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Herkules Wulff und der VW-Misthaufen


29.04.09

Herkules Wulff und der VW-Misthaufen

Kommentar von Hans-Joachim Selenz

Peine, 29.04.2009 (MEDRUM)  12. Januar 2006. Die IHK Lüneburg-Wolfsburg begeht ihren Jahresempfang. 350 Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung erleben einen aufgekratzten Ministerpräsidenten. Das Thema seines Vortrages: „Dynamisches Niedersachsen - mit Mut Probleme überwinden".

Der MP ist in Bestform. Seine Regierungszeit sei von Anfang an ein Erfolg für das Land. Nicht nur die Entbürokratisierung und Modernisierung der Verwaltung schreibe sich seine Regierung auf die Fahnen. Besonders wichtig sei ihm die Senkung der Neuverschuldung. Die habe man um 350 Mio. Euro pro Jahr reduziert. Wulff spart nicht mit Lob: „Wir sind froh, dass wir die Kammer als Partner haben bei dem, was in diesem Land passiert." Der Landesvater verbreitet tiefschürfende Lebensweisheiten: „Mut einzelner bewirkt überhaupt nichts", erklärt er seinen Landeskindern. „Aber der Mut vieler ist doch in der Demokratie eine große Chance, die etwas Mutloseren anzustecken und mitzunehmen auf dem Weg der Veränderung, vor dem sich viele fürchten." Starker Applaus.

Bei so viel offensichtlicher Sympathie wandelt sich Wulffs Mut alsbald in Übermut. Er redet sich den Ärger über die täglich neuen VW-Skandal-Geschichten von der Seele. Wulff gibt tiefe Einblicke in die Zustände beim Landesunternehmen VW. Dort sitzt er im Aufsichtsrat. Sogar im Präsidium. Nach abfälligen Bemerkungen zum Führungspersonal legt Wulff richtig los und kommt schon bald auf den Punkt. „Bei VW sollte man ausmisten, indem man den Mittellandkanal von oben in das Verwaltungsgebäude einleitet." Das sitzt. Herkules und die Augias-Ställe lassen grüßen. Der Saal kocht. Die Honoratioren feixen. Klatschen sich vor Freude auf die Schenkel. Man kennt die Verhältnisse bei VW nur zu gut. Jeder weiß, dass es dort stinkt. Aber dass ausgerechnet Wulff, der listige Polit-Taktiker, sich derartig scharf äußert, überrascht dann doch. Der Mann weiß offensichtlich sehr viel mehr als viele im Saal. Und Wulff muss sich furchtbar geärgert haben. Ansonsten wären solche Aussagen bei ihm undenkbar. Inzwischen ist klar, was der MP damals wusste.

Wulff hatte die LKA-Protokolle der Vernehmung des Herrn Dr. Schuster - drei Wochen zuvor - gelesen. Schuster, der Auslöser der VW-Affäre, hatte bei seiner Vernehmung die Hintergründe der VW-Affäre aufgedeckt. Komplett. Von der Reiseplanung bis zu deren Abrechnung. Schmutzige Belege beispielsweise sollten auf das Konto 1860 gebucht werden. Begründung: „Da schaut die Revision nicht so genau hin." KPMG fand auf diesem Konto Original-Bordellbelege. Über Jahre. Die VW-Wirtschaftsprüfer von PwC, die VW-Revision und das örtliche Finanzamt drückten beide Augen zu. Über Jahre. Der STERN hatte schon im Herbst 2005 die Frage gestellt, „Reichte der VW-Filz bis in die Justiz?" Da war bekannt geworden, dass die Justiz in Hannover schon seit dem Jahr 2000 von den Bordell-Geschichten des VW-Aufsichtsrates Volkert wusste. Im Jahre 2001 war der Konzern informiert worden. Geschehen war nichts. Nicht einmal die Revision war eingeschaltet worden. Der Leiter der VW-Zahlstelle hatte sogar bereits im Jahre 1997 schriftlich festgehalten, bei Gebauers Reisekosten „keine Verantwortung für Inhalt und Umfang" zu übernehmen.

Für eine Firma in Landesbesitz war der VW-Skandal und sein jahrelanges juristisches Aussitzen eine einzige Katastrophe. Die Fälle Nord LB und Preussag/TUI ließen grüßen. Das wurde Herkules Wulff sehr bald nach seinem forschen IHK-Auftritt klar. Wie sollte man den Landeskindern erklären, dass die Landesjustiz bei Landesunternehmen abgeschaltet ist. Daher war statt aktiver Reinigung doch besser Schweigen angesagt. Im Interesse des Landes. Wozu gibt es schließlich weisungsgebundene Staatsanwälte? „*Jeder Staatsanwalt hat als Vorgesetzten einen weisungsberechtigten Abteilungsleiter, der wiederum hat einen weisungsberechtigten Behördenleiter, der Behördenleiter unterliegt den Weisungen des Generalstaatsanwaltes und der Generalstaatsanwalt schließlich hat den Anweisungen des Justizministers zu folgen. Diese Anordnungsbefugnis der Exekutive gegenüber den Staatsanwälten hat in den Jahren ab 1933 dazu geführt, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht strafrechtlich geahndet wurden. Die weisungsgebundenen Staatsanwälte durften derartige Verbrechen nicht anklagen. Das Rechtssystem, das damals die Staatsanwälte an ihrer Arbeit gehindert hat, existiert als solches immer noch." Und so kam es, dass Herkules Wulff der Mut verließ und er auch heute noch auf dem VW-Misthaufen sitzt...
(*„Die Abhängigkeit unserer Justiz" N. Schlepp in Mehr Demokratie - Zeitschrift für direkte Demokratie -77- 1/08)

Copyright Hans-Joachim Selenz


Der Autor dieses Artikels, Prof. Dr. Ing. Hans-Joachim Selenz, ist Wirtschaftsethiker und Mitautor des Buches "Schwarzbuch VW" (erschienen Oktober 2005). Als ehemaliger Spitzenmanager in der Stahlindustrie (ehem. Vorstandsmitglied der Preussag Stahl AG und Vorstandsvorsitzender der Salzgitter AG), der als Vorstandsmitglied der Preussag AG abberufen wurde, weil er sich weigerte, einen unzutreffenden Jahresabschluss zu unterzeichnen, ist Selenz ein engagierter Kämpfer gegen Korruption und Mißstände im Rechtssystem. Sein Anliegen ist es, durch Aufklärung von Mißständen einen Beitrag für einen funktionierenden Rechsstaat als Grundlage für unsere Demokratie zu leisten.

Prof. Dr. Selenz im Internet: www.hans-joachim-selenz.de