24.06.09
Eine andere Sonntagsfrage: Sonntag oder nicht?
Plädoyer des Ratsvorsitzenden der EKD vor dem Bundesverfassungsgericht
(MEDRUM) Gegen die Abschaffung des Sonntags argumentierte gestern der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber, vor dem Bundesverfassungsgericht. Er hatte Beschwerde gegen die Öffnung der Geschäfte an Sonntagen oder Feiertagen in Berlin eingelegt, die seit dem 17. November 2006 an zehn Sonn- oder Feiertagen öffnen dürfen, darunter auch an allen vier Adventssonntagen.
Der Sonntag ist derzeit noch durch Artikel 140 des Grundgesetzes als Tag der Arbeitsruhe geschützt. Im Artikel 140 heißt es: "Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes." Im Artikel 139 der deutschen Verfassung von 11.08.1919 (Weimarer Verfassung) steht: "Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt."
In der sonntäglichen Öffnung von Geschäften in Berlin sieht die EKD einen Verstoß gegen das Schutzgebot des Sonntages und hat darum Beschwerde beim Verfassungsgericht eingelegt, das gestern eine Anhörung dazu durchführte, bei der Bischof Huber die Position der EKD vertrat.
Das ZDF berichtete über die Verfassungsbeschwerde und interviewte Bischof Huber und Hans-Olaf Henkel zu der Frage, ob der Sonntag als ein Tag der Ruhe und Besinnung beibehalten werden solle oder nicht. Bischof Huber plädierte dafür, den Menschen diesen Tag der Ruhe, der eine lange und begründete Tradition habe, zu belassen. Der Mensch brauche eine solche Pause zur Besinnung und Ruhe. Henkel vertrat eine Gegenposition. Schon jetzt müssten etwa 11 Millionen Menschen arbeiten. Den Sonntag als Tag der Ruhe, gebe es für diese 11 Millionen schon jetzt nicht mehr. Zwar brauche der Mensch auch Entspannung, diese könne er aber auch an anderen Tagen finden, so Henkel.
Die Logik von Henkel: Weil schon 11 Millionen Bürger keinen Sonntag haben, müssen auch die anderen Menschen keinen Sonntag als Tag der Ruhe haben. Demnach kann man den Sonntagsschutz völlig aufheben. Henkel, der in seinem Buch "Der Kampf um die Mitte" sehr gegen die Auflösung bürgerlicher Werte und Traditionen ankämpft, nimmt in dieser Sonntagsfrage erstaunlicher Weise eine andere Position ein. Ist seine Position durchdacht? Wer Henkels Logik - jenseits der religiösen Bedeutung des Sonntages - folgt, sagt auch das Folgende: In Familien mit Kindern haben die Eltern Ruhetag, wenn die Kinder Schule haben, und die Eltern arbeiten, wenn die Kinder unterrichtsfreien Sonntag haben. Ist das der Erhaltung bürgerlicher und familiärer Werte, die Henkel sonst vertritt, wirklich förderlich?
Klar ist: Wer keine Familie hat, wer keiner christlichen Glaubensgemeinschaft angehört, wer den Menschen nur als Arbeitskraft definiert, dessen Nutzen als eine Ressource für das Wirtschaftssystem maximiert werden soll, der wird auch keinen Wert auf einen gesetzlich geschützten Sonntag legen.
Bischof Huber machte hingegen deutlich, dass der Mensch nicht nur durch Arbeit und Leistung definiert werden kann und am Sonntag als einem Tag kollektiver Arbeitsunterbrechung festgehalten werden müsse. Im Deutschlandfunk erklärte Huber: "Weil der Sonntag in seinem besonderen Charakter, wie unsere Verfassung sagt, als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung geachtet werden muss, weil es von großer Bedeutung ist, dass Familien den gemeinsamen freien Tag am Sonntag haben, dass Menschen planen können, dass sie Dinge, die ihnen wichtig sind, am Sonntag machen können, dass auch die kirchlichen Aktivitäten, die sich ja keineswegs auf den Sonntagmorgen und den Gottesdienst beschränken, dafür eine Entfaltungsmöglichkeit haben. Der Sonntag ist, um es zusammenzufassen, zugleich ein Tag, der von der Religionsfreiheit her bestimmt ist, als ein Tag des Gottesdienstes, und er ist eine wichtige Einrichtung des sozialen und kulturellen Zusammenlebens, eine sehr grundlegende soziale und kulturelle Institution."
Bei einer aktuellen Umfrage des ZDF haben sich derzeit 63 Prozent von mehr als 15.000 Befragten für die Beibehaltung des gesetzlichen Sonntagsschutzes ausgesprochen.
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