine Erzieherin im Heim sagte schon zu einem der Gorber-Mädchen: „Fummeln ist erlaubt.“ Ja, aber nur am eigenen Gürtel, nicht mehr am Gürtel dieser Familie. Zu viele haben schon unterhalb des Gürtels an dieser Familie herumgefummelt.
„Was nun, Herr Richter?“, lautet die Frage, auf die der Richter am 12. November Antworten geben soll.
Vorheriger MEDRUM-Artikel: -> Nichts Neues bei Gorbers?
letzte MEDRUM-Artikel:
-> Gorber-Kinder haben selbst dafür gesorgt, dass sie nach Hause kommen
-> 5 Schulkinder und 2 Azubis bei Familie Gorber
-> Ein langer Tag für die Gorber-Töchter und ihre Eltern
-> Gorber-Töchter auf Begutachtungsfahrt
-> Gorber-Töchter dürfen vorläufig nach Hause
Erster MEDRUM-Atikel
-> Sechs Kinder einer bibeltreuen Familie entrissen und in staatlichen Gewahrsam genommen
Online-Unterzeichnung der Bittschrift der "Initiative Gorber"
( insgesamt fast 2000 Unterzeichungen aus fünf Erdteilen)