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SPD schreckt vor Kreuzigung Sarrazins zurück


22.04.11

SPD schreckt vor Kreuzigung Sarrazins zurück

Schiedskommission zieht Parteiausschlußantrag nach Erklärung von Sarrazin zurück

(MEDRUM) Trotz Ausarbeitung einer umfänglichen "Anklageschrift", die auf den Versuch der akribischen Vorbereitung einer Verurteilung Thilo Sarrazins hindeutete, hat die SPD am gestrigen Donnerstag Abstand vom erklärten Ziel genommen, Thilo Sarrazin, aus der Partei auszuschließen.

DImageie Schiedskommission für das 2010 in Gang gesetzte Parteiausschlußverfahren gegen Thilo Sarrazin hat nach ihrer Sitzung am Donnerstag entschieden, das Verfahren ohne Ausschluß des "Angeklagten" zu beenden. Wie der Spiegel berichtet, hatte die SPD einen Ausschlußantrag vorbereitet, dessen Länge halb so groß ist wie das SPD-Grundsatzprogramm. Viel Munition also, um Sarrazin zur Strecke zu bringen? Es ist schwer zu sagen, ob die Vorwürfe und Beweismittel am Ende gereicht hätten und bleibt letzlich nun unerheblich. Denn das Verfahren ist beendet, bevor es eigentlich richtig begonnen hat. Der Antrag auf Parteiausschluß des in Ungnade gefallenen ehemaligen SPD-Finanzsenators von Berlin wurde laut BILD zurückgezogen. Dem Vorwärtsruf des Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel zum Parteiausschluß folgte nun eine Rolle rückwärts.

Thilo Sarrazin hatte gegenüber der Schiedskommission eine kurze Erklärung abgegeben und die SPD nahm Abstand von ihrem im letzten Jahr noch fest erklärten Ziel, Sarrazin den Prozeß zu machen. In seiner Erklärung stellte Thilo Sarrazin insbesondere fest: "Ich habe zu keiner Zeit die Absicht gehabt, mit meinen Thesen sozialdemokratische Grundsätze zu verletzen. Sollten Mitglieder der Partei sich in ihrem sozialdemokratischen Verständnis beeinträchtigt fühlen, bedauere ich dies, auch wenn ich meine, dass mein Buch hierzu keine Veranlassung gegeben hat." Diese Äußerung Sarrazins dürfte niemanden überraschen, der sein Buch "Deutschland schafft sich ab" gelesen hat.

In seinem Buch hatte Thilo Sarrazin 2010 auf zahlreiche Mißstände und Fehlentwicklungen in der Integrationspolitik hingewiesen. Wie berechtigt seine Kritik war und jetzt noch ist, zeigte die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der SPD im Bundestag: Fast die Hälfte von 1,5 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren in Deutschland, die ohne Berufsabschluß sind, haben Migrationshintergrund (MEDRUM: 1,5 Millionen junge Erwachsene ohne Berufsabschluss). Sarrazin hatte unter anderem auf das Problem hingewiesen, daß die Geburtenraten gerade in bildungsfernen Schichten relativ betrachtet am größten seien und sich die gegenwärtigen Probleme dadurch langfristig gesehen noch verschärfen würden. Auch diese Aussage wurde durch die jetzige Antwort der Bundesregierung belegt: Je geringer der Bildungsstand der Eltern ist, desto schlechter sind die Chancen auf einen Schul- und Berufsabschluß der Kinder.

Mit ihrer Anfrage brachte die SPD selbst erneut an den Tag, was eine Hauptsorge von Sarrazin in seinem Buch gewesen ist, das zum erfolgreichsten Sachbuch avancierte. Es ist vielen wohl deswegen ein Dorn im Auge, weil es die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Integrationspolitik schonungslos aufzeigt. Dies schien für manche Grund genug, den Zeitgenossen Sarrazin nicht länger in einer Partei dulden zu wollen. Doch sie bleiben überzeugende Antworten schuldig, wie eine alternde Gesellschaft mit dem Problem fertig werden soll, daß ein beträchtlicher Teil ihrer jungen Generation ohne Schul- und Berufsabschluß dasteht und das Sozialsystem belastet anstatt es zu stützen. Auch drastische Äußerungen wie die des SPD-Landespolitikers Ulrich Commercon, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Saarland, der laut ImageBerliner Morgenpost getwittert hat, Sarrazin sei ein "Vollarsch", mit dem er nichts zu tun haben wolle, blenden als Signale der Ratlosigkeit Probleme aus und dienen allenfalls der öffentlichen Hinrichtung einer Person, deren Stil einer Demokratie und einer Partei, die sich als Volkspartei verstehen will, unwürdig ist.

Klar ist: Die SPD hat keine überzeugende Antwort zu bieten, weshalb sie wild entschlossen schien, Sarrazin auszuschließen, und jetzt ihren Antrag zurückzog. Die SPD müsse sich fragen lassen, was das "ganze Theater" sollte, so der SPIEGEL. Es ist nicht verwunderlich, wenn der SPIEGEL im vorzeitigen Ende des Parteiausschlussverfahrens eine Blamage für die SPD sieht, insbesondere für Sigmar Gabriel, der zu den leidenschaftlichsten Befürwortern eines Parteiausschlusses gehört habe.


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