Fortsetzung von Teil I
Die ethische Problematik der Schwangerschaftskonfliktberatung (Teil II)
von Rainer Mayer
In der „Rosenheimer Erklärung“ finden sich bereits alle Entstellungen des biblischen Glaubens, die bis heute in der kirchlichen Diskussion immer wieder auftauchen. All den theologischen Fehlern kann hier im Einzelnen nicht nachgegangen werden. Es sei nur kurz auf Folgendes hingewiesen:
Ausdrücklich lautet es: „Die EKD ist jedoch im Gegensatz zur römisch-katholischen Kirche der Auffassung, dass in der Schwangerschaft „unvorhersehbar eintretende Konfliktsituationen auftreten können“[36]. – Als Beispiele für Konflikte, die Abtreibung rechtfertigen können, werden ausdrücklich genannt: Das „Alter der Frau“, die „finanzielle Situation“, „Angst vor Verantwortung und Zukunft“, „zu erwartende Behinderung des Kindes“; ferner ist die Rede von „Beziehungsproblemen, der beruflichen Situation, Druck aus dem sozialen Umfeld oder einem nicht vorhandenen Kinderwunsch“[37]. Das alles können nach Aussage des Kirchensprechers der EKD „derart ausweglose“ Situationen sein, dass die Frauen „für sich keinen anderen Weg sehen, als die Schwangerschaft abzubrechen“[38].
An dieser Stelle ist entschieden zu widersprechen. Hier wird mit Begriff und Sache des ethischen Konflikts gravierender theologischer Missbrauch getrieben.
Zunächst sei herausgestellt, was im theologisch-ethischen Sinn kein echter Konflikt ist:
Folglich ist mit theologischem Gewicht nur dann von einem ethischen Konflikt zu sprechen, wenn das Gebot Gottes keine eindeutige Entscheidung zulässt, indem das Befolgen des einen Gebotes zum Verstoß gegen ein anderes führt und Passivität erst recht schuldig werden lässt. Schulbeispiele hierfür sind: der Konflikt zwischen Leben und Wahrheit (z.B. Lügen, Diebstähle, Dokumentenfälschungen im Bereich der illegalen Judenhilfe zur Zeit des Nationalsozialismus); der Konflikt zwischen Leben und Leben (z.B. die Situation der Notwehr), der Konflikt zwischen dem Gebot des Nichttötens und der Pflicht zum Schutz des Mitmenschen vor Tötungsgewalt (z.B. die Frage des Wehrdienstes und der Wehrdienstverweigerung). Auch hier steht Leben gegen Leben. Dasselbe gilt für das Problem des gewaltsamen Widerstandes gegen einen mordenden Tyrannen. – Zu warnen ist deshalb vor einer Verallgemeinerung des Begriffs der Konfliktsituation, als handele es sich lediglich um eine schwierige Entscheidung!
Damit ist deutlich, dass alle oben in der EKD-Anhörung genannten Beispiele für einen Schwangerschaftskonflikt gar keine ethischen Konfliktsituationen beschreiben. Ein echter Konflikt liegt nur vor, wenn das Leben des Kindes gegen das Leben der Mutter steht (medizinische Indikation). Ausgerechnet dieser wurde nicht genannt!
Die übrigen Situationen beim sogenannten Schwangerschaftskonflikt werden außerdem immer wieder falsch dargestellt, als handle es sich bei Mutter und Kind um zwei gleichrangige Werte. Dies ist jedoch – wie dargestellt – nur bei medizinischer Indikation der Fall. Da steht Leben gegen Leben. In den anderen aufgezählten Fällen wie finanzielle Situation, Angst vor Verantwortung, berufliche Situation der werdenden Mutter usw. stehen zwei ganz verschieden gewichtige Rechtsgüter einander gegenüber, nämlich das grundsätzliche Lebensrecht des Kindes auf der einen Seite und eine als schwierig empfundene Lebenssituation auf der anderen Seite. Grundsätzliches Existenzrecht steht gegen subjektives Wohlergehen. Das Lebensrecht ist jedoch ein Grundrecht. Dies kann nicht gegen den Anspruch, eine schwierige Situation zu beseitigen, aufgewogen werden. – In geradezu sophistischer Weise wird dieser Tatbestand durch Verlautbarungen und die faktische Rechtslage verdreht. So lesen wir z.B. in einem Heft der „Informationen zur politischen Bildung“: „Bei der Kollision der Rechtsgüter ‚Grundrechte der Frau’ versus ‚Schutz des ungeborenen Lebens’ hatte der Staat dem ungeborenen Leben den Vorrang eingeräumt. Allerdings dürfen individuelle Konfliktlagen nicht völlig außer acht bleiben.“[40] Kirchlicherseits hören wir: „Der evangelischen Beratung wird manchmal vorgehalten, ihr fehle die Eindeutigkeit des Lebensschutzes, den die katholische Kirche für sich in Anspruch nimmt. Eine solche Entgegensetzung trifft die Sache nicht. Worum es geht, ist glaubwürdige Solidarität mit Frauen in Konfliktsituationen. Worum es nicht gehen kann, ist, ihnen auch noch die Konflikte anderer [wessen?] aufzuladen.“[41] – Verharmlosender geht es nicht!
Somit stehen wir vor dem traurigen Ergebnis, dass die Verlautbarungen der EKD zum Schwangerschaftsabbruch ethisch unzureichend begründet sind, dass sie vor allem darüber hinaus das Zentrum des Evangeliums verdrehen, ja verleugnen: Sie bezeichnen schwierige Situationen pauschal als ethischen Konflikt; sie behaupten, dass in schwieriger Lage gegen das göttliche Gebot „Du sollst nicht töten“ verstoßen werden dürfe; schließlich verkündigen sie pauschal „billige Gnade“, nämlich Vergebung für solche Verstöße, weil wir ohnehin „allzumal Sünder“ sind. Aus Gnade wird ein Prinzip gemacht. – Mit Äußerungen dieser Art wird die Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnade karikiert, die Rechtfertigungslehre missbraucht, lächerlich gemacht und in den Schmutz gezogen. Die EKD-Verlautbarungen haben mit ihren Äußerungen zum sogenannten „Schwangerschaftskonflikt“ und der Teilnahme an der gegenwärtigen Abtreibungspraxis das Evangelium verraten[42].
2.3. Kirche und Welt
An dieser Stelle geht es neben Überlegungen zur kirchlichen Beratungspraxis um die Frage, ob und ggf. in welcher Weise aus dem christlichen Glauben gewonnene Erkenntnisse einer säkularen Gesellschaft ethisch vermittelt werden können. Denn das Christentum ist eine Entscheidungsreligion. Folglich gibt es keine Gesellschaft, in der alle Menschen entschiedene Christen sind. Glaubenserkenntnisse sollen und dürfen nach christlichem Selbstverständnis niemandem aufgezwungen werden. Deshalb ist der christliche Glaube Quelle für eine freiheitliche Gesellschaft. – Wie sollte sich die Kirche angesichts dieser Tatsache nun im Rahmen der gesellschaftlichen Abtreibungspraxis und gleichzeitig als Hüterin der Freiheit verhalten?
Laut Gesetzesvorgabe können anerkannte Beratungsstellen in öffentlicher oder privater Trägerschaft einen Beratungsschein ausstellen, also auch die kirchlichen. Kirchliche Beratungsstellen sind u.a. gerade deshalb staatlich anerkannt, weil sie Beratungsscheine ausstellen. Nun bestimmt das Gesetz im Sinne von § 219, dass für das Leben des Ungeborenen beraten werden soll. Aber die Entscheidung bleibt der Schwangeren überlassen. Die Beratung ist laut Gesetz ergebnisoffen zu führen. Ferner ist die Schwangere keineswegs gezwungen, Gründe für ihren Abtreibungswunsch zu nennen. Sie hat einen Rechtsanspruch auf Anonymität und muss sich lediglich bei einer Beratungsstelle vorstellen, die ihrerseits ein Beratungsangebot machen muss, welches die Frau aber ablehnen kann. Trotzdem muss auf ihr Verlangen hin ein Beratungsschein ausgestellt werden[43]. Dieser berechtigt zur straffreien und von Krankenkasse oder Sozialhilfe finanzierten Abtreibung. - Es ist „geschickt", diese das Grundgesetz unterlaufende Beratungsanweisung aus den §§ 218 und 219 StGB herauszunehmen und sie in einem Sondergesetz („Schwangerschaftskonfliktgesetz") zu verstecken. Redlich ist es nicht[44]. Kein Wunder, dass die Gesetzesverachtung im Volk überhand nimmt, wenn Regierende und Jurisprudenz in dieser Weise verfahren.
Die EKD mit dem ihr angeschlossenen Diakonischen Werk unterhält bundesweit ca. 320 Beratungsstellen, die auf dieser Gesetzesgrundlage arbeiten[45]. Bischof Huber beschreibt die Praxis folgendermaßen: „In den allermeisten Fällen gelingt ein offenes und tiefgehendes Gespräch; eine vertiefende Begleitung lässt sich an die gesetzlich vorgeschriebene Pflichtberatung zumeist nicht anknüpfen. In vielen Fällen bleibt den Beraterinnen oder Beratern unbekannt, ob der ausgestellte Beratungsschein tatsächlich benutzt wurde. Auch wenn das Beratungsgespräch neue Perspektiven eröffnete, kann nicht ausgeschlossen werden, dass am Ende doch die Entscheidung zum Abbruch steht.“[46] – Das ist eine ehrliche Situationsbeschreibung. Dennoch möchte die EKD unbedingt an der Beratung festhalten. Bischof Huber meint, dass es kein „überzeugenderes System des Lebensschutzes durch Beratung“[47] gibt und dass die evangelische Kirche die Frauen nicht allein lassen soll, wenn sie sich in Konflikten befinden.
Auch die katholischen Bischöfe Deutschlands wollten sich in der Mehrzahl am Beratungssystem beteiligen. Doch Papst Johannes Paul II griff ein. Nach jahrelanger Diskussion zwischen Rom und der deutschen katholischen Bischofskonferenz wurden 1999 die katholischen Beratungsstellen geschlossen. Es entstand der private Verein „Donum vitae“, getragen von katholischen Laien, der weiterhin Beratungsscheine ausstellt. – Die EKD bedauerte offiziell den Ausstieg der katholischen Seite aus der Beratungspraxis. Eine evangelische Bischöfin schämte sich nicht, katholische Frauen nun in den evangelischen Beratungsstellen „willkommen“ zu heißen. Für die Protestanten gehöre „der Mensch vor die Lehre“. Wenn sich eine Frau für die Abtreibung entscheide, so die Bischöfin wörtlich, „dann wollen wir sie in diesem Prozess begleiten und nicht allein lassen“[48].
Nun ist von beiden Kirchen anerkannt, dass es sich bei einer Beratung, die sich für den Erhalt des Lebens des Kindes einsetzt, aber zugleich ergebnisoffen stattfinden soll, um ein Dilemma handelt[49]. Das Dilemma besteht darin, dass die Bescheinigung eine Beratung zugunsten des Lebensschutzes bestätigt, aber zugleich die notwendige Bedingung für die Durchführung der Abtreibung darstellt, auch wenn sie nicht deren entscheidende Ursache ist.
Die römisch-katholische Kirche sah dieses Dilemma ebenfalls. Denn selbstverständlich haben evangelische und katholische Kirche Interesse an einer Beratung für das Leben. Doch Papst Johannes Paul II sah als ausschlaggebend an, „dass das Zeugnis der Kirche vom unbedingten Lebensschutz“ durch die Ausstellung eines Beratungsscheines „verdunkelt wird und die Kirche selbst sich in die Gefahr einer Mitverantwortlichkeit für die Tötung ungeborenen Lebens bringen und sich so in Unrecht verwickeln könnte“[50]. – Die evangelischen kirchenoffiziellen Äußerungen hingegen betonen, (1.) man wolle die Frauen in Konfliktsituationen nicht allein lassen; (2.) man wolle die Gewissensentscheidungen der Frauen beachten und (3.) das Kind könne nicht gegen die Mutter geschützt werden.
Ziehen wir unter theologisch-ethischen Gesichtspunkten die Bilanz, so stellen wir fest, dass es zunächst um die innerkirchliche Klarheit geht und danach um die Frage, wie sich die Kirche an der Schnittstelle zwischen aus Glauben gewonnener Einsicht und staatlicher Rechtspraxis einbringt.
Die römische Kirche und die EKD sprechen sich für das ungeborene Leben aus. Daran kann kein Zweifel bestehen. Die Dilemmasituation des Beratungsscheines entstand nicht durch die Kirchen, sondern durch Parlament und Jurisprudenz, die einen faulen Kompromiss zwischen Lebensschutz und Abtreibung schlossen. Dem Buchstaben des Grundgesetzes sollte Genüge getan werden, wobei die Praxis des Beratungsscheins zugleich den Sinn des Grundgesetzes unterläuft und die Tötung ungeborenen Lebens de facto freigibt. Parlament und Verfassungsgericht wagten nicht, gegen die in der Gesellschaft verbreitete Stimmung pro Abtreibung zu handeln. Das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung wurde durch die politischen Verantwortungsträger weiterhin korrumpiert, denn eine zwar „rechtswidrige“ aber „straffreie“ Abtreibung gilt im populären Bewusstsein als rechtens. Sophistische Gedankenakrobatik, wie sie Gesetzgeber und Verfassungsgericht mit ihrem „rechtswidrig aber straffrei“ betreiben, liegt der Bevölkerung fern. Ihr geht es um die tatsächliche Praxis, die eindeutig ist, zumal öffentliche Kassen die Kosten der Abtreibung übernehmen.
Wie sollen sich die Kirchen nun auf der Schwelle zwischen Glaubensüberzeugung und säkularer Gesellschaft verhalten? – Die römische Kirche hat es diesbezüglich zunächst einfacher. Sie kennt nicht nur eine Glaubensquelle, sondern deren drei: Das Naturrecht, das Wort Gottes und die Tradition. Vom Naturrechtsdenken her kann sie das Verbot der Abtreibung in einer säkularen Gesellschaft zwar nicht mehr durchsetzen, aber dennoch für alle Menschen – seien es Christen oder Nichtchristen – als verbindlich erklären[51].
Bei den Stellungnahmen der EKD und der von ihr vertretenen Praxis zeigt sich leider ein theologisch-ethischer Wirrwarr. Man beruft sich einerseits auf die Bibel, vermischt die biblischen Aussagen aber von vornherein mit situationsethischen Überlegungen, so dass die biblische Klarheit von Anfang an verdunkelt wird. Ein typisches Beispiel für eine derartige Verfahrensweise bildet die erwähnte „Rosenheimer Erklärung“. Dieselbe Vermischung und Verwirrung haben wir bei den theologisch-ethischen Untersuchungen zur Konfliktsituation aufgezeigt. Es wäre folglich in einem ersten Schritt nötig, dass die EKD wieder zur biblischen und reformatorisch-ethischen Klarheit durchdringt.
Im zweiten Schritt, wie die geistlichen Erkenntnisse der säkularen Gesellschaft zu vermitteln wären, unterscheidet sich die evangelische Position von der katholischen. Wir können uns nicht auf das Naturrecht berufen. Gewiss mögen wir auch auf Vernunft und Gewissen verweisen, doch Glaubenserkenntnisse sollen niemandem aufgezwungen werden. Das gilt, obwohl Glaubenserkenntnisse einer vom Egoismus befreiten Vernunft keineswegs widersprechen.
Um so mehr hängt evangelischerseits alles von der missionarischen, zum Glauben einladenden Verkündigung und Seelsorge ab! Es gibt zwar keine christliche Gesellschaft im engeren Sinne, aber es gibt durchaus Säkularisate aus christlichem Glauben, Traditionen, die auch der säkularen Gesellschaft zum Wohl ausschlagen[52].
Ehrlicherweise können evangelische Beratungsstellen in kirchlicher oder diakonischer Trägerschaft keinen Beratungsschein ausstellen. Wenn sie es dennoch tun, verraten sie nicht nur den christlichen Glauben, sondern beteiligen sich auch an der Korrumpierung des Rechtssystems zum Schaden der gesamten Gesellschaft. Gewiss sollen Frauen in schwierigen Situationen der Schwangerschaft nicht allein gelassen werden. Darum sollten kirchliche Beratungsstellen vielfache Hilfe, insbesondere sozialer und materieller Art leisten[53]. Aber sie sollten keinen Beratungsschein ausstellen! [54]
Es gibt ja keinen Zwang, nur eine Beratungsstelle aufzusuchen. Es gilt die Freiheit! Genügend säkulare Beratungsstellen sind vorhanden, die ohne Umstände bereit sind, den Beratungsschein als Abtreibungslizenz auszustellen. Der Einwand, Frauen würden dann die kirchlichen Beratungsstellen nicht aufsuchen, da sie dort keinen Schein erhalten, zählt nicht. Wenn sich herumspricht, dass wirkliche Hilfe, auch materieller Art, angeboten wird, würden die kirchlichen Beratungsstellen wahrscheinlich eher überlaufen werden. Denn das diakonische Ziel kirchlicher Beratung kann weder Bestrafung noch Straffreiheit sein, sondern wirksame Hilfe.
Es wäre darüber hinaus die Aufgabe der Kirchen, in der Öffentlichkeit ihre Meinung einzubringen gemäß dem reformatorischen Grundsatz „verbo, non vi“ („durch das Wort, nicht durch Machtmittel“). Da wäre auf die Sophistik der geltenden Regelung hinzuweisen, auf ihre innere Widersprüchlichkeit und ihren Widerspruch zum Grundgesetz mit seinen Bestimmungen zur Menschenwürde und zum Lebensrecht. Es wäre auf Möglichkeiten zur Adoption hinzuwirken. Mehr und mehr unfreiwillig kinderlose Ehepaare warten vergeblich darauf, ein Kind adoptieren zu können. Es wäre auf verantwortliches Handeln zu drängen. Denn paradoxerweise hat die Abtreibungsproblematik mit der Entwicklung neuer contrakonzeptioneller Mittel zugenommen. „Mein Bauch gehört mir“ gilt aber nicht erst nach eingetretener Schwangerschaft, sondern schon vorher!
Vor allem aber hat die Kirche eine seelsorgerliche Aufgabe. Frauen, die abgetrieben haben, sind sehr oft ihr Leben lang psychisch belastet. Befreiende Beichte und persönlicher Zuspruch der Vergebung sind aber nicht glaubwürdig möglich, wenn die Kirche vorher selbst Beihilfe zur Abtreibung geleistet hat, indem sie den Beratungsschein ausstellte. Dieselbe Institution, die Beihilfe zur Tötung leistet, kann nicht glaubwürdig Vergebung für diese Tötung zusprechen! Die Kirche muss sich nicht nur an ihren Worten, sondern erst recht an ihren Taten messen lassen und glaubwürdig bleiben. Hier fallen die Entscheidungen. Denn die Kirche der Zukunft wird eine seelsorgerliche Kirche sein – oder sie wird nicht sein!
Die Lösungen sind gar nicht so schwer zu finden. Man muss nur zum klaren kirchlichen Auftrag gemäß des Evangeliums zurückkehren. Jesus Christus zu verkündigen und von dieser Botschaft her evangeliumsgemäß in der säkularen Gesellschaft zu handeln, das ist der Auftrag der Kirche im weltlichen Umfeld.
Dies muss man wollen – jenseits fauler Kompromisse! Dann wird kirchliches Reden und Handeln auch seine Vollmacht wiedergewinnen!
23. Juni 2009
Zum Autor
Dr. Dr. habil. Rainer Mayer ist Professor i.R. für Systematische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Mannheim. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem in der Systematischen Theologie die Fundamentaltheologie, Wissenschaftstheorie, Hermeneutik, und biblische Theologie sowie in der Ethik / Sozialethik die Geschichte der Ethik, Theorien der Ethik, die Systematische Sozialethik, Dogmatik und Ethik, die biblische Begründung der Ethik und ethische Einzelfragen.
zum Beginn -> Die ethische Problematik der Schwangerschaftskonfliktberatung (Teil I)
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Anmerkungen Teil II
[34] „Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift oder klare Vernunftgründe (ratione evidente) überwunden werde...so bin ich durch die Stellen der Heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes...“ (Zitiert nach Walther v. Loewenich, Martin Luther. Der Mann und das Werk, München 1982, S. 185).
[35] Dietrich Bonhoeffer, Nachfolge, Werkausgabe Band 4, München 1989, S. 29.
[36] Bernhard Felmberg, Rolle der Frau in der EKD, a.a.O., Abschnitt „Schwangerschaftsabbruch“.
[37] Ebd.
[38] Ebd.
[39] Die Hinweise a – c sind aus der Ethik Dietrich Bonhoeffers gewonnen, der mit der Frage des Tyrannenmordes einen echten Konflikt durchzustehen hatte. Vgl. dazu: Rainer Mayer, Kriterien einer Theologie des ethischen Konflikts. „Teure“ und „billige“ Gnade am Beispiel von Bonhoeffers politischem Widerstand und aktuellen kirchlichen Äußerungen zur Abtreibungsproblematik, in: Theologische Beiträge 1992, Heft 1, S. 34-42; hier S. 36 f.
[40] Gisela Hellwig, Frau und Gesellschaft. Informationen zur politischen Bildung, Heft 254, a.a.O. (Anm. 13).
[41] Wolfgang Huber, In Konflikten einen Weg finden – Beratung im Feld von Ehe, Familie und Schwangerschaft als Aufgabe der Kirche. Festveranstaltung des Ev. Zentralinstituts für Familienfragen, Berlin, 18. September 2000. http://www.ekd.de/vortaege/huber-v4.html.
[42] Vgl. auch: Martin Koschorke, Art. Schwangerschaftsabbruch, in: EKL³, Bd. 4, Göttingen 1996, Sp. 125. Koschorke behauptet fälschlicherweise: „Das Recht auf Lebensentfaltung und Lebensfülle des einen Beteiligten [der Mutter] steht somit gegen das Recht auf Lebensentfaltung und Lebensfülle des anderen [des Kindes]. – In Wahrheit steht in solchen Situationen das Lebensrecht des Kindes gegen den Anspruch der Mutter, weniger Schwierigkeiten im Leben zu haben.
[43] So die Bestimmungen des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG) in den §§ 5 – 7.
[44] Vgl. dazu im Einzelnen: Manfred Spieker, Kirche und Abtreibung in Deutschland. Ursachen und Verlauf eines Konfliktes, Paderborn 2001, insbesondere S. 97 – 103.
[45] Siehe „Profil der evangelischen Beratungsstellen“: http://www.diakonie.de/2143_DEU_HTML.htm.
[46] W. Huber, In Konflikten einen Weg finden, a.a.O.
[47] Ebd.
[48] Zitiert nach: Evangelische Bischöfin gegen Ausstieg der katholischen Kirche, in: Reformierte Nachrichten vom 27. September 1999. http://www.ref.ch/rna/meldungen/2732.htm.
[49] Es ist zwar eine Dilemmasituation. Aber man kann keineswegs von einem ethischen Konflikt im dargestellten Sinn sprechen.
[50] Zitiert nach: Hajo Goertz, Vor zehn Jahren beendete die katholische Kirche die Schwangerschaftskonfliktberatung; Deutschlandfunk – Hintergrund - Die vatikanischen Verdikte. Sendung vom 26.01.2008; http.//www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/730218/. – Die Stimmen innerhalb der römisch-katholischen Kirche in Deutschland waren und sind keineswegs einheitlich. Der „Katholikenrat des Bistums Speyer“ z.B. sprach sich mit einer Resolution zur Vollversammlung am 26. September 1998 für einen „Verbleib im staatlichen System der Schwangerschaftskonfliktberatung“ aus. Er argumentierte, es gehe „letztlich um die Frage, was höher zu gewichten ist: die Chance auf Rettung ungeborener Kinder und ihrer Mütter – oder die Gefahr, dass die Kirche bei diesem Rettungsversuch in eine Situation moralischer Zweideutigkeit gerät“. – Auch bei dieser Stellungnahme wird die Sprachverwirrung daran deutlich, dass von einer „Rettung der Mütter“ gesprochen wird. Es gibt andere Möglichkeiten christlicher Hilfe, als einen Beratungsschein auszustellen. – Siehe dazu im Folgenden.
[51] In dieser Hinsicht sind die Arbeiten des Osnabrücker Sozialethikers Manfred Spieker, der die Sachfragen glänzend aufarbeitet, sehr lesenswert. Vgl. z.B. Ders., Der verleugnete Rechtsstaat. Anmerkungen zur Kultur des Todes in Europa, Paderborn / München / Wien / Zürich, 2005.
[52] Vgl. Tine Stein, Himmlische Quellen und irdisches Recht. Religiöse Voraussetzungen des freiheitlichen Verfassungsstaates, Frankfurt / New York, 2007. – Allerdings müsste der Titel exakter lauten: „Die biblischen und jüdisch-christlichen Voraussetzungen des freiheitlichen Verfassungsstaates“, denn diese sind gemeint. – Ein Beispiel dafür sind die Bestimmungen des Grundgesetzes zur Einehe zwischen Mann und Frau, die zweifellos aus biblischer Wurzel und weiterhin aus jüdisch-christlicher Tradition stammen.
[53] Dazu können gehören: Partnerschaftsberatung, Hilfen bei der Wohnungssuche, berufliche Beratung, Vermittlung von „Patenschaften“ und finanzielle Unterstützung – viele weitere Möglichkeiten je nach Situation.
[54] Freilich wird der Staat dann die finanzielle Förderung dieser Beratungsstellen einstellen, weil sie aus dem staatlich geförderten Abtreibungssystem herausfallen. Doch das ist um der Klarheit willen in Kauf zu nehmen.