Sie sind hier

19 Thesen zur Zukunfts-Strategie Erziehung und Bildung

15.10.08

Thesen zur Zukunfts-Strategie Erziehung und Bildung

(MEDRUM) Der Frankfurter Zunkunftsrat hat in einer heutigen Pressemeldung 15 Thesen zur Zukunfts-Strategie Erziehung und Bildung herausgegeben. Mit diesen Thesen will die Initiative zu Verbesserung der Bildung und Erziehung beitragen. Im Kern schlägt die Initiative die flächendeckende Einführung der Ganztagsschule vor.

Die Pressemeldung wird im Originaltext wiedergegeben:


 

PRESSEMELDUNG

Frankfurter Zukunftsrat
(Vorstände: Prof. Dr. Manfred Pohl, Dr. Bernhard Bueb, Dr. h.c. Wolfgang Clement, Prof. Dr. Charlotte Höhn, Oswald Metzger, Prof. Dr. Volker Mosbrugger)

19 praktische Thesen zur Zukunfts-Strategie
Erziehung und Bildung

Frankfurt am Main, 15. Oktober 2008.

Der Arbeitskreis Erziehung und Bildung des Frankfurter Zukunftsrats hat unter der Leitung von Dr. Bernhard Bueb die nachfolgenden 19 Thesen erarbeitet:

  1. Die bisherigen Reformen im Bildungswesen sind an den wichtigsten Personen, den Lehrern, vorbeigegangen.
    Seit Jahrzehnten beklagen wir Mängel unseres Bildungswesens, aber wenig hat sich zum Besseren gewendet. Bisher haben sich die Reformen weitgehend auf die Veränderung von Strukturen beschränkt; um die Veränderung der Personen, die die Strukturen mit Leben füllen sollen, die Lehrer, hat man sich wenig gekümmert.
  2. Den Mittelpunkt aller Anstrengungen bildet bisher das akademische Lernen; die Persönlichkeitsbildung findet nur unzureichend Beachtung.
    Zu viele Kinder leiden an einem Mangel an Zuwendung von Erwachsenen und an einem Mangel an gestalteter Gemeinschaft. Die Chancen für Kinder aus bildungsfernen Schichten, eine höhere Bildung zu erlangen, bleiben gering. Die Integrationsförderung von Kindern ausländischer Herkunft gelingt nur bedingt, auch die Förderung und Charakterbildung der Hochbegabten aller Schichten bleibt unzureichend.
  3. Das Ansehen der Lehrer in Deutschland leidet, weil ihnen die Mängel des Bildungssystems angelastet werden.
  4. Bildung der Persönlichkeit von Kindern und Jugendlichen bleibt weitgehend der Familie überlassen, die sie nur noch unzureichend erfüllen kann.
    Eine Ursache vieler Defizite liegt in dem einseitigen Bildungsbegriff der deutschen Bildungspolitik. Sie reduziert Bildung technokratisch auf Kompetenz und Wissenserwerb. Die Bildung der Persönlichkeit von Kindern und Jugendlichen bleibt weitgehend der Familie überlassen, die diese Aufgabe oft nur noch unzureichend erfüllen kann.
  5. Bildung heißt, sich Werte, Wissen und Können aneignen, um daraus Orientierung für das Handeln zu gewinnen.
    Wer bildet, muss sich des Menschenbildes versichern, dem er folgt. Wenn Bildung gelingt, führt sie zu einer Haltung, wie man der Welt und anderen Menschen begegnen sollte. Kinder erwerben Bildung durch Nachahmung von Vorbildern, durch Anleitung von Erwachsenen, durch gestaltetes Zusammenleben, durch alle Formen des Spielens (Sport, Theater, Musik u.a.) und durch akademisches Lernen. Dabei spielt der Erwerb von Sprachkompetenz eine zentrale Rolle.
  6. Die Schule muss in Deutschland endlich so werden, dass sich Lehrer innerhalb und außerhalb des Unterrichts jungen Menschen intensiver zuwenden können.
    Die Vorschläge des Zukunftsrates konzentrieren sich auf die Schule. Diese soll über ihren bisherigen Bildungsauftrag hinaus dafür sorgen, dass Lehrer sich innerhalb und außerhalb des Unterrichts jungen Menschen intensiv zuwenden können, um das Selbstwertgefühl von Kindern und Jugendlichen zu stärken.
  7. Alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland müssen an jedem Schultag eine lebendige Gemeinschaft finden, die ihnen hilft, Vertrauen in die eigenen Kräfte zu gewinnen und zu lernen, respektvoll miteinander umzugehen.
  8. Alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland müssen die Sprache, zentrales Medium der Bildung, in Wort und Schrift beherrschen.
    Zur Förderung der deutschen Sprache und der interkulturellen Kompetenz müssen eigene Programme entwickelt werden.
  9. Wichtigkeit und Wertschätzung der Person des Lehrers müssen sich darin ausdrücken, dass sein Selbstverständnis, seine Berufsmotivation, seine Rolle, seine Aus- und Fortbildung ins Zentrum aller bildungspolitischen Anstrengungen gerückt werden.
    Lehrer sollten die familiäre Erziehung fortsetzen und Defizite ausgleichen. Sie sollten in höherem Maße als bisher bereit sein, auch als Erzieher zu wirken und sich einer Forderung stellen, welche die Schulreformer des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts - deren Thesen heute noch aktuell sind - formuliert haben: Sie sollten sich nicht nur als "Unterrichter" verstehen, sondern zu "Menschenbildnern" werden. Sie müssen bereit sein, Vorbilder für junge Menschen zu sein, und ihnen über den Unterricht hinaus als Ratgeber, Förderer, Kritiker und Wegweiser zu dienen.
  10. Kein Kind geht verloren, an das ein Lehrer glaubt. Um aber an ein Kind glauben zu können, müssen Lehrer Gelegenheit haben, die Kinder in ihren Stärken zu entdecken.
    Das können sie besser, wenn sie Kinder nicht nur im Unterricht, sondern auch in anderen Zusammenhängen erleben. Die Veränderung von Strukturen ist notwendig, aber nicht ausreichend, um die genannten Defizite zu beheben. Kinder brauchen die Zuwendung und die Zeit von Menschen, die ihren Glauben an die eigenen Begabungen stärken.
  11. Die beste Möglichkeit, den Bildungs- und Erziehungsauftrag in gleicher Weise zu erfüllen und allen Kindern und Jugendlichen gestaltete Gemeinschaften und Zuwendung von Erwachsenen zu sichern, ist die Ganztagsschule.
  12. Damit Lehrer ihren veränderten Aufgaben gerecht werden können, müssen sie einen festen Arbeitsplatz in der Schule erhalten.
  13. Die Lehrer müssen von Unterricht entlastet werden, wenn sie zusätzliche Aufgaben übernehmen wie Sport oder Theater.
  14. Die Schulen müssen so eingerichtet werden, dass sich Lehrer und Schüler gern auch am Nachmittag dort aufhalten.
  15. Die Aus- und Fortbildung von Lehrern muss grundlegend erneuert werden.
    Lehramtsstudierende müssen dahin geführt werden, ihre grundsätzliche Eignung für den Lehrerberuf im Laufe des Studiums zu prüfen.
  16. In Deutschland muss die Ganztagsschule flächendeckend und verpflichtend eingeführt werden.
  17. Ganztagsschule heißt mehr als: den ganzen Tag Schule!
    Ganztagsschule heißt nicht: den ganzen Tag Unterricht, sondern morgens Unterricht, gemeinsames Mittagessen und am Nachmittag Hausaufgaben, Förderunterricht, Spiel und Erlebnispädagogik: Theater, Sport, Musik, handwerkliche Arbeit, Schülermitverantwortung, Unternehmungen in der Natur, schöpferische Medienarbeit, wirtschaftliche Schülerunternehmen, Raum für Stille.
  18. In der Ganztagsschule werden Kinder und Jugendliche von Lehrern ganzheitlich gefördert.
    Eine entscheidende Bedingung muss dafür allerdings erfüllt sein: Wer morgens unterrichtet, muss auch am Nachmittag Schüler betreuen, mit ihnen Hausaufgaben machen, Förderunterricht geben und Partner im Spiel und bei anderen Tätigkeiten sein.
  19. Durch die flächendeckende Einführung der Ganztagsschule gewinnt Deutschland den Anschluss an Europa.
    Der internationale Vergleich zeigt: dieses Schulmodell ist erfolgreich und ein Gewinn für alle: Kinder, Eltern und Lehrer. Konzeption und Wirklichkeit vieler Ganztagsschulen, die es in Deutschland schon gibt, sind so überzeugend, dass immer mehr Eltern ihre Kinder gerne solchen Schulen anvertrauen, in die die Kinder und Jugendlichen auch selber gern gehen.

Der Frankfurter Zukunftsrat wurde am 20. Februar 2008 im Hause der Familie von Metzler in Frankfurt am Main gegründet. Er setzt sich aus Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und der Wissenschaften zusammen, die zur Lösung von Problemen auf fünf Gebieten beitragen wollen:

  • Erziehung und Bildung (Neuorientierung unserer Erziehungs- u. Bildungspolitik)
  • Migration und Integration (flexible Zuwanderungssteuerung und nachholende Integrationsförderung)
  • Demographischer Wandel (Gesundheit und Altersvorsorge)
  • Demokratie (Anpassung der Politik an an den globalen Wettbewerb)
  • Politik und Wirtschaft (Förderung der Zusammenarbeit beider Systeme)
  • Klima (grenzüberschreitende Verantwortung)

Sie wollen ihre wissenschaftlichen Ergebnisse und ihre Erfahrungswelten als Basis zur Entwicklung zukunftsfester politischer, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Konzepte und Empfehlungen nehmen und diese allgemein verständlich für Politik sowie für Wirtschafts-, Kultur- und Medieninstitutionen formuliert und für eine mögliche Umsetzung zur Verfügung stellen.

Dem Vorstand des Frankfurter Zukunftsrates e.V. gehören an:

Vorsitzende des Vorstands:
Sylvia von Metzler

Stellvertretende Vorsitzende:
Kristina Gräfin Pilati

Stellvertretender Vorsitzender:
Dr. h.c. Wolfgang Clement

Schatzmeisterin:
Gerhild Börsig

Geschäftsführendes Vorstandsmitglied:
Prof. Dr. Manfred Pohl


Internetseite: frankfurter-zukunftsrat