17.10.13
Springer-Spektrum: „Mit mehr Selbst zum stabilen Ich!“
Interview mit Albert Wunsch zu seinem Buch über "Resilienz als Basis der Persönlichkeitsbildung"
(MEDRUM) Das "stabile Ich" machte der Springer-Verlag zum Thema eines seiner neuesten Bücher. Autor ist der der Erziehungswissenschaftler Albert Wunsch, besonders bekannt durch seine Bücher "Die Verwöhnungsfalle" und "Abschied von der Spaßpädagogik". Der Erfolgsautor erziehungswissenschaftlicher Sachbücher stellte sich den Fragen von MEDRUM zu seinem neuesten Buch.
Das Interview mit Albert Wunsch
Herr Wunsch, was oder wer hat Sie bewogen, ein Buch zum stabilen Ich zu schreiben?
Da ich seit vielen Jahren Menschen in Coaching-Prozessen bei notwendigen oder sinnvollen Ich-Stabilisierungs-Initiativen begleite, war das Thema mir sehr vertraut. Immer häufiger stelle ich fest, welche gravierenden Defizite auf dem Hintergrund einer sich rasant verbreitenden Verwöhn-Mentalität bei immer mehr Menschen erkennbar sind. Die Lebens-Maxime, sich möglichst viel leisten zu wollen, aber gleichzeitig möglichst wenig Fähigkeit und Bereitschaft zur Leistung einzubringen, hat einen hohen Preis. Das von zu Vielen favorisierte – und meist ausbleibende - ‚leichte Leben’ macht den Betroffenen kräftig zu schaffen. Die Erfahrung zeigt, dass Unvermögen und Nichtkönnen am eigenen Selbst stark nagt. So bleiben viele Wege hin zum erhofften Lebens-Erfolg versperrt. Den konkreten Ausschlag zum Schreiben des Buches gab die Anregung des Springer-Verlages, aufgrund einiger Veröffentlichungen von mir zum ‚Resilienz-Faktor ICH’ doch für die Reihe Spektrum dazu ein Buch zu schreiben.
Wovon handelt das Buch? Der Begriff Resilienz wird nicht gerade häufig gebraucht.
Auch wenn dieser Begriff noch keinen Einzug in die Alltagssprache gefunden hat, die dahinter steckende Bedeutung ist allgegenwärtig. Denn ständig stehen wir in der Notwendigkeit, uns mit Anforderungen und Belastungen unterschiedlichster Art auseinander setzen zu müssen. Häufig stellen wir dann fest, dass uns ein geeigneter Umgang fehlt. Dann ‚fressen’ wir kaum Verdaubares in uns rein und wundern uns über vielfältige psychosomatische Beeinträchtigungen. Um mit Außeneinwirkungen dieser Art besser umgehen zu können, verwende ich in meiner Beratungsarbeit gerne das Bild eines kräftigen Regencapes, welches ich den Betroffenen beim Einsetzen von bedrohlichen Donnerwettern oder ätzenden verbalen Ergüssen anzulegen empfehle. So schützen sich die betroffenen Personen erst einmal. Anschließend haben sie in Ruhe die Möglichkeit zu überprüfen, was wohl weshalb auf sie einprasselte. Dann können sie darauf angemessen reagieren – oder lassen es gezielt. So zeigt das Buch auf, was genau unter Resilienz als Fähigkeit, angemessen auf äußere Beeinträchtigungen bzw. Angriffe reagieren zu können, zu verstehen ist, wie sie erworben werden kann, was ihre Entstehung behindert und durch welche Initiativen diese – auch im fortgeschrittenen Alter – verstärkt werden kann. Denn wenn wir Vieles nicht so nahe an uns heran ließen, würden wir weniger unter Belastungs-Situationen leiden.
Knüpfen Sie damit an eines ihrer früheren Bücher an? Gibt es Schnittmengen?
Indirekt knüpfe ich dabei an meine drei recht bekannt gewordenen Titel, sowohl „Die Verwöhnungsfalle“ und „Abschied von der Spaßpädagogik“ als auch an das Buch „Boxenstopp für Paare“. Denn in Erziehung und Partnerschaft wird reichlich persönliches Unvermögen im Umgang mit alltäglichen Herausforderungen deutlich. Kommen die Menschen aus diesen Sackgassen nicht schnell raus, werden in der Regel nicht nur nachvollziehbare Selbst-Zweifel genährt - manche versuchen diese auch zu übertünchen oder zu ertränken -, sondern gleichzeitig mögliche Erfolge vereitelt. Die Fakten und Handlungsanregungen des neuen Buches setzen genau da an, indem effektivere Vorgehensweisen verdeutlicht werden. So erhalten die Leserinnen und Leser die Chance, eigene Schwächen zu erkennen, diese zu reduzieren oder mit ihnen wenigstens angemessener umzugehen. Und speziell die vielen jungen Erwachsenen, welche durch ihre überbehütenden „Helikopter-Eltern“ an wichtigen eigenständigen Erfahrungen auf dem Weg zur Selbständigkeit und Eigenverantwortung gehindert wurden, bietet das Buch viele Anstöße zur – wenn auch verspätet einsetzenden – Ich-Stabilisierung.
Sie sagen in ihrem Buch: „Egoisten sind keine „Ich-bezogenen“, sondern „Ich-lose“Menschen. Eine hoch interessante, zunächst paradox klingende Aussage. Was steckt dahinter?
Wenn ein Mensch sich häufig ins Zentrum der Aufmerksam rückt bzw. sich als ‚Mittelpunkt der Welt’ betrachtet, wird er meist als Egoist - d.h. ‚Ich-Bezogener-Mensch’ - bezeichnet. Jemand mit einem realen stabilen Ich, wird dieses jedoch nicht herauszustellen suchen. So wie wirklich wohlhabende Menschen ihren Besitzstand nicht ständig zeigen, oft geschieht das Gegenteil, so hat auch ein stabiles Selbst keine Veranlassung, sich wegen dieser Stärke brüsten zu müssen. Dagegen versuchen Menschen mit einem sehr schwachen Ich, diesen Zustand entweder in Zurückgezogenheit zu leben oder stattdessen nach außen angebliche Stärke zu demonstrieren. In oberflächlichen Situationen scheint diese ‚Als-ob-Strategie’ nicht selten zu funktionieren. Längerfristig wird die durch Überkompensation zu kaschieren gesuchte Persönlichkeits-Schwäche immer offensichtlicher. Und Kollegen, Mitarbeiter und erst recht Lebenspartner werden sich von solch nervenden ‚schau mal wie toll ich bin Inszenierungen’ abzugrenzen wissen. So geraten vorgeblich starke Akteure aufgrund der tatsächlichen Schwäche schnell ins private oder berufliche Abseits.
An wen richtet sich das Buch? Bei der Vorstellung auf der Frankfurter Buchmesse treten Sie zusammen mit dem Gerontologen Prof. Andreas Kruse auf. Was hat das zu bedeuten? Deutet das darauf hin, dass Sie sich jetzt besonders den älteren Menschen zuwenden?
Das Buch richtet sich an alle Menschen in Politik und Gesellschaft, welche Verantwortung für Andere tragen und negative Entwicklungen in unserer Gesellschaft stoppen wollen. Das sind Politiker, große oder weniger große Chefs, Medien-Verantwortliche, Manager im Gesundheitswesen, Erzieher, Lehrkräfte, Ausbilder und viele andere Funktionsträger in Kirchen, Verbänden und sozialen Initiativen. Weiterhin rücke ich den Resilienz-Faktor ICH für die Vielen ins Zentrum, welche sich selbst für die alltäglichen Herausforderungen des Lebens in Beruf, Partnerschaft und Familie besser wappnen wollen. Die Präsentation des Buches in Verbindung mit dem Gerontologen Prof. Kruse verdeutlicht aus meiner Sicht gut die große Breite des Themas. Auch wenn es sinnvoll ist, dem Thema ICH-Stabilisierung in der Kleinkindphase die größte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, schließlich wird hier die Basis für alles Weitere gelegt, so sollten alle Menschen bis ins hohe Alter hinein dem eigenen Ich sinnvolle oder notwendige Erweiterungs-Chancen einräumen bzw. zumuten. Dies erscheint mir besonders vor dem Hintergrund wichtig, dass Menschen ein immer höheres Alter erreichen. Sie sollten sich auch in dieser Lebensphase möglichst störungsarm in ihre vielfältigen sozialen Verbindungen einbringen.
Was können Erwachsene ganz allgemein mit dem Buch anfangen? Wobei könnte oder sollte es ihnen helfen? Geben Sie konkrete Ratschläge, zum Beispiel für solche Menschen, die sich in einer Krisenlage befinden? Denken wir etwa an den Burnout.
In einem speziellen Kapitel werden Erwachsene zu einer ganz einfach umsetzbaren Selbstvergewisserung als Voraussetzung für eine bessere Krisenbewältigung eingeladen. Schlüsselfragen, um in Beruf, Partnerschaft und Familie angemessener mit Herausforderungen umzugehen, sind: ‚Was kann ich? Was kann ich nicht oder eher nicht? Was könnte oder sollte ich noch können?, Ergänzend werden weitere, ganz praktische Hilfen auf dem Weg der Selbsterkundung angeboten. Ist dann genügend Material vorhanden, können nach der entsprechenden Bewertung der zusammen getragenen Anhaltspunkte die Initiativen zur Ich-Stabilisierung begonnen werden. Um diese zum Erfolg zu führen, steht ein ganzes Kapitel mit vielfältigen Anregungen zur Verfügung. In der Kombination von ‚Selbst-Erkenntnissen’ und sinnvollen ‚Handlungs-Notwendigkeiten’ wird dann die Basis dafür geschaffen, mit Krisen und Belastungen gekonnter umzugehen, wobei die Vermeidung von Konflikt-Szenarien im Zentrum steht. Damit wird dann auch die Grundlage dafür gebildet, Stress - und erst recht ein Ausgebrannt-Sein – zu verhindern.
Ist es auch präventiv verwendbar?
Oft sind meine Studenten in Seminaren zum Konflikt-Management bzw. zur Stressreduktion verblüfft, wenn sie die erlernten neuen Strategien zum Umgang mit schwierigen Situationen im Alltag anwenden und dann feststellen: ‚Ja, es hat geklappt’ oder: ‚Er/Sie ist wirklich nicht hochgegangen!’ Dann wird auch für die Übrigen im Seminar offensichtlich, dass durch eine gezielte Erweiterung der sozialen bzw. kommunikativen Kompetenzen viele Alltagssituationen angemessener zu handhaben sind. Dieselben Erfahrungen machen Eltern im Kontakt mit ihren Kindern bzw. Paare im Umgang mit angespannten Situationen bzw. destruktiven Emotionen. Denn wenn klar wird, was einen Konflikt ver- oder entschärft, dann können Reizworte gezielt vermieden und stattdessen versöhnliche Sprachmuster und Gesten eingebracht werden. Eine Prise Humor in dem Sinne, auch über eigene Unzulänglichkeiten lachen zu können, wirkt dann oft ergänzend wie ein Wunder. So profitieren das Beziehungs-, Familien- und Berufsleben gleichermaßen vom Vermeiden unnötiger Reibungen und Verletzungen. Die Umsetzung der im Buch zusammengetragenen Konkretisierungen wirkt sich somit auf alle Lebensbereiche positiv aus.
Können auch Eltern mit Ihrem Buch etwas anfangen? Kann es in irgendeiner Form auch ein Ratgeber sein, der bei der Erziehung hilft?
Ja, Eltern erhalten ganz viele Informationen, was sie beim Umgang mit den ihnen anvertrauten Kindern – besonders in der Kleinkindphase - berücksichtigen sollten. Ergänzend werden sie feststellen, dass manche bisherige Auseinandersetzung mit dem Nachwuchs ihren Ursprung in einer fehlenden Stabilität oder Klarheit als Mutter oder Vater hat. Da Kinder sehr talentiert sind, die konkreten Schwachpunkte ihrer Eltern herauszufinden, setzen sie bei diesen gezielt an, um die eigenen Interessen oder Vorhaben ‚durchzudrücken’. Ob Eltern dann wegknicken oder laut werden, beides sind klare Belege für ein zu schwaches ICH. So erhalten die Eltern nicht nur wichtige Information zur Grundlegung einer lebensnotwendigen Ich-Stabilität in der Kinder- und Jugend-Phase, sondern werden auch manchen Schwachpunkt im eigenen Verhalten erkennen. Dann ist Handeln angesagt, um in der Erziehung wirkungsvoller und entspannter agieren oder reagieren zu können. Ein ‚Nebeneffekt’ wird übrigens sein, dadurch auch innerhalb der Partnerschaft zufriedener zu werden. Denn: ‚Erziehungs-Probleme schaffen Beziehungs-Probleme, Beziehungs-Probleme schaffen Erziehungs-Probleme’. Und Beides produziert Stress und verhindert Lebensqualität.
Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Die Fragen stellte Kurt J. Heinz.
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Resilienz als Basis der Persönlichkeitsbildung
Wunsch, Albert
Das Handeln resilienter Menschen ist geprägt durch ein bedingungsloses Vertrauen zum Leben, was die Angst vor möglichen Krisen oder großen Herausforderungen reduziert. Das Leitprinzip resilienter Menschen lautet: ‚Anstrengung und Engagement sind die Grundlage jeglicher Entwicklung’.
In dem eben bei Springer Spektrum erschienenen Sachbuch „Mit mehr Selbst zum stabilen Ich!“ fasst Albert Wunsch seine Forschungsergebnisse zusammen.
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