22.11.21
Impfen alleine reicht nicht
Die Virologin Protzer rät allen zur freiwilligen Kontaktbeschränkung
(MEDRUM/kjh) Mit der vierten Welle ist die Krise ist eingetreten, die niemand wollte (und manche auch jetzt noch nicht wahrhaben wollen). Die Infektionszahlen in Teilen Deutschlands haben bisher unerreichte Höhen erreicht und brechen fast täglich die vorherigen Rekorde. Nicht wenige sprechen von allgemeinem Politikversagen (Süddeutsche Zeitung). Die Bundeskanzlerin Angela Merkel schätzte die Lage nach den Bund-Länder-Beratungen vom 18.11.2021 als hochdramatisch und besorgniserregend ein.
Brisanter Anstieg der Corona-Intensiv-Fälle
Dass die Sorgen um die Pandemieentwicklung sehr berechtigt sind, zeigt zum Beispiel die Verdoppelungszeit bei der Belegung von Intensivbetten durch Coronaerkrankte. Sie betrug letzte Woche im Bundesdurchschnitt 23 bis 24 Tage, wie Merkel betonte. Und die Zahl der Intensivfälle ist seit Sommer exponential und rasant angestiegen, wie die Grafik links zeigt.
Zu geringe Impfquote
Die Inzidenzspanne zwischen den Bundesländern ist groß und lag am Tag der Bund-Länder-Beratung zwischen 117 und 911. Daher haben schon kurz nach der Ministerpräsidentenkonferenz von letzter Woche die Bundesländer Bayern und Sachsen bereits empfindliche Maßnahmen beschlossen, um das Infektionsgeschehen wieder unter Kontrolle zu bringen. Doch ob das in absehbarer Zeit, möglichst noch vor Weihnachten, gelingt, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. So lag zum Beispiel die Impfquote am vergangenen Wochenende immer noch bei weniger als 68 %. Auch wenn sich die Nachfrage nach Impfungen jetzt offenbar deutlich verstärkt hat, wie Gesundheitsminister Spahn gestern in der ZDF-Sendung "Berlin direkt" am gestrigen Sonntag anmerkte, ist dies für alle, die sich Entlastung durch verstärktes Impfen erhoffen, kein Grund zur Entwarnung.
Protzer: Ungeimpfte stellen die Hauptbelastung dar
Wie die Virologin Ulrike Protzer von der TU München, Direktorin des Institutes für Virologie am Helmholtz-Zentrum und Fachärztin für Innere Medizin, im heutigen Interview mit dem Morgenmagazin der ARD hervorhob, werden verstärkte Impfanstrengungen alleine nicht ausreichen, um einen "schlimmen Winter" zu verhindern. Sie hat dringend empfohlen, nicht nur verstärkt zu impfen, sondern auch freiwillig auf Kontakte zu verzichten, um das Infektionsgeschehen nicht weiter zu befördern. Protzer: "Ich gehe eben nicht mehr auf große Feiern und ich überlege mir, wo ich Kontakte vermeiden kann in einem sinnvollen Maße. Für Ungeimpfte muss man da sicher noch ein bißchen strenger sein, weil die einfach eine deutlich höhere Inzidenz haben, das heißt da infizieren sich deutlich mehr Menschen und die kommen viel häufiger ins Krankenhaus. Und das, was wir ja immer vermeiden wollen, ist ja die Belastung der Krankenhäuser. Und da sind leider die Ungeimpften, die leider die Hauptbelastung darstellen." Wie eine Kommentatorin des MDR im Tagesthemenkommentar in der vergangenen Woche, sieht auch Protzer bei den noch Ungeimpften demnach einen wesentlichen Einflussfaktor für das Infektions- und Hospitalisierungsgeschehen. Für diese Auffassung spricht die Tatsache, dass in den meisten Kliniken der Anteil der Ungeimpften zwischen 70 und 90 Prozent, in manchen Fällen noch höher liegt. Alleine daraus lässt sich ableiten, dass die Wahrscheinlichkeit, im Krankenhaus als Corona-Intensivpatient behandelt werden zu müssen, für Ungeimpfte bis zu etwa 20 mal so hoch sein kann wie für Geimpfte.
Ein fairer Deal oder allgemeine Impfpflicht?
Vor diesem Hintergrund nimmt die Polarisierung eher zu. Dass das Verständnis unter den Geimpften für die Ungeimpften immer weiter schwindet, zeigt Jan Fleischhauer in seiner letzten FOCUS-Kolumne "Schwarzer Kanal". Fleischhauer schreibt: "Die Maskenbildnerin bei meiner Sendung auf Servus TV berichtete mir von einem Bekannten, dessen Ex-Frau zu denmilitanten Impfgegnern übergelaufen sei. Nicht nur, dass die Frau für die beidenhalbwüchsigen Söhne sogenannte Corona-Parties organisiere, damit sich die beiden anstecken – sie selbst versuche sich ebenfalls zu infizieren, damit sie nachdurchstandener Infektion als genesen gilt. Lieber Covid als die Impfung: Wir leben wirklich in verrückten Zeiten." So kommt er am Ende auch auf einen vielleicht nicht gänzlich ernst gemeinten Vorschlag, aber doch bedenkswerte Überlegung. Fleischhauer dazu: "Ich habe einen Vorschlag zu unterbreiten. Ja zur allgemeinen Impfpflicht. Aber man kann sich davon befreien lassen. Die Voraussetzung dafür ist, dass man einwilligt, die Konsequenzen seines Handelns selbst zu tragen. Das würde dann bedeuten, dass man zum Beispiel bei einer Erkrankung nicht den Platz des Krebspatienten belegt. Wäre das nicht ein fairer Deal?" Wie der Gastbeitrag von Winfried Kretschmann und Markus Söder in der FAZ vom 22.11.21 verdeutlicht, ziehen sie zwar solche Deals aus verständlichen Gründen nicht in Erwägung, sie zeigen jedoch keine Bereitschaft, Situationen hinzunehmen, in denen Menschen tatsächlich nicht mehr gleichzeitig in Krankenhäusern adäquat versorgt werden können, weil die Impfbereitschaft in der Gesellschaft zu gering ist. So sehen sie unter der Überschrift "Die Impfpflicht schützt die Freiheit" in der Einführung einer allgemeinen Impflicht den besten und schnellsten Weg, der aus Krise herausführt.
Verschärfende Maßnahmen
Voerst wird es jedoch keine Impfflicht geben, mit der die sich gerade jetzt zuspitzende Krise womöglich bewältigt werden könnte. Und die Virologin Protzel hat sicher Recht. Um Notlagen, wie Kretschmann und Söder sie verhindern wollen, zu vermeiden, haben sowohl die geschäftsführende Regierung als auch die ampelbildenden Parteien in den zurückliegenden Monaten zu wenig getan, um einer erneuten pandemischen Entwicklung in Form einer vierten Welle vorzubeugen. Dies darf aber, auch das hat Protzel klargemacht, keine Begründung sein, der jetzigen Entwicklung tatenlos zuzuschauen. Der Bundestag hat zwar die "Epidemische Lage von nationaler Tragweite" aufgehoben und eine 3G-Regel eingeführt, das hielten einige Bundesländer jedoch nicht für ausreichend. Um eine weitere Eskalation und einen drohenden Kollaps im Gesundheitssystem zu vermeiden, versuchen die politischen Akteure nun - zumindest gegenwärtig noch, ohne eine Impfung verpflichtend machen zu wollen -, durch eine Vielzahl von Notmaßnahmen die Zahl der Neuinfektionen und vor allem die Zahl der Hospitalisierungen zu begrenzen. Zu den verschärfenden Maßnahmen, die jetzt in Bayern (7-Tage-Inzidenz am 22.11.: 641,7 und Sachsen (7-Tage-Inzidenz am 22.11.: 960,7) ergriffen werden, werden hier zunächst die Maßnahmen von Bayern aufgelistet:
In Bayern
Kontaktbeschränkungen
2G-Regel
2G plus-Regel
Schließen von Einrichtungen u. Verbot von Veranstaltungen
Bußgelder
Wer in Bayern gegen die Coronaregeln verstößt, muss mit erheblichen Bußgeldern rechnen:
Sachsen
Die Maßnahmen in Sachsen gehen teilweise noch über die Maßnahmen Bayerns hinaus. Ein Auszug:
Profisport kann unter 3G-Regelung für Sportler ohne Zuschauer stattfinden.
Impfschutz geht bereits nach einigen Monaten deutlich zurück
Ob die jetzt von der Politik beschlossenen Einschränkungen zusammen mit verstärkten Impfmaßnahmen ausreichen, um die hohen Infektionswerte wieder abzusenken (Grafik links zeigt Zahl der täglichen Neuinfektionen), was insbesondere heißt, dass der sogenannte Reproduktionswert (R-Wert), der seit Anfang Juli - von einem kurzen Zeitraum abgesehen - beständig den Grenzwert von 1,0 überschreitet, hält Ulrike Protzer nicht für gesichert. Sie befürchtet, dass dazu womöglich noch weitere Maßnahmen nötig sein könnten.
Dass Protzer Recht behalten kann, könnte insbesondere daran liegen, dass der Impfschutz bei den bisher in Deutschland verwendeten Impfstoffen keinesfalls 6 Monate lang ausreicht und erst danach wieder aufgefrischt oder ergänzt werden sollte, wie es aus der Empfehlung der Ständigen Impfkommision, Menschen über 70 nach 6 Monaten die "Booster-Impfung" zu verabreichen, abgeleitet werden konnte. Wie nämlich Studien in anderen Ländern gezeigt haben, ist der Impfschutz bei AstraZeneca 6 Monate nach der Zweitimpfung schon auf 0 % abgesunken. Zwar ist die Wirkung bei den Impfstoffen BionTech und Moderna besser, aber auch bei diesen Impfstoffen liegt die Schutzwirkung nach 5 Monaten bereits nur noch zwischen 50 und 70 %. Dabei ist noch zu bedenken, sagt der Virologe Alexander Kekulé, dass die Schutzwirkung bei älteren Menschen (Ü60) stärker abnimmt als bei der jüngeren Generation.
Mit der zeitlich nur begrenzten Reichweite der derzeitigen Impfstoffe haben offenbar weder Politiker noch Experten gerechnet (und die Geimpften wähnten sich in einer trügerischen Sicherheit). Sonst hätten bereits Mitte des Jahres die ersten Vorkehrungen getroffen werden müssen. Stattdessen forderte Jens Spahn noch Mitte Oktober, dass die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" auslaufen könnte. Wie die Ärztezeitung am 19.10.21 berichtete, habe Spahn geäußert, "das Robert Koch-Institut (RKI) stufe „das Risiko für geimpfte Personen als moderat ein“, somit könne angesichts der aktuellen Impfquote die epidemische Lage am 25. November 2021 als bundesweite Ausnahmeregelung auslaufen und beendet werden". Dies zeigt die verhängnisvolle Fehleinschätzung, die noch vor wenigen Wochen bei den an der Spitze im Bund verantwortlichen Akteure bestanden hat. Wie groß die Irrtümer in der Politik gewesen sind, wird exemplarisch vor allem an der völligen Fehleinschätzung des Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages, Erwin Rüddel (CDU) deutlich. Er forderte im Sommer gegenüber der »Bild«-Zeitung ein Auslaufen der Notlage und sagte zu BILD: „Die sogenannte epidemische Lage von nationaler Tragweite, auf der unsere Corona-Politik fußt, ist gebunden an eine mögliche Überlastung unserer Krankenhäuser. So, wie sich die Lage derzeit darstellt, kann ich mir nicht vorstellen, dass sich die Lage noch einmal so dramatisch verändert, dass die Überlastung des Gesundheitswesens droht.“ Gründlicher kann sich ein Politiker wohl kaum irren.
3. Impfung bereits nach 4 Monaten
Aufgrund der zeitlich eingeschränkten Reichweite ist der Virologe Kekulé schon seit einiger Zeit über die Empfehlung der STIKO (Ständige Impfkommission) hinausgegangen und empfiehlt schon seit geraumer Zeit für Menschen, die älter als 60 Jahre sind, sich die dritte Impfung bereits nach 4 Monaten geben zu lassen. Für Kekulé ist es auch unstrittig, dass den vulnerablen Gruppen aus Gründen begrenzter Impfkapazitäten Priorität eingeräumt werden muss. Er sagt deswegen ganz klar, zuletzt in der Sendung von Markus Lanz in der vergangenen Woche, dass bei der dritten Impfung die älteren Menschen Vorrang vor jungen Menschen haben müssen.
Weihnachten unter dem Corona-Stern?
Es bleibt also zunächst abzuwarten, welche Wirkung die jetzt anlaufenden Maßnahmen haben werden. Auf weitere Sicht könnten neue Impfstoffe Abhilfe schaffen, zum Beispiel ein Impfstoff aus der Klasse der Totimpfstoffe namens Novavax, für den der US-Pharmakonzern Novavax erst vor einigen Tagen eine Marktzulassung in der EU beantragt hat. Doch, auch wenn er in wenigen Wochen die EU-Zulassung erhalten sollte, wird es noch eine Weile dauern, bis er verimpft werden kann. Sein Hauptvorteil dürfte zunächst sein, dass er die Impfbereitschaft bei denjenigen Impfskeptikern erhöhen dürfte, die den Vektorimpfstoffen (z.B. AstraZeneca) und RNA-Impfstoffen (z.B. BionTech oder Moderna) misstrauen und sich stattdessen einem klassischen Totimpfstoff anvertrauen wollen. Doch die Datenlage über die Wirksamkeit dieses Impfstoffes gegen die Delta-Variante von SARS-CoV-2 ist noch nicht ausreichend, um diesen Impfstoff jetzt schon beurteilen und als gleichwertige oder gar bessere Alternative empfehlen zu können.Vieles deutet darauf hin, dass Weihnachten auch dieses Jahr unter dem Corona-Stern stehen dürfte, wie es statista in seinem Newsletter ausdrückt.
Aus dem Medienspiegel zum Coronathema:
Copyright www.medrum.de
Bleiben Sie mit unserem Newsletter auf dem Laufenden!
Leserbriefe
Mit Verstand und Weisheit
Es fällt immer schwerer überhaupt von einer Impfung zu sprechen, da auch Geimpfte erkranken und obendrein ansteckend sein können. Wer von Impfung spricht und dadurch Bürger ermutigt, die Vorsicht fallen zu lassen und Partymachen erlaubt, handelt fahrlässig. Eine "Impfung", die nach ein paar Monaten schon wieder unwirksam wird und "geboostert“ werden muss, kann man allenfalls als Prophylaxe gegen schwere Corona-Erkrankungen bezeichnen. Aufklärung tut also not, stattdessen weiter Einschüchterung und Desinformation? Hochgefährlich, wie man bei den westlichen Nachbarn sehen kann. Testpflicht für alle Bürger 3G+ wäre zunächst einmal überfällig und gerecht. Nur so hätte man verlässlichere Infektionszahlen.
Und für diejenigen, für die Corona nicht durch Zufall entstanden ist, sondern die darüber hinaus sich an die Prophetien der Bibel erinnern, (z.B. Matthäus 24 ff) gäbe es ja noch die Möglichkeit, Gebetstreffen der Regierenden und gesellschaftlich Verantwortlichen zu fordern. Aber dazu reicht es ja nicht mal in den großen Kirchen aus.
Dank für eine ungeschminkte Darstellung
Dank für eine ungeschminkte, in Nichts übertreibende und in allen Punkten sehr klare Darstellung. Ich befürchte aber, dass nur wenige eher einseitig informierte Mitbürger dies mit der erforderlichen Sorgfalt lesen und sich dann doch zur Impfung entschließen: nötig (und hilfreich!) wäre es.