30.09.08
Was steht auf der politischen Tagesordnung?
Ein Zwischenruf von Karl Heine
(MEDRUM) Noch in der letzten Woche bezeichnete Finanzminister Steinbrück die internationale Finanzkrise als Problem der USA. Gestern, also nur wenige Tage später, bestätigte er eine Rettungsaktion in Höhe von 35 Milliarden, an der der deutsche Steuerzahler mit 26,6 Milliarden Euro beteiligt sein soll, um eine deutsche Bank vor der Pleite zu retten.
Bereits im letzten Jahr war die deutsche Politik mit dem Krisenmanagement für deutsche Banken beschäftigt. Keiner wußte zu diesem Zeitpunkt, welche Weiterungen auf die Finanzwelt und Politik noch zukommen würden. Dennoch schien es, als könne man - nach einigen Krisenmaßnahmen für deutsche Banken - zur gewöhnlichen Tagesordnung übergehen. Wer sich die Erklärung der Bundeskanzlerin vor der Sommerpause 2008 in Erinnerung ruft, konnte daraus die Botschaft entnehmen: "Alles in bester Ordnung." Wer sich die Tagesordnung des Bundestages aus den letzten Wochen ansah, vermochte auch nicht zu erkennen, dass auch bei uns scheinbar plötzlich vieles aus den Fugen geraten würde.
Noch letzte Woche stellte Finanzminister Steinbrück fest, die Krise amerikanischer Banken sei das Problem der USA. Spätestens seit dieser Woche müsste er eines Besseren belehrt sein. Mit keinem einzigen Wort berührte Steinbrück noch wenige Tage zuvor die Blitz-Rettungsaktion für die Bank Hypo Real Estate, bei der fast in einer Nachtaktion Krisenmaßnahmen ergriffen wurden, für die der deutsche Steuerzahler plötzlich in einer Höhe von 26,6 Milliarden Euro als Bürge in Mithaftung genommen wird. Dieser Betrag entspricht immerhin einem Anteil von mehr als 10 Prozent des gesamten Bundeshaushaltes für das Jahr 2008 (238 Millarden Euro). Von vorausschauendem Denken und Handeln kann vor dem Hintergrund solcher Überraschungsaktionen keine Rede sein. Wer weiß heute, was morgen auf uns zukommt? Vor welchen Überraschungen müssen wir gefeit sein? Wenn es schon die Politik offenbar nicht weiß, wie soll es erst der Bürger wissen? Gründe genug also, verunsichert zu sein.
Während sich die internationale Finanzkrise immer mehr zuspitzt, beschäftigt sich beispielsweise die CSU mit der Frage, ob Erwin Huber im Amt bleiben soll. Ihre führenden Köpfe beschäftigen sich nicht mit der Krise, die den Bürger und das Gemeinwesen als Ganzes bedrohen, sondern betreiben Selbstbeschäftigung. Auch die SPD und Frank-Walter Steinmeier beschäftigen sich mehr damit, das Wahlergebnis in Bayern als Erfolg zu verkaufen als damit, was staatsmännisches Handeln für unser Gemeinwesen jetzt verlangt.
So halten Finanzwissenschaftler unserer Politik Versagen vor. Mangelnde Kontrolle und mangelnder Druck auf die USA seien wesentliche Versäumnisse, die den Politikern vorzuhalten seien, so Professor Paul in Frontal 21. Sie seien es schließlich, die in den Aufsichtsräten von Banken gesessen hätten, die aber ihrer politischen Kontrollfunktion zum Beispiel bei der Aufsichtsführung über die staatseigenen Landesbanken nicht genügend nachgekommen seien. Fehlende Weitsicht sei in vielen Ländern festzustellen. Paul erklärte ferner, dass die Finanzkrise jeden betreffen werde.
Auch Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat in einem Gespräch im Zeit-Forum-Politik am 17. 09.08 (Sendung Frontal21 vom 23.09.08) seine Kritik am internationalen Finanzgeschehen unverhohlen geäußert und sich zu seiner Urheberschaft des Begriffes "Raubtierkapitalismus" bekannt. Über 100.000 Finanzderivate gebe es, die niemand mehr durchschauen könne und keiner Bankenaufsicht unterlägen, erklärte er. Das Schlimme sei die Sucht Risiken einzugehen und diese Risiken morgen schon dem anderen zu verkaufen. Die Hauptfehler hätte in Amerika gelegen, aber auch deutsche Banken hätten unüberschaubare Risiken auf sich genommen. Eine ganz große Aufgabe sei es, den internationalen Finanzverkehr unter Kontrolle zu bringen. Der mache täglich das 40 bis 50-fache des Welthandels aus. Gegenwärtig gebe es dafür jedoch keine Instanz. Hierfür müssten sich die Regierungschefs in der Welt zusammensetzen, damit es hoffentlich bald ein solches Kontrollsystem geben werde. Ein solches System und internationales Vertragsabkommen müsse das Verbot einschließen, Finanztransaktionen mit Instituten abzuwickeln, die auf steuer- und aufsichtsfreien Inseln residierten. Dies müsse völlig abgeschafft werden. Sie seien ein Krebsschaden für die ganze Welt.
Diese Kritiken sind ein klarer Hinweis darauf, dass sich die Politik weltweit und national nicht genügend mit den Erfordernissen der internationalen Finanzwirtschaft beschäftigt hat. Dies zeigt auch ein Blick auf die aktuellen Agendas, mit denen sich verschiedene Politikbereiche gegenwärtig beschäftigen.
Womit hat sich gestern der Bundestag beschäftigt? Zum Beispiel mit der Ortsumgehung der B 85 bei Bad Berka. Ein Auszug aus dem parlamentarischen Informationssystem bestätigt dies, dort steht:
hib Nr. 266, Mo, 29. September 2008, 13:15 Uhr
- Anhörungen zum Jahressteuergesetz und zum Steuerbürokratieabbaugesetz
- FDP fordert mehr Mobilfunkforschung
- Keine Kosteneinschätzung durch den Bund für "Stuttgart 21"
- Betreibermodell für A-20-Ausbau offen
- Im Bundestag notiert: Finanzierung von Forschungsvorhaben und -einrichtungen in Berlin
- Im Bundestag notiert: Ortsumgehung der B 85 bei Bad Berka
- Im Bundestag notiert: Änderung des Energieeinsparungsgesetzes
Wer die Internetseite der Bundeskanzlerin gestern aufschlug, fand dort zuallerest unter Aktuelles - Nachrichten die drei Rubriken:
- Ehrendoktor für Angela Merkel
- Demokratien brauchen freie Medien
- Leuchttürme in der Konsumwelt.
Auf der Internetseite der SPD findet sich noch heute als Hauptnachricht:
- CSU muss Macht teilen
"Der Ausgang der bayerischen Landtagswahlen werde die "politische Kultur in Bayern" verändern, sagte der SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier am Montag in Berlin.
Gleichzeitig gratulierte er dem bayerischen SPD-Spitzenkandidaten Franz Maget für seinen engagierten Wahlkampf. "Herzlichen Glückwunsch und herzlichen Dank dir Franz Maget", sagte Steinmeier."
Sicher, ob Erwin Huber oder Horst Seehofer demnächst die CSU führen werden, mag nicht nur für CSU-Anhänger eine spannende Frage sein, selbst die Beschäftigung mit einer Ortsumgehung mag im Bundestag spannend sein, auch die Verleihung einer Ehrendoktorwürde für die Bundeskanzlerin ist vermutlich für manche interessant, wie es auch einfach von humoristischem Interesse sein könnte, wenn Frank-Walter Steinmeier dem bayerischen Spitzenkandidaten Franz Maget zum schlechtesten Wahlergebnis der SPD in der Geschichte bayerischer Landtagswahlen gratuliert, wenn, ja wenn eben sonst nichts anderes auf die Tagesordnung gesetzt werden muß. Es liegt aber wohl deutlich auf der Hand, dass es nicht erst jetzt eine Menge anderer Dinge gibt, die auf die politische Tagesordnung gehören. Bei den Parteien, bei der Regierung, beim Bundestag und in der Politik überhaupt.
Dies zeigen auch Reaktionen von Menschen aus den USA, über die idea berichtet. Viele wüssten angesichts der fortwährenden Hiobsbotschaften nicht, ob sie morgen noch Arbeit haben, berichtet ein Pfarrer aus der Wall Street. „Sie sitzen da, weinen und sehen sehr erschöpft aus", so der Geistliche über das, was Menschen in der Krise jetzt bewege. Der Ausbruch der Krise überfällt Menschen und erschüttert manche bis ins Mark.
Liegen darin, dass das, was die Menschen bewegt und hautnah betrifft und von zentraler Bedeutung für die Politik sein muß, oft genug aber nicht an vorderster Stelle auf der Tagesordnung zu stehen scheint, nicht wesentliche Gründe, weshalb in Deutschland schon seit langer Zeit ein Vertrauensverlust in die Politik festzustellen ist, der vor allem ein Vertrauensverlust in die führenden Köpfe der Parteien ist? Wie sagte doch eine Kommtatorin vom rbb kürzlich in den Tagesthemen so treffend: "seid euch nicht selbst das Wichtigste, seid für die
Menschen da!"
MEDRUM-Artikel:
-> Abstimmung im US-Repräsentantenhaus gescheitert
-> 35 Milliarden Bürgschaft für den Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate
-> Nächster Paukenschlag in den USA: Kollaps der Größten US-Sparkasse
-> Steinbrück: Erdbeben mit tiefen Spuren in der Wirtschaft
-> US-Regierung warnt vor dramatischen Konsequenzen der Internationalen Finanzkrise
-> Steuerzahler sollen Heuschrecken, Raubtiere und Monster füttern
Regierungserklärung von Peer Steinbrück: -> Zur Lage der Finanzmärkte" im Deutschen Bundestag