01.07.08
Weder überraschend noch verwunderlich -
Studie belegt Verdrossenheit und Vertrauensschwund der Bundesbürger
Demokratie muss an Werten und Tugenden festgemacht werden
von Kurt J. Heinz
(MEDRUM) Eine Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung kommt zur Erkenntnis, dass es bei vielen Bundesbürgern an Vertrauen in die Politik fehlt. Etwa die Hälfte der Wahlberechtigten kann sich vorstellen, im nächsten Jahr nicht zur Bundestagswahl zu gehen, so das Ergebnis der Umfragen des Münchener Instituts Polis/Sinus, die letzte Woche bekanntgegeben wurden.
Die Studie belegt, was durch die äußerst geringe Wahlbeteiligung bei den letzten Kommunalwahlen ohnehin schon sichtbar wurde. Die Skandale um führende Persönlichkeiten in diesem Land, zum Beispiel um den ehemaligen Chef der Deutschen Post AG, das skandalöse Verhalten von Wirtschaftsführern, die mehr um das Kassieren horrender Gehälter und Ablösesummen als um das Wohl ihres Unternehmens und seiner Mitarbeiter besorgt sind, das milliardenschwere Versagen der Landesbanken und ihrer Aufsichtsgremien oder auch die ausbeutungsgleichen Auswüchse im "Geschäft der Zeitarbeit" gehören zu den zahlreichen Erscheinungen, die das Vertrauen in die Politik untergraben und die Autorität derjenigen in Frage stellen, die Verantwortung in unserem Gemeinwesen tragen.
Frank Karl, Leiter der Abteilung Gesellschaftspolitische Information von der Friedrich-Ebert-Stiftung, wird vom "Tagesspiegel" mit den Worten zitiert "Ich fürchte, rund ein Drittel der Menschen hat sich schon von der Demokratie
verabschiedet“. Ob man diese Einschätzung teilt oder nicht, ob die Bundesbürger unverändert zur Demokratie stehen oder nicht, ist eine Frage, der man sehr genau auf den Grund gehen muss. Die Entwicklung eines Vertrauensschwundes wird durch die Studie, bei der 2500 Bundesbürger befragt wurden, jedenfalls eindeutig bestätigt. Eine wesentliche Ursache für die Distanz der Bürger wird in der Empfindung vieler Bürger sichtbar, dass es nicht gerecht zugehe. Nur noch etwa 60 Prozent sind der Auffassung, sie werden gerecht behandelt, aber mehr als ein Viertel aller Bürger beklagen ausdrücklich ungerechte Behandlung. Verstärkt werden solche Einstellungen durch Zukunftsängste. An eine bessere Zukunft glaubt nur noch jeder Dritte, der große Rest befürchtet aber Einschränkungen oder sieht für sich die
Gefahr, gesellschaftlich oder finanziell abzurutschen.
Die Studie bringt es nicht an den Tag. Sie liefert nicht wirklich überraschende Erkenntnisse. Wer das Geschehen aufmerksam beobachtet, analysiert und folgerichtige Schlüsse zog, wusste schon vorher, dass einiges nicht in Ordnung ist. Anlass zur Sorge gibt es jedenfalls schon seit einiger Zeit. So gab der
Ratsvorsitzende der evangelischen Landeskirchen Deutschlands seiner
Sorge Ausdruck, dass die Entwicklungen der jüngsten Zeit das Vertrauen
in das politische System gefährden können. Auch Friedrich Merz (CDU) hat erst vor wenigen Tagen seine Sorgen deutlich gemacht. Große Teile der Führung der CDU
hätten kein Gefühl mehr dafür, in welcher Situation sich normale Familien in
Deutschland befänden, meinte der CDU-Politiker Merz. Nicht nur in der CDU, möchte man hinzufügen. Warum laufen auch der SPD die Wähler weg?
Wo Politik sich mehr um die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner zu kümmern scheint, als sich um das Gemeinwohl zu sorgen, wo Politik zum Showgeschäft zu verkommen scheint, wo Politik mehr durch demonstrative Akklamation und ungestümen Aktionismus wirkt als durch besonnenes, zielgerichtetes und kompetentes Handeln Zukunftschancen zu eröffnen, wo die Dinge schön geredet statt nüchtern und wirklichkeitsnah betrachtet werden, wo nicht mehr hingehört und zugehört wird, wo Ignoranz die Bereitschaft zum offenen Dialog ersetzt, wo statt Gestaltungsfähigkeit Ratlosigkeit herrscht, wo das Gesamtinteresse den Partikularinteressen untergeordnet wird, wo Politik den Starken nicht zu Solidarität mit dem Schwachen zwingt, wo ideologische Minderheiten das Wertesystem erschüttern, teilweise auch auf den Kopf stellen dürfen, wo
unverzichtbare Werte dem Verfall des Zeitgeistes und Wirrungen
fehlgeleiteten Denkens preisgegeben werden, wo nicht das "Dienen" für die Gemeinschaft, sondern das "Verdienen" auf Kosten der anderen im Vordergrund steht, kann kein Vertrauen und kein Zukunftsoptimismus entstehen.
Wer nun daraus schließen möchte, die Demokratie tauge eben nicht, sie könne eben keine überzeugenden Lösungen bieten, der muss sich fragen lassen, welche Alternative denn zur Wahl steht. Der muss vor allem auch bedenken, dass Alternativen stets nur einmal zur Wahl stehen. Das kennen gerade wir Deutschen aus der eigenen Geschichte. Die Weimarer Demokratie wurde schutzlos dem menschenverachtenden System des Nationalsozialismus preisgegeben, und mit ihr der Mensch, seine Freiheit und seine Würde schlechthin. Vergessen wir das nicht. Vergessen wir auch nicht den Aufbruch unserer Landsleute in den neuen Bundesländern, die viel riskiert haben, um die Freiheit und Demokratie zu gewinnen.
Das einzige wirklich reformfähige System ist die Demokratie. Das sehen auch Nationen mit langer monarchischer Tradition so. Wir müssen mit seiner Unvollkommenheit leben lernen wie wir mit unserer eigenen Unvollkommenheit und der Unvollkommenheit des anderen leben müssen, aber es liegt an jedem einzelnen von uns, an der Verbesserung mitzuwirken, indem wir es zur Reform bewegen. Sagte nicht Bundespräsident Horst Köhler beim Katholikentag, dass Demokratie an Werten und Tugenden festgemacht werden müsse? Also fangen wir an, mit der Reform der Demokratie, machen wir sie fest an Werten und Tugenden, fragen wir nach den Werten und Tugenden und fordern sie ein, von denen, die Entscheidungen treffen und Verantwortung tragen, aber vergessen wir bei allem notwendigen Blick auf die Starken und Herrschenden, auch nicht den kritischen Blick auf uns selbst bei dieser Reform. Es ist keine Einmalaufgabe, sondern eine immerwährende Anstrengung, sonst kann Demokratie nicht gut gelingen. Damit sie gut gelingt sollte es heißen: "Mehr Werte und Tugenden wagen!"
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