09.05.11
Die Kirche - Assimilation oder Abwehr der Ideologie des Bösen!
Gespräch mit Kirchenrat Hans Lachenmann
(MEDRUM) Viele Christen sind beunruhigt. Die politisch vorangetriebenen Vorstellungen des Gender Mainstreaming und das Leitbild sexueller Vielfalt lösen zunehmend das christliche Menschen- und Familienbild auf, selbst innerhalb der Evangelischen Kirche, wie die Debatte um das Pfarrdienstgesetz und homosexuelle Partnerschaften zeigt. In diesem Prozeß sehen kritische Geister eine fundamentale Abkehr von christlichen Werten und Abschaffung von Freiheiten, die den Menschen säkularisierten Normen unterwerfen und ihm sein Recht nehmen, dem Ruf seines Gewissens zu folgen. Innerkirchlich wird den Kirchenoberen eine Abkehr vom Bekenntnis vorgehalten. Darüber sprach MEDRUM mit dem Kirchenrat der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Hans Lachenmann, der sich bereits seit seiner Zeit als Gemeindepfarrer mit dieser Entwicklung auseinandersetzt und zu den Mitgliedern des Initiativkreises Evang. Kirchenprofil gehört.
Hans Lachenmann im Gespräch mit MEDRUM:
MEDRUM: |
Herr Kirchenrat, was halten Sie von der allgemeinen gesellschaftspolitischen Entwicklung und dem heutigen Profil der Evangelischen Kirche? Ist die Kirche in eine Krise gestürzt? |
Lachenmann: |
Das ist eine ernste Frage, die auch mich bewegt. Man könnte darüber mutlos werden, wie jämmerlich sich meine Kirche darstellt, als hätte es nie einen Kirchenkampf gegeben, eine Barmer Theologische Erklärung, eine Bekennende Kirche, Persönlichkeiten wie Dietrich Bonhoeffer und Paul Schneider. Und nun, wo es ernst wird: leere Köpfe, kalte Herzen, volle Hosen. Die gegenwärtige Krise hat eine Vorgeschichte, die weit zurückreicht. Es ist das Unvermögen der Kirche, auf die rasante Entwicklung der wissenschaftlichen und technischen Weltbemächtigung seit der Renaissance eine glaubwürdige Antwort zu finden. Statt dessen immer dasselbe Schema: Entweder der scheinbar unabwendbaren Entwicklung den Lauf zu lassen, sich ihr anzupassen und sich auf einen strategischen Rückzug in ein als sturmfrei vermutetes Gebiet der Ethik, des Psychischen oder der Existenz zu begeben, um hier das "Eigentliche" christlichen Glaubens zu bewahren - oder aber der Rückzug in eine mit Betonmauern der Unfehlbarkeit umfriedete Burg bis zur Entartung ins Sektiererische (Beispiel Kreationismus). Beides wirkt sich unmittelbar aus auf die Sprache, das Kommunikationsmittel einer "Kirche des Wortes", die nicht mehr Ohr, Herz und Verstand des Hörers erreicht. Deshalb dann die Schwerpunktverlagerung auf soziale und andere menschenfreundliche Aktivitäten, mit denen sich gesellschaftliche Akzeptanz sichern lässt. Beide "Strategien" haben den Niedergang nicht aufgehalten. Das letzte halbe Jahrhundert brachte eine dramatische Zuspitzung und zeigte das Ende: die Selbstauflösung in eine völlig säkularisierte Organisation, die den Namen Kirche nicht verdient, oder ein nach außen kaum wirksames Nischendasein. Und genau da sind wir heute. Die gegenwärtige Krise um Homosexualität und Gender Mainstreaming ist ein sich daraus ergebendes Phänomen. |
MEDRUM: |
Kann dieser Niedergang nicht aufgehalten werden? Gibt es eine geistliche Alternative? Wie sind Sie damit umgegangen? |
Lachenmann: |
Ich habe das als junger Dorfpfarrer bald erkannt und versucht, einen anderen Weg zu gehen, nämlich eine "universale Theologie" zu entwickeln, die das Gesamte der Wirklichkeit im Blick hat, darin dem Universalismus der Bibel entsprechend. Wenn die christliche Wahrheit den Wahrheiten der Welt begegnet, findet ein Art "Stoffwechsel" statt. Jedes Lebewesen lebt nur, indem es sich mit anderen Lebewesen in einen Prozess des wechselseitigen Gebens und Nehmens begibt. Er steht unter der Alternative einer "aktiven Assimilation", da ich das Andere, Fremde in mein "System" einbaue, oder einer "passiven Assimilation", da ich mich in das System des anderen integrieren lasse, es sind die Alternativen "fressen oder gefressen werden". Der Erfolg der christlichen Mission in den ersten Jahrhunderten erklärt sich daraus, dass sich die junge Kirche geweigert hat, sich von den geistigen Mächten der Spätantike "assimilieren" zu lassen, etwa der "Gnosis". Gleichzeitig konnten Elemente der Spätantike der christlichen Tradition anverwandelt werden und so die Sprachfähigkeit der Kirche erhalten bleiben. In der Neuzeit geschah das Umgekehrte: Die Kirche ließ sich in einem langwierigen Prozess von den neuen Geistesmächten "assimilieren" mit der Folge einer schleichenden Selbstsäkularisierung. Der Zwang, sich an die Ideologien der Gegenwart "anzupassen", ist heute so groß geworden, dass man das ererbte Glaubensgut wie einen unnötigen Ballast über Bord gehen lässt. |
MEDRUM: | Sie haben das nicht mitgemacht. Wohin hat Ihr Weg Sie geführt? Sehen Sie Aussicht auf Erfolg? |
Lachenmann: |
Meine Versuche einer "universalen Theologie" hatten einige literarische Erfolge. Sie führte zur Bundesgenossenschaft mit Paul Schütz und seinem literarischen Werk, hatte aber keine Breitenwirkung. Ein Freund von mir, ein langjähriger Ortspfarrer, meint zwar, dass in achtzig Jahren alle so denken würden wie ich. Das werde ich nicht erleben. Meine "Vision" gebe ich jedenfalls nicht auf. Ich habe sie in meinem Amt als Pfarrer und Lehrer der Kirche erprobt. Ich bin darüber der katholischen Kirche näher gerückt. Sie hat sich die Universalität mit der Übernahme der mittelalterlichen Scholastik, dem Werk von Thomas von Aquin, und dessen der Neuzeit angepasstem "Neothomismus" trotz mancher Schwierigkeiten und Bedenken als die bessere Position zur Auseinandersetzung mit der Gegenwart bewahrt. Hier gibt es einen sinnvollen Diskurs mit der neuzeitlichen Wissenschaft, und es gibt zugleich eine klare Abwehr der neuzeitlichen "Ideologien des Bösen", von der Johannes Paul II. gesprochen hat. Was die gegenwärtige Situation angeht, so halte ich es mit Johannes Paul II.. Die "Ideologie des Bösen" ist zerstörerisch wie deren Vorgänger Kommunismus und Nationalsozialismus, aber wie beide schon von Anfang an mit einem Verfallsdatum versehen. Das gilt auch für die Gegenwart. Was wir heute erleben und was uns bange macht, hat wie alles seine Zeit und ist - schon jetzt erkennbar - zum Untergang bestimmt. Allerdings wie die beiden Vorgänger unter Hinterlassung unermesslicher Schäden. |
MEDRUM: | Kann der zu befürchtende Schaden nicht abgewendet werden? |
Lachenmann: | Ich glaube nicht, dass wir mit unseren kleinen Kräften zum jetzigen Zeitpunkt eine Wende erreichen können. Ich gebe meiner Kirche als "Volkskirche" in der Nachfolge der "Staatskirchen" keine große Zukunftschance. Ihre Zeit ist m.E. vorbei. Trotz allem Mitläufertum - bzw gerade deshalb - versinkt sie in die Langeweile der Banalität, die keinen aufregt und in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. Ich denke an einen Neuanfang, und zwar gerade mit den Gruppen, die sich jetzt im Kampf gegen die Selbstzerstörung unserer Kirche zusammenfinden, dabei auch alte Gegensätze überwinden und vielleicht sogar Neues lernen. Und das in Zusammenarbeit mit der Katholischen Kirche - freilich ohne die "Linkskatholiken", die oft schlimmer sind als die Linksprotestanten. |
MEDRUM: | Was heißt das für Ihre Arbeit und die Arbeit Gleichgesinnter? |
Lachenmann: | Das heißt für unsere Arbeit, dass sie sinnvoll und zukunftsfähig ist, auch wenn jetzt keine großen Dinge geschehen und wir die EKD, trotz unserer unverzichtbaren Bemühungen, nicht "retten" können. An Aufgaben sehe ich: dass wir zunächst erkennen, worauf es ankommt und warum es eigentlich geht. Meine Gedanken dazu habe ich im Informationsbrief April 2011 der Bekenntnisbewegung "Kein anderes Evangelium" dargestellt. Wichtig ist auch einen Kern zu haben, an den sich viele anschließen können. Einen solchen Kristallisationskern sehe ich im öffentlichen Schreiben von Uwe Holmer an den EKD-Ratsvorsitzenden. Andere denken in dieselbe Richtung. Einige raten, dass es in der Praxis - zunächst - dazu kommen sollte, dass Christen, Gemeinden, Pfarrer unter Beibehaltung der Kirchenmitgliedschaft ihrem Bischof unter Berufung auf Art 28 des Augsburger Bekenntnisses erklären, dass sie einem Bischof, der falsche Lehre verkündigt, nicht gehorsam sein dürfen. |
MEDRUM: | ... also dem Bischof die Gefolgschaft zu verweigern. Ist das überhaupt statthaft? Hat dieser Weg eine Chance? |
Lachenmann: | Ja, dieser Protest ist durch unser Ordinationsgelübde gedeckt. Daraus kann sich Weiteres entwickeln: freie Gemeinden, die ein neues "Barmen" vereint. Wichtig ist für mich in der gegenwärtigen Situation, Mut zu wecken, wo so viel Verunsicherung und Verzagtheit herrscht, und durch das eigene Beispiel andere zu ermutigen, dem Ruf des Gewissens zu folgen und den Schritt in die Opposition zu wagen als einen Schritt in die Freiheit. Es gilt, die psychische Lähmung - wie vor einem Schlangenbiss - aufzulösen. Auch sehe ich meine Aufgabe darin, den Mitstreitern seelsorgerlich beizustehen. Ich erlebe selbst den schweren seelischen Druck. Diese brüderliche und geschwisterliche Hilfe sind wir - verbunden in der militia Christi - einander schuldig. Das ist es, was ich in der gegenwärtigen Situation zu sagen vermag. Das Entscheidende bleibt für mich die Gewissheit, dass die Wahrheit der Lüge auf die Dauer immer überlegen sein wird. Das hat mit der Wirklichkeit Gottes zu tun. Sie ist der Grund auf der auch wir beiden stehen. |
MEDRUM: | Vielen Dank, Herr Kirchenrat, für Ihre offenen Antworten. |
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Hans Lachenmann
ist evangelischer Theologe und Kirchenrat der Evangelischen Landeskirche i.R.. Er war langjähriger Vorsitzender des Gesprächskreises "Evangelium und Kirche", der 1934 als Evangelische Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg durch Pfarrer Theodor Dipper gegründet wurde und in Opposition zum Nationalsozialismus in der Kirche stand. Kirchenrat Lachenmann gehört zu den Mitgliedern des Initiativkreises Evang. Kirchenprofil.
Eine der neueren Publikationen von Hans Lachenmann ist unter dem Titel „Sieh hin und du weißt" 2009 im Calwer Verlag erschienen. In seinem Buch hinterfragt Lachenmann eine absolut gesetzte Wissenschaft, die von Gott nichts mehr weiß und den Menschen für autonom erklärt, und zeigt die Konsequenzen auf. Das Buch ermutigt zu kritischem Denken gegenüber den Ideologien der Zeit, auch zum Widerstehen. Lachenmann dazu: "Viele können sich unter einer „universalen Theologie" kaum etwas vorstellen. Meine Schrift kann als ein Beispiel „universaler Theologie" zum Thema des christlichen Menschenbildes gesehen werden, das ja heute in Frage steht."
Hans Lachenmann, Sieh hin und du weißt - ein theologisches Gespräch mit Hans Jonas.
Fünf Traktate zu einem Aufruf von Hans Jonas
94 Seiten, 1. Auflage 2009, broschiert, Format: 12,3 x 20,5 cm
ISBN 978-3-7668-4087-5, Calwer Paperback 2009, 93 Seiten 9,80 €.
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Der bundesweit orientierte „Initiativkreis Evangelisches Kirchenprofil" trat Mitte Januar 2011 an die Öffentlichkeit und wendet sich dagegen, homosexuelle Partnerschaften der Ehe gleichzustellen und ihnen generell den Zugang zum Pfarrdienst in der EKD zu ermöglichen (MEDRUM berichtete). In MEDRUM ist eine Internetseite eingerichtet,
→ «Initiativkreis Evang. Kirchenprofil»,
und eine Online-Aktion geschaltet, über die sich Leser als Unterstützer der Initiative eintragen können:
→ Unterstützerkreis Kirchenprofil (URL: http://www.medrum.de/node/7600).
Der Initiativkreis wird von weit mehr als 1000 Personen namentlich unterstützt.
Kontakt zum Initiativkreis: Email: info.kirchenprofil@medrum.de
Ebenso berichtete MEDRUM über eine Initiative in der Evang.-Lutherischen Kirche in Bayern. Anlässlich der Beschlüsse der bayerischen Kirchenleitung zur Zulassung homosexuell verpartnerter Pfarrerinnen und Pfarrer zum Pfarramt, starteten der Arbeitskreis Bekennender Christen in Bayern (ABC) und die KSBB eine Aktion "Mahnruf aus den Gemeinden", der sich an die Synode der bayerischen Landeskirche wendet (KSBB unterstützt Mahnruf des ABC aus den Gemeinden).
Zum Problemkreis "Homosexualität und Kirche" erschien im März das Buch "... und schuf sie als Mann und Frau" als Beitrag zum kritischen Diskurs der Problematik "Homosexelle Partnerschaften im Pfarrdienst" (MEDRUM, 13.03.11: → ... und schuf sie als Mann und Frau ). Darin enthalten sind unter anderem die Beiträge:
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