13.10.15
Willkommen in der Frostfalle?
Abwendung des Chaos ist eine Willkommens- und Überlebensbedingung
Ein Zwischenruf von Kurt J. Heinz
(MEDRUM) Es ist heiß umstritten, ob Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Flüchtlingswillkommensrhetorik ein Fehler unterlaufen ist oder ob sie alles richtig gemacht hat, als sie die Schleusen öffnen ließ, um Asylsuchenden in einer neuen Heimstatt willkommen zu heißen. Nicht umstritten ist, dass das Recht auf Asyl keine Obergrenze kennt. Und ebenso wenig umstritten ist, dass die Aufnahmefähigkeit eines Landes nicht zuletzt davon abhängt, wie vielen Personen, die Schutz oder eine neue Heimat suchen, von einem Land menschenwürdige Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden können. Diese Frage birgt eine beträchtliche Sprengkraft in sich, für Politik und Gesellschaft.
Seit vielen Wochen dreht sich eine Debatte im Kreis. Es ist die Debatte um Merkels Kurs in der Asyl- und Einwanderungspolitik. "Wir schaffen das", verkündete die Kanzlerin Ende August bei wohligen Temperaturen und strahlend schönem Wetter bei ihrer Sommerpressekonferenz. "Wir sind ein starkes Land", begründete Merkel, warum wir das schaffen. «Selfies» gingen um die Welt, die an nicht wenigen Stellen Entzücken hervorriefen. Wir wollen zu Mama Merkel, riefen viele staunenden Reportern zu auf ihrem Transit durch halb Europa. Empfangen dann von jubelnden Helfern am Münchner Hauptbahnhof. Wie Kriegsheimkehrer wurden die Reisenden - überwiegend Männer im besten Mannesalter - begrüßt, hieß es in einem Auslandsmedienbericht. Schließlich bescherte die Stadt München gestern den Helfern ein Dankkonzert (150.000 Euro soll die Stadt München laut einem Medienbericht für die Kosten der Veranstaltung aufgebracht haben - trotz Verzichts von Grönemeyer und seiner Kollegen auf Gagen).
In der Tat herrschte vielfach eine Euphorie, wie sie etwa bei der Rückkehr unserer Fußballweltmeistermannschaft zu erleben war. Doch im Unterschied zur erfolgreichen WM ist der Kampf um die Aufnahme des Flüchtlingsstroms noch nicht gewonnen.
Die kalte Jahreszeit steht vor der Tür. Die Temperaturgrade beginnen bereits zu purzeln. Am Horizont ziehen die ersten Schneewolken auf. 42.000 Flüchtlinge sind in Notquartieren untergebracht (DIE WELT, 13.10.15), die nicht wirklich Unterkünfte genannt werden können. Diese Quartiere unterscheiden sich nicht grundlegend von einer Brücke, unter der Obdachlose zu nächtlicher Stunde Unterschlupf vor Wind und Wetter suchen. Denn diese 42.000 Personen harren derzeit in Zelten aus, die nicht winterfest sind, weder beheizt noch schneelasttauglich. Die WELT spricht deswegen von der Frostfalle. Die kritische Lage wurde beispielsweise vom Innenminister des Landes Rheinland-Pfalz bestätigt, wonach ein Drittel der Flüchtlinge in Zelten leben muss (Bild links).
Was nun? Diese Frage muss sich Angela Merkel gefallen lassen. Ihr Willkommen kann doch wohl kaum heißen: Willkommen in der Frostfalle. Und das Wort "Wir schaffen das!" kann so nicht gemeint gewesen sein. Fallende Temperaturen lassen sich auch von einer Physikerin nicht aufhalten. Das weiß Merkel, spätestens jetzt. Und feste Gebäude kann auch eine Bundeskanzlerin nicht über Nacht bauen oder bauen lassen, trotz vieler Milliarden, die sie in die Hände nehmen und den Ländern und Kommunen geben kann, und trotz der EU-Partner, deren Solidarität sie vielfach beschworen, aber noch nicht verspürt hat. Sie sind nun einmal hier, die vielen Flüchtigen, die Deutschland als ihr Traumland auserkoren haben.
Was also tun? Vielleicht von Frau zu Frau sprechen? Da könnte die evangelische Pfarrerstochter beispielsweise die evangelische Pastorin Margot Käßmann fragen, die vor wenigen Wochen noch dem AfD-Politiker Gauland, der in einer Polit-Talkrunde im Fernsehen von einer "unkontrollierten Masseneinwanderung" sprach, empört entgegnete: "Es sind 60 Millionen Menschen auf der ganzen Welt auf der Flucht. Und wenn wir hier ein paar in unserem reichen Land aufnehmen, ist das nicht viel und ich finde, es ist das Mindeste, was wir tun können. Was ist denn da Masseneinwanderung?" Margot Käßmann scheint also zu wissen, was zu tun ist. Also nichts wie ran an die Kirchenfrau, könnte Angela Merkel geraten werden, bevor Käßmann gleich nach dem Luther-Jubiläum mit 60 in Rente gehen wird, wie sie selbst angekündigt hat.
Aber vielleicht ist die gefährlich drohende Falle ohnehin bald zugeschnappt, ganz einerlei, welchen Rat Margot Käßmann für die Kanzlerin parat hätte. Denn ganz auszuschließen ist ein Kollaps schon seit etlichen Tagen nicht mehr. Vielleicht hatte Horst Seehofer am Ende doch recht, als er Merkels Entscheidung als Fehler bezeichnete. Er steht nicht alleine. Auch der vielgefragte Politikwissenschaftler Prof. Dr. Jürgen Falter meinte kürzlich im Interview mit dem FOCUS über Merkels Haltung: "Ihr humanitär motiviertes Signal, dass die Syrer und andere Kriegsflüchtlinge selbstverständlich alle zu uns kommen dürften, war fatal. Das mag gut klingen für alle, die noch Kandidaten für den Friedensnobelpreis suchen – bei den Flüchtlingen wurde und wird es als Einladung verstanden, nach Deutschland zu kommen. Das hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet."
Das Feuer, von dem Falter sprach, konnte bis heute nicht gelöscht werden, es konnte bislang auch nicht unter Kontrolle gebracht werden (Bild links).
Der Kommentator in der FAZ, Reinhard Müller, bringt es auf den Punkt: "Notstand darf aber kein Dauerzustand sein. Sonst werden viele sagen: Das ist nicht mehr mein Land." Bei aller Freundlichkeit, mit der Schutzsuchenden - wie Merkel betonte - begegnet werden muss, stellt sich die Frage: Sitzt Merkel bald in der selbst gestellten Frostfalle? Oder hat sie noch einige Trümpfe in der Hinterhand, mit denen sie einen drohenden Kollaps verhindern kann? Als Physikerin müsste ihr zweifellos bekannt sein, dass auch das Chaos keine Obergrenze kennt. Die Gewährung von Asyl ist eine völkerrechtliche Pflicht, aber die Abwendung des Chaos ist ebenso Pflicht und eine nicht nur politische Überlebensbedingung, ohne die es übrigens auch kein nachhaltiges Willkommen gibt.
13.10.15 | Zeltstädte werden für Flüchtlinge zur Frost-Falle | WELT |
12.10.15 | Was ist das für ein Land, Frau Merkel? | FAZ |
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Leserbriefe
Ein Pastor zur Zuwanderungsproblematik
Jedem wahrheitsliebenden Menschen kann ich nur empfehlen, sich zur Flüchtlingsthematik die beiden Predigten von Pastor Tscharntke vom 04.10. (Der Christ und der Fremde. Teil 1) und 11.10. (Wie gehen wir als Christen mit der Zuwanderungsproblematik um? Teil 2) anzuhören. Er nimmt zu diesem Thema Stellung, was ihm inzwischen (ähnlich wie Pastor Olaf Latzel aus Bremen) schon heftige Kritik von Medien etc. eingebracht hat: Wie gehen wir als Christen mit der Zuwanderungsproblematik um?
Hinweis der Redaktion: Pastor Tscharntke gehört zur freikirchlichen Gemeinde Riedlingen. Auf der Internetseite wird zu seinem Predigtbeitrag gesagt: "Pastor Jakob Tscharntke geht anhand des Stichwortes Wahrhaftigkeit der medialen Berichterstattung und den tatsächlichen Geschehnissen in unserem Land nach. Auf dieser Grundlage zeigt er auf, was für Christen das Gebot der Stunde ist."
Kein christliches Verhalten
Die gegenwärtige "Einwanderungspolitik", sofern man Chaos überhaupt als Politik bezeichnen kann. erinnert an die Fälle, wo jemand eine Einladung versehentlich "an Alle" sendet, worauf ein Chaos ausbricht und Haus und Garten von herbeigerufener Polizei geschützt werden muss.
Derzeit geht es nach dem Motto "und wenn der ganze Zirkus kracht, die große Nummer wird gemacht." Dieses unverantwortliche Verhalten wird gern salbungsvoll als christliche Nächstenliebe kaschiert, hat aber damit überhaupt nichts zu tun, denn christliches Tun hat nichts mit Größenwahn und grenzenloser Selbstüberschätzung zu tun, mit der man sich selbst an Gottes Stelle setzt. Die Folgen werden nicht ausbleiben.
Die Saat trägt ihre Früchte
Wenn wir heute gebannt auf ein Flüchtlingsproblem schauen und nicht wissen wie es zu bewältigen ist, dann hat dies auch mit der Unfähigkeit zu tun, geschichtliche Zusammenhänge zu erkennen und wahr haben zu wollen. Ich stimme Sahra Wagenknecht zu, wenn sie feststellt, dass es den IS ohne die westliche Intervention im Irak heute nicht geben würde. Diese schlichte Erkenntnis müsste eigentlich zu einem Überdenken westlicher Wirtschafts- und Machtpolitik auf breitester Ebene führen. Aber weil die USA und ihre Verbündeten kaum in der Lage sind zurück zu schauen und im Gemenge ihrer Interessenpolitik eine Neuorientierung zu beginnen, kommen dann die Flüchtlinge.
Die Versorgung der Refugees ist sicherlich für das Wohlstandseuropa kein wirkliches Problem. Aber genauso wie Europa reich an Gütern, sozialem Ausgleich und Sicherheit ist, genau so arm ist es an Identität und einem, seinem christlichen Geschichtsbewusstsein. Integration von Millionen Zuwanderern wird aber nur gelingen, wenn Europa sich seiner Wurzel bewusst wird und aufhört sie zu verleugnen.