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Jürgen Rüttgers tritt nicht gegen Kraft an


20.06.10

Jürgen Rüttgers tritt nicht gegen Kraft an

Keine überraschende, sondern eine logische Konsequenz aus den realen Kräfteverhältnissen und einem erfolglosen Manövrieren der CDU

(MEDRUM) Nachdem Hannelore Kraft am Donnerstag erklärt hatte, daß sie sich der Wahl zur Ministerpräsidentin von NRW stellen will, trat Rüttgers den Rückzug an. "Rüttgers gibt auf", schrieb der FOCUS am Samstag. Er werde nicht als Gegenpol kandidieren, erklärte zuvor der zur Zeit geschäftsführende Ministerpräsident nach einer Sitzung des CDU-Landesvorstandes.

Es kann niemanden überraschen, daß Rüttgers nicht antreten wird. Eine solche Kandidatur wäre sinnlos und würde dem Wahlverlierer der Landtagswahl und seiner CDU mehr schaden als nützen. Denn bei den politischen Kräfteverhältnissen hätte er nicht den Hauch einer Chance, erfolgreich zu sein oder auch nur das Gesicht zu wahren. Selbst wenn er sämtliche Stimmen der Abgeordneten von CDU und FDP erhielte, könnte er mit maximal 80 von 181 Stimmen zu rechnen. Es wäre eine Demonstration der Kraftlosigkeit, mit der Schwarz-Gelb aus der Landtagswahl hervorgegangen ist.

Für Hannelore Kraft sieht die Rechnung anders aus. Sie kann weit mehr Gewicht in die Waagschale werfen. SPD und Grüne kommen zusammen auf 90 Stimmen. Diese Stimmenzahl würde zwar in den ersten drei Wahlgängen alleine noch nicht für einen Erfolg ausreichen, denn in diesen Wahlgängen ist die absolute Mehrheit aller Sitze im Landtag erforderlich. Das sind mindestens 91 Sitze. Im vierten Wahlgang reicht indes bereits die einfache Mehrheit der gegeneinander antretenden Kandidaten. Würde sich Rüttgers also wie Kraft zur Wahl stellen, wäre das Ergebnis vorhersehbar: Kraft würde mit den Stimmen der SPD und Grünen dem geschäftsführenden Ministerpräsidenten Rüttgers eine deftige Niederlage bereiten und durch den Landtag zur Ministerpräsidentin gewählt werden. Rüttgers wäre demonstrativ abgewählt und Hannelore Kraft hätte ihn im unmittelbaren Duell besiegt. Dazu würde Kraft nicht eine einzige Stimme aus dem Lager der Linken benötigen. Wenn Rüttgers also erklärt, er stehe für eine Kandidatur nicht zur Verfügung, erklärt er nicht mehr, als nicht für eine sichere Niederlage zur Verfügung zu stehen zu wollen. Diese wäre unvermeidbar und würde seine Wahlniederlage bei der Landtagswahl vom Mai 2009 erneut vor Augen führen, was im unmittelbaren Wettstreit gegen Kraft letztlich einer Demütigung gleichkäme.

ImageDie Union hat die Entschlossenheit von Hannelore Kraft und ihrer SPD unterschätzt. Kraft hatte keinen Grund, in eine Große Koalitition unter der Führung eines Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers einzutreten. Rüttgers hatte das schlechteste Wahlergebnis, das je ein CDU-Kandidat in NRW vor ihm bei Landtagswahlen seit 1947 erzielte. Nie zuvor hatte die CDU so viele Prozentpunkte bei einer Landtagswahl in NRW verloren. Rüttgers machte aus dem Bonus des Ministerpräsidenten einen Malus. Und schließlich kann Kraft nicht nur auf gleiche Sitzanzahl von SPD und CDU mit je 67 Sitzen im Landtag  verweisen, sondern kann mit Hilfe der Grünen eine Landesregierung bilden, die zehn Mandate mehr hinter sich hat als die derzeit geschäftsführende Regierung von Rüttgers. Weshalb also hätte sich Kraft und die SPD auf eine Regierung unter der Führung von Rüttgers einlassen sollen?

Hätte die CDU in NRW weiter mitregieren wollen, hätte sie Kraft den Vortritt beim Ministerpräsidentenamt überlassen müssen - mit oder ohne Jürgen Rüttgers in einem Kabinett Kraft. Doch zu diesem Schritt waren die CDU und Rüttgers offenbar nicht bereit. Die jetzige Erklärung von Jürgen Rüttgers, er habe sich für eine Große Koalition eingesetzt und stehe jetzt nicht als Gegenpol von Kraft zur Verfügung, ist nur die Hälfte der Wahrheit. Die volle Wahrheit ist: Rüttgers hat sich nur für eine Große Koalition unter seiner Führung, nicht aber unter Führung von Kraft eingesetzt. Doch diese Rechnung konnte angesichts der Wählerentscheidung für den Düsseldorfer Landtag und der konsequenten Haltung von Hannelore Kraft nicht aufgehen. Darüber kann auch die jetzige Schelte für die SPD von Angela Merkel an der Spitze nicht hinwegtäuschen. Selbst eine von Kraft geführte Minderheitsregierung wird NRW weit stabilere Verhältnisse bescheren als es eine geschäftsführende "Minderheitsregierung Rüttgers" leisten kann.

Vollzieht Kraft ihre jetzige Ankündigung, sich mit Unterstützung der Grünen im Juli zur Wahl als Ministerpräsidentin im Düsseldorfer Landtag zu stellen, ist die Regierungszeit der CDU beendet. Hätte die CDU eine rot-grüne oder rot-grüne Politik mit Tolerierung der Linken verhindern wollen, hätte sie das leicht tun können, wenn sie auf den Führungsanspruch von Rüttgers verzichtet hätte. Doch dafür wollte sie sich nicht entscheiden. Sie hat deswegen ihre Chance, die Politik in NRW als Partei mit Regierungsverantwortung weiter mitzubestimmen, vergeben. Damit hat sie auch ihre Chance nicht genutzt, zu einer stabilen Regierungsbildung in NRW beizutragen und den Einfluß der Linken fern zu halten, und schließlich hat sie sich nicht zuletzt auch der Möglichkeit begeben, einer Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat entgegen zu wirken. Der offenkundig unbeugsame Wille, am Ministerpräsidentenamt für Jürgen Rüttgers festzuhalten, wurde teuer erkauft. Es wurde nichts gewonnen, aber viel verloren.


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