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Offener Brief von Christine Schirrmacher an Aiman Mazek

Offener Brief von Christine Schirrmacher an Aiman Mazek

Bonn, 18.8. 2013

Sehr geehrter Herr Mazyek,

ich war mehr als erstaunt, kürzlich in der WELT lesen zu müssen, dass Sie mich in einem Interview mit der Katholischen Nachrichtenagentur als „sogenannten Islamexperten“ mit einer „fundamentalistischen Lesart des Islam“ bezeichnet haben. Mir ist unklar, wie Sie auf so ein Fehlurteil verfallen konnten. Vermutlich geschah dies, weil Sie mein Buch „Islam und Demokratie – ein Gegensatz?“ nicht gelesen haben, sondern sich auf Gerüchte und Hörensagen stützen.

  1. Ich bin habilitierte Islamwissenschaftlerin und lehre seit vielen Jahren an verschiedenen deutschen und ausländischen Universitäten, bin beratend in verschiedenen Gremien der Politik, Kirche und Gesellschaft tätig – was wohl kaum mit Ihrem Feindbild eines „sogenannten Islamexperten“ in Einklang zu bringen sein dürfte.
  2. Ich habe keine „fundamentalistische Lesart“ des Islam. In meinen zahlreichen Büchern, Schriften und Artikeln (s. eine Aufzählung hier) setze ich mich unermüdlich für eine differenzierte Lesart des Islam ein, die zwischen den einzelnen Strömungen klar unterscheidet. Ich vertrete uneingeschränkt die Prinzipien von universaler Religionsfreiheit, Menschen-, Frauen- und Minderheitenrechten.
  3. Sie liegen sachlich falsch, dass ich in meinem Buch „Islam und Demokratie – ein Gegensatz?“ behauptet hätte, „dass der Islam nicht zur Demokratie passe“. Bevor Sie sich ein solches Urteil erlauben, wäre es wirklich angebracht gewesen, mein Buch zu lesen. Dort steht etwa: „Der Islam als private Religionsausübung oder ethisches Wertegerüst wird einer Demokratie kaum entgegenstehen. Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass die Ausübung des Islam als Religion, zum Beispiel durch Gebet und Fasten, im unversöhnlichen Widerspruch zu einer Demokratie stehen sollte.“ (Christine Schirrmacher. Islam und Demokratie – ein Gegensatz? Hänssler: Holzgerlingen, 2013, S. 36)

Und auch, wenn Sie der Presse sagen: „Auch wenn es im Islam nur wenige Hinweise zur Gestaltung des Staatswesens gebe“, aber das „Prinzip der Schura, der politischen Beratung und Abstimmung“, so hätten Sie genau das in meinem Buch gefunden: Dort steht etwa: „Wie bei vielen anderen Fragen, die die Ordnung des politischen Gemeinwesens zur Zeit Muhammads betreffen, gibt der Korantext selbst so wenig konkrete Auskunft darüber, dass ihm kaum Regieanweisungen für eine als ideal betrachtete Herrschaftsform entnommen werden können“ (S. 21) … „Der Begriff ‚beraten‘, der im Koran im Arabischen in beiden Versen Verwendung findet, besitzt dieselbe Wurzel wie der heute im politisch-islamischen Bereich oft verwendete Terminus der ‚Schura‘ (‚Beratung‘). Aus der Sicht islamischer Apologeten soll die Schura als eine Art ‚islamische Demokratie‘ im Laufe der islamischen Geschichte etabliert worden sein.“ (Christine Schirrmacher. Islam und Demokratie – ein Gegensatz? Hänssler: Holzgerlingen, 2013, S. 23)

Mein Buch liefert ein differenziertes Bild von Demokratiebefürwortern und -gegnern unter muslimischen Gelehrten, enthält aber nichts von dem, was Sie mir unterstellen. Ihre sehr allgemein gehaltene Argumentation, dass der Islam mit den Prinzipien der Demokratie nicht in Konflikt stände, kann allerdings doch leicht die Tatsache verdecken, dass im internationalen Bereich in den wenigsten islamisch geprägten Ländern bisher Demokratien etabliert werden konnten und die islamische Theologie hier großen Nachholbedarf in der Diskussion hat.

Ich erwarte von Ihnen eine Entschuldigung, Herr Mazyek; ihre Aussagen sind unzutreffend, herabsetzend und rufschädigend. Gerade einem Mann wie Ihnen, der sich unermüdlich für den Abbau von Feindbildern einsetzt, der die deutsche Öffentlichkeit stets mahnt, sich nicht vom Hörensagen her ein Urteil über andere (besonders Muslime) zu bilden und der sich beständig und sehr entschieden wehrt gegen falsche Unterstellungen gegen Muslime, gerade Ihnen müsste nichts wichtiger sein als bei der Wahrheit und den Fakten zu bleiben. Wenn es Ihnen also mit diesem Prinzip der fairen Auseinandersetzung ernst ist, nehmen Sie Ihre Anschuldigungen zurück und setzen sich sachlich mit meinem Buch auseinander.

Ihrer Antwort entgegensehend verbleibe ich mit freundlichen Grüßen,

Prof. Dr. Christine Schirrmacher