02. Januar 2010
Mit Kerzen und Friedensgebeten zu den Taliban?
Neujahrspredigt der Ratsvorsitzenden der EKD, Landesbischöfin Margot Käßmann
Kommentar von Kurt J. Heinz
(MEDRUM) In ihrer Neujahrspredigt brachte die Ratsvorsitzende der EKD, Landesbischöfin Margot Käßmann, einmal mehr zum Ausdruck, daß sie - wie wohl Millionen andere - nicht nur im persönlichen Leben, sondern auch mit Blick auf unsere Welt erschrickt. Wie schon in ihrer Weihnachtspredigt nennt sie erneut das Klima und Afghanistan. Sie fordert Mut zum Handeln und Fantasie. Überzeugende Antworten bleibt sie indes schuldig.
Was will Käßmann mit dem wohlklingenden Spruch sagen, nach dem Klimagipfel sei Mut zum Handeln angesagt? Den interessierten Hörer ihrer Predigt lässt die Bischöfin mit diesem Allgemeinplatz alleine. Er paßt zu fast allem. Das ist das Schöne, bleibt aber Rhetorik. Was sie konkret will, bleibt unklar. Das ist das Ärgerliche, denn es fehlt an konkretisierter Substanz. Meint Käßmann etwa, die Menschen sollen den Mut haben, dem Klima zuliebe auf ihren Urlaubsflugtourismus zu verzichten? Auf dem Hin- und Rückflug von Frankfurt nach Mallorca produziert ein Passagier 700 kg CO2, also fast so viel wie ein Mensch in Indien während eines gesamten Jahres (900 kg CO2). Oder meint sie stattdessen, daß etwa ältere Menschen ihre Räume nicht mehr mit einer Raumtemperatur von 22 oder 23, sondern nur noch von 19 Grad Celsius beheizen sollen? Doch dies sind keine beliebten, sondern unbequeme Wahrheiten, die Käßmann nicht ausspricht - ganz unabhängig davon, ob dies unser Klima wirklich beeinflussen würde.
Auch zum Schreckensthema Afghanistan verbreitet die Bischöfin untaugliche Allgemeinplätze. Wer teilt nicht ihr allgemeines Erschrecken über die Schrecken der Gewalt? Muß der Schrecken über den barbarischen Anschlag vom 11. September 2001 mit fast 3000 unschuldigen Opfern heute nicht gerade deswegen in unserer Erinnerung bleiben? Er war es, der die UNO zum Handeln brachte und schließlich auch den Anstoß für den Einsatz von Streitkräften gab, um dem Schrecken des Terrors entgegenzutreten. Zuvor waren 1999 aufgrund der Schreckensherrschaft durch die Taliban fast 1 Million Afghanen in Flüchtlingslagern in Pakistan untergebracht. Dies darf nicht vergessen werden. Doch der Einsatz von Streitkräften soll nun ein Ende haben. Die Bischöfin will den Rückzug deutscher Soldaten. Er soll durch mehr Fantasie ersetzt werden. Sie erinnert dabei an die Kerzen und Friedensgebete in der DDR vor zwanzig Jahren. Also dann, könnte postuliert werden: Soldaten kehrt! Statt euch kommen nun die Protestanten der EKD auf ihrem kerzenbeleuchteten Gebetsmarsch zu den Taliban nach Afghanistan, allen voran an der Spitze Frau Käßmann. Als Gastgeschenk für jeden Taliban haben sie eine Bibel dabei. Wer könnte Margot Käßmann daran hindern, dies zu tun, außer sie selbst?
Wahr ist gewiß, daß Soldaten alleine keinen Frieden schaffen. Aber dies ist keine neue Erkenntnis, die erst aus der Weihnachts- und Neujahrspredigt von Bischöfin Käßmann gewonnen wurde. Die unbequeme Wahrheit ist, daß Menschen tagtäglich entsetzlichen Mordanschlägen ausgesetzt sind. So auch am Neujahrstag, an dem ein Blutbad beim Volleyball in Pakistans Grenzregion angerichtet wurde. Bei einem verheerenden Selbstmordanschlag auf einem Sportplatz in der Nordwest-Grenzprovinz kamen mindestens 75 Zivilisten, darunter viele Kinder ums Leben. Unbequeme Wahrheit ist ebenso, daß der friedliche Aufbau in Afghanistan seit Jahren von der westlichen Staatenwelt sträflichst vernachlässigt wird. Und unbequeme Wahrheit ist schließlich auch, daß dieser Aufbau weniger Fantasie, aber mehr Konsequenz von den Politikern und Opfer von den Bürgern verlangt. In der Summe betragen die EU-Zahlungen für Afghanistan im Zeitraum 2007 bis 2010 gerade einmal rund 760 Millionen Euro, also weniger als 200 Mio Euro pro Jahr aus dem Topf der EU. Addiert man die Zahlungen aus den 27 Mitgliedsstaaten der EU, beträgt das Gesamtvolumen aus dem EU-Raum jährlich weniger als 1 Mrd Euro. Das ist erschreckend wenig. Allein für die Abwrackprämie hat Deutschland im letzten Jahr den 5-fachen Betrag aufgebracht. Der Aufbau der afghanischen Polizei gibt ein zweites Bild des Jammers. Von 400 Polizisten, die die EU im Mai 2008 für die Ausbildung afghanischer Polizisten zugesagt hatte, waren Mitte 2009 erst 270 vor Ort. Das ist nicht einmal die Größenordnung von 3 Hundertschaften aus dem EU-Raum. Bei alledem muß bedacht werden, daß Aufbau nicht ohne Sicherheitskräfte möglich ist. Der Straßenbau gehört beispielsweise zu den gefährlichsten "Operationen" in Afghanistan. Anschläge auf die Straßenarbeiter sind ein ständiges Problem. Die Taliban attackieren sie gezielt, weil sie wissen, dass mit Straßen auch Fortschritt kommt. Wo bleibt über dies alles das Erschrecken von Käßmann? Wo sind die Appelle von Margot Käßmann an die Politik und Bürger unseres Landes, mehr für den Aufbau in Afghanistan zu tun und Opfer zu bringen?
Fantasie und Rhetorik können über die nüchterne Realität nicht hinwegtäuschen. Anders als in der DDR, helfen Kerzen und Friedensgebete in Afghanistan wenig. Gefragt sind Realitätssinn, der Mut zur unbequemen Wahrheit und die Bereitschaft, Opfer zu bringen, aus dem trennenden Egoismus herauszutreten, wie es Papst Benedikt XVI. in seiner Weihnachtspredigt betonte. Doch darauf bleibt Käßmann klare Aussagen schuldig. Hätte es einer Ratsvorsitzenden der EKD nicht besser zu Gesicht gestanden, sich am Fest von Christi Geburt für den Schutz des Lebens ungeborener Kinder einzusetzen, die Kinderlosigkeit dieser Gesellschaft anzuklagen und Maßnahmen für eine wahrhaft kinder- und familienfreundliche Gesellschaft einzufordern?
Stattdessen ist Käßmann der Versuchung erlegen, einen unbeholfenen Tanz auf einem politischen Parkett zu wagen, mit dem sie ihre Glaubwürdigkeit zu verspielen beginnt. Die Bischöfin weiß nicht wovon sie redet. Das ist weitaus schlimmer als die Politik zu verärgern, wie es in der WELT zu lesen war. Wer wie Käßmann fantasiert, wird rasch nicht mehr ernst genommen. Aus der ambitiösen Bischöfin könnte so bald eine bemitleidenswerte Kirchenfrau werden. Den Schaden werden die Kirchen, vor allem die evangelische und ihre Mitglieder, zu tragen haben. Es sollten Kerzen angezündet und gebetet werden, daß Margot Käßmann es so weit nicht kommen lässt und sich stattdessen auf das eigene reformatorische Erbe besinnt.
-> Predigt Margot Käßmann im Neujahrsgottesdienst in der Frauenkirche Dresden
MEDRUM -> "Nichts ist gut in Afghanistan"
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