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Liebe und Trauer der Massen?


02.08.10

Liebe und Trauer der Massen?

Trauerfeier kein Anziehungspunkt der Massen im Duisburger Stadion - Loveparade-Fans fordern "The show must go on"

(MEDRUM) An der Trauerfeier für die Opfer der Loveparade am Samstag in Duisburg wirkten führende Repräsentanten der Kirche und des Staates mit. Gleichzeitig ist die MSV-Arena am Samstagvormittag jedoch weitgehend leer geblieben. Nur wenige fanden den Weg in das Duisburger Stadion, um dort bei der Live-Übertragung der Trauerfeier ihre Anteilnahme am Tod von 21 jungen Menschen zu bekunden. Doch Tausende forderten bereits zuvor, das als "Loveparade" bezeichnete Techno-Massenspektakel 2011 in Berlin fortzusetzen.

In seiner Predigt beim Trauergottesdienst in der Salvatorkirche hob der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck das Tragische des Geschehens hervor: "Von jetzt auf gleich bricht alles zusammen. Menschen sterben, werden verletzt - an Leib und Seele. Viele stürzen in grosses Leid. Leid, das lange währen wird. In dem einen Moment ist Party angesagt und im anderen Moment liegen wir hilflos am Boden." Dies seien die Gegensätze des Lebens, denen wir oft hilflos ausgeliefert seien. Trost spende jedoch die Liebe, die stärker als der Tod sei und durch die Schrecken dieser Tage hindurch trage. Die Liebe Gottes umfange uns alle. Und in seiner Liebe leben auch die Toten, so Overbeck. Der Ratsvorsitzende der EKD, Präses Nikolaus Schneider, machte deutlich, daß der Glaube an Gott keine Versicherung gegen die Erfahrung von Leid und Tod sei. Die Menschen könnten aber darauf vertrauen, daß ihnen Gottes liebevolle Gegenwart auf allen ihren Wegen zugesagt sei. Auch Schneider erinnerte, daß die Liebe Menschen über den Tod hinaus miteinander und mit Gott verbinde.

An der Trauerfeier für die Familien und Angehörigen der Opfer nahmen auch Bundespräsident Christian Wullf, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidentin von NRW, Hannelore Kraft teil.

Hannelore Kraft richtete nach dem Gottesdienst Worte der Anteilnahme an die Trauernden. Zum Abschluss ihrer Ansprache zitierte sie die Bitte, die der Vater einer Verstorbenen an sie heran getragen habe: "Der grausame Tod seiner Tochter könnte im Nachhinein noch einen Sinn bekommen, wenn dieser Tod uns alle mahnt, unser aller Wertesystem zu überdenken. Der Mensch, sein Wohlergehen und seine Sicherheit müsse wieder wichtigste Leitlinie unseres Handelns sein vor allen anderen Motiven. Das muss und wird unsere gemeinsame Verpflichtung sein." Kraft versicherte, daß alles getan werden, um das tragische Geschehen lückenlos aufzuklären. Das Land Nordrhein-Westfalen werde allen Betroffenen, die Unterstützung benötigen, schnell und unbürokratisch helfen.

Die Stadt Duisburg hatte sich auf die Teilnahme Zehntausender an der Trauerfeier eingestellt und führte in der MSV-Arena eine Live-Übertragung der Trauerfeierlichkeiten durch. Das Stadion blieb jedoch - anders als bei der Trauerfeier für den verstorbenen Nationaltorhüter Robert Enke 2009 in Hannover - weitgehend leer. Nach offiziellen Angaben fanden nur 2.600 Personen den Weg zu diesem Teil der Trauerveranstaltung. An der Loveparade-Veranstaltung am vergangenen Wochenende zuvor, bei der 21 Todesopfer und mehrere Hundert Verletzte zu beklagen waren, sollen nach Angaben der Veranstalter mehr als eine Million Menschen teilgenommen haben.

ImageDie Gegensätzlichkeit des Geschehens dieser Tage wird auch an der Haltung so genannter Loveparade-"Fans" deutlich. Noch vor der Trauerfeier hat sich in Facebook eine große Anhängerschar der Loveparade gebildet, die sich für eine Fortsetzung und Rückkehr der Massenveranstaltung nach Berlin ausspricht: "Loveparade back to Berlin!!!!". Innerhalb von wenigen Tagen haben sich fast vier Tausend "Facebook-Freunde" zusammengefunden unter dem Motto "Loveparade 2011 Berlin - The show must go on." (Bild links) Es sind Forderungen zu lesen wie: "Love  must go on", "Back to Berlin", "Trauerfeier in Berlin als party". Der Wunsch des Vaters der in Duisburg ums Leben gekommenen Tochter, das Wertsystem zu überdenken, scheint sich in den Forderungen der Loveparade-Anhänger nicht niederzuschlagen.

Die Frage, ob die Katastrophe von Duisburg nicht Anlaß gibt, die Massenveranstaltung "Loveparade" ganz grundsätzlich zu überdenken, wurde von führenden Repräsentanten des Staates und der Kirche bei der Trauerfeier noch nicht gestellt. Die Verantwortlichen werden sich nicht darauf beschränken können, Verantwortung und Schuld für die Geschehnisse in Duisburg aufzuklären. Ist die Loveparade ein "Sodom und Gomorrha", wie Eva Herman schrieb, oder ist es ein harmloses "Fest der Liebe", wie die Veranstalter und Fans der Loveparade propagieren? Dieser Fragestellung wird niemand ausweichen können, der in Staat und Kirche wirklich verantwortlich handeln will. Die Antwort darauf hat Bedeutung, die über das lokale Geschehen von Duisburg hinausgeht, und ist eine Wegmarke für die Zukunft, an der sich auch ein Wertesystem der Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft ablesen lässt. "Schluß mit Loveparade?" oder "Weiter so!"? Was würden die Toten sagen? Welche Antworten sind ihnen die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft schuldig?


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01.08.10 Zeit "Sie sind nicht allein"
01.08.10 Tagesspiegel Platz für die Trauer
31.07.10 Deutschlandradio Thomas Wenner: "Veranstaltungsraum ist das wichtigste Kriterium"
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MEDRUM → Loveparade des Grauens in Duisburg


Leserbriefe

Während Duisburg und mit der ganzen Stadt viele Menschen um die Opfer trauern, läuft in Stuttgart der schrille, „angeblich politische Umzug“ der CSD-Parade. Die Schirmherrin dieses Spektakels war Bundesjustizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger, FDP. Als "unglücklich" bezeichnet es der CSD-Vorstand Christoph Michl, dass die Trauerfeier für die Duisburger Toten ebenfalls am Samstag stattfindet. "Wir haben höchsten Respekt vor den Opfern und ihren Angehörigen", sagt Michl. Er werde in seiner Rede auf der Abschlusskundgebung auch auf die Ereignisse bei der Love-Parade eingehen. Eine Absage der eigenen Veranstaltung sei aber nicht infrage gekommen. So berichtet die STUTTGARTER ZEITUNG.

Das ist für mich eine Verhöhnung der Opfer und besonders auch der trauernden Angehörigen und den zahlreichen Verletzten! Unser Land ist leider zu einer weitgehend „gottlosen“ Gesellschaft ohne jegliche Würde und Anstand verkommen. Das zeigt sich auch darin, dass die Fans diese Art Veranstaltung, die Weiterführung der LP fordern. Was zählt ist Spaß und nochmals Spaß! Die Toten und ihre Angehörigen – sie haben eben Pech gehabt! Love Parade Duisburg: 2 weitere Patienten liegen hirntot im Krankenhaus sind es also demnächst 23 Tote?! Wie Newstagger aus sicherer Quelle erfahren hat, liegen im BGU Krankenhaus in Duisburg zwei weitere Opfer der Loveparade mit bestätigtem Hirntod. Beide Besucher der Loveparade erlitten schwerste Kopfverletzungen, diese waren so schwer, dass die Funktion des Gehirns beider Personen aussetzte. Zur Zeit liegen beide Personen unter Beobachtung im Krankenhaus in Duisburg. Bei beiden Patienten wurde der Hirntod bestätigt. Zwei weitere Menschen sind nach ihren schweren Verletzungen für immer an den Rollstuhl gefesselt. Sie haben durch ihre Verletzungen eine Querschnittslähmung erlitten. Wie es mit den anderen Verletzten ausschaut, ist noch nicht bekannt. Doch es kommen nun immer mehr tragische Einzelschicksale ans Licht, die auch neben dem Tod der 21 Opfer zeigen, dass die Loveparade ein Desaster war! http://newstagger.info/love-parade-duisburg-2-weitere-patienten-liegen-h...

Die Loveparade hat wohl mit Liebe genauso viel zu tun wie der Klapperstorch mit der Geburtenrate. Dieses Spektakel ist eine Art Rausch der Sinne, ohne jeden wirklichen Sinn und Verstand. Sicher ist nicht jeder vollgekifft oder betrunken, aber die wenigsten sind nüchtern und Herr ihrer Sinne, was Voraussetzung für eine verantwortungsvolle Liebe wäre. Wer zu derartigen Spektakeln geht, geht nicht dorthin, um seine große Liebe zu treffen, sondern im allgemeinen um so richtig die Sau rauszulassen, in den meisten Fällen unter Missachtung aller Vernunft, und hierin liegt eigentlich die größere Gefahr als in hin und wieder bei solchen Massenpartys sich ereignenden Unglücksfällen, die einfach mehr oder weniger dazugehören und auch immer wieder auftreten werden. Ich möchte nicht wissen, wieviel Krankheiten, darunter auch tödliche, bei derartigen Veranstaltungen übertragen werden, wieviel Menschen den Weg zu Drogen finden und nicht wieder davon loskommen und wieviel Kinder einen lebenslangen Schaden davontragen, und sei es nur auf Grund der übermäßigen Beschallung. Der Aufruf zur Weiterführung dieser Veranstaltung stellt für mich deshalb eine kriminelle Handlung dar.