07.12.10
ZDF-Wettkandidat mit schweren Lähmungen
Der Erfolg hat viele Väter, doch beim Fernsehen darf auch das Versagen kein Waisenkind bleiben.
Ein Kommentar von Kurt J. Heinz
(MEDRUM) Die Düsseldorfer Klinik informierte heute, daß der Wettkandidat aus Thomas Gottschalks ZDF-Sendung "Wetten, daß ...?" aus dem künstlichen Koma erwacht ist und an schweren Lähmungen leidet. Bestenfalls könne er sich im Laufe der nächsten Monate davon erholen, schlimmstenfalls bleibe er gelähmt, lautete die ärztliche Prognose.
Gottschalks Sendung wird auf gar keinen Fall so weitergehen dürfen, wie dies bisher geschehen ist. Alle Beteuerungen, man habe alles für die Sicherheit des Wettkandidaten getan und werde die Sicherheitsstandards überprüfen, können nicht darüber hinweg täuschen, daß der 23-jährige Wettkandidat unter den Augen des ZDF-Fernsehpublikums zu seiner Samstagabendunterhaltung eine sensationelle, aber auch halsbrecherische Wette bei einem Sender darbieten durfte, der in öffentlich-rechtlicher Verantwortung steht. Das fordert Konsequenzen.
Der Unterhaltung suchende Zuschauer konnte bereits beim Sprung über das erste Auto erkennen, daß es sich bei dieser Wette nicht um eine der üblichen sportiven Wetten, sondern um einen tollkühnen akrobatischen Akt ohne Netz und doppelten Boden handelte, bei dem eine Menge schiefgehen konnte. Es ging um kaum kontrolliert zu steuernde Millimeterarbeit in der Bewegung. Mit Mühe kam der Wettkandidat nach dem ersten Salto-Sprung über das schnell auf ihn zufahrende Auto zum Stand. Den dritten Versuch brach er ab. Beim vierten Versuch kam es zum Ende mit tragischen Ausgang. Fangzäunge, Auslaufzonen, Sicherheitsseile oder Ähnliches gab es nicht, konnte es bei dieser Art Wette auch nicht geben. Doch schon ein unkontrollierter Fall aus zwei Metern Höhe kann höchst gefährlich sein für Leib und Leben.
Die Frage, was passiert, wenn der Kandidat auch nur einen Wimpernschlag zu spät, zu früh, zu schräg oder zu flach abspringt oder wieder auftrifft, mußte bereits vor der Sendung bei der Annahme der Wette gestellt werden, war aber wohl nur mit einem großen Fragezeichen und hilflosen Achselzucken beantwortet worden. Die Ungewißheit des Achselzuckens hielt bis zum katastrophalen Ausgang der Wette an. Der verzweifelte Hoffnungsruf von Michelle Hunziker, die dem auf dem Boden unkontrolliert aufgeprallten Kandidaten zurief "sag, daß alles ok ist" erfüllte sich nicht. Zum hilflosen Achselzucken trat blankes Entsetzen hinzu, als der Kandidat reglos und lautlos am Boden liegenblieb und keinerlei Lebenszeichen von sich gab. "Einen Arzt! Sofort einen Arzt!", rief Hunziker geschockt und fassungslos in die Halle hinein.
Daß es sich um eine risikoträchtige Wette handelte, gestand Thomas Gottschalk in der Sendung selbst bei der Ankündigung der Wette ein. Sie sei gefährlich, hoffentlich gehe alles gut, so Gottschalk. Doch genügt es zu hoffen? Auf das Prinzip Hoffnung zu setzen, es möge alles gut gehen, ist akzeptabel, wenn es lediglich darum geht, einem Kandidaten Erfolg bei seiner Wette zu wünschen, zeugt aber bei einer geradezu irrsinnigen Wette von einer kindlich anmutenden Naivität und ist völlig unannehmbar, wenn sich dahinter die vage Hoffnung verbirgt, der Kandidat möge mit heiler Haut davonkommen.
Ja, es trifft zwar zu, daß der Kandidat volljährig ist, daß er sich - warum auch immer - für diese Wette entschieden hat und für seine Entscheidung auch verantwortlich ist. Niemand hat ihn schließlich dazu gezwungen. Er wird deshalb anderen kaum Schuldvorwürfe machen können. Aber ist das die ganze Wahrheit? Nein. Denn zur Wahrheit gehört: Der Kandidat konnte seinen tollkühnen Akt nur präsentieren, weil das ZDF und die für die Sendung Verantwortlichen ihn gewähren ließen statt ihm zu sagen: Diese Wette ist zu riskant und lebensgefährlich. Da machen wir schon aus Fürsorge für ihre Person nicht mit. Und dieses richtig einzuschätzen, um den Kandidaten und seine Familie vor einem halsbrecherischen Fernsehauftritt in einer Familiensendung am Samstagabend zu schützen, ist Teil der Verantwortung all derer, die an dieser Sendung verantwortlich mitwirkten. Für die Entscheidung des Fernsehens ist nicht der Wettkandidat, sondern alleine das öffentlich-rechtliche ZDF selbst verantwortlich und muß dafür auch öffentlich Rechenschaft ablegen.
Die Rechenschaft des ZDF kann nicht auf die Mitwirkung eines Sicherheitsingenieurs reduziert werden. Der Hinweis von Programmdirektor Bellut, man habe alles für die Sicherheit getan, ein Sicherheitingenieur sei dabei gewesen, kann nicht überzeugen. Was hilft der Sicherheitsingenieur, wenn er die Waghalsigkeit des Unterfangens nicht erkennt. Für die Sicherheit des Kandidaten konnte aufgrund der Art der Wette ohnehin nicht viel getan werden. Der richtigen Scheinwerfereinstellung, dem Auslegen eines geeigneten Bodenbelags und dem Aufsetzen eines Helms konnten für den Ausgang der Wette letztlich nur geringe Bedeutung beigemessen werden. Genau das hätte im Übrigen nicht nur ein Sicherheitsingenieur erkennen und rechtzeitig verlautbaren müssen. Auch mit einem technisch perfekten Auto ist die Fahrt in einen Abgrund höchst riskant. Was bei der peniblen TÜV-Prüfung tausendfach jeden Monat geschieht, um selbst kleinere Sicherheitsrisiken im Straßenverkehr auszuschalten, hätte auch hier geschehen müssen: Es hätte kein Siegel für die Unbedenklichkeit dieser Wette erteilt werden dürfen, weder durch einen Sicherheitsingenieur noch durch die sonstigen Verantwortlichen für diese Sendung.
Es kam leider anders. Die Wette war nicht unbedenklich, weder aus rein sicherheitstechnischer noch aus sportiver, akrobatischer oder medizinischer Sicht. Sie glich einem Vabanquespiel ohne jede Gewähr für die Sicherheit. Trotzdem wurde offenbar alles getan, um die Wette dem deutschen Fernsehzuschauer darzubieten statt ein entschiedenes Nein zu sagen. Der Wettkandidat hat nun mit seiner Gesundheit dafür bezahlt, daß er diese tollkühne Wette feilbieten konnte. Das ZDF hat ihn davon nicht nur nicht abgehalten, sondern in der Rolle des Animateurs sogar die Bühne für den Kandidaten aufgebaut und in verhängnisvoller Fehleinschätzung, ja in dem naiven Glauben, es werde schon alles gutgehen, die Bühne freigegeben. Darin liegt das Versagen. Und die Verantwortlichen spüren es, ohne es einzugestehen und sich zu dieser schmerzlichen Verantwortung öffentlich bekennen zu wollen.
Es ist wie fast immer. Wie auch die Loveparade in Düsseldorf zeigte: Der Erfolg hat viele Väter, das Versagen ist stets ein Waisenkind. Auch die Sprungfeder-Wette mit ihrem so tragischen Ausgang hat und sucht nun ihre Eltern. Das ZDF und die dort Verantwortlichen dürfen ihren Teil der Elternschaft nicht verleugnen. Im Gegensatz zum jungen und unerfahrenen 23-jährigen, noch studierenden Wettkandidaten stehen bei einem öffentlich-rechtlichen Sender hochbezahlte und lebenserfahrene Erwachsene in professioneller Verantwortung. Oder etwa nicht? Darauf, daß vermeintlich kompetente Frauen und Männer nicht nur kräftig an einer solchen Fernseh-Show verdienen, sondern auch zu ihrer Verantwortung und ihrem Fehler stehen, den tollkühnen Akt des Samuel Koch animiert und inszeniert zu haben, sollte sich der besonnene Zuschauer und nicht nach Sensationen heischende Gebührenzahler wenigstens jetzt verlassen können. Nur dann kann darauf vertraut werden, daß das ZDF wirklich verantwortungsbewußt handelt und die richtigen Konsequenzen aus dem tragischen Geschehen gezogen werden.
Auch Entertaining und Show verlangen verantwortungsbewußt handelnde Akteure, deren professionelle Verantwortung weit über die reine Kunst der unterhaltenden Präsentation und Spaßverbreitung hinausgeht. Das Erschrecken über diese Tatsache und das Ziehen der notwendigen Konsequenzen gehört zu den gemeinsamen Lehren aus der Loveparade in Düsseldorf und der "Wetten, daß ..."-Sendung vom Samstagabend. Nur gut gemeintes, selbstverständliches und ehrenwertes Mitgefühl sowie Versprechungen zur Überprüfung von Sicherheitsstandards alleine reichen nicht aus. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) und Verwaltungsrats-Chef des ZDF hat daher wichtige Forderungen für die fälligen Konsequenzen ins Blickfeld gerückt: "Wie viel Risiko darf man eingehen? Und natürlich müssen wir auch über die Themen Nervenkitzel, Waghalsigkeit und Quote reden", sagte er der Zeitung Die Welt.
MEDRUM -> Wetten, daß ... Schluß mit lustig?
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Leserbriefe
Ihr Kommentar zum Unglück bei "Wetten dass..."
Der Kommentar von Kurt J. Heinz ist treffend. - Wieviel darf einem (Zwangs-)Gebührenzahler beim öffentlich-rechtlichen TV zugemutet werden? - Es ist zu hoffen, dass die Verantwortlichen eingestehen, den Bogen überspannt zu haben! Sonst muss es politische Konsequenzen geben.
Heinz Josef Ernst,
Villingen-Schwenningen
www.heinz-josef-ernst.de/HJE
immer höher immer weiter
Erfolg ist keiner der Namen Gottes. Das sagte mal Martin Buber. Wer klein ist, der ist auf seine Weise auch stark. Der Rand ist die Mitte. Das ist als Seelsorger meine feste Überzeugung. Doch wir werden in unserer Gesellschaft und in unserem christlichen Abendland ständig dahingehend trainiert, noch mehr Erfolg zu haben, immer besser zu sein, noch höher zu springen, weiter zu gehen. Und die öffentlichen Medien tragen leider dazu bei. Depressionen nehmen zu. Das alles stimmt mich sehr bedenklich.
Gottschalk raus !
Gottschalk raus ! So kurz und bündig muß das Fazit lauten. Der Mann ist ein überbezahlter, alternder Fernseh-Moderator, der verzweifelt versucht, seine Quoten zu halten. Das ZDF muss sich endlich von Gottschalk trennen, die riskanten Wetten verbieten und die Sendung "Wetten, daß" dorthin verlegen, wo sie schon lange hingehört: in die Kinderstunde um 16 Uhr