29.07.21
Querdenker wird angeklagt
Zum Umgang mit Corona und der Meinungsfreiheit
(MEDRUM/kjh) Aufgrund eines Nazi-Vergleiches wird jetzt Anklage gegen einen "Querdenker" wegen des Verdachts auf Volksverhetzung erhoben.
Generalsstaatsanwaltschaft München strebt Musterprozess wegen Nazi-Vergleichen an
Die Gedanken mögen frei sein, die Meinungsäußerung ist es nicht! Jedenfalls gelten hier zum Teil wohl zunehmend enger werdende Schranken für ein Grundrecht, dem in einer freiheitlichen Demokratie eine zentrale Bedeutung zukommt. Bisher wurden Nazi-Vergleiche noch nicht durch die Justizbehörden verfolgt. Wie die Süddeutsche Zeitung jedoch vor einigen Tagen unter der Überschrift "Grenzen überschritten" berichtete, hat die Generalstaatsanwaltschaft München nun allerdings einen "beachtlichen Schritt unternommen", um gegen solche Vergleiche strafrechtlich vorzugehen.
Die Staatsanwaltschaft überraschte einen 45-jährigen Mann in seiner Wohnung mit dem Vorwurf der Volksverhetzung und beschlagnahmte im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung ein Smartphone und einen Computer. Zuvor hatte der Mann die Corona-Maßnahmen mit Vorgängen im NS-Staat verglichen. Auf einer Fotomontage in einem Facebook-Post hatte er womöglich in satirischer Absicht über das Bild eines Konzentrationslagereinganges mit der Aufschrift "Arbeit macht frei" ein Bild mit einer Zeichnung und der Aufschrift "Impfen macht frei" gesetzt und laut Hamburger Morgenpost dazu geschrieben: "Alles schon mal dagewesen".
Für den unter Verdacht stehenden Mann könnte es nun gravierende strafrechtliche Folgen haben, dass er Freiheitseinschränkungen im Kontext von der Corona-Pandemie mit Untaten des Nazi-Regimes assoziiert hat. Im Falle einer Verurteilung wegen Volksverhetzung könnten bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe gegen ihn verhängt werden (§130 StGB). Er wäre der erste Bürger, der wegen eines Corona-Holocaust-Vergleiches verurteilt werden würde, so die Morgenpost. Wenn die Äußerungen des Antisemitismusbeauftragten der Generalstaatsanwaltschaft zugrundegelegt werden, könnte aus diesem Fall ein Musterprozess entstehen, mit dessen Hilfe gegen alle Coronakritiker vorgegangen werden könnte, die derartige Vergleiche anstellen.
Nazi-Vergleiche von Politikern
Das jetzige Vorgehen der Münchner Generalstaatsanwaltschaft wirft die Frage auf, ob Nazi-Vergleiche nur bei "Normalbürgern" wegen Volksverhetzung verfolgt werden sollen, oder ob dies künftig auch bei Politikern geschehen wird. Die Frage stellt sich zum Beispiel im Fall der Grünenpolitikerin Marina Weisband. Kurz nachdem "Querdenker"-Aktivisten, die von AfD-Abgeordneten im November 2020 in den Bundestag eingeladen worden waren, Abgeordnete anderer Parteien (regelwidrig unbegleitet) mit kritischen Anmerkungen konfrontierten, hatte Weisband ihren Zwischenruf getwittert: "Wählste Nazis ins Parlament, haste Nazis im Parlament." Die Abgeordnete hatte damit AfD-Abgeordnete mit Nazis gleichgesetzt. Das tat in ähnlicher Weise zuvor auch der SPD-Politiker Sigmar Gabriel. Er sagte 2017 zum bevorstehenden Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag, dass „zum ersten Mal nach 1945 im Reichstag echte Nazis" am Rednerpult stünden.“
Wenn mit gleichem Maß gemessen werden würde, müssten auch diese Zeitgenossen aus vergleichbaren Gründen wegen des Verdachts auf Volksverhetzung angeklagt werden. Denn es liegt die Annahme nahe, dass nicht nur der den Nationalsozialismus verharmlost, wer die Corona-Politik in Verbindung mit der Nazi-Zeit bringt, sondern auch der, der die Abgeordneten einer Bundestagsfraktion als Nazis bezeichnet. Das Gerichtsurteil und die sich daraus ergebenden Folgen dürfen also mit großer Spannung erwartet werden.
Meinungsfreiheit im Abwärtstrend
Wäre die Anklage der Generalstaatsanwaltschaft München erfolgreich, würde eine Verurteilung zu einer weiteren, engeren Grenzsetzung für das "Sagbare" führen und im Einklang mit der allgemeinen Tendenz zu einer wachsenden Einschränkung der Meinungsfreiheit in Deutschland nstehen, die vor allem dem Kampf gegen Rechts geschuldet ist. Eine solche Entwicklung spiegelt sich auch in einer aktuellen Meinungsumfrage wider. Laut Deutschlandfunk kommt Allensbach zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit der Deutschen die Meinungsfreiheit sogar in Gefahr sieht. Nur noch 45 Prozent der Befragten sind demnach der Meinung, dass die politische Meinung frei geäußert werden könne. Das sei der niedrigste Wert seit 1953. Damit wird auch die Auffassung des 2018 verstorbenen Philosophen Robert Spaemann bestätigt, der die zunehmende Einschränkung der Meinungsfreiheit im Jahre 2009 mit den Worten beklagte: "Generell ist die Meinungsfreiheit jetzt schon auf katastrophale Weise eingeschränkt im Vergleich zu den 50er Jahren. Wir lebten damals in einem viel freieren Land. Heute liegen Tretminen überall."
Kein Verständnis für Nena's Freiheitsverständnis
Dass es zunehmend schwieriger wird, vom Recht der freien Meinungsäußerung Gebrauch zu machen, musste jüngst auch die Künstlerin Nena erfahren (Interpretin des Welthits "99 Luftballons"). Sie äußerte sich bei einem Auftritt kritisch zu Corona-Maßnahmen, mit denen der Veranstalter die Teilnehmer zwang, auf Distanz zu bleiben, was aber nicht von allen vollständig befolgt wurde. Nena zeigte Verständnis für ihr Publikum und meinte, jeder müsse selbst entscheiden, was er mache. Die Frage sei nicht, was wir dürfen, sondern was wir mit uns machen ließen (Einzelheiten in der Textbox links).
Das brachte der Künstlerin nicht nur den Abbruch einer geplanten Konzertreihe durch den Veranstalter, sondern auch heftigste Schelte in den Medien ein. So warf ihr ein Kolumnist der Frankfurter Rundschau, Michael Herl, Menschenverachtung vor. Herl wörtlich: „Nena ruft zur Menschenverachtung auf.“ Er sprach der Künstlerin sogar das Recht ab, noch am demokratischen Diskurs teilzunehmen und schrieb, Nena müsse zwangsgeimpft werden. Und, also ob er es mit der Ausgeburt des Bösen zu tun habe, wies er ihr auch noch eine Mitschuld an Beschimpfungen von Hilfsorganisationen durch Querdenker zu.
Wie sehr die Meinungsfreiheit abgenommen hat, zeigt gerade auch das neueste Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH). Dabei geht es um das Löschen von Beiträgen und das Sperren von Konten durch Facebook. In diesem Medium wurden kritische Bemerkungen eines Nutzers über Migranten gelöscht, obwohl sein Beitrag nicht gegen strafrechtliche Bestimmungen verstieß. Dennoch hatte Facebook den Beitrag gelöscht, weil es sich angeblich um sogenannte Hassrede handelte. Der BGH hielt diesem Eingriff in die Meinungsfreiheit entgegen, dass dies zumindest nicht geschehen dürfe, ohne dem Betroffenen die Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben. Damit können die Sozialen Medien, die per Netzwerkdurchsetzungsgesetz - analog wie zuvor durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz im Jahr 2006 - als Private zu Organen des Staates gemacht wurden, wenigstens nicht unwidersprochen in die Freiheit der Meinungsäußerung eingreifen. Aber dies bedeutet längst noch keine Trendumkehr bei der Entwicklung der Meinungsfreiheit. Die Tretminen (Spaemann) werden auch in der Gegenwart vermehrt.
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