Die Harvard Universität ist bekannt als älteste Universität in den USA und wird oft als Spitzenuniversität gerühmt. Sie ist mit vielen klingenden Namen verbunden. Etliche Präsidenten der USA, u.a. Roosevelt und John F. Kennedy, übrigens auch der Microsoft-Begründer Bill Gates waren Studenten an dieser Universität. Und Herbert Marcuse, der deutsche Soziologe und Ideengeber für die 68er-Bewegung, lehrte an der Harvard University. Jetzt machte diese Universität in ungewohnter Weise Schlagzeilen. Das New York Times Magazine berichtete Ende März über eine Bewegung, die sich auf dem Campus dieser Universität etabliert hat: Die True Love Revolution (TLR).
"Liberté", "Égalite" und "Chasteté" sind die Begriffe, mit denen diese Bewegung ihr Selbstverständnis verblüfften Zeitgenossen präsentiert. Wer True Love Revolution hört, zu deutsch "Wahre Liebe Revolution", könnte eine Art sexuelle Freizügigkeitsbewegung vermuten, wie sie von denen verstanden wird, die solche Fernsehsendungen wie "Wahre Liebe" gedacht und produziert haben. Das würde im Fall von TLR zu falschen Schlüssen führen. Wer die Übersetzung des französischen Wortes "Chasteté" kennt, weiß, dass dieses Schlagwort nicht der französischen Revolution entlehnt ist, und dass hinter dieser Bewegung etwas anderes stecken muss: "Freiheit, Gleichheit, Keuschheit" sind die Schlagworte, die eine ganz andere Haltung representieren als die eines Privatsenders des deutschen Fernsehens, der den Begriff der Liebe mit seiner Sendung "Wahre Liebe" bis 2004 pervertiert hat.
Nicht triebhafte, ungehemmte Zügellosigkeit, sondern behutsamer und überlegter Umgang mit der Sexualität ist das, was TLR vorschlägt. Wie die Vorsitzende der TLR, Emily Donahue, in einem Interview von mercatornet gesagt hat, will man für all jene Anlaufstelle in der Universität sein, die ihr Leben mehr an beständigen Werten ausrichten wollen. Gefragt, ob dahinter nicht die Kirchen oder irgendwelche religiösen Gruppen stecken, sagte sie: "Nein, wir sind völlig unabhängig. Und wenn ich gefragt werde, mit welcher Kirche ich zu tun habe, reagieren die Leute verblüfft, wenn ich antworte: Mit keiner, ich bin Atheist." TLR ist eine geistig freie und unabhängige Organisation.
Erklärtes Ziel von TLR ist es, die voreheliche sexuelle Enthaltsamkeit zu praktizieren und zu fördern. Dafür werden allgemein ethische und gesundheitliche Gründe genannt. Sexuelle Zurückhaltung führen zu einem besseren physischen und emotionalen Leben, sagt Emily Donahue. Sexualität soll deshalb der festen und dauerhaften Partnerschaft oder Ehe vorbehalten bleiben. Dies verbessere die Qualität der Partnerschaft und des gesamten Lebens. Deshalb sollen sich die Mitstudenten nicht von den üblichen Vorstellungen leiten lassen, sondern eine freie und durchdachte Wahl treffen, ob sie einer abstinente Lebensweise den Vorzug geben wollen. Dafür bietet man Information und Hilfen an. "Wir verstehen uns auch als Ideengeber und als eine Quelle der Inspiration für andere, auch für Universitäten an denen es noch keine solche Organisation gibt", erläutert sie. Niemand, vor allem auch Frauen nicht, soll sich gezwungen oder genötigt fühlen, andere über die eigene Sexualität bestimmen zu lassen. Dies schließt Unterstützung und Rückhalt für alle jene ein, die wegen ihrer sexuellen Einstellung als "prüde" angefeindet werden. "Wir wollen niemanden bevormunden und ihm sagen, was er zu tun oder zu lassen hat, wir treten aber jedem sozialen Druck entgegen, dem viele ausgesetzt sind, wenn sie eine sexuell zurückhaltende Lebensweise pflegen wollen," fügt Emily Donahue hinzu.
Sie verweist auf ihre persönlichen Erfahrungen im Umgang mit Andersdenkenden: "Erstaunlicherweise scheint unsere Auffassung in Fragen der sexuellen Lebensweise Mitmenschen zu reizen, uns taktlos zu behandeln oder auch beleidigend zu bedrängen." "Willst du nicht mit mir schlafen?", werde sie mitunter unvermittelt und provokativ gefragt. Aber dies bekümmere sie nicht, wenn Mitmenschen für sich eine andere Wahl träfen, sie erwarte lediglich Toleranz und Respekt gegenüber ihrer Haltung. Dies findet sie nicht immer. "Etliche Gegner unserer Organisation lassen uns zwar gewähren, etikettieren mich auch immer wieder abschätzig als prüde und machen sich lustig. Doch das ärgert mich nicht, ich bin stolz auf meine Haltung", sagt Emily überzeugend. Gegen die Anwesenheit von TLR auf dem Campus rege sich auch Protest, gerade von solchen Leuten, die sonst für Meinungsfreiheit und Freiheit der Rede aufträten. Und sie erklärt dazu: "Unser Recht auf freie Meinungsäußerung und Redefreiheit scheinen sie jedoch zu übersehen. Es hat mir die Augen geöffnet zu erfahren, dass gerade solche versuchen, eine konservative Auffassung zu unterdrücken, die sich als 'liberal' bezeichnen."
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