16.11.15
Martin Schulz verurteilt CSU-Forderung von Söder als "Unsinn"
Der SPD-Europapolitiker und Präsident des Europaparlamentes erklärte, wer wie Markus Söder (CSU) angesichts der Terroranschläge die Kontrolle über die Zuwanderung verschärfen wolle, mache die Flüchtlinge von Opfern zu Tätern
(MEDRUM) Der Präsident des Europaparlamentes, Martin Schulz (SPD), wies am Sonntagabend in der Sendung von Günther Jauch die Forderung aus der CSU, mit Blick auf die Terrorakte in Paris die Kontrolle des Flüchtlingsstroms nach Deutschland zu verbessern, als "Unsinn" zurück.
Durch Terror nicht einschüchtern lassen
Günther Jauch fragte in seiner Sendung "Der Terror von Paris - Was ist unsere Antwort?" danach, wie die Reaktion auf die Terrorserie in Paris sein müsse. Die Gesprächsteilnehmer von Jauch, zu denen Martin Schulz und Ursula von der Leyen gehörten, warin sich darin einig, dass es falsch wäre, sich jetzt einschüchtern zu lassen. Schulz meinte zur Reaktion, es müsse dem IS deutlich gemacht werden: "Ihr werdet uns nicht in die Knie zwingen."
Schulz: Unsinn lassen
Jauch griff auch das Problem von Grenzkontrollen auf. Er zeigte einen Tweet des bayerischen Finanzministers, Markus Söder (CSU), mit dem dieser angesichts der terroristischen Bedrohung forderte, keine illegale und unkontrollierte Zuwanderung zuzulassen. Schulz lehnte Söders Vorstoß scharf ab. Er warf dem CSU-Politiker vor, die Flüchtlinge, die selbst Opfer seien zu Tätern zu machen. Das sei genau das, was nicht zugelassen werden dürfe. Der Schutz von Flüchtlingen dürfe nicht mit der Terrorismusbekämpfung vermischt werden. Schulz: "Ich fordere alle auf, diesen Unsinn zu lassen." Er warf Söder weiter vor, aus der angespannten Situation Profit schlagen zu wollen.
Importiert oder exportiert Deutschland Terrorismus?
Auch Ulrich Wickert, ehemals ARD-Korrespondent in Paris, ZDF, widersprach der jetzigen Forderung nach wirksameren Grenzkontrollen bei Flüchtlingen. Die Täter, die in den vergangenen Jahren Terroranschläge verübten, seien keine Flüchtlinge gewesen, sondern solche, die zum Beispiel in Frankreich aufgewachsen seien.
Der für die ARD tätige Journalist Georg Mascolo griff Wickerts Anmerkungen auf und meinte, der Terrorismus komme aus viel zu häufig aus der "Mitte unserer Gesellschaft, von Menschen, die hier groß geworden sind und unter uns gelebt haben". Mascolo kehrte die Argumentation sogar um. Wenn man in den Irak oder nach Syrien fahre, hätten die Menschen noch eine ganz andere Betrachtung. Dort heiße es: "Die sagen, ihr importiert ja keinen Terrorismus nach Europa, sondern ihr exportiert ihn ja. Es sind ja eure Leute." Geschätzt 15.000 Menschen aus europäischen Staaten, die sich nach Syrien und in den Irak begeben und dem IS angeschlossen hätten, so Mascolo. Es sei mittlerweile eine fast zweistellige Zahl von Deutschen, die sich als Selbstmordattentäter in Syrien und im Irak in die Luft gesprängt hätten. Zwar müsse die Registrierung von Flüchtlingen wieder besser werden, aber "mit Stand heute, haben wir kein Problem, dass wir Terrorismus importieren".
Von der Leyen: Flüchtlinge nicht zu Sündenböcken machen
Die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sprach sich nicht gegen die Kontrolle von Flüchtlingszuströmen aus. Sie meinte: "Ich finde es völlig in Ordnung, wenn wir unsere Grenzen schützen und dass wir kontrollieren. ... Ich finde, dieses Kontrollieren, wer kommt zu uns, und aus welchem Grunde, das ist das legitime Recht der Europäer und das ist auch bei diesen großen Zahlen von Flüchtlingen, die kommen, völlig in Ordnung. ... Aber das Zweite, was mir wichtig ist. Wir können jetzt nicht die Flüchtlinge zu den Sündenböcken machen für das, was der Islamische Staat an Anschlägen bei uns versucht. Da müssen wir ganz standfest sein."
Keine militärische Unterstützung Frankreichs durch die Deutschen?
Eine Rolle in der Gesprächsrunde spielte auch die Frage, wie Deutschlands Reaktion aussehen könne, falls Frankreich militärische Unterstützung erwarte. Dazu meinte Wickert, die Französen würden militärische Reaktionen zusammen mit den USA und Großbritannien durchführen. Die Deutschen würden die Franzosen sicherlich nicht um direkte Hilfe bitten. Wickert begründete dies mit der deutschen Geschichte und dem Umstand, dass Deutschland eine Parlamentsarmee habe, die - im Unterschied zu Frankreich - nicht ohne das Parlament eingesetzt werden könne.
Von der Leyen ging nicht auf diese Darstellung Wickerts ein, sonder merkte an, der IS müsse militärisch geschlagen werden, aber das sei keine Angelegenheit allein des Westens, sondern auch der muslimisch-arabischen Welt. Das Entscheidende sei aber nicht das Militärische, sondern politische Versöhnungsprozess. Und da bräuchten wir die Hilfe der muslimisch-arabischen Welt. Der jordanische König habe ihr zu Recht gesagt: "Dies ist nicht euer Kampf. Das ist unser Kampf." Von der Leyen weiter: "Ich glaube, wenn wir zusammenstehen, können wir den IS auch besiegen."
Zerfall der zivilisatorischen Ordnung
Die Zuversicht von Ursula von der Leyen teilte Mascolo nicht, sondern entgegnete: "Wir erleben seit langer Zeit einen völligen Zerfall der zivilisatorischen Ordnung. ... Jetzt wissen wir, dass eine militärische Intervention oft die Dinge nicht besser macht, dass Nicht-Intervenieren die Dinge aber auch nicht besser macht. ... Ich habe auch deswegen nicht viel Hoffnung, weil wir mit denjenigen Staaten zusammenarbeiten in der Region, die Unterdrückerstaaten sind. ... Also Stand heute Abend: Ich habe nicht viel Optimismus, dass es schnell besser werden wird."