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Roland Koch will gehen


26.05.10

Roland Koch will gehen

11 Jahre außerordentliches Vergnügen als Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzender sind ihm genug

Ein Zwischenruf von Kurt J. Heinz

(MEDRUM) Roland Koch (CDU), Mitglied des Hessischen Landtages, Ministerpräsident Hessens und Vorsitzender der hessischen CDU, erklärte gestern seinen vorzeitigen Rückzug aus der Politik. Politik sei nicht sein Leben, erklärte Koch.

In der öffentlichen Diskussion ist es nichts Ungewöhnliches, daß Politiker Rücktritte oder einen Rückzug aus der Politik vollziehen. Der Nachrichtenwert solcher Meldungen ist meist hoch, vor allem wenn es sich um überraschende Rückzüge wie bei Koch oder dem ehemaligen SPD-Politiker Oscar Lafontaine handelt. So ist auch die gestrige Rücktrittsankündigung für viele Kommentatoren Anlaß, die Verhältnisse in der Bundes-CDU zu betrachten, die Beweggründe Kochs zu erforschen und über Konsequenzen nachzudenken, die sein Rücktritt für die weitere Entwicklung der CDU haben könnte. Dabei kommt ein Aspekt zu kurz, der aus der Sicht des Wählers und aus der Sicht des Verhältnisses von Koch zum Wähler Betrachtung verdient.

Roland Koch wurde am 18. Januar 2009 in den Hessischen Landtag gewählt. Koch hatte für den Wahlkreis 32 - Main-Taunus I kandidiert. Von den Wählern seines Wahlkreises erhielt er die Mehrheit der Stimmen und zog als Abgeordneter der 18. Legislaturperiode in den Hessischen Landtag ein, der für die Dauer von 2009 bis 2014 gewählt wurde. Für diese Aufgabe hatte sich Koch bei der Landtagswahl als Kandidat gestellt. Auf seiner Internetseite ist dementsprechend zu lesen: "Im Hessischen Landtag vertritt er als Abgeordneter die Städte und Gemeinden Eschborn, Schwalbach, Bad Soden, Sulzbach, Liederbach, Kelkheim und Eppstein."

In seiner gestrigen Erklärung stellte Koch für die Öffentlichkeit und seine Wähler nun überraschend fest: "Ich beabsichtige zum Ende des Monats August mein Amt als Hessischer Ministerpräsident aufzugeben und aus dem Hessischen Landtag auszuscheiden." Koch erklärt damit dem Wähler, daß er nicht beabsichtigt einzulösen, worauf der Wähler vertrauen durfte. Ob die Wähler seines Wahlkreises ihm ihre Stimme gegeben hätten, wenn Koch vor der Wahl erklärt hätte, "Ich werde  18 Monate nach der Wahl aus der Politik ausscheiden, weil Politik nicht mein Leben ist", darf bezweifelt werden.

Selbstverständlich ist es Kochs gutes Recht, am 12. Juni 2010 nicht erneut für den Vorsitz in der hessischen CDU zu kandidieren. Daß er dieses Amt nicht weiterhin übernehmen will, muß er mit seinen politischen Freunden in der CDU besprechen. Keiner kann ihn dazu zwingen. Koch hat keinerlei Verpflichtung, auch künftig für dieses Amt zu kandidieren. Am Ende entscheiden darüber ohnehin nicht die Wähler, sondern die Partei.  Sinngemäß gilt dies auch für das Amt des Ministerpräsidenten. Auch hierüber haben nicht die Wähler, sondern die Stimmen der Abgeordneten der Parteien CDU und FDP entschieden. Wenn Koch dieses Amt nun nicht über den Sommer 2010 hinaus übernehmen will, muß er seine Entscheidung in erster Linie gegenüber jenen Abgeordneten und Fraktionen rechtfertigen, die ihn zum Ministerpräsidenten gewählt haben.

Zwischen den Ämtern als Parteivorsitzender sowie als Ministerpräsident einerseits und dem Landtagsmandat, das ihm von seinen Wählern erteilt wurde, andrerseits, besteht jedoch ein grundsätzlicher Unterschied. Wer für den Landtag kandidiert und dieses Mandat nach erfolgreicher Wahl annimmt, hat einen direkten Wählerauftrag, der ihm unmittelbar von seinen Wählern erteilt wurde. Wer dafür um des Wählers Stimme und Vertrauen erfolgreich geworben hat, steht auch in der Verpflichtung, dieses Amt ohne Wenn und Aber auszufüllen. Ob er dabei zusätzlich auch Parteivorsitzender oder im Amt des Ministerpräsidenten ist, ist für das Landtagsmandat von zweitrangiger Bedeutung.

Wer wie Koch 15 Monate nach seiner Wahl zum Abgeordneten erklärt, er wolle bereits in diesem Sommer aus dem Hessischen Landtag wieder ausscheiden, Politik sei nicht sein Leben, seine Familie, aber auch Angela Merkel würden diese Entscheidung seit mehr als einem Jahr kennen, und er habe sich seit langem auf diesen Tag vorbereitet, setzt sich dem naheliegenden Vorwurf aus, die Stimme des Wählers ergattert zu haben und ihm nunmehr in dreister Art ins Gesicht zu schlagen. Offenbart der, der so denkt und handelt, ein akzeptables Demokratieverständnis, zeigt er genügend Achtung vor dem Souverän, der ihn gewählt hat? Oder wird der Wähler dadurch nicht zu einer Dispositionsmasse degradiert, um deren Stimme lediglich gebuhlt wird, solange sie für die eigene politische Karriere und persönliche Ambitionen gebraucht wird?

Die Verhältnisse scheinen auf den Kopf gestellt. Denn, wer vor den Wähler hintritt und von ihm ein Mandat erhält, hat zuallererst eine dienende Funktion, die nicht beiseite geworfen werden darf, wenn dies nicht mehr den persönlichen Vorstellungen entspricht oder ihnen zuwider läuft. Koch handelt wie ein Fußballspieler, der um seine Aufstellung gebettelt hat, aber 20 Minuten nach Matchbeginn das Spielfeld verläßt und seinem Trainer zuruft: "Fußball behagt mir nicht mehr. Ihr müsst jetzt ohne mich weiterspielen." Ein bemerkenswerter Satz von Koch gestern klingt wie eine doppelsinnige, psychologische Erklärung: "Sie müssen mich halt nehmen, wie ich bin. Die Dinge, die ich mir in den Kopf gesetzt habe, versuche ich auch durchzuziehen."

Kochs gestrige Verlautbarung schafft einen überraschend brutalen Bruch mit Erwartungen, die er selbst mit zielstrebigem Ehrgeiz und taktischer Raffinesse befördert hat. Anstatt sein Abgeordnetenmandat als "einfacher" Landtagsabgeordneter im Alter von 52 Jahren auch für die noch folgenden gut dreieinhalb Jahre weiter erfüllen zu wollen, will er sich jetzt "eine Auszeit zum Durchatmen und zur Rückkehr ins normale Leben gönnen". Koch will jedoch nur politischer, nicht aber generell Aussteiger werden; er erklärte dazu: "Keiner von ihnen würde mir allerdings glauben, dass ich ohne Plan gehe. Aber bevor ich diese Pläne verwirkliche, werde ich auch einmal die Chance nutzen, abzuwarten und zu schauen, was passiert."

Dem Noch-Landtagsabgeordneten kann grundsätzlich beigepflichtet werden, wenn er sagt, der Steuerzahler werde ihn noch lange nicht auf der Pensionsliste sehen. Doch dürfte dies nicht im Koch'schen Sinne gelten. Wenn er nach seinem vorzeitigen Rückzug demnächst auf der Gehaltsliste eines Wirtschaftsunternehmens auftauchen würde, könnte dies als Täuschung des Wählers verstanden werden. Seine Pflicht als gewählter Repräsentant für den hessischen Landtag ist es, als Abgeordneter bis zum Jahr 2014 auf der Gehaltsliste des Steuerzahlers zu stehen und  seine Aufgabe im Hessischen Landtag zu erfüllen, auch wenn dies finanziell weniger attraktiv sein sollte als etwa bei einem Dax-Unternehmen zu verdienen.

Kochs kaltschnäuziger Rückzug aus der Politik und CDU ist nur ein vermeintlicher, vielleicht ein kurzzeitiger Verlust. Auch er ist - wie die meisten - ersetzbar, zumal es nicht an ehrgeizigen, ambitionierten Politikern fehlt.  Ein Unterangebot gibt es eher bei kompetenten, integren und glaubwürdigen Persönlichkeiten, die bereit sind zu dienen, um das in sie gesetzte Vertrauen nicht zu enttäuschen und zu ihrer persönlichen Verantwortung stehen. Gesucht sind Politiker, für die der Bürger und Wähler nicht im Dienste von Parteien und Politikerkarrieren steht, sondern als Repräsentanten der Bürger ihrer Aufgabe in der parlamentarischen Demokratie dienen. Koch hat mit der gestrigen Ankündigung seines vorzeitigen Rückzuges denen eine Enttäuschung bereitet, die darauf vorbehaltlos vertraut und Hoffnung in ihn gesetzt hatten. Auch dürfte dieses Ereignis kaum dazu beitragen, die Gruppe der CDU-Wähler zu vergrößern und die Zahl der Nichtwähler zu verringern. Erinnerungen an Kochs Episode als "brutalst möglicher Aufklärer" werden wach.


www.roland-koch.de/wahlkreis

erklaerung_des_hessischen_ministerpraesidenten_roland_koch_zur_niederlegung_seiner_politischen_Aemter


MEDRUM -> Rüttgers, Kraft oder Neuwahlen?