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Thomas Broch: Fundamentalismus in antifundamentalistischem Gewand

Quellenangaben: 
http://www.drs.de
Autor: 
Thomas Broch
Fundamentalismus in antifundamentalistischem Gewand

Zur Auseinandersetzung um das Buch
„Wo bitte geht’s zu Gott?“

Das für die Hand von Kindern
geschriebene Bilderbuch „Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel. Ein
Buch für alle, die sich nichts vormachen lassen“ (Aschaffenburg 2007) wurde in
der vergangenen Woche durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Schriften als nicht antisemitisch beurteilt und daher nicht indiziert.

Eine Indizierung war durch das
Bundesfamilienministerium beantragt worden. Auch die zuständige
Staatsanwaltschaft in Aschaffenburg, bei der die Diözese Rottenburg-Stuttgart
eine Prüfung bezüglich des Straftatbestands der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2
StGB) beantragt hatte, konnte weder diesen Tatbestand noch eine Beschimpfung
von Bekenntnissen nach § 166 Abs. 1 StGB feststellen.

Die Diözese Rottenburg-Stuttgart bedauert
diese Entscheidungen. Denn durch diese kann in der Öffentlichkeit der Eindruck
entstehen, dieses Buch sei für Kinder geeignet und diene einer seriösen religionskritischen
Aufklärung – ein Eindruck, der auch durch Autoren und Verlag nachdrücklich
gefördert wird. Insbesondere bleibt es eine ernst zu nehmende und
diskussionswürdige Frage, warum die Verletzung des religiösen Empfindens
anderer Menschen und insbesondere von Kindern, die dagegen wehrlos sind, kein
Tatbestand der Jugendgefährdung sei.

Die Diözese Rottenburg-Stuttgart bekräftigt
daher die ablehnende Beurteilung dieses pseudoaufklärerischen
Machwerks. Der Verzicht auf Anklageerhebung bzw. Indizierung bedeutet
keine positive Würdigung von Inhalt und Illustration durch die entsprechenden
Institutionen, sondern lediglich die Feststellung, dass nach deren Einschätzung
keine justitiablen Tatbestände festgestellt werden können. Fragen der
Seriosität, der pädagogischen Verantwortung, des Niveaus oder einfach des
Anstands können mit strafrechtlichen Kategorien nicht erfasst werden.

1. Der Pressesprecher der Diözese
Rottenburg-Stuttgart hat am 17. Dezember 2007 bei der zuständigen
Staatsanwaltschaft in Aschaffenburg eine strafrechtliche Prüfung beantragt. Das
Buch, so lautete die Begründung, verfolge das Ziel, Kindern den Gottesglauben
der drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam als
unsinnig zu erklären, und es verfolge dieses Ziel durch eine extrem
diffamierende und mit blasphemischen Äußerungen versehene Karikierung dieser
Religionen. Besonders, so wird als Hauptanliegen des Schreibens
hervorgehoben, werde der Protagonist des jüdischen Glaubens in diesem
Buch in einer Art und Weise bildlich karikiert, die bei Kindern schlimme
antisemitische Ressentiments begründen können. Da dies absolut inakzeptabel
sei, werde eine strafrechtliche Prüfung beantragt.

2. Es trifft – wie wiederholt
festgestellt – zu, dass in dem Buch nicht nur der Rabbiner als Protagonist des
Judentums insgesamt (und nicht nur einer ultraorthodoxen Gruppe), sondern auch
die Vertreter der (katholischen) Kirche und des Islam in diffamierender
und verhöhnender Weise dargestellt werden. Das entkräftet nicht den Vorwurf des
antisemitischen Charakters dieses Buchs, sondern erweitert diesen noch um den
Vorwurf der antichristlichen und antiislamischen Hetze. Hier werden alle
negativen Klischees bedient und entsprechende Emotionen evoziert, die den
Vertretern der drei monotheistischen Religionen als gewalttätigen Obskuranten
und Fanatikern zugedacht werden können. Mit diesen Darstellungen werden in der
Vorstellungswelt von Kindern angst- und abscheubesetzte Bilder erzeugt, die
eine offene Begegnung mit diesen Religionen und mit Religion insgesamt
verhindern können. Dem ohnehin mühsamen Prozess, mit dem Islam einen durch
Respekt und kritisch-konstruktive Auseinandersetzung geprägten
innergesellschaftlichen Dialog zu führen, fügt dies enormen Schaden zu.
Bezüglich des Judentums bedeutet dies einen Rückfall in übelste Zuschreibungen,
denen nur mit entschiedenem Protest begegnet werden kann. Ein solcher
Tabubruch muss in unserem Land den Protest jedes anständigen Menschen
hervorrufen.

3. Die Verfasser dieses „perfiden
Machwerks im Gewand eines Kinderbuchs“ – so der leitende Oberstaatsanwalt in
Aschaffenburg gegenüber Medien – bemühen zu Unrecht die Autorität der
Aufklärung. Aufklärung bedeutet nach Kant zweifellos den Mut, sich seines
eigenen Verstandes zu bedienen. Sie bedeutet aber zugleich auch eine faire und
offene Auseinandersetzung mit geistigen oder religiösen Gegenpositionen.
Lessing – um einen anderen großen Vertreter der Aufklärung zu erwähnen – lehrt
in seiner berühmten „Ringparabel“ nicht Verhöhnung oder Bekämpfung des religiösen
Bekenntnisses anderer, sondern Respekt davor. In diesem Buch aber findet nicht
Aufklärung statt, sondern Indoktrination ohne jede Dialektik oder
Differenzierung. Es ist dogmatischer als die Dogmatiken der Religionen, denen
in diesem Buch Dogmatismus vorgeworfen wird.
4. Die Autoren und ihre öffentlichen Unterstützer berufen sich auf die
Freiheit der Meinungsäußerung und der künstlerischen Darstellung. Diese sind in
der Tat höchste Güter unserer Verfassung, die nicht zur Disposition gestellt
werden dürfen. Sie hier in Frage gestellt zu sehen, ist Unfug. Es ging bei dem
Vorgehen der Diözese Rottenburg-Stuttgart nicht um Unterdrückung der
Meinungsfreiheit, sondern um die Prüfung, ob dieses Buch gegen die Strafgesetze
unseres Landes verstößt. Das ist legitim und keine Grundrechtsbeschneidung.
Dass die Justizbehörden keinen strafrechtlichen Verstoß erkennen können, wird
selbstverständlich respektiert. Dass bedeutet keineswegs, dass die
Auseinandersetzung nicht in aller Deutlichkeit auf der inhaltlichen Ebene
weitergeführt wird. Im übrigen ist die Freiheit der Meinungsäußerung und der
Kunst eine besondere Ausdrucksform der Gewissensfreiheit, keineswegs aber eine
Legitimation für die Verhöhnung der religiösen Gefühle und damit einer sehr
existenziellen Dimension anderer Menschen.

5. Was die Kirche und ihre Theologie
angeht – nur für diese kann an dieser Stelle gesprochen werden –, so haben
diese seit der Aufklärung einen Prozess der historisch-kritischen Exegese
durchlaufen, der die biblischen Gründungstexte in ihrer Entstehungsgeschichte,
in ihrer kultur- und religionsgeschichtlichen Einbettung, in der Besonderheit
ihrer jeweiligen literarischen Formen und Gattungen u. a. m. zu lesen und zu
verstehen gelehrt hat. Nicht zuletzt ist dabei auch die zentrale Bedeutung des
Symbolischen in antiken Schriften und im Bereich des Religiösen überhaupt zu
Bewusstsein gekommen. Jeder, der sich mit den Schriften, die einer Religion
heilig sind, seriös befasst, weiß, dass man sie in einer solchen Hermeneutik
lesen und auf ihre heutige Bedeutsamkeit hin befragen muss. Die Art und Weise,
wie in dem Buch – teilweise marginale – Glaubensinhalte von Judentum,
Christentum und Islam heraus- und angegriffen werden, zeugt von einer absoluten
Ignoranz im Umgang mit historischen Texten und Glaubenstraditionen und von
einer völligen Verständnislosigkeit gegenüber der Bedeutung von Symbolen. Auch
dies hat nichts mit Aufklärung zu tun, sondern ist schierer – sich
antifundamentalistisch gerierender – Fundamentalismus.

6. Dass die monotheistischen Religionen
eine teilweise furchtbare Gewaltgeschichte aufweisen, ist unbestritten. Darüber
bedarf es keiner Belehrung durch die Autoren. Aber eine Reduzierung auf ein
solches Gewaltpotenzial– und diese geschieht in dem Buch – heißt vieles zu verkennen:
dass Judentum und Christentum mit zu den entscheidenden Wurzeln abendländischer
Humanität gehören; dass es auch im Islam Auslegungstraditionen und Formen
religiösen Lebens gibt, die von tiefer Menschlichkeit geprägt sind. Gewiss: es
gab im Namen der Religion furchtbare Menschenrechtsverletzungen. Aber diese gab
es wohl auch im Namen eines aggressiv auftretenden Atheismus. Hier muss wohl
eher nach den Folgen gefragt werden, die entstehen können, wenn Menschen sich
selbst und ihre Ideologien (die durchaus auch religiös motiviert sein können)
absolut setzen und keine Instanz mehr über sich anerkennen, der gegenüber sie
verantwortlich sind. Selbstverständlich kann Religion pervertiert werden, aber
Atheismus ebenso.

Es ist zu hoffen, dass Eltern das Buch von
Schmidt-Salomon und Nyncke mit eben dem „gesunden Menschenverstand“ kritisch
prüfen, dessen „Sieg“ Schmidt-Salomon nach der Entscheidung der
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften proklamiert hat. Ebenso ist zu
wünschen, dass mit den Entscheidungen der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg und
der Bundesprüfstelle eine breite gesellschaftliche Diskussion über die hier
dargelegten Probleme nicht abgeschlossen ist, sondern erst recht in Gang
gesetzt wird.

Dr. Thomas Broch
Pressesprecher

Diözese Rottenburg-Stuttgart

10.03.08