Edith Düsing bietet eine Gesamtdarstellung Nietzsches, und zwar entwicklungsgeschichtlich von der Jugendzeit bis zur Spätphilosophie. Nietzsches Werk und Nachlass wird durchweg im Horizont der Philosophiegeschichte von Heraklit und Platon bis Kant und Hegel gedeutet. Seine freigeistigen Schlüsseltheoreme zum Welt-, Seelen und Gottesbegriff werden in ihrer inneren Systematik freigelegt.
Nietzsches Weg vom christlichen Glauben zum Atheismus speist sich aus seinem „Darwin-Schock“, die Arten-Entstehung sei durch Zufall gebildet, und aus den Konsequenzen der historisch-kritischen Bibelhermeneutik, die Jesu Leben entmythologisiert (D. F. Strauß).
Innovativ ist Düsings Ineinander-Spiegeln der naturphilosophischen Problemlinie in Nietzsches Denken: die Welt als Spiel, als Chaos, was auf die Gefahr des pseudolegitimen Biologismus und Immoralismus im Selbstexperiment Mensch zuläuft, und der religions-philosophischen Problemlinie, die Jesu originales Wesensbild sucht, sich zuspitzt zur Theodizeefrage: existiert ein gütiger ohnmächtiger oder aber ein grausamer allmächtiger Gott, und voluntaristisch den „Tod Gottes“ deklariert.
Nietzsches brillanter Diagnose und Prognose des europäischen Nihilismus als Folge der Gottesfinsternis, des drohenden Absturzes der labilisierten Psyche in Sinnverarmung und Werteverlust („Nichts ist wahr, alles ist erlaubt!“), stellt Düsing im Dialog mit Nietzsches verzweifelter Skepsis konstruktiv Lösungsideen der abendländischen Geistesgeschichte als Therapie solcher abgrundtiefer Skepsis gegenüber.