05.02.10
Kein Lebensraum für Homeschool-Familien in Deutschland?
Deutscher Lehrerverband übt scharfe Kritik am Asyl-Urteil eines US-Gerichtes
(MEDRUM) Wie MEDRUM berichtete, hat das für Asylverfahren zuständige Immigrations-Gericht in Memphis/Tennessee am Dienstag vergangener Woche entschieden, der aus Deutschland geflüchteten „Hausschulfamilie“ Romeike politisches Asyl in den USA zu gewähren. Das Urteil ist umstritten. Während Homeschool-Befürworter erleichtert reagierten, zeigte der deutsche Lehrerverband für das Urteil Unverständnis. Homeschooling verbaue Bildungschancen und fördere Sektierertum, lautet das Credo der Dachorganisation der deutschen Lehrerschaft, das jedoch nicht ganz schlüssig ist und über heikle Fragestellungen hinweggeht.
Kein Lebensraum für Familie Romeike in Deutschland
Die Eltern Romeike sahen sich gezwungen, im August 2008 mit ihren fünf Kindern Deutschland zu verlassen. Ihnen drohte, das Sorgerecht entzogen zu werden, weil sie ihre Kinder im Homeschooling zu Hause unterrichteten. Sie hatten mehrere Bußgeldverfahren und Zwangsmaßnahmen über sich ergehen lassen müssen. So waren ihnen einst in einer "polizeilichen Blitzaktion" auch morgens um 7.30 Uhr drei ihrer Kinder weggenommen und zur Schule gebracht worden.
Die Vereinigung „Schulunterricht zu Hause e.V.“ (SchuzH), die in zahlreichen Hausschulfällen bei Schulbehörden und Gerichten gegen Rechtsverletzungen gekämpft und dies auch Politikern vorgetragen hat, merkte dazu an: „Nachdem der Bundesgerichtshof im November 2007 in zwei Hausschulfällen (BGH XII ZB 41/07 und 42/07) - entgegen internationaler Erfahrungen und wissenschaftlicher Erkenntnisse - entschieden hatte, Hausunterrichtung sei Kindeswohlgefährdung, die den Staat berechtige, den Eltern das Sorgerecht zu entziehen, hat die Familie keinen Lebensraum mehr für sich in Deutschland gesehen.“
Der US-Richter Lawrence O. Burman urteilte zum Asylantrag der Eltern Romeike, daß hier grundlegende Menschenrechte verletzt worden seien, die zu verletzen kein Land berechtigt sei. Burman drückte seine Betroffenheit darüber aus, dass Deutschland als demokratisches Land und Verbündeter der USA Hausschulfamilien verfolge, die von ihrem elterlichen Erziehungsrecht Gebrauch machen würden. SchuzH merkte dazu an, das amerikanische Gericht teile damit die Rechtsauffassung, die in den meisten Staaten dieser Erde vertreten werde. Bereits der UN-Sonderbeauftragte für das Erziehungswesen Vernor Munoz habe 2007 die Regierung der Bundesrepublik angemahnt, diese Rechtsauffassung zu beachten.
Lehrerverband: Urteil ist ein Hammer.
Zum Asyl-Urteil hat auch der Präsident des deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, Stellung genommen und übte scharfe Kritik. „Dieses Urteil ist ein Hammer“, sagte er im Hamburger Abendblatt und äußerte sein Unverständnis: „Ich kann nicht nachvollziehen, dass ein demokratisches Land wie die USA demokratisch entstandene Gesetze in Deutschland als Verstoß gegen die Menschenrechte ansieht. Jeder demokratische Staat ist legitimiert, sein Schulsystem zu regeln.“
Vordergründig betrachtet scheint dies ein eingängiges Argument gegen das Urteil des US-Gerichtes zu sein. Doch der von Kraus konstruierte Widerspruch besteht nur scheinbar. In seiner Stellungnahme übersieht Kraus nämlich, daß auch demokratisch zustande gekommene Gesetze Menschenrechte verletzen können. Dies wurde am Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichtes zur ehemals im Bundestag verabschiedeten Fristenlösung augenscheinlich, mit dem die Abtreibung legalisiert werden sollte. Das vom Bundestag beschlossene Gesetz war verfassungswidrig, weil der Bundestag das Recht des ungeborenen Kindes auf Leben mißachtete. Demokratisch zustande gekommene Gesetze sind also nicht automatisch mit Menschenrechten konform.
Analog verhält es sich im Fall Romeike. Der US-Richter zweifelte nicht daran, daß die deutsche Schulgesetzgebung auf demokratischem Wege zustande gekommen ist. Ebenso wenig stellte er in Frage, daß Deutschland das Recht hat, sein Schulsystem zu regeln. Das US-Gericht betrachtete vielmehr die Frage, ob die in Deutschland beschlossenen Gesetze, die dazu ergangene Rechtsprechung und ihre Anwendung im Einklang mit international anerkannten Menschen- und Freiheitsrechten stehen. So hat sich hier die berechtigte Frage entzündet, ob es mit grundlegenden Rechten des Menschen vereinbar ist, daß der Staat durch die Anwendung von Zwangsmitteln sogar eine Familie sprengt, nur weil sie ihren Kindern schulische Bildung auf einem anderen Weg als durch den Besuch einer öffentlichen Schule vermitteln will. Auf diese heikle Fragestellung geht Kraus mit seiner Argumentation jedoch nicht ein. Der Jurist und Vorsitzende von SchuzH, Arnim Eckermann, merkte indes dazu an: "Hätte der US-Richter deutsches Verfassungsrecht angewendet, wäre er zum gleichen Ergebnis gekommen."
Ist Schulunterrichtszwang alternativlos?
Der Lehrerverbandspräsident wendet in seinem Artikel "Zum Schuluntericht gibt es keine Alternative" in der Tagespost (30.01.10) weiter gegen Homeschooling ein, daß es schon aus praktischen Erwägungen keine Alternative zum Schulunterricht gebe. Damit legt Kraus eine Schlußfolgerung nahe, die so nicht gezogen werden darf. Allein aus der Tatsache, daß ein Regelsystem etabliert und für die große Mehrheit der Bevölkerung auch notwendig und praktikabel ist, kann nicht geschlossen werden, daß es für eine Minderzahl von Fällen grundsätzlich keine Alternative geben kann oder darf. Zwar kann Kraus ohne weiteres in dem Punkt zugestimmt werden, daß nur durch das staatliche Schulsystem und die Schulpflicht die Bildung breiter Schichten gewährleistet werden kann. Doch wird dieses Faktum durch Homeschooling ebenso wenig in Frage gestellt, wie es seinerseits ein Homeschooling in der Eigenverantwortung der Eltern ausschließt.
Weder der US-Richter noch Romeikes oder Vertreter des Homeschoolings wollen auf ein staatliches Schuldbildungssystem verzichten und fordern, dieses aufzugeben. Ihr Anliegen ist es, daß Familien das Recht auf Homeschooling zugestanden wird, falls sie aus individuellen Gründen ihre Kinder nicht dem Schulbesuchszwang in einer öffentlichen Schule unterwerfen, sondern diese auf einem alternativen Weg bilden wollen. Auf dieses Anliegen und die damit verbundene Frage, ob es als verhältnismäßig beurteilt werden kann, einer Familie dieses Stück Freiheit in der Bildung nicht zu gewähren, sondern sie stattdessen durch Zwangsmaßnahmen bis hin zum Entzug des Sorgerechtes auseinander zu reißen oder wie im Fall Romeike sie vor die Alternative der Auswanderung zu stellen, gibt Kraus keine Antwort. Tatsache ist: Homeschooling ist vielen Staaten der westlichen Hemisphäre eine geübte Praxis, die das Regelschulsystem der Mehrheitsbevölkerung begleitet, ohne es in Frage zu stellen. Auch die Bildungschancen von Homeschool-Kindern werden dort nicht zunichte gemacht. Studien über Homeschooler bestätigen solche Befürchtungen ebenso wenig wie die These, Homeschooler seien in ihrer sozialen Entwicklung benachteiligt. Gerade die Sozialisation von Homeschool-Kindern hat sich der schulisch geprägten Sozialisation mitunter sogar überlegen gezeigt. Die enorm hohe Zahl von Schulversagern legt es eher nahe anzunehmen, daß Homeschooling unter bestimmten Umständen sogar die bessere Alternative ist.
Homeschooling und Sektierertum
Statt diese Gegebenheiten differenziert zu betrachten führt Kraus schließlich noch ein weiteres Argument gegen Homeschooling ins Feld: der Staat müsse auch privat organisierte Koranschulen genehmigen, wenn er es zuließe, daß Kinder im Homeschooling unterrichtet würden. Was zunächst scheinbar logisch klingt, hält einer kritischen Analyse nicht stand. Im Gegensatz zu der von Kraus als Analogie angeführten Koranschule ist Homeschooling grundsätzlich weltanschaulich neutral. Eine Gleichsetzung ist schon aus diesen Gründen unzulässig. Homeschooling hat mit Koranschule so wenig zu tun, wie Josef Kraus mit Islamismus zu tun hat.
Die Folgerungen von Kraus treffen aber auch deshalb nicht zu, weil Homeschooling nicht bedeutet, der Staat gebe dabei seine Wächterfunktion auf. Wie für jede staatlich genehmigte Privat- oder Ersatzschule muß auch für Homeschooling vorausgesetzt werden, daß mit einer Genehmigung überprüfbare Vorgaben und Auflagen verbunden sind, die insbesondere durch das Grundgesetz und die Schulgesetze vorgegeben sind. Dazu gehören inhaltliche Bildungsziele gleichermaßen wie Erziehungsziele, die sich an den Grundwerten unserer freiheitlich verfassten Ordnung ausrichten. Homeschooling zuzulassen, heißt somit also keineswegs, verdächtigem Sektierertum Vorschub leisten oder gar freien Lauf lassen zu müssen, wie es die Argumentation von Kraus impliziert.
Darüber hinaus käme es der pauschalen Diffamierung einer Minderheit gleich, Familien, die ihre Kinder nicht dem Schulbesuchszwang staatlicher Schulen unterwerfen wollen und eben nicht der großen Mehrheitsauffassung folgen, grundsätzlich als sektiererisch einzustufen. Sie dürfen - ebenso wie eine große Zahl von Eltern, die ihre Kinder auf private Schulen schicken und deswegen keine Sektierer sind - legitime und vernünftige Beweggründe für sich in Anspruch nehmen. Warum sollte also Eltern nicht ermöglicht werden, ihre Kinder im Homeschooling zu bilden? Gerade Eltern, die Kindern auf diesem Weg eine mehr christliche geprägte Bildung und Erziehung vermitteln wollen, weil sie diese in einer öffentlichen Schule nicht im gewünschten Maße gewährleistet sehen, zeigen ein hohes Maß von elterlichem Verantwortungsbewußtsein, das zu Unrecht des Sektierertums verdächtigt wird. Dadurch werden sie schablonenhaft ausgegrenzt und in eine Norm gepresst, die ihnen die Luft zum freien Atmen nimmt.
Koexistenz von staatlichem Schulsystem und Homeschooling
Wer das Urteil des US-Richters differenziert betrachtet und die Zusammenhänge mit logischer Schärfe analysiert, muß also keineswegs die von Josef Kraus gezogenen Schlußfolgerungen teilen. Die von ihm angeführten Gründe stehen einer Zulassung von Homeschooling nicht entgegen. Eine Reihe von Vorzügen spricht vielmehr dafür, insbesondere:
Das von Kraus mit Recht positiv gewürdigte staatliche Schulbildungssystem und Homeschooling können in Deutschland ebenso gut wie in anderen Ländern neben- und miteinander existieren und konkurrieren. Durch ein Homeschooling, das sich beispielsweise an christlichen Werten orientiert, könnte das Gemeinwesen sogar profitieren, weil hier eine Wertorientierung wirken kann, von der der Staat lebt, die er aber selbst nicht schaffen kann, wie es Böckenförde in seinem nach ihm benannten Diktum formulierte. Das Asyl-Urteil für Familie Romeike könnte also durchaus als postiver Anstoß aufgefasst werden, über Homeschooling in Deutschland neu nachzudenken. Homeschooling kann staatlichen Schulunterricht für breite Schichten der Bevölkerung zwar nicht ersetzen. Wie in vielen anderen Staaten könnte es jedoch durchaus als eine sinnvolle Ergänzung des staatlichen Schulsystems für jene Familien betrachtet werden, die ihren Kindern Bildung und Erziehung in eigener Verantwortung vermitteln wollen und zeigen können, daß ihnen dies auch gelingt. Allerdings scheint die Bereitschaft, einen solchen Lebensraum in Deutschland zu öffnen, kaum vorhanden zu sein, wie die Reaktion von Josef Kraus und das Medienecho gezeigt haben. Geht es nach dem Spitzenvertreter der deutschen Lehrerschaft, wird Homeschooling ein Tabu bleiben und "widerspenstige" Familien werden auch künftig keinen Lebensraum in Deutschland finden.
Hamburger Abendblatt -> Schulverweigerer: Lehrerverband empört über Urteil
Die Tagespost -> Zum Schulunterricht gibt es keine Alternative
MEDRUM -> Deutschland verletzt grundlegende Menschenrechte
MEDRUM -> Asyl für Familie Romeike
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Leserbriefe
zweierlei Maß
Man muss sich schon wundern, welche Ängste pauschal vorgetragen werden, wenn Homeschoolinggegner Gründe für ihre Ablehnung suchen. Sind Deutschlands Behörden nicht gerade für ihre Datensammlungs- und Kontrollwut bekannt und teilweise berüchtigt? Da dürfte es doch leicht fallen, entsprechende Verordnungen zu erlassen, die falsche radikale oder gar sektenhafte Entgleisungen im Vorfeld erkennen könnten und zu verhindern wüssten. Und wie ist das bei unseren sogenannten "Eliten" hier in Deutschland? Haben die oberen Zehntausend keine eigenen Zirkel, in denen deren Ideologien quasi keimfrei und ungestört vom Staat und Proletariat vermittelt werden? - Wie ist es mit deren Kindern? Oder mit Kids, die eigene Privatlehrer zugewiesen bekommen. Haben die es nicht auch nötig, in einer Gesamt-, Haupt-, Mittel- oder Oberschule Kontakt mit ihren Altersgenossen und -sinnen zu bekommen und entsprechendes Sozialverhalten einzuüben? Das war doch eines der Lieblingsargumente bei "Stern-TV" kürzlich. Nein, an diese Heilige Kuh wird sich kein Lehrerverband wagen, - die Einflussreichen sind Tabu. Aber Eltern ohne Lobby stehen rechtlos da, obwohl das Elternrecht spätestens nach der Erfahrung zweier deutscher Diktaturen gestärkt werden müsste. - Wie geschichtsvergessen, kurzsichtig und ideologisch blind ist das ... Ich hoffe, dass wir hier in Deutschland in dieser Thematik progressiv weiter kommen und Homeschooling bei entsprechender elterlicher Eignung eine Alternative sein darf. - Wenn ich an manche "Pädagogen" zurückdenke, die meine Schul- und Studienzeit durch ihre Motivations- und Kreativitätslosigkeit belasten durften, wünsche ich mir noch im Rückblick, es hätte echte Alternativen gegeben. Innovationen sind doch allseits gefordert, isn´t it?